Die vorstehende Ueberschrift wird hinreichen, um
vielleicht diesen oder jenen Leser des Archivs von vorneherein zu
veranlassen, die nachfolgenden Blätter zu überschlagen. - Es gehört
in Lauenburg zum guten conservativen Ton, mit Savigny den Beruf
unserer Zeit zur Gesetzgebung zu läugnen, oder mit Tacitus zu sagen:
corruptissima respublica, plurimae leges. Wir stimmen
dem bei, und haben bereits in den einleitenden Worten dieses Archivs
gesagt: Mit Gesetzesleichen ist das Land nicht beglückt.
Wer Umschau gehalten in den Ländern parlamentarischer Regierung,
England obenan, den muß es mit Wehmuth erfüllen, zu sehen, wie heut
zu Tage in jeder Saison des Parlaments oder Landtags ein gewisses
Quantum von so und so viel Gesetzen als gute Waare auf den Markt
gebracht werden muß; hier wird ein Gesetz gemacht, um Wünschen von
Parthei-Freunden des Ministers zu genügen, dort will der Minister
sich durch ein Gesetz ein monumentum aere perennius
setzen, und kaum hat es die Unterschrift des Königs, so setzt der
nachfolgende Minister sich ein monumentum aere perennius
durch ein Gesetz, das die Aufhebung des früheren dekretirt. Von
einer solchen Gesetzfabrikation gilt der obige
1863/8 - (417)
1863/8 - 418
Ausspruch des Tacitus, von der auch heut zu Tage
herrschen[den] Manie, Gesetze nicht wegen der Verhältnisse, sondern wegen
der Gesetzgeber zu machen. - Man muß billig unterscheiden zwischen
der Gesetzgebung früherer Zeiten und den Gesetzfabriken der
Gegenwart. Wir brauchen nur unser officielles Wochenblatt
aufzuschlagen, um einen Beleg zu finden, daß die Gesetze der letzten
6 Jahre, die die staatsrechtlichen Verhältnisse
Lauenburgs zum Gesammtstaate haben regeln sollen, und die
Verhältnisse Lauenburgs zum Reichsrath, sehr bald den Weg alles
Fleisches gewandelt sind, ganz zu geschweigen des glorreichen
Grundgesetzes von 1849, dessen Inhalt wir schon früher
in diesen Blättern beleuchtet haben. - Daß die Verfassung von
1849 nur "ein Stück Papier" geblieben, die von 1852
nur ein lebensunfähiger Embryo, die von 1854 nur ein
Jahr ein kümmerliches Dasein hinvegetirt, und die großen Schöpfer
der Verfassung von 1855 ihr Kind auch nicht länger für
lebendig haben ausgeben können, als die Ammenmilch künstlich
verbessert werden konnte, und sich Leute fanden, die dem Volke jeden
Morgen vorerzählten, daß das Kind noch lebe, hat uns nicht
überrascht. - Wenn man Verfassungen giebt, und dabei Naturgesetzen
spottet, so segnen höchstens die Buchdrucker und Papierhändler, und
wenn die Verfassungen recht dick sind, auch die Lumpenhändler und
Buchbinder solche Verfassungsfabriken; einem Bauherrn, der ein Haus
bauen will, pflegt ein gewöhnlicher Landzimmermann den Rath zu
geben. daß erst das Fundament zu legen sei, und ein Lehrer der
Botanik, der mit den Früchten, Auswüchsen und Schmarotzerpflanzen
seine Vorträge beginnen wollte, würde von seinen Zuhörern gebeten
werden, mit den Zellen und Saftkanälen anzufangen.
Das Zuschneiden einer ins Leben tretenden Verfassung ist übrigens
kein Akt der Willkühr; es giebt Zeiten und
1863/8 - 418
1863/8 - 419
Zustände, in denen keine Verfassung möglich ist, so wie in gewissen
Jahren alle Weintrauben sauer bleiben, selbst die im Treibhaus
gezogenen.
Nicht darüber wollen wir also klagen, daß die Verfassungsfabrik
jetzt seit ein paar Jahren sich in Ruhe befindet, und eben so wenig,
daß die geschäftige Unruhe der meisten deutschen Landtage, Gesetze
zu machen, sich bei uns nicht zeigt. Wir fühlen uns in unserer
provinziellen Selbstständigkeit sehr behaglich, und haben kein
Verlangen, daß unserem Landtag, wie jüngst dem dänischen 44, oder
gegenwärtig dem holsteininischen fast eben so viele s. g.
Gesetzentwürfe vorgelegt werden, von denen manche polizeiliche und
administrative Gegenstände betreffen, die besser nicht auf den Ambos
der Gesetzgebung fallen.
Und nichts desto weniger möchten wir doch die Behauptung aufstellen,
daß der völlige Stillstand der Gesetzgebung in unserem Ländchen doch
auch seine sehr bedenklichen Seiten hat. - Wenn man den Beruf und
die Aufgabe des Staats darin findet, das Recht in der Form des
Gesetzes zu wahren und weiter zu bilden, so möchten wir glauben,
daß diesem Beruf nicht immer Genüge geleistet wird.
Unsere Gesetzgebung der letzten Jahre hat sich zunächst mit dem
Buchstaben W. beschäftigt, und die Artikel Wehrpflicht, Wechsel und
Wasser absolvirt. Wir wollen mit dem Buchstaben A. anfangen, und den
zur Gesetzgebung Berufenen einen Gegenstand zur näheren Erwägung zu
empfehlen uns erlauben, und dabei die durchaus nicht paradox
gemeinte Behauptung wagen, daß wir ein Gesetz über die Regelung des
Verhältnisses bei Abstimmungen für das allerwichtigste halten,
welches Lauenburg zur Zeit Noth thut. - Erst durch ein solches
Gesetz wird es möglich werden, die Engherzigkeit der Landcommünen in
Sachen des Dorfs zu besiegen; erst nach
1863/8 - 419
1863/8 - 420
Erlassung eines solchen Gesetzes wird es möglich
sein, erfolgreich auf eine intensivere und rationellere
Landwirthschaft hinzuwirken, die zum Schauder jedes Nationalöconomen
wüste hinliegenden Freiweiden, die zahlreichen Heide- und
Sandgegenden und versumpfte Niederungen in Cultur zu bringen, und
großartige Entwässerungen und Bewässerungen vorzunehmen, auch die
Frage in Erwägung zu nehmen, ob nicht die großen Mängel der auf
Grundlage der Verordnung von 1768 zu Stande gebrachten
Verkoppelungen in einigen Punkten beseitigt werden können.
Wir wollen nachstehend die in der Ueberschrift aufgestellte Frage
einer näheren Prüfung und Erwägung unterziehen, und glauben um so
mehr eine genügende Veranlassung dazu zu haben, indem der von
Ritter- und Landschaft zur Begutachtung eines Entwurfs der
Wasserlösungsverordnung für das Herzogthum Lauenburg niedergesetzte
Ausschuß schon vor mehreren Jahren darauf aufmerksam gemacht hat, ob
es nicht zweckmäßig sein dürfte, diesem Gesetze eine Bestimmung
darüber anzuschließen, unter welchen Voraussetzungen
Commünebeschlüsse über Wasserbauarbciten, Ablassung von Gewässern u.s.w. zu öconomischem Nutzen für alle Mitglieder der Commüne
verbindlich sind, und in wiefern der Landbesitz nach seiner
verschiedenen Größe oder die Zahl der Hauswirthe bei den
Abstimmungen in Betracht komme. Es seien nämlich in der neuesten
Zeit im Herzogthum Lauenburg Fälle vorgekommen, aus denen
constatire, daß über diese Frage eine große Rechtsunsicherheit
herrsche, und würden sicherlich, wenn derselben nicht vorgebeugt
werde, sich bedeutende Unzuträglichkeiten herausstellen. -
Dieser Anregung ist bei Erlassung des Wasserlösungsgesetzes vom
22.
Mai 1857 und später keine Folge gegeben worden, und eben daraus
erklärt sich auch, weshalb die gedachte Verordnung von 1857 nur
theilweise den Erwar-
1863/8 - 420
1863/8 - 421
tungen hat entsprechen können, die man von
derselben hegen zu dürfen glaubte
§ l.
Der Sachsenspiegel II. 55 enthält die kurze und bündige Bestimmung!
Suat so die burmester shept des dorpes vromen mit willkore der meren
menie der bure, dat ne mach die minre deil nicht wederreden.
Für die ganze Lehre von den Corporationen im Römischen Recht gilt,
wie Savigny System d. heut. R. R. II. 259 sagt, die gemeinsame
Bemerkung, daß sie als Nachahmungen der Stadtgemeinden betrachtet
wurden, und gleich diesen Vermögen und Vertreter haben, welches das
Wesen der juristischen Person ausmacht. - I. I § I D. 3. 4.)
In der
neueren Römischen Städteverfassung (Savigny II. 327) ruht alle
öffentliche Gewalt in dem ordo, welcher aber nur als
verfassungsmäßig handelnd angesehen wurde, wenn wenigstens 2/3
seiner überhaupt vorhandenen Mitglieder versammelt sind. - Sind
diese also versammelt, so stellt eine solche Versammlung den ganzen
ordo vor; fehlt es an jener Anzahl, so gilt die Versammlung nicht
als ordo, und kann keine gültige Beschlüsse fassen. -
In jeder
solchen gesetzmäßigen Versammlung aber entscheidet die
Stimmenmehrheit unter den Anwesenden. - 1. 2. 3.
de decretis ab
ordine faciendis (50. 9). Illa decreta, quae non legitimo numero
decurionum coacto facta sunt, non valent; lege autem municipali
cavetur, ut ordo non aliter habeatur, quam duabus partibus
adhibitis.
L 46 C. de dec. (10. 31. d. h. I. 142. C. Theod.
de dec. 12. 1.) - ne paucorum absentia - debilitet, quod A MAJORE
PARTE ordinis salubriter fuerit consti-
1863/8 - 421
1863/8 - 422
tutum, cum duae partes ordinis in urbe positae
totius curiae instar exhibeant.
cfr. auch 1. 3. 4. D. quod cuj. un. 3. 4. nisi -
ordo dedit, cum
duae partes adessent, aut amplius quam duae. Aus dieser aus der
Römischen Städteverfassung entnommenen Bestimmung hat man
irrthümlich den allgemeinen Satz formirt, es werde nicht die
Uebereinstimmung der Mehrheit aller Mitglieder erfordert, sondern
nur derjenigen,die sich in einer gehörig berufenen Versammlung
einfinden, vorausgesetzt nur, daß diese Anwesenden nicht weniger als
aller Mitglieder überhaupt ausmachten. (Thibaut § 131, Mühlenbr. S,
197.)
Savigny macht mit Recht p. 333 sq. auf die eigenthümlichen
Verhältnisse der deutschen Städte aufmerksam, wo sich von sehr alter
Zeit her eine Verfassung mit Bürgermeister und Rath, daneben auch
sehr gewöhnlich eine Bürgervertretung finde. - Er sagt: Die
Anwendung der unrichtigen Grundansicht war übrigens am wenigsten
dazu geeignet, in das wirkliche Leben überzugehen, und so die Praxis
zu verderben, weil die hieraus gebildeten Verfassungen durch ihre
inneren Lebenskräfte einen natürlichen und wirksamen Widerstand
leisten mußten.
Er macht ferner II. 334 darauf aufmerksam, daß der Gegensatz von
Mitgliedern überhaupt, und von Mitgliedern verschiedener, ungleich
berechtigter Klassen wohl ins Auge zu fassen sei; in einem großen
Theil von Deutschland finden sich in den Dorfgemeinden Vollbauern
und Halbbauern, neben den Bauern auch Kossäthen und Häusler.
Diese wichtigen Unterschiede, deren Einfluß auf die Ermittelung des
Willens der Corporation so natürlich ist, müssen völlig
verschwinden, sobald durch einen allgemeinen Grundsatz den einzelnen
Mitgliedern ein bloß numerisches Dasein zuge-
1863/8 - 422
1863/8 - 423
schrieben wird, von welchem die absolute
Gleichheit der Einzelnen unzertrennlich ist.
Savigny II. 336 verwirft es als einen Irrthum, der allgemein die
nothwendige, zugleich aber hinreichende Anwesenheit von 2/3 aller
Mitglieder annimmt, wenn durch Stimmenmehrheit ein
Corporationsbeschluß gefaßt werden soll.
Alle - sagt er - berufen sich dabei auf die oben angeführten Stellen
des Römischen Rechts, ohne zu bedenken, daß sie auf zweierlei Weise
diesen Stellen einen ihnen ganz fremdartigen Sinn unterschieben.
Denn erstlich reden jene Stellen nicht von Corporationen überhaupt,
lediglich von Stadtgemeinden; zweitens aber, was viel wichtiger ist,
nicht von zwei Drittheilen der Corporationsmitglieder, sondern der
Decurionen, also einer bloß repräsentativen Versammlung innerhalb
einer universitas ordinata, anstatt, daß zu den wahren Mitgliedern
der Corporation auch alle Grundeigenthümer des Stadtgebiets
gehören. - Auch hier wäre es vor Allem räthlich gewesen, die
universitas ordinata von jener angeblichen Regel auszunehmen, und
in der That hat sich die Praxis gegen diese falsche Theorie von
selbst geholfen. Denn obgleich die Lehre von den 2/3 der Mitglieder
als unzweifelhaft gültig für alle Corporationen bei den
Schriftstellern überall vorgetragen wurde, so hat man doch in den
deutschen Städten weder auf die Bürgerschaft noch auf den Stadtrath,
bei welchen sich am ersten eine Analogie dcs wahren Römischen
Rechts behaupten ließe, Anwendung davon gemacht. - Sieht man genau
zu, was von dem Grundsatz der 2/3 Mitglieder in die Praxis
übergegangen ist, so ist es lediglich die Bestellung eines
Procurators zur Prozeßführung von Seiten der Dorfgemeinden, die
stets eine sehr unvollkommene Verfassung haben, also universitates
inordinatae sind. Hier müssen 2/3 der Mitglieder versammelt sein, um
1863/8 - 423
1863/8 - 424
den Procurator zu bestellen (abweichend vom
Römischen Sprachgebrauch als Errichtung eines Syndicats bezeichnet),
cfr. Glück Pandecten V. § 413. Martin Prozeß. § 78 (ed.
II.).
In Bülow und Hagemann's Erörterungen II. handelt die
25ste
Erörterung von der Verbindlichkeit und Gültigkeit der
Gemeindebeschlüsse, und unterscheidet drei Fälle, wo
1) die Einwilligung aller und jeder wahren Gemeindeglieder,
oder
2) 2/3 derselben, oder
3) die Mehrheit der Stimmen erforderlich sei, um etwas Verbindliches
zu beschließen.
Für alle Geschäfte, die Veräußerungen der Gemeindegüter und deren
Theilungen, die Veränderungen in der bisherigen Benutzungsart der
Gemeindegrundstücke, Aufhebung der Hut und Weide bezwecken, wird zu
einem gültigen Beschluß die Einwilligung aller und jeder
Gemeindeglieder erfordert, und die Mehrheit oder 2/3 der Stimmen kann
die kleinere dissentirende Anzahl der Gemeindeglieder niemals
verpflichten, wenn sich die letzteren nicht vertragsweise dazu
verbindlich gemacht haben, oder durch ein besonderes Landesgesetz
verordnet ist, daß in solchen Angelegenheiten entweder die Mehrzahl
der Stimmen oder 2/3 derselben die geringere dissentirende Anzahl
der Gemeindeglieder verpflichten soll. In Sachen, die die
Gemeinde als Gemeinde betreffen, sei es Prozeß, Syndicatsbestellung
etc., kann ein gültiger Gemeindebeschluß gefaßt werden, ohne daß dazu
die Einwilligung aller und jeder Gemeindeglieder erforderlich ist,
die oft gar nicht zu erlangen sein wird.
Hier ist es nun aber, sagt die Erörterung, sehr bestritten, ob die
Stimmenmehrheit von entscheidender Kraft, oder nicht wenigstens die
Einwilligung von mindestens 2/3 der Stimmen aller
Gemeindeglieder erforderlich sei. Für die erste Ansicht
1863/8 - 424
1863/8 - 425
wird Struben, für die zweite Krynitz und Glück
angeführt, und dieser Ansicht tritt die Erörterung bei, weil, wenn alle
Gemeindeglieder zur Abgebung ihrer Stimmen in einer solchen
Angelegenheit ordnungsmäßig berusen, wenigstens 2/3 erschienen sind,
und die gegenwärtigen durch eine Majorität einen Beschluß fassen,
man rechtlich annehmen darf, daß die Mehrheit der Stimmen aller
Gemeindeglieder vorhanden ist, und daß der dritte Theil der
Ausbleibenden den meisten Stimmen der gegenwärtig gewesenen
Mitglieder stillschweigend beigetreten ist. Diese Vermuthung läßt
sich aber nicht annehmen, wenn weniger als 2/3 der Stimmberechtigten
erschienen sind. Bei einer solchen Versammlung, wo 2/3
erschienen sind
und die Majorität die Minorität binden soll, ist es aber durchaus
nothwendig, daß es vollständig regelmäßig zugegangen und die
Convocation an alle Gemeindeglieder ergangen ist.
§ 2.
Wenn nach altem deutschen Rechte alle Anordnungen, die zum Frommen
des Dorfs, zum Besten der Mark dienen sollten, zum Erkenntniß der
Markgenossen und ihres Vorstandes standen, zur Beschlußfassung aber
einfache Majorität der Bauern erforderlich war, so darf man nicht
vergessen, daß nach altdeutschem und angelsächsischem Recht ein
jeder Mann zur Volksversammlung kommen mußte, und jeder, der nicht
erschien, des Königs Frieden verlor und geächtet wurde.
Die Gesetzesstelle aus dem Sachsenspiegel II. 55 ist schon oben
§ 1
angeführt. Das Kaiserlandrecht (408. 1.) drückt dieses ebenso aus:
„Und ist ein Dorf, worin ein richter ist, was der setzt mit
der merer wenig des Dorfs Frommen, das darf der minder theil der
Bauern nit wider reden,"
und wird nun hinzugesetzt:
"das selb recht sol man auch haben in den steten."
1863/8 - 425
1863/8 - 426
Feststehende Ausnahme durch das ganze Mittelalter
war aber, daß zu Abtretung von Gemeindeland, für neue Ansiedelungen
die Zustimmung sämmllicher Genossen erforderlich war, und nicht nur
der Mehrheit derselben. (Landau, Territorien S. 116.)
Das einzige positive Gesetz, welches für das Herzogthum Lauenburg in
Betracht kommt, ist die Verordnung vom 22. November
1768, wie in
Landesöconomieangelegenhciten zu verfahren ist. Nach dem Art. l1.
dieser Verordnung sollen alle oeconomica mit Rücksicht auf die
hergebrachten Rechte der etwaigen Interessenten gründlich untersucht
werden; die in Gemeinheitsdistricten etwa mit ein und anderen
juribus berechtigten Interessenten sollen darüber, auch, ob und was
sie dagegen vorzustellen, vernommen, ihre Einwendung sorgfältig
geprüft, gütliche Beilegung versucht werden, und wenn die
Contradiction für erheblich nicht zu achten, die Interessenten
ad protocollum umständlich bedeutet werden, aus was für Gründen ihr
Widerspruch für unbegründet zu halten sei.
Dann ist an die Cameralbehörde zu berichten, diese hat die
Interessenten allenfalls nochmals mit ihrer Vorstellung zu hören,
und schließlich zu beurtheilen, ob der Widerspruch für erheblich zu
achten sei, oder nicht.
Der wesentliche Inhalt der Verordnung von 1768 läßt sich dahin
formuliren, daß Gemeinheitstheilungen und die damit verwandten,
Förderung der Landescultur bezweckenden Geschäfte nicht vor die
Gerichte, sondern vor die Regierungsbehörden gehören, vorbehältlich
solcher Streitigkeiten, welche ihrem Wesen nach zu gerichtlicher
Entscheidung gehören und von den Regierungsbehörden dahin verwiesen
worden. Damit war ein Streit erledigt, der aus anderen deutschen
Ländern an die Reichsgerichte gebracht ist, *) ob
Gemeinheitstheilungen und ähnliche Auseinandersetzungen Justiz- oder
Regierungssachen seien.
____________________
*) Bening in Rau und Hanssen Archiv VI1I. 1. S. 2.
1863/8 - 426
1863/8 - 427
Es darf hier gleich bemerkt werden, daß lediglich
auf Grundlage der Verordnung von 1768, ohne alle und jede
Verkoppelungsverordnung, in Lauenburg die Verkoppelungen zu Ende
gebracht sind, zum großen Segen der Unterthanen, weniger zum
Vortheil der landesherrlichen Casse.
Interessant ist es, die weitere Geschichte der Verordnung von 1768
in dem Königreich Hannover zu verfolgen.
Die Grundsätze für die Theilungen wurden dann zuerst ausgesprochen
in einer vorläufigen Verordnung für das Fürstenthum Lüneburg vom
31. August 1800, welcher eine vollständige
Gemeinheitstheilungsordnung für diese Provinz unterm 25.
Juni 1802
folgte. - Die Kriegszeit hemmte weiteres Vorschreiten; erst in den
20er Jahren wurden die übrigen Provinzen (durchgängig, wie in
Lüneburg, nach provinzialständischer Begutachtung) mit
Theilungsverordnungen versehen, Ostfriesland ausgenommen, für
welches die aus der Zeit der preußischen Herrschaft stammenden
Verfügungen als ausreichend erachtet wurden. Es erschienen *)
unterm 25. Juni 1822 die Osnabrücksche Theilungsordnung, welche
1835 und 1838 mit wenigen Abänderungen auf die übrigen Districte
des Hannöverschen Westphalens ausgedehnt ward, und unterm 30. April
1824 drei andere für Calenberg, Göttingcn und Grubenhagen, für Hoya und
Diepholz, und für Hildesheim, endlich eine für Bremen und Verden
unterm 26. Juli 1825.
Von Osnabrück mit der abweichenden Markenverfassung abgesehen, ist
überall die Lüneburgische Theilungsordnung maaßgebend gewesen, und
meist wörtlich benutzt, die, ungeachtet ihrer unerhörten Breite,
doch, wie Bening bemerkt, sich als zweckmäßig bewährt hat.
____________________
*) Hanssen: die neuesten Agrargesetze des Königreichs Hannover. -
Bening, die Umbildung der ländlichen Zustände in Folge der
Gemeinheitstheilungen und Verkoppelungen.
1863/8 - 427
1863/8 - 428
Indessen die Theilungen schritten doch nicht
vorwärts; lange schon hatte man ein Zwangsgesetz gewünscht, und
nachdem ein den Ständen 1836 vorgelegter, und von ihnen
mit
verschiedenen Modifikationen angenommener Entwurf liegen geblieben,
und ein anderer 1844 vorgelegt worden, ward dieses Zwangsgesetz
unterm 30. Juni 1842 publicirt. Die wichtigsten Bestimmungen
dieses Gesetzes sind folgende:
Die einfache Majorität der Grundeigenthümer kann die Verkoppelung
erzwingen, wenn dieselben zugleich 2/3 des Flächeninhalts und des
Steuercapitals (d. h. des für die Grundsteuer berechneten
Reinertrages) von der zusammenzuliegenden Fläche einer Feldmark
besitzen. Die ganz kleinen Grundbesitzer, welche an
zusammenzulegenden Grundstücken nicht über zwei Morgen besitzen,
haben kein Stimmrecht, tragen aber auch die Verkoppelungskosten
nicht mit, und sollen entweder ihren Grundbesitz behalten, oder den
Ersatz in einer ihnen gleich günstigen Ortslage und durch solche
Grundstücke bekommen, die sie in gleicher Weise, wie ihre
bisherigen, ohne besonderen Kostenaufwand cultiviren können. Unter
Demselben Datum erschien das Gesetz über das Verfahren in
Gemeinheitstheilungs- und Verkoppelungssachen in 175 §§, an welches
sich die Ausführungsverordnung vom 27. März 1843 und die
Ministerialbekanntmachung vom 11. Septbr. 1849 anschließen.
Und ungeachtet aller dieser Vorbereitungen ging die Verkoppelung nur
langsam vorwärts, und schob man die Schuld auf die gehäuften
Bedingungen einer gültigen Provocation.
Zwar wird die Vorschrift, daß die Majorität der Grundbesitzer sowohl
nach Flächeninhalt als nach Steuercapital nachzuweisen, selten
hinderlich gewesen sein, da die primitive Ländereivertheilung bei
Anlage der Dorffeldmarken sich selbst da, wo Theilbarkeit des Bodens
eingetreten ist, noch so weit erhalten hat, daß gewöhnlich Jeder
entsprechende Portionen Land
1863/8 - 428
1863/8 - 429
von jeder vorkommenden Lage und Beschaffenheit
besitzt, woraus folgt, daß in der Regel mit der Majorität der Fläche
auch die des Steuercapitals oder umgekehrt mit der des
Steuercapitals auch die der Fläche constatirt ist. Selbst die
vorgeschriebenen 2/3 der Fläche und des Steuercapitals (statt
einfacher Majorität) für den Antrag zu vereinigen, war in vielen
Fällen nicht so schwierig. Aber die hienebcn noch erforderliche
einfache Majorität der Zahl der Grundbesitzer war oft gar nicht zu
gewinnen, am wenigsten da, wo in Folge freier Theilbarkeit viele
kleine Grundbesitzungen entstanden sind. Zwar stimmen die Besitzer
von nur zwei Morgen oder weniger nicht mit; es können aber die
Besitzer von 5-10 Morgen etc. der Zahl nach so überwiegen, daß die
größeren Grundbesitzer, auch wenn sie der Feldmark nach Fläche und
Steuercapital inne haben, mit dem Antrag nicht durchdringen können,
daß sie der Personenzahl nach die Minorität bilden. In dem
hannöverschen Eichsfelde, in Göttingen und Grubenhagen ward deßhalb
noch wenig verkoppelt.
Die Stände stellten deßhalb 1854 den Antrag, unter Beibehaltung der
einfachen Majorität der Zahl der Grundbesitzer, die 2/3 der Fläche
und des Steuercapitals auf die einfache Majorität zu reduciren. In
wissenschaftlichen Erörterungen über diese Angelegenheit sprach man
sich sehr verschieden aus; man rieth, entweder die Abwägung des
Flächeninhalts, ODER die des Steuercapitals aufzugeben, dagegen
wenigstens einfache Majorität nach Kopfzahl der Betheiligten zu
erfordern, um nicht viele kleine Eigenthümer durch Einen Eigenthümer
eines großen Grundbesitzes zur Verkoppelung zu zwingen. (ctr.
Seelig 32, Bening 23), gegen welche Ansicht Hanssen in dem
angeführten Aufsatz aufgetreten ist, und geltend gemacht hat, daß
nicht die Nützlichkeit der Maaßregel für die Grundbesitzer, sondern
die Nothwendigkeit für das allgemeine Wohl leitender
1863/8 - 429
1863/8 - 430
Gesichtspunkt sein müsse. Fortschreitende
Vermehrung der landwirthschaftlichen Production sei ein staatliches
Bedürfnis; dieses Fortschreiten werde aber ganz besonders durch die
Fesseln der alten Agrarverfassung gehemmt.
Außer Hannover waren England und Nassau die einzigen Länder, in
denen die Zahl der Grundbesitzer neben dem Grundbesitz selber über
die Verkoppelung entscheidet.
In den Verkoppelungsgesetzen von Dänemark, Schleswig, Holstein (d.
h. s, g. Königl. Antheils *), Preußen, Braunschweig, Sachsen,
mehreren thüringischen Fürstenthümern richtet sich das Stimmrecht
bloß nach dem Grundbesitze.
Hannover ist jetzt diesen Beispielen gefolgt. - Nach § I des
Gesetzes vom 8. Novbr. 1856 ist fortan die Verkoppelung als
beschlossen anzusehen, wenn mindestens die Hälfte der
zusammenzulegenden Grundstücke nach Flächeninhalt und nach
Steuercapital auf den oder die Antragsteller fällt. - Zugleich ist
den kleinen Grundbesitzern von zwei Morgen oder weniger das
Stimmrecht eingeräumt worden, was auch nach Wegfall der persönlichen
Stimmen unbedenklich erscheint.
Obwohl es nicht ohne Vorgang ist, daß die bloße Parität für genügend
erachtet worden, **) und obwohl in Preußen und
____________________
*) Im Großfürstlichen Antheil von Holstein und im Nassau-Dietzischen
ist im vorigen Jahrhundert die Verkoppelung ohne alle Provocation
ex
officio durchgeführt, - Neuerdings hat Oestreich die Ablösung
gutsherrlicher Prästationen von jeder Provocation unabhängig
gemacht, und von Amtswegen durchgeführt.
**) Die erste schleswigsche Einkoppelungsverordnung vom 10. Febr.
1766 verlangt 2/3 Stimmen, nach dem Steuercataster bemessen; doch
konnten bei geringerer Provocation die Behörden den Ausschlag für
die Verkoppelung geben. Eine zweite schleswigsche Verordnung vom
26.
Janr. 1770 und die holsteinische vom 19. Janr.
1711 begnügen sich
schon mit der Stimmenparität. Die Provocation bezog sich übrigens
immer auf Verkoppelung und Gemeinheitstheilung zusammen.
1863/8 - 430
1863/8 - 431
mehreren deutschen Staaten schon der vierte Theil
des Grundbesitzes für den Beschluß ausreicht, so waren in Hannover
viele Stimmen für einfache Majorität beider Factoren; die Regierung
entschied sich indessen für die Parität, da dieselbe für
Gemeinheitstheilungen schon genüge. Während aller dieser
Verhandlungen und Erörterungen war auf das gewöhnliche Gemeindeleben
von größtem Einfluß das Gesetz, betreffend die Landgemeinden in
Hannover, vom 4. Mai 1852, welches in
§§ 25-36 sehr detaillirte
Bestimmungen über das Abstimmungsverhältniß in den
Gemeindeversammlungen enthält. Der Ausdruck "stimmberechtigt" ist
unbestimmt, und die Regelung dieses Begriffs ist, wie Bening in der
Schrift "die Umbildung der ländlichen Zustände" S. 44 sagt, für
viele einzelne Gemeinden nach dem localen Bedürfniß erfolgt.
Auch Roscher (System der Volkswirthschaft, 1860 § 78) spricht sich
für das hannöversche Gesetz von 1842 aus, nach welchem die einfache
Majorität der Betheiligten zur Fassung eines Beschlusses in Bezug
auf die Verkoppelung genügt, wofern sie an Flächenraum und
Steuerwerth mindestens 2/3 der Feldmark besitzt, und meint, daß die
erste Bestimmung gegen das tyrannische Ueberwiegen der großen
Grundcigenthümer, die letzte gegen das der kleinen Leute schütze;
übrigens spricht Roscher sich bestimmt dahin aus, daß ein
Verkoppelungsgesetz die Größe der Majorität bestimmen müsse, welche
selbst gegen den Willen der Minorität die Verkoppelung herbeiführen
könne. In gleicher Weise, bemerkt Roscher, und da auf Einstimmigkeit
aller Interessenten kaum je zu hoffen sei, müsse auch ein
Gemeinheitstheilungsgesetz die Fragen beantworten, wer die Theilung
beschließen und nach welchem Maaßstab gctheilt werden sollte. - Auch
hier begegnet man in den verschiedenen Gesetzgebungen den größien
Verschiedenheiten. Während Darmstadt die Majorität nach der
Kopfzahl, Hannover nach der
1863/8 - 431
1863/8 - 432
Größe der Nutzungsrechte bestimmt, läßt Sachsen
schon bei Stimmengleichheit für die Theilung entscheiden; Baiern,
Baden, Gotha gestehen nur einer Mehrzahl von 3/4 das
Provocationsrecht zum Schutz der Minderheit zu, in Preußen dagegen
darf jeder zur dauernden Nutzung Berechtigte auf Theilung antragen;
in Sachsen wird dem freien Entschluß aller Einzelnen am wenigsten
Zwang angelegt, und kann jeder Interessent aber nur seinen Antheil
ausgeschieden verlangen.
In gleicher Weise weichen die Bestimmungen über den Maaßstab, nach
dem getheilt werden soll, wo die Nutzungsrechte nicht bereits außer
Zweifel sind, ab, - bald nach der Größe und Werth des
Privatbesitzes, Höfefuß, bald nach derjenigen Viehzahl, welche die
Interessenten von ihren eigenen Grundstücken durchwintern können,
bald nach dem Beitragsverhältniß zu den Gemeindekosten, während es
am billigsten und am einfachsten scheint, nach dem wirklich
vorhandenen Viehstand zu theilen.
____________________
[Heft 3: 1863]
|