Es bedarf keiner Rechtfertigung, wenn in diesen
Blättern einem Manne ein Denkmal gesetzt wird, welchem unser Land in
mehr als einer Hinsicht zu einem dankbaren Gedächtniß verpflichtet
ist, und dessen, das sagt nicht bloß meine persönliche Liebe, *)
noch spätere Zeiten in dankbarer Liebe gedenken werden. Indem ich
nun der an mich ergangenen Aufforderung, das Leben dieses Mannes
darzustellen, gern entspreche, und das um so mehr, je näher ich ihm
gestanden, verkenne ich nicht die gerade mir sich darbietende
Schwierigkeit der Darstellung. Es muß ja meine Aufgabe sein, ein
Bild seines Lebens und Wirkens zu entwerfen, wie es nicht nur der
persönlichen Liebe, sondern wie es der Wahrheit und Wirklichkeit
entspricht, denn das allein ist ein Denkmal wahrer Liebe. Wenn ich
daher, so weit es mir ermöglicht wird, den Heimgegangenen selbst und
andere bewährte Männer über ihn reden lasse, und wenn ich die
Zeitverhältnisse, in welche sein Leben fiel, allezeit als
Hintergrund desselben hinzustellen suche,
____________________
*) S. den Nekrolog im Sächsischen Kirchen- und Schulblatt v. J.
1853, No. 66 und 67, auf
welchen ich mich noch öfter beziehen, und dem ich mehrere Stellen
entnehmen werde.
1863/4 - (121)
1863/4 - 122
weil ja nur aus ihnen heraus ein gerechtes
Urtheil über das Leben eines Jeden gewonnen werden kann: so wolle
der geneigte Leser darin mein Bestreben erkennen, meine Darstellung
so objectiv als möglich zu halten. Was nun aber die
Zeitverhältnisse, in denen eines Mannes Leben sich bewegt, betrifft,
so ist das ja das Anziehende eines jeden irgendwie bedeutenden
Lebens, daß es, unter dem Einflusse seiner Zeit stehend, sich doch
nicht weiter von ihm bestimmen läßt, als die ihm gewordene und von
ihm erfaßte Aufgabe es leidet, und daß es im Kampfe mit einer ihm
fremden Zeitströmung irgendwie bestimmend auf sie einzuwirken suchte
und eingewirkt hat. Auch dieses muß daher der Gesichtspunkt sein,
von welchem aus das vorliegende Leben zu betrachten ist. Wie aber
ein jedes solches Leben, trotz der überall durchschlagenden
Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit auch der durch die Gnade
erneuerten Persönlichkeit, ein Ganzes darstellt, und darum das
Gesetz der Entwicklung, wie es im Reiche Gottes gilt, sich auch an
ihm bewahrheitet, so wird auch hiernach das darzustellende Leben zu
betrachten, so werden darum aber auch die Führungen einer höheren
Hand, wie sie sich in diesem Leben - und in wessen Leben nicht? - so
unverkennbar zeigen, und wie sie auf seine Gestaltung eingewirket,
hervorzuheben sein, damit nicht nur schließlich, vielmehr von Anfang
bis zum Ende dem die Ehre werde, dem sie allein gebührt.
Nach jenem Gesetze der Entwicklung wollte ich das Leben unseres
Heimgegangenen in die Zeit des Werdens, des Gewordenseins und der
Reife theilen und darnach betrachten. Weil aber einestheils ein
jeder Christ in seinem ganzen Leben erst im Werden ist, und das
wahrhaftige Gewordensein und die volle Reife von Jedem nur
annäherungsweise erreicht wird, und weil anderntheils die beiden
letzten Stufen gerade in diesem Leben durch eine bestimmte
Gränzlinie schwer zu
1863/4 - 122
1863/4 - 123
scheiden sind: so habe ich es vorgezogen,
dasselbe nach seinem äußeren Wechsel zu theilen, und werde daher
1) DIE ZEIT DER BEREITUNG,
2) DES ERSTEN AMTES FREUD UND LEID, ARBEIT UND SEGEN,
3) DIE JAHRE DES ZWEITEN AMTES, und
4) DIE KAMPF- UND SEGENSREICHE ZEIT DES LETZTEN AMTES
darzustellen suchen.
1. Die Zeit der Bereitung. (1792-1816)
CARL FRIEDRICH WILHELM CATENHUSEN wurde am 24. August
1792 in Ratzeburg geboren. Die damals angebrochene und
immer weiter zur Herrschaft kommende Zeit charakterisirt sich uns in
der im Jahre zuvor gerade vollendeten Stadtkirche, die man, im Stile
der Zeit und ihr vollkommen entsprechend, für die alte Kirche
errichtet hatte. *) Der Rationalismus hatte bereits weite
Eroberungen auf dem Gebiete unsrer Kirche gemacht, und statt des
Lebenshauches des alten Glaubens wehte der scharfe, eisige Wind der
Aufklärung. Der Häuser waren wenige, und sie wurden immer seltner,
in denen Gottes Wort und die Furcht des Herrn noch eine Stätte
fanden; zu ihnen gehörte aber unseres Catenhusen Elternhaus. "Der
Vater (so berichtet uns ein Jugendfreund des Sohnes), Johann
Christian Catenhusen, aus Uetze im Hannöverschen gebürtig, Küster an
der Stadtkirche und Mädchenlehrer, war ein Mann von ehrenfestem
Charakter und gläubigem Sinn, wie auch dessen Vorfahren, schlichte
Landleute, sich stets durch kirchlichen Sinn und Halten am Worte
Gottes ausgezeichnet haben sollen. Er war von stattlichem Wuchs und
sein weißes Haupthaar gab ihm noch mehr Würde. So
____________________
*) s. J. F. Burmester, Beiträge zur Kirchengeschichte des
Herzogthums Lauenburg, S. 89.
1863/4 - 123
1863/4 - 124
sahen wir Knaben ihn über den Domhof zu einer
Privatstunde, die ihm wegen seiner schönen festen Hand in einer
Familie daselbst übergeben war, einherschreiten mit seinem Rohrstab
in der Hand und blickten ihm mit eigenthümlicher Ehrfurcht nach. Die
Mutter, Sophie Elisabeth, geb. Heine, gleichfalls aus dem
Hannöverschen - ihr Vater hatte noch den siebenjährigen Krieg
mitgemacht -, sehr freundlich und lebhaft von Gemüth, war immer
heiter und wußte sich und die Ihrigen durch Gesangverse, zu
passenden Zeiten angestimmt, zu ermuntern oder auch zu trösten. Es
war ein gcmüthliches Familienleben im Hause." Der ältere Sohn Georg
war zum Studium der Theologie bestimmt und wurde deshalb im Jahre
1803 auf die damalige Domschule gegeben, wo er in der unteren Classe
auch schon Hebräisch anfing. Der jüngere Carl sollte Kaufmann werden
und kam, nachdem er mit vierzehn Jahren von dem seligen
Consistorialrath ARNDT confirmirt war, Michaelis 1806
in das Kuhlmann'sche Haus in Lübeck, dort die Handlung zu erlernen.
Hier nahm sich die Wittwe Kuhlmann seiner auf das liebreichste an,
besonders da er nach einigen Jahren wegen anhaltender Brustschwäche
leidend war. Er fand in dieser würdigen Frau eine wahrhaft
mütterliche Freundin, und sie war ihm mit um so innigerer Liebe
zugethan, als sie einen Sohn in ähnlichem Alter, seines Namens und
ihm gleichend, verloren hatte. Aber so gut er es dort auch hatte,
und so dankbar er die ihm widerfahrende Liebe anerkannte, wie er sie
denn in beständiger dankbarer Erinnerung behielt, so zeigte es sich
doch im Laufe der Jahre, daß der Kaufmannsstand sein Beruf nicht
war, daß seine Neigung vielmehr auf die wissenschaftlichen Studien
ging. Als er nach drei Jahren erkrankte und im Elternhause seine
Genesung abgewartet, darauf aber vom Vater wieder nach Lübeck
zurückgebracht wurde, da sprach er offen aus, was schon
1863/4 - 124
1863/4 - 125
lange sein Herz bewegt hatte, den Wunsch nämlich,
sich den Wissenschaften, namentlich der Theologie zu widmen, dem
denn auch der Vater seine Zustimmung gab. So kam er Michaelis
1809 wieder auf die Domschule in die obere Classe; dagegen
hatte aber sein Bruder den Kaufmannsstand erwählt und überließ ihm
nun seine hebräische Bibel. Er hat oft dieser wunderbaren Fügung
seines Gottes mit Rührung gedacht. Die drei Jahre in Lübeck waren
aber für ihn keine verlorne gewesen; hatte er dort doch gelernt, was
ihm später sehr zu Statten kam, und auch in solchen Dingen sich eine
Fertigkeit angeeignet, die sonst jungen Studirenden ferner liegen.
Die Schwäche seiner Gesundheit stärkte sich. Er war damals, so
berichtet ferner sein Jugendfreund, ein schlanker Jüngling, von
lebhafter Gesichtsfarbe und heiterem fröhlichen Wesen. Dieser las
mit ihm und einigen seiner Mitschüler in einigen wöchentlichen
Stunden die Odyssee. Es war ihm willkommen, genaueren grammatischen
Unterricht im Griechischen zu erlangen, und eine besondere Freude,
wenn er zuweilen einen Hexameter sofort deutsch wiedergeben konnte.
Bei seinen vorzüglichen Anlagen und bei rastlosem Fleiße holte er
das Versäumte bald nach und konnte nach anderthalb Jahren
wohlvorbereitet, so sagt das spätere Maturitätszeugniß, um Michaelis
1810 das Pädagogium in Ilfeld beziehen, wo der Vater
durch Fürsprache eine Freistelle für ihn erlangt hatte.
Mir liegen "die Ordnungen, Verfassungen und Gesetze des Königlichen
Pädagogiums zu Ilfeld v. J. 1801" vor. Die ganze
Einrichtung desselben war eine streng in sich abgeschlossene, fast
klösterliche, und es drängt sich die Frage auf, ob heut zu Tage eine
solche wohl noch möglich, und wenn das, ersprießlich wäre. Wie dem
aber auch sein mag, der junge Catenhusen hat dort, wie er oft
bekannte, glückliche Jugendjahre verlebt. Das bezeugt ein bei seinem
Abgange
1863/4 - 125
1863/4 - 126
(den 13. März 1812)
von ihm verfertigtes Gedicht, aus welchem ich zur Charakterisierung
seiner damaligen Denk- und Anschauungsweise Einiges mitteile. Voll
Begeisterung für die Weisheit der Alten bricht er in Wehmuth beim
Abschied von seinem geliebten Ilfeld aus:
Freundlich nahmst du mich auf, als voll Beseligung
Deinem Tempel ich naht', botest mir stille Ruh,
Liehst mir gegen der Zeiten [/] Stürme, gegen Verführung Schutz!
In des Jünglinges Brust sproßte der Tugend Keim,
Durch dich sorgsam genährt, mächtig und schön empor;
Ach! du senktest der Unschuld [/] Frieden mir in das Herz hinab.
Du enthülltest dem Geist herrlich sein schönes Ziel,
Scheuchtest Uebel hinweg, helltest die Finsterniß,
Die des Jünglinges Blicke [/] Auf dem früheren Pfad umgab.
Deine leitende Hand führte den sel'gen Geist
In der Vorwelt Gebiet und ihre schön're Zeit,
In die Hallen der Weisheit, [/] In die Tempel des Alterthums! - |
Wir sehen den Jüngling hier in der klassischen Zeit seines Lebens,
für ihn ein Durchgangspunkt zu einer höheren Stufe, aber auch eine
Bewahrung vor den Verirrungen der Jugend. Wir erkennen darin die
gnädige Huth seines Gottes, wenn die strengste Sittlichkeit die
Zierde seines Jünglingslebens war, wie denn ein keuscher Sinn und
ein lauteres, ich möchte sagen, jungfräuliches Wesen, das aller,
auch der leisesten Berührung mit allem Rohen und Gemeinen
widerstand, ein Zug seines ganzen Lebens war. Hier aber, in Ilfeld,
legte er auch den Grund zu seiner philologischen Durchbildung,
namentlich durch den Unterricht des damaligen Directors Brohm,
dessen Andenken ihm stets theuer blieb. Zeugt doch von seiner großen
Gewandtheit im Lateinischen das carmen gratulatorium,
das er beim Abgange von der Schule zu seines geliebten Directors
Hochzeit verfaßte, und das Maturitätszeugniß dieses seines Lehrers
rühmt von ihm linguarum graecae et latinae
1863/4 - 126
1863/4 - 127
scientiam, et auctores veteres explicandi,
scribendique facultatem haud vulgarem. "Und so ging auch,
als er Ostern 1812 die Universität Göttingen bezog -
wir sprechen mit den Worten eines urtheilsfähigen und unparteiischen
Mannes *) - seine erste Absicht keineswegs auf die Theologie.
Neigung und Begabung wiesen ihn vielmehr zum Studium der
philologischen und Alterthumswissenschaften (so wie der
Philosophie), während die Theologie bei dem damals in ihr
herrschenden Rationalismus eher Abstoßendes als Anziehendes für ihn
haben mußte und auch in den ersten Jahren seines
Universitätsstudiums ihm mehr fern blieb. (So war er Mitglied der
philosophischen Gesellschaft Bouterwecks, von der zwei noch
vorliegende Abhandlungen - über das Verhältniß der Aufklärung zur
Philosophie und über die Schwärmerei - für treffliche Arbeiten
erklärt wurden.) Nicht minder war er einer der fleißigsten
Mitglieder des Heine’schen philologischen Seminars. **) Mit nicht
gewöhnlichen Geistesgaben, einem klaren durchdringenden Verstande,
leichter Auffassung und einem eminenten Gedächtniß ausgestattet,
brachte er es leicht zu einem bedeutenden Erfolge dieses Studiums,
und gründliche Kenntniß der alten Sprachen und des griechischen und
römischen Alterthums, große Belesenheit in den alten Classikern, ein
eleganter lateinischer Stil, wie auch bedeutende Gewandtheit in
freier lateinischer Rede, die ja zu jetziger Zeit immer seltener
wird, mit einem Worte gediegene philologische Kenntnisse und große
Werthschätzung einer tüchtigen formalen Bildung waren die Früchte
dieses Studiums, die sein ganzes Leben hindurch sein Eigenthum
blieben. Unstreitig hätte er in der Philologie Be-
____________________
*) s. den obgedachten Nekrolog.
**) Unter Andern mit dem ausgezeichneten Philologen Reisig, der
später Professor in Halle war und bereits in den dreißiger Jahren
starb.
1863/4 - 127
1863/4 - 128
deutendes geleistet, denn er war recht eigentlich
ein philologischer Kopf; aber der Herr hatte ihn zu etwas Anderem
bestimmt."
Und hier kommen wir zu dem Wendepunkt seines inneren und darum auch
äußeren Lebens. Gewiß können wir es aus dem damals so traurigen
Zustande der Theologie erklären, daß seine Neigung für sie erkaltet
war und immer mehr erkaltete. Nicht anders als mit Unwillen und
Entrüstung hörte er die Lehren des Unglaubens und die Zweifel an der
Wahrheit der Schrift, deren göttliches Ansehn ihm vom Vaterhause an
unverrückt dastand. Gleichwohl war damals seine Denk- und
Anschauungsweise eine jener Zeit entsprechende; waren doch alle die
Männer, von denen er bisher gelernt und mit denen er in näherem
Umgange stand, ein Heyne, Mitscherlich, Bouterweck, bei aller
Bedeutung in der Wissenschaft, dem eigentlichen Christenthum mehr
oder weniger, zum Theil ganz entfremdet. Und stand es denn anders
bei den Vertretern der Kirche und der Theologie? Wie aber eine
höhere Hand von den Jünglingen, die mit Catenhusen damals in
Göttingen waren, so Manchen auf besonderen Wegen zum bewußten und
lebendigen Glauben geführt hat, ich nenne Lücke, der damals zuerst
als Repetent auftrat; Köster, den späteren Generalsuperintendenten
in Stade; Lachmann, den bekannten Kritiker, und - wenn auch mit
Wehmuth - Bunsen, so auch ihn. Von den damals lebenden Lehrern der
Kirche konnte er das Evangelium nicht lernen, darum sollte ein
Andrer sein Lehrer sein, von dem es in Wahrheit heißen darf: er ist
gestorben und lebet noch. Das war Luther. Es kam einst ein Band
seiner Schriften, ich meine die Auslegung des Briefes an die
Galater, in seine Hände, und daraus erkannte er, in welchem
Gegensatze die damals herrschende Theologie mit dem Evangelio und
dem Bekenntniß unsrer Kirche stand. Das war die Zeit, die wir in
seinen Predigten, welche er als Candidat in
1863/4 - 128
1863/4 - 129
der Begeisterung der ersten Liebe hielt, so
hinreißend als die des neu erwachenden Glaubenslebens, das wie von
einem Blitz aus dem Himmel entzündet werde, geschildert sehen, und
in ihr geschah ein Umschwung seines inwendigen Menschen, wie ihn nur
der erfahren, der auch aus den öden Steppen menschlicher Weisheit
von einer höheren Hand, der Hand der Gnade, auf die grünen Auen der
Wahrheit in Christo geführet ist. Voll seliger Verwunderung stand er
vor dem Evangelio, wie es aus des theuren Gottesmannes Luther Worten
in seiner ursprünglichen Schöne ihm entgegentrat, und von diesem zu
dem Quell aller Wahrheit, dem Worte Gottes, hingeführt, erfuhr er
alsbald die seligmachende Kraft des Glaubens an seinem Herzen und
war ein fröhliches, seliges Kind Gottes geworden. Darum aber gab er
sich jetzt auch, in seinem letzten akademischen Jahre, mit ganzer
Seele dem Studium der Theologie hin, und jetzt diente der Gegensatz
gegen den Unglauben der Zeit zur Befestigung seines eignen
Glaubensgrundes. Darin fand er in seinem geliebten Lücke einen
treuen Kampfgenossen. Mit ihm stand er sehr vertraut, *) und er hat
ihm ein Herz voll Liebe bewahrt, wenn auch auf kirchlichem Gebiete
beide je länger je weniger sich verstanden. Der aber, durch den Gott
ihn zuerst zum Glauben geführt,
________________
*) Als C. seinen ältesten Sohn 1839 nach Göttingen
geleitete, und im Dunkeln in die Stadt hineinfuhr, rief er einen
Vorübergehenden an und fragte nach des Prof. Havemann Wohnung. Das
will ich Dir schon sagen, lieber Catenhusen! antwortete der
Angeredete - es war Lücke. Beide hatten sich in den vier und zwanzig
Jahren nicht wieder gesehen; aber des Freundes Stimme bleibt
unvergessen. - Ich selbst kann nicht umhin, hier auch dem theuren
Lücke ein Denkmal der Dankbarkeit für die Liebe zu setzen, die er
mir mit seinem liebewarmen Herzen erwies, als ich 1828
in Göttingen studirte. Have, pia anima!
1863/4 - 129
1863/4 - 130
blieb ihm unter allen Menschen der Theuerste,
sein lieber Doctor Luther, den er als seinen geistlichen Vater mit
rührender Pietät, in Wort und Blick sich aussprechend, geliebt hat,
und je länger je mehr ward er ein treuer, demüthiger Sohn unsrer
Kirche, weil je länger je mehr ein treues, demüthiges Kind Gottes.
Das aber, je reicher sich in dem theuren Bekenntniß unsrer Kirche
die unvergleichliche Herrlichkeit des Evangelii ihm erschloß. Seine
ausgezeichneten Gaben und seine vortreffliche klassische Bildung
aber ermöglichten es, daß er in der kurzen Zeit, die ihm noch blieb,
den Anfang zu einem gründlichen theologischen Wissen machen konnte.
Später arbeitete er sich immer tiefer in die Theologie hinein, daß
er mit vollem Recht den gelehrten Theologen zugezählt werden konnte.
Auch wagte er es schon in seinem letzten Studienjahre, bei gebotener
Gelegenheit die Kanzel zu betreten und fröhlich und frei von dem zu
zeugen, an den er glaubte. Er predigte wiederholt in der Umgegend
Göttingens, auch in Uslar und Carlshafen, wo sein ältester Sohn nach
fast 30 Jahren noch Leute fand, die sich seiner
Predigten mit großer Freude erinnerten.
Als er im Jahre 1815 von Göttingen zurückkehrte, fügte
es Gott, daß er sogleich eine Hauslehrerstelle in Lübeck fand. Graf
Luckner, der damalige Besitzer von Tüschenbeck, der aber kurz darauf
starb, vertraute ihm die Leitung seiner drei Söhne, die das
Gymnasium in Lübeck besuchten, und mit ihnen wohnte er dort in dem
Luckner'schen Hause. Dabei blieb ihm noch Zeit, anderweitigen
Unterricht zu ertheilen, und diese Gelegenheit nahm er gern wahr.
War nun diese Zeit des Unterrichtens ihm, wie jedem jungen
Theologen, überaus nützlich, so war der Umgang, den er fand, seinem
inneren Leben von großem Segen. In Lübeck freilich stand es im
Allgemeinen damals, wie überall; war doch der einzige lebendig
gläubige
1863/4 - 130
1863/4 - 131
Prediger der selige Geibel, dem Lübeck so viel zu
verdanken hat. Freilich ein reformirter Prediger; wer aber jene Zeit
noch selbst erlebt hat, der weiß auch, wie damals das neu erwachte
Glaubensleben sich noch nicht confessionell schied, gleichwie im
Frühling die aufkeimenden Saaten sich noch einander gleichen, bis
sie sich je länger je mehr unterscheiden. Darum schloß sich auch der
im ersten Glauben stehende Catenhusen diesem theuren Mann, dessen
Töchter er auch unterrichtete, mit Freuden an, hörte fleißig seine
Predigten und besuchte seine wöchentlichen Andachten. Je enger aber
damals noch der Kreis der Gläubigen war, so inniger war er, daß wir,
die wir jener Zeit noch nahe gestanden, mit Wehmuth ihrer gedenken.
In diesem Kreise fand unser Catenhusen seine glücklichsten Stunden.
Von seinen damaligen Lübecker Freunden nenne ich nur Einen, den
lieben Bäckermeister Crull, einen Mann, den Vater Schubert hätte
kennen sollen, um ihn in seiner unvergleichlichen Weise zu zeichnen;
erinnert er doch Jeden, der ihn gekannt, an so manche liebe Gestalt,
die Schubert in seinem Leben uns vorführt. Dieser liebe Mann war
aber auch ein warmer Freund der Brüdergemeinde, und wir Aelteren
wissen es ja, wie theuer uns in unseren jungen Glaubenszeiten diese
war. Durch ihn wird auch Catenhusen mit ihr bekannt geworden sein,
und bis an sein Ende hat er die Liebe zu ihr bewahrt. Die täglichen
Loosungen waren tagtäglich seines Herzens Speise, Freude und Trost,
und gern hat er uns erzählt, wie wichtig ihm oft ein Wort derselben
geworden. In Lauenburg trat er auch mit der Gemeinde in sofern in
nähere Beziehung, als er durch Correspondenzen an den Verhandlungen
der Aeltestenconferenz thätigen Antheil nahm. War doch die
Brüdergemeinde die einzige Oase beinahe in der damaligen Zeit
geblieben; als nun aber der Herr die Wüste unsrer Kirche wieder
grünen ließ, trat die Bezie-
1863/4 - 131
1863/4 - 132
hung, in der so Manche von uns und in der auch
Catenhusen zu ihr gestanden, mehr zurück. Aber seine Liebe zu ihr
blieb, wie er denn auch jährlich ihre Mission unterstützte. So war
ihm der Aufenthalt in Lübeck ein segensreicher und sein inneres
Leben fördernder, wie auch die Predigten darthun, die er in
Ratzeburg, Grönau und Herrenburg zu der Zeit gehalten, und deren
sauber geschriebene Concepte vorliegen. „Seine Herzensstellung," so
berichtet sein Jugendfreund, "war damals schon jene überwallende,
liebliche Glaubensfreudigkeit, die ihn auch ungeachtet seiner Jugend
schon zu einem festen und entschiedenen Bekenntniß trieb. Eine am
4. Adventsonntage über die Epistel in der Stadtkirche zu
Ratzeburg gehaltene Predigt hatte besonders diesen Charakter des
fröhlichen Glaubens und machte alle die auf ihn aufmerksam, denen
das Evangelium lieb und theuer war. In dem kleinen Kreise
Vertrauter, die ihn freudig als einen Zeugen des Herrn begrüßten,
schloß er sein ganzes Herz auf. Ihnen war es schon damals etwas fast
Wunderbares, daß er so frei, selbst auf der Kanzel, mit der Polemik
gegen den herrschenden Unglauben der Zeit hervortrat, ohne sich auf
ein apologetisches Verfahren einlassen zu wollen. So fest, so stark
und überwallend war in ihm jene Glaubensfreudigkeit."
So ward er zu dem Amte bereitet, in welches er früher, als er
erwartet, berufen wurde. In der Stadt Lauenburg standen damals als
erster Prediger Uhthoff aus Bremen, vor Kurzem (1815)
aus dem Hannoverschen, wo er Pastor zu Natendorf gewesen war, nach
Lauenburg berufen, und als zweiter Prediger Lescow. Dieser wurde im
Jahre 1816 nach Artlenburg versetzt, und um seine Stelle, bewarb
sich Catenhusen. Er hielt die Probepredigt am 21.
April 1816 am Sonntage nach Ostern über die Epistel:
von dem ewigen Leben als dem Zeugnisse unsers Glaubens an Jesum
Christum.
1863/4 - 132
1863/4 - 133
Mit seiner Erwählung aber ging's so zu, daß man
die höhere Hand dabei nicht verkennen kann. Vor seiner Wahlpredigt
schon hatten die Wahlherren ihr Auge auf einen Dr. Weiß aus dem
Hannoverschen geworfen, und es hieß allgemein, der werde wohl dem
Consistorio präsentirt werden. Des jungen Catenhusen Predigt aber
machte großen Eindruck, daß Viele grade ihn wünschten, und er selbst
hatte eine innere Gewißheit, gewählt zu werden. Freilich wurde
Erstgedachter wirklich präsentirt, Catenhusen aber sprach, als er's
in Lübeck hörte: Ist's Gottes Wille, so komme ich doch hin! Darauf
im Spätsommer übergiebt ihm eines Abends der Bediente des Hauses in
Lübeck einen Brief, der für ihn gebracht sei. Müde von einem weiten
Gange legt er ihn auf den Tisch und vergißt ihn ganz in den
folgenden Tagen, bis er ihm ungesucht wieder in die Hände kommt. Und
das war seine Berufung nach Lauenburg. Dem allgemeinen Wunsch der
Gemeinde hatte man zuletzt doch nicht widerstehen können, die
Präsentation des Dr. Weiß (der später lange Jahre Pastor zu Döse im
Amt Ritzebüttel) war zurückgenommen und statt dessen Catenhusen
präsentirt. Diesen aber überraschte es gar nicht - er war sich
innerlich deß immer gewiß gewesen, daß es so kommen müsse. Darum
aber war er sich deß auch gewiß, daß Gott ihn in's Predigtamt
gerufen, und in seinem Namen trat er in dasselbe ein.
So stehen wir denn an der Gränze seines ersten Lebensabschnittes.
Fügen wir hier noch ein, was sein Jugendfreund aus jener Zeit
berichtet. Der junge Catenhusen litt damals oft, zumal bei
Gemüthsbewegungen, an einem plötzlichen Blutandrang. Es mochte das
mit einem Unfall früherer Jahre zusammenhängen, da etwa ums Jahr
1812 auf einer Reise von oder nach Göttingen der
Postwagen, in dem er fuhr, umstürzte, und ein schwerer Reisekoffer
auf seine Brust fiel.
1863/4 - 133
1863/4 - 134
Das mag ihn auch von der Conscription befreit
haben. In Folge dessen war er auch noch die ersten Jahre in
Lauenburg öfter leidend und in einzelnen Augenblicken so
angegriffen, daß er auf der Kanzel sich mit den Händen halten mußte.
"So überfiel es ihn auch während seines Examens in Ratzeburg den
20. September 1816, worin er übrigens
vortrefflich bestand, so, daß ihm ein Stuhl angeboten werden mußte.
Sonst war er ein blühender Jüngling, wie denn auch seine Gesundheit
sich je länger je mehr stärkte. Am 2. October
desselben Jahres, bei der Uebergabe des Herzogthums an Dänemark und
der Huldigung, war er, obwohl noch nicht introducirt, *) unter den
Landespredigern gegenwärtig. Die in seinem jugendlich blühenden
Gesichte hervorblitzende und strahlende Freudigkeit lenkte auch bei
dem darauf folgenden Gastmahle allgemein die Aufmerksamkeit auf
seine Erscheinung, an welcher der selige Pastor Claudius aus Sahms
sich nicht satt sehen zu können meinte."
Sehen wir nun aber auf dieser Gränze seines ersten
Lebensabschnittes, der Zeit der Bereitung, zurück auf die bis dahin
verflossenen Jahre seines Lebens, so erkennen wir ja klar und
deutlich die Spuren der göttlichen Führung. Wie schön spricht sich
neuerlich der ehrwürdige Rudelbach in dem autobiographischen Umrisse
seines eignen Lebens **) über die Führungen Gottes in des Christen
Leben aus, und das findet auch auf das Leben Catenhusen's und auf
den bisher dargestellten Theil desselben seine volle Anwendung.
"Gott selbst
____________________
*) Die Ordination war am 29. September geschehen.
**) In der Zeitschrift für die gesammte luther. Theologie und
Kirche, von Rudelbach und Guericke, 1861, 1.
Heft. Auch Nichttheologen werden diese in Wahrheit klassisch
geschriebene Autobiographie des ehrwürdigen, auch von Catenhusen
geliebten und verehrten Mannes mit hoher Freude, ja mit Erbauung
lesen.
1863/4 - 124
1863/4 - 135
hat gleichsam Denksäulen seiner göttlichen
Führungen auf dem Wege hingestellt. Da wird es auch leicht, das
Dazwischenliegende recht zu erkennen; es ist ein Vorbereitendes auf
die letzte "meta," wohin, zu seinem himmlischen Reich,
Gott uns um Christi willen aushelfen will. So werden auch die
Dunkelheiten, in welchen der Herr mit uns zu wandeln sich
vorbehielt, je mehr und mehr erleuchtet; wir sehen und erkennen es:
"So führst du doch recht selig, Herr, die Deinen; ja selig, und doch
meistens wunderlich!" Wir sehen, wie in Catenhusen's Leben Alles
darauf angelegt war, daß er in dem Amte eines Predigers seine
Bestimmung finden sollte, und wie er innerlich dazu bereitet worden.
Und wenn wir nun ferner sein Leben an uns vorübergehen lassen, so
sehen wir, wie auch das Ende der göttlichen Führungen in ihm
vorbereitet worden, und geben dem die Ehre, der "das Leben seiner
Christen zu einem System, einem Schauplatz wie seiner göttlichen
Langmuth und Geduld, so seiner anbetungswürdigen Weisheit und
Erkenntniß" macht.
____________________
2. Des ersten Amtes Freud' und Leid,
Arbeiten und Segen.
(1816-1831.)
Es war der 10. November 1816,
an welchem der junge Catenhusen, damals 24 Jahre alt,
in der Stadt Lauenburg als Diakonus eingeführt wurde, und daß es
gerade dieser Tag war, erkannte er Zeit seines Lebens als eine
freundliche Fügung Gottes. War es doch Luther, den er als einen
geistlichen Vater liebte, und den er sich und unsrer ganzen Kirche
zum Vorbild hinstellte, "zu dem wir wieder hinan müssen." Und das
ächt Lutherische seines persönlichen Christenthums und seiner ganzen
Amtsführung sehen wir in seinem ersten Amte auf das Lieblichste sich
gestalten. Es war eine
1863/4 - 135
1863/4 - 136
schöne, reiche Zeit, die er in Lauenburg
durchlebte, ihm selbst als eine solche unvergeßlich. Wie er
innerlich dazu bereitet worden, ist angedeutet; werfen wir jetzt
einen Blick auf die damaligen Zustände der dortigen Gemeinde, um
dann ein Bild seiner Wirksamkeit in und an ihr an uns vorübergehn zu
lassen.
Die Herrschaft des Rationalismus hatte damals seine Höhe erreicht.
Durch den Druck der Zeit und seit dem Freiheitskriege war aber in
tausend Herzen eine Sehnsucht nach der Gewißheit göttlicher Wahrheit
und ein Zug zu dem historischen Christus erwacht, der dem noch auf
Kanzeln und Kathedern herrschenden Unglauben sein widerrechtlich
erobertes Gebiet streitig zu machen anfing. Auch unser kleines Land
war von dem Unglauben der Zeit nicht verschont geblieben, aber
Gottes Hand hatte sonderlich über ihm gewaltet, daß in dem
eigentlichen Kern der Gemeinden und des Volkes der alte Glaube noch
eine Wahrheit geblieben war, und zwar mehr, als in manch anderem
Lande. Dazu hatte namentlich unser Gesangbuch beigetragen, das
freilich in seiner Ueberarbeitung vom Jahre 1776 auch
manche Spuren der damaligen Zeit zeigte, aber im Ganzen doch das
alte geblieben war. *) Mit Recht sagt daher Catenhusen, als später,
im Jahre 1841, eine neue, in vieler Hinsicht
wiederhergestellte Ausgabe erschien, in dem Vorberichte: "In dem
Besitze dieses Gesangbuches ist denn die Kirche unseres Landes unter
der gnadenreichen Hut des Herrn bislang verblieben, und hat in ihm
zu allen Zeiten, auch in den finstersten und lautesten
____________________
*) Das alte Lauenburgische Gesangbuch, die "evangelische
Liedertheologie," von allen Hymnologen hochgeschätzt, erschien
1741. Was wir an unserem Gesangbuch haben, erhellt am
besten aus der Vergleichung desselben mit dem
Schleswig-holsteinischen Gesangbuche, von dem Rudelbach sagt, es
könne mit den schlechtesten aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts
rivalisiren.
1863/4 - 136
1863/4 - 137
des Unglaubens, ein stets helles und nie
verstummendes Zeugniß des evangelischen Glaubens von Christo - und
von dem Heile seiner durch sein Kreuz gestifteten Versöhnung -
gehabt und gehört." Wir dürfen sagen, daß der Rationalismus damals
in die eigentlichen Schichten und Kreise des Volks noch wenig
eingedrungen war, wie denn die kirchliche Sitte in unserem Lande,
selbst bis auf die öffentliche Kirchenbuße in den Landgemeinden,
mehr als anderswo sich vielfach erhielt und bis heut noch erhalten
hat. Freilich galt das vorzugsweise von den Landgemeinden,
ungeachtet und trotz der neuen Weisheit, die auch dort von den
Kanzeln ertönte. Es hatte aber zu der Zeit, von der wir reden, auch
die evangelische Wahrheit schon wieder ihre Zeugen und Vertreter
gefunden, von denen wir den trefflichen Johannes CLAUDIUS, *) seit
1813 Pastor in Sahms, wo er 1859
gestorben, unsern unvergessenen Carl August ZURHELLE, seit
1815 Diakonus in Ratzeburg, seit 1817 Pastor
in Hohenhorn, wo er 1842 verstarb, **) nennen, und aus
früherer Zeit den lieben alten Assessor WAGNER in Schwarzenbeck
(seit 1792, † 1845) und den alten Pastor
BAUMANN in Lütau (seit 1793, † 1852).
Wir treten aber der Wahrheit nicht zu nahe, wenn wir sagen, daß die
Mehrzahl der Kanzeln auch unsres Landes der evangelischen Wahrheit
verschlossen war, und mit der Mehrzahl der Prediger waren auch die
s. g. gebildeten Kreise des Landes, und darum Viele der
Stadtbewohner dem väterlichen Glauben mehr oder weniger entfremdet.
Und so war es auch in der Stadt Lauenburg. Aber auch hier war in den
mittleren und
____________________
*) Einen Sohn des "Wandsbecker Boten.“ Wer kennt nicht den Brief des
Vaters an seinen Sohn Johannes?
**) Von ihm sind außer einigen Aufsätzen im Friedensboten, einer
früheren Hamburgischen Zeitschrift 1821-25, seine
letzten Predigten nach seinem Tode 1843 in Druck
erschienen.
1863/4 - 137
1863/4 - 138
unteren Ständen noch viel Empfänglichkeit für
Gottes Wort, wie denn ja die traditionelle Kenntniß desselben damals
noch weit mehr vorhanden war, als jetzt, wo auch unsrer Alten und
Aeltesten Jugend in die Blüthezeit der Aufklärung fällt. Namentlich
waren es in Lauenburg die Vielen, deren Erwerb mit der Schifffahrt
zusammenhing, die sich der Predigt des Evangelii gar bald wieder
zuneigten, und unter denen der junge Glaubensprediger treue Freunde
der Wahrheit fand. Die Lauenburger Gemeinde war ein Acker, der
freilich lange brach gelegen, der aber doch in mancher Hinsicht
vielversprechend war. Mit der ganzen Liebenswürdigkeit seiner
Persönlichkeit kam der junge Catenhusen der Gemeinde entgegen, und
es gelang ihm bald, das allgemeine Vertrauen derselben und auch
seines Amtsgenossen zu gewinnen, mit dem er, ungeachtet der
Verschiedenheit religiöser Richtung, allezeit, was Beiden zur Ehre
gesagt sein muß, in einem freundlichen Verhältnisse blieb. Es
spricht das für Beide um so mehr, als Catenhusen mit ganzer
Offenheit das Evangelium predigte. Er that das aber in so von Herzen
kommender und herzgewinnender Weise, daß auch die anders Gesinnten
ihm ihre Anerkennung nicht versagen konnten. Ich werde auf diesen
Haupttheil seiner Wirksamkeit, wie in ihm ja der Schwerpunkt aller
Wirksamkeit eines evangelischen Predigers beruht, sowie auf die
Weise und die Erfolge seines Predigens noch zurückkommen, und bitte
den freundlichen Leser, hier mit mir eine Weile anzuhalten, um auf
die Häuslichkeit des jungen Predigers einen Blick zu werfen.
Bereits im Jahre 1813, als er noch in Göttingen war,
hatte er sich mit der Tochter des Inspectors BERNSTEIN in
Carlshafen, Caroline, verlobt. Jetzt war denn der Zeitpunkt
gekommen, daß er seinem Hause "die Hausehre" hinzufügen konnte, und
das geschah im Jahre 1817, bis wohin seine noch
1863/4 - 138
1863/4 - 139
lebende Schwester ihm die Haushaltung besorgt
hatte. Die Hochzeit war am 28. Februar in Carlshafen,
und unter dem 9. April schrieb er an seinen
Jugendfreund, nachdem er ihm seine Hochzeitsreise erzählt: "Was nun
mein häusliches Leben betrifft, so ist es durch die liebe Frau sehr
vervollständigt worden, und ich habe doch nun auch Jemand, der mir
mit freundlichen Blicken entgegenkommt, wenn ich Abends die Treppe
herunterspaziere. Von der Stadt haben wir unten im Hause *) große
neue Fenster zum Hochzeitsgeschenk erhalten, von unsern Freunden und
Freundinnen aber ein recht nettes Sopha. Meine liebe Frau dominirt
jetzt unten in der zurechtgemachten Stube; ich aber stehe, wie es
eben recht ist, arbeitend über ihrem Haupte. Sie hat die
Fleischtöpfe, und ich habe die Köpfe - wenn man doch nur sagen
könnte die Herzen - in Obacht." So fehlte denn unserem Catenhusen
damals nichts zu seinem häuslichen Glücke, und das um so weniger,
als Gott den jungen Eheleuten ein Töchterlein bescheerte. Aber nur
zu bald lernte er Thränen weinen, wie er sie bisher noch nicht
geweint. Ein zweites Kind starb wenig Tage nach der Geburt, und noch
ehe er das dritte Kind, ein Söhnlein, getauft, stand er schon (1819)
mit blutendem Herzen am Sarge seiner geliebten Caroline. Mit Wehmuth
gedenke ich namentlich dieser Zeit, der ich mit meinem lieben Weibe
und meinem lieben Schwager in der so früh Heimgegangenen eine Mutter
verloren. Der Vater aber schrieb damals in einem noch weiter zu
besprechenden Buche die schönen Worte, die uns einen Blick in sein
Herz thun
____________________
*) Die Diakonatswohnung zu Lauenburg ist zu der Zeit des
Superintendenten Jobs. Rupertus (1592-1605) erbaut und
hat die Inschrift: Deo non dante labor non juvat, Deo vero
dante non juvat invidia. Nazianzenus. Hae exstructae sunt aedes
Diaconi Superint. Ruperto.
1863/4 - 139
1863/4 - 140
lassen: "Ich danke dir, Gott, für den hellen
Strahl des ewigen Lebens, der durch die Offenbarung deines Sohnes
von drüben her ins Grab und in das Dunkel dieses vergänglichen
Lebens fällt. Habe ich doch selbst zwei Gräber graben lassen in
diesem Jahre, und einen Säugling in seinem Anfange, und ein heiß
geliebtes Weib in diesen letzten Tagen vor mir hinscheiden sehen;
aber dein Wort, mein gekreuzigter Heiland, stillet meine Seele. Du
hast es mir verheißen, so bin ich deß auch gewiß, daß sie droben,
bei dir sind in deiner Herrlichkeit, und in dem Glauben trockne ich
die Thräne meines Schmerzes mir vom Auge, und harre des Heils, das
du auch mir aus Gnaden einst geben willst dort oben in deinem
seligen Himmel!" - - Es ist hier die passende Stelle zu bemerken,
daß Catenhusen sich zum andern Male mit einer Tochter des Professor
Havemann in Lüneburg, deren Bruder der rühmlichst bekannte Professor
der Geschichte in Göttingen ist, vermählt hat. In dieser Ehe sind
ihm sechs Söhne geboren. Ueberblicken wir nun aber sein Leben und
Wirken in Lauenburg von Anfang bis zum Ende, so tritt uns in ihm
schon der vor Augen, als den wir ihn in seinen späteren Jahren
gekannt, geliebt und geehret haben. Es ist im Wesentlichen ganz
derselbe Catenhusen, der Diakonus in Lauenburg und der
Superintendent in Ratzeburg, und deshalb sagte ich, daß die Gränze
des Gewordenseins und der Reife in seinem Leben schwer zu bezeichnen
sei. Es versteht sich ja aber von selbst, daß der Unterschied des
Lebensalters sich auch bei ihm geltend machte, und daß die Tiefe der
Erfahrung seiner letzten Jahre auch nicht das Eigenthum seiner
früheren Zeit sein konnte. Namentlich aber wurde ein Unterschied der
früheren und späteren Zeit durch die verschiedenen Phasen der
kirchlichen Entwicklung bedingt, wie wir das später sehen werden.
____________________
1863/4 - 140
1863/4 - 141
Um nun seine Wirksamkeit in seiner ersten
Gemeinde uns vorzuführen, wollen wir zunächst seine Predigt und
Predigtweise, sodann seine Seelsorge und Arbeit an wie in der
Gemeinde, ferner sein wissenschaftliches und theologisches Arbeiten
ins Auge fassen. Es hat wohl wenig Prediger gegeben, die mit allen
erforderlichen Gaben so glücklich ausgestattet gewesen, wie er, und
das sowohl äußerlich, als innerlich. Eine anziehende, in jüngeren
Jahren schöne, in späteren imponirende Persönlichkeit, ein
volltönendes, kräftiges Organ, eine edle Sprache, die sich, in
jüngeren Jahren zumal, oft zu dichterischem Schwunge erhob; dann
aber, was ja die Hauptsache, ein lebendiger Glaube, nicht blos in
der Dogmatik erlernt, sondern an dem eignen Herzen erfahren, eine
herzliche und brünstige Liebe zu allen Seelen, ein demüthig
kindlicher Sinn, aber auch eine lutherische Festigkeit, Kühnheit und
Unerschrockenheit, nicht weniger aber auch eine lutherische
Weitherzigkeit und Milde, die mit jener gepaart die Signatur unsrer
theuren Kirche und jeder ihrer ächten Söhne ist; dazu eine seltne
Gabe, in populärer Weise die tiefsten Glaubenslehren darzustellen,
die Gabe der Lehrhaftigkeit, mit ihr aber auch die der Erbaulichkeit
in hohem Grade, und dabei die Tiefe eigener Erfahrung, die jedes
Wort als aus dem Herzen kommend auch den Weg zum Herzen finden ließ;
und zu dem Allen das Fernsein von allem Haschen nach Effect, das
Verschmähen aller eitlen Redekünstelei, die Keuschheit wahrhaft
christlicher Predigt, die nie und nie sich selber, sondern immer und
immer nur Christum predigen will; endlich aber der treuste,
beharrlichste Fleiß im Ausarbeiten jeder Predigt, so wie jeder
amtlichen Rede, wie die uns aufbehaltnen, sauber und vollständig
geschriebenen Concepte, die sogleich in die Druckerei gegeben werden
könnten, beweisen: das Alles machte seine Predigten zu dem, was sie
waren und im Laufe
1863/4 - 141
1863/4 - 142
der Jahre immer völliger wurden, aber auch schon
in Lauenburg waren. Deshalb darf die Charakterisirung, die ein
urtheilsfähiger Mann von seinen Predigten giebt, auch von denen
seiner früheren Jahre gelten. "Seine Predigten *) waren im besten
Sinne einfach und populär, für alle Stände und Lebensalter gleich
verständlich und anziehend, durchweg edel und schön in der Form,
herzlich und des Weges zu den Herzen kundig, weniger durch Masse und
blendenden Wechsel mannigfacher Gedanken, als durch vielseitige,
eindringliche und geistreiche Entfaltung des Hauptgedankens
ausgezeichnet, fern von anregender, anstürmender
Leidenschaftlichkeit, lehrhaft; anregende, aber ruhige, ihrer Sache
gewisse Darlegungen der göttlichen Heilsthaten und des Reichthums
der Schrift, die nicht durch rednerische Kunst, sondern durch die
selbstwirkende Kraft der Wahrheit überzeugen und Seelen gewinnen
wollen, immer aber beseelt und durchglüht von dem stillen, keuschen
Feuer einer innigen Jesusliebe und eines mannhaften,
unerschütterlichen Glaubens, der von den Zeugnissen Gottes vor der
Welt reden muß und sich des Evangeliums von Christo nicht schämt,
immer selbst Zeugnisse eines Lebens, das die Gnade Gottes in Christo
selbst geschmeckt hat und in derselben seines Heils gewiß ist,
Zeugnisse eines mit den Tiefen der Schrift wohl vertrauten, durch
sie genährten, in der Kreuz- und Betschule des Christenlebens
geprüften und geübten Herzens." Dieses ehrende Zeugniß von den
Predigten und der Predigtweise Catenhusen's gilt freilich zunächst
von seinen in der letzten Lebensperiode gehaltenen Predigten, aber
es darf auch von seinen früheren gelten, wenn auch, wie
selbstverständlich, von diesen noch nicht in demselben Maaß und
Umfang. Die Form wurde in mancher Hinsicht eine noch mehr populäre,
____________________
*) s. den obgedachten Nekrolog.
1863/4 - 142
1863/4 - 143
der Inhalt, wesentlich immer der Eine, durch
eigne wachsende Vertiefung tiefer, wie das ja bei einem geistig
lebendigen und darum innerlich wachsenden Prediger nicht anders sein
kann.
Ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter Euch, ohne
allein Jesum Christum den Gekreuzigten! Das der Inhalt all seines
Predigens. Mit diesem Zeugniß trat er in seiner Antrittspredigt vor
die Gemeinde hin, indem er nach 2. Cor. 5,
17-20 seine hohe Freude aussprach, ein Diener des Amts
zu sein, das die Versöhnung predigt. Und bei solcher Predigt ist er
geblieben, unbeirrt durch der Menschen Urtheile und durch die
wechselnden Strömungen der Zeit, und hat das liebe, theure
Evangelium allezeit rein und lauter, nach dem Bekenntniß unsrer
Kirche, nicht mit hohen Worten und vernünftigen Reden hoher
menschlicher Weisheit, sondern in aller Einfalt, darum aber in
Beweisung des Geistes und der Kraft gepredigt. Wenn ich aber oben
von den verschiedenen Phasen der kirchlichen Entwicklung sprach, so
wird Jeder mit mir auch das als Aufgabe des evangelischen Predigers,
d. h. des Predigers des immer Einen Evangeliums anerkennen, der
jedesmaligen Gestaltung dieser Entwicklung (man erlaube mir diesen
modernen Ausdruck) Rechnung zu tragen. Und das hat Catenhusen
allezeit in rechter evangelischer Weise und Weisheit gethan. Darum
waren es in seiner ersten Amtsführung die Gegensätze aus der Zeit
des Rationalismus, gegen welche er nicht nur thetisch, sondern auch
antithetisch und apologetisch die Waffen der göttlichen Wahrheit
richtete, während die eigentlichen confessionellen Gegensätze damals
noch mehr zurücktraten. So predigte er am Jubelfeste der Reformation
*) (am dritten
____________________
*) Der damalige Pastor Petersen zu Lensahn in Holstein gab eine
"Chronik der Reformationsjubelfeier in den dänischen Staaten am
1863/4 - 143
1863/4 - 144
Jubeltage den 2. Nov. 1817)
über Ebr. 13, 8: Der letzte Gruß, mit welchem das
herrliche Fest unsrer Jubelfeier von uns scheidet: Jesus Christus
gestern und heut und derselbe in Ewigkeit! als ein Wort des
Glaubens, des Trostes und des Friedens. Im ersten Theile spricht er
über das Wesen des christlichen Glaubens dem s. g. Vernunftglauben
gegenüber. "Aller wahre Glaube, der eben so weit entfernt ist vom
trügerischen Stolze des s. g. Vernunftglaubens, als von der
beklagenswerthen Dummheit des Aberglaubens, aller wahre Glaube
entspringt aus Erfahrung, Einer Prüfung des Christenthums aus reinen
Begriffen der Wahrheit ist unsre Vernunft nicht gewachsen; denn sie
kann weder zum inneren Wesen der Wahrheit hindurchdringen, noch ihre
Kraft erfassen, noch ihren unendlichen Umfang ermessen. Die
menschliche Vernunft ist in der menschlichen Sphäre beschränkt und
kann nur Menschliches begreifen, keineswegs also das Christenthum
ergründen, weil es göttlichen Wesens ist, und es daher nicht prüfen.
Die Schlüsse und Urtheile der Vernunft, die sie aus reinen Begriffen
zieht, sind daher kein Glaube, sondern Meinung. Ein Vernunftglaube
ist ein Unding; denn der Glaube ist eine feste Zuversicht deß, das
man nicht siehet, aber doch gewißlich hofft. Die Vernunft aber, in
menschliche Schranken gehalten, kann nie zuversichtlich urtheilen
über die unsichtbaren, göttlichen Dinge; ihr ist die Ewigkeit ein
unauflösliches Räthsel, daher kann aus der Vernunft kein wahrer
Glaube kommen. Aber ihr fragt: "Wie können wir denn
____________________
31. Oct., 1. und 2. Nov.
1817" heraus, welche die Entwürfe einer großen Zahl
der gehaltenen Predigten aus allen Landestheilen, aus unserm Lande
aber nur aus vier Gemeinden, auch die von Uhthoff, nicht aber die
von Catenhusen gehaltenen Predigten enthielt - eine interessante
Musterkarte damaliger kirchlicher - und unkirchlicher Zustände.
1863/4 - 144
1863/4 - 145
fest und sicher werden in unserem Glauben; wie
uns schützen vor dem blinden Glauben, vor dem Aberglauben? Durch die
Erfahrung. Was man erfährt, muß sich uns als etwas Wirkliches, als
etwas Wahres darstellen. Was man in allen Verschiedenheiten des
Lebens als Eins und dasselbe erkannt muß auch wirklich so sein, als
man es erkennt. Das ist die Vernunftmäßigkeit des
Erfahrungsglaubens. Auf dieser Erfahrung beruht der wahre
Christenglaube. Auf ihn beruft sich Christus, nicht wie irrigerweise
Viele wähnen, auf den s. g. Vernunftglauben, wenn er spricht: So
Jemand will deß Willen thun, der wird inne werden, ob diese Lehre
von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede. Auf diesen
Erfahrungsglauben beruft sich Johannes, wenn er spricht: Was wir
gehöret haben u.s.w. (1. Joh, 1). Wollen
wir also an Christum glauben und an sein Evangelium, so müssen wir
ihn so erfahren, so muß er sich in unsrer Erfahrung uns so
darstellen, wie er im Evangelio uns beschrieben wird. Christus muß
sich uns darstellen in den zwei Hauptgestalten, in denen er sich in
der Schrift uns offenbart; nämlich als der Erlöser, der uns die
Vergebung der Sünden erworben hat und die Kraft des h. Geistes, und
als der erhöhte Gottessohn, der in allmächtiger Kraft die Welt
regiert zum Segen seines evangelischen Reichs auf Erden." Und nun
wird ausgeführt, wie Christus in unserem Inneren als der Erlöser
erfahren werde, und sodann darauf hingewiesen, wie auch in des
Lebens äußerer Erfahrung als der allmächtige Gottessohn. So erkennen
wir ihn im Lauf der Jahrtausende von seiner Himmelfahrt bis auf
diesen Tag, so auch namentlich in der Reformation Luther's. - - "Ist
denn das nicht Christus, wie er sich uns darstellt im Evangelio? -
Werdet Ihr hier nicht durch den großen Zusammenhang der
Weltbegebenheiten gleichsam zum Glauben an Christum gezwun-
1863/4 - 145
1863/4 - 146
gen? Luther rief in der Stunde seiner Gefahr:
Christus lebt! Und sein Siegesfest scheidet heut von Euch mit dem
Worte des Glaubens: Jesus Christus gestern und heut und derselbe in
Ewigkeit!"
Im zweiten Theile, in dem er dieses Wort als ein Wort des Trostes
darstellt, weis’t er hin auf die damaligen kirchlichen Zustände.
"Unsre Zeit ist keine christliche Zeit, keine Zeit reich an Glauben,
herrlich in Glaubenskraft. Lag zu Luther's Zeit das Verderben in der
Vorenthaltung des Evangeliums, heutzutage liegt es in des
Evangeliums Verachtung. Schlimmer fast, möchte ich sagen, ist unsre
Zeit, als Luther's Jahrhundert. Da wollten, da sehnten sich doch
noch die Menschen zur Bibel, jetzt will man sie nicht mehr. In
Luther's Tagen galt Christus doch noch als herrlicher Sohn Gottes,
in unsrer Zeit lästert man ihn, und ist frech genug, ihn herabziehn
zu wollen von dem Throne seiner ewigen Herrlichkeit! Ja neigt sich
nicht unsre Zeit selbst zur katholischen Lehre von den guten Werken
hin? Verschmäht sie nicht die Vergebung der Sünden, durch Christi
Tod uns erworben? Glaubt sie noch, der Kraft des Geistes, des h.
Geistes zu ihrer Heiligung zu bedürfen? Pocht sie nicht auf gut
katholisch auf das Verdienst ihrer Tugend, wähnend, durch sie allein
selig zu werden?" So schildert er seine Zeit mit leider nur zu
wahren Pinselstrichen - und bekennt mit Wehmuth: "Auch ich bedarf
des Trostes; denn nur zu oft leider mache ich die Erfahrung, daß
unsre Zeit keine christliche Zeit ist!" Dann aber zeigt er auf den
Trost hin, daß das Evangelium sieget über alle seine Feinde, und
"diesen Trost senkt die Feier dieses Tages in unsre Seele." -
"Christus lebet noch! rief Luther in seiner unchristlichen Zeit. Und
sein Siegesfest scheidet heute von uns mit dem Worte: Jesus Christus
heute u.s.w." Im letzten Theile wird dieses Wort endlich als Wort
des Friedens
1863/4 - 146
1863/4 - 147
nachgewiesen und noch einmal auf Luther
hingezeigt, wie der Herr ihn so wunderbar geführt und sein Herz in
allem Kampfe mit seinem Frieden erfüllt. "Und in der Stunde der
Entscheidung, was hatt's für Noth mit ihm? Christus lebet noch! rief
Luther in der Hitze des Kampfes. Und sein Siegesfest scheidet heut
von uns mit dem Gruße des Friedens: Jesus Christus u.s.w. Und
zuletzt, den in der Einleitung ausgesprochenen Gedanken der Wehmuth,
daß dieses Fest von allen jetzt Feiernden niemals werde wieder
begangen werden, wieder aufnehmend, heißt es: "Gebe denn dieser
Jesus Christus, daß, wenn nun dieses scheidende Fest die Erde wieder
begrüßt, wir uns Alle vereinigt sehen dort droben vor unsers
Erlösers hehrem Thron, und, den gekrönten Luther in unsrem Kreise,
niedersinken vor dem Stuhle seiner Herrlichkeit und anbeten: Jesus
Christus gestern und heut und derselbe auch in Ewigkeit! Amen."
Das ist gewiß eine vortreffliche Predigt, und ich meine, um so
weniger wird man mir das längere Verweilen bei ihr verdenken, als
ihr Inhalt auch in unsrer Zeit noch gar sehr zu beherzigen ist. Sie
zeigt uns aber auch, wie Catenhusen klar, plan und offen wider den
Unglauben seiner Tage und von der Wahrheit in Christo zeugte, und
wie er in seinem Predigen grundlegend zu Werke ging. Und ähnlich
sind alle seine Predigten in Lauenburg gehalten, so viele mir davon
vorliegen. *)
____________________
*) Ich erlaube mir, einige dieser Predigten noch anzuführen: Ueber
die Epistel am 1sten Weihnachtsfeste 1817:
Was wären wir ohne Jesus? Arme Menschen, denn wir hätten keinen
Gott; blinde Menschen, denn wir hätten keinen Führer; schwache
Menschen, denn wir hätten keinen Tröster; verdammte Menschen, denn
wir hätten keinen Versöhner. Ueber die Epistel am 2.
Weihnachtsfeste dess. J.: Welches Zeugniß wir haben für die Gottheit
Christi? Das Zeug-
1863/4 - 147
1863/4 - 148
Ich erlaube mir, aus einer Predigt noch eine
Mittheilung zu machen, die uns an so manches seiner Worte aus den
letzten bewegten Jahren seines Lebens und namentlich an ein bei der
Eröffnung der Lauenburger Gelehrtenschule im Jahre 1845
gesprochenes Wort erinnert. Es ist das die am 3. Trin.
1820 über 5. Mos. 4, 9 zur
Feier der Schlacht bei Waterloo gehaltne "deutsche Siegespredigt an
das deutsche Volk." Wie er später auch wohl that, wenngleich nicht
zu oft, hat er hier die Theile gereimt zusammengestellt: Hör's,
Deutschland, hör's: „Noch einmal hat dich Gott aus Feindes Hand
errettet, noch einmal zahlt die Schuld der Söhne blutger Tod. Ach,
siehst du's noch nicht ein, was dich so tief gebettet? Du glaubst an
Christum nicht, das schafft dir alle Noth. Hör's, Deutschland,
hör's: Dein Heil ist Christus nur allein, und weigerst du dich ihm,
wirst du verloren sein!" Im letzten Theile heißt es nun so: "Nur
Einer ist dein Helfer, Jesus Christus. Gott gebe dir Gnade,
deutsches Volk, daß du ihn erkennest; ohne ihn bist du verloren!
Verloren? Ich bin kein Prophet,
____________________
niß des Wortes Gottes; unseres eignen Herzens; unseres Lebens und
der Regierung der Welt. Ueber Tit. 3 am
Epiphaniensonntage 1818: Aus Gnaden sollen wir selig
werden! Also nicht 1) durch das Verdienst unsrer
Werke; 2) durch unsre Meinung oder Ansicht; 3)
auch nicht durch unsre Vernunft oder eines Menschen Lehre; 4)
auch durchs Gewissen nicht. Sondern 5) allein
durch Christi Blut und 6) in der Kraft des h. Geistes.
Da ihm außer den Nachmittagspredigten auch die Frühpredigten an den
Festen zufielen, so hatte er hier oft frei gewählte Texte, z. B, am
Neujahrsmorgen 1818 über Ps. 90: Der
Rückblick auf die Vergangenheit, der Hinblick aus die Zukunft.
(Beiläufig bemerken wir aus den dieser Predigt auf dem Concept
angefügten Notizen, daß von 86 im Jahre 1818
gebornen Kindern 2 uneheliche, und daß in diesem Jahre
1558 Communikanten waren.) Auch eine Homilie über die
Epistel am 3. Adv. 1817 liegt vor mir.
1863/4 - 148
1863/4 - 149
aber das sage ich im Voraus: so kann's nicht
lange mehr gehen, so nicht lange mehr bestehn. Wird's nicht bald
anders, rufen wir nicht den alten Glauben bald zurück in unsre
Herzen, so sollt ihr sehen, es schlägt über kurz oder lang ein Feuer
in Deutschland auf, das nicht zu löschen steht, und das verheerend
dahinfährt über die deutschen Lande, bis auch das Heil, das uns
jetzt geworden, in rauchenden Trümmern wieder vor uns liegt und wir
ein Spielball fremder Völker werden. Ach, daß mit solchen Ahnungen
der letzte Klang der heutigen Siegespredigt unser Ohr trifft!
Deutschland, Deutschland, ach, mein liebes Vaterland, du bist ja
auch meine Wiege gewesen dereinst, und hast mich groß gezogen an
deiner warmen Brust; von deinen Lippen hab' ich ja reden gelernt,
und in dir so manches Glück, so manche Freude funden! Deutschland,
Deutschland, willst du verloren gehn? Willst du, da der Herr dich
gerettet, wieder auf's Neue freventlich in die Tiefe des Verderbens
stürzen? Willst du auch einst mit den Trümmern deiner Städte, mit
dem Herzblut deiner Söhne, mit den Ruinen deines Glückes der
Menschheit dastehn als eine traurige Lehre, daß ohne Christus kein
Heil sei? Willst du auch der Welt von deinem Grabe es predigen, daß
jedes Volk, das von Christo weicht, verloren gehe? Verloren! Soll
das Wort der Verzweiflung heut an deinem Siegestage gerufen werden
über dein Volk? Verloren! Soll das der dumpfe Todesklang sein, in
dem der letzte Klang deiner Siegespredigt verklingt? Ach hör's,
Deutschland, hör's: Dein Heil ist Christus nur allein, und weigerst
du dich ihm, wirst du verloren sein! - Hier spricht der heutige Tag
mit seiner Predigt Amen! Aber ich kann noch nicht Amen sagen. Nein,
der bangen Ahnung, mit der die Predigt schließt, muß mein Herz sich
erst entringen zu einem heitern Blick nach oben. Vater im Himmel,
von dir kommt ja alle gute und alle vollkommene Gabe. Sende du denn
un-
1863/4 - 149
1863/4 - 150
serem Vaterlande, sende unserem Volke, was zu
seinem Heile dient. Oeffne uns Allen die Augen, daß wir erkennen: Es
ist in keinem Andern Heil, denn nur in dem Namen deines Sohnes Jesu
Christi! Amen." - So Catenhusen, der sein liebes Deutschland wie
Einer auf dem Herzen trug, aber in dem Einen nur sein Heil sah,
darin alles Heil beruht. Und was er bereits im Jahre 1820
vorausgeschaut, und was er im Jahre 1845 vorher
verkündet, ist's nicht geschehn, und wär's nicht vollends geschehn,
wenn der, der so lange Frist geschenkt, nicht gnädig drein geschaut
hätte? Und jetzt hat der barmherzige Gott abermals eine Frist
geschenkt; ach, daß wir doch die Warnungen seiner treuen Knechte zu
Herzen nähmen!
Von Catenhusen's späteren in Lauenburg gehaltnen Predigten liegt mir
keine vor; ich darf aber mit gutem Grunde behaupten, nicht nur daß
sie, was ja keine Frage ist, dieselben ihrem Wesen und Inhalt nach
geblieben, sondern daß sie mit ihm selber völliger und vollkommner
noch geworden sind. Und wenn bereits gegen das Ende der zwanziger
Jahre die Confession mehr in den Vordergrund trat, so werden seine
Predigten auch in dieser Beziehung fortgeschritten sein, und zwar zu
der ächt evangelischen Weise hin, wie er später für unser herrliches
Bekenntniß gezeuget hat, nie und nie vergessend oder auch nur zur
Seite stellend das Eine, was vor Allem und Allem jedem einzelnen
lutherischen Christen und jeder wahrhaft lutherischen Predigt Noth
thut. So schreibt er in einem Briefe vom 19. Juni
1830 an seinen Freund: - "Ich werde wahrscheinlich am
Jubelfeste (der Augsburger Confession) gar nicht polemisiren. Ich
denke, mit Gottes Hülfe zu predigen über das Bekenntniß unsrer
lutherischen Kirche von Christo. Text ist Matth. 10, 32, 33.
Dies werde ich im ersten Theile ausführen, und zwar a)
was unsre Kirche von der Person Christi, und b) was
sie von seinem Versöh-
1863/4 - 150
1863/4 - 151
nungswerke bekennt. Darauf gedenke ich, im
zweiten Theile zu zeigen, wozu uns dieses Bekenntniß verpflichtet.
Nämlich a) uns zu prüfen, ob wir in dieses Bekenntniß
einstimmen, und b) an diesem Bekenntniß fest zu
bleiben, und ihm würdiglich zu wandeln. Hier im zweiten Theile werde
ich allerdings die irrigen Vorstellungen von Christo rügen und
verwerfen müssen, doch soll dieses mit Gott ebenso offen, als in
Sanftmuth und Liebe geschehn."
Charakteristisch für seine ächt evangelische Predigtweise ist auch,
was er unter dem 5. März 1828 seinem
Freunde schreibt. Wir wissen ja, wie der Rationalismus die Predigt
des Evangeliums zu einem in sich todten Moralpredigen hatte
znsammenschrumpfen lassen. Aber auch von gläubiger Seite hat man
nicht selten der Glaubenspredigt den Vorwurf gemacht, sie ginge zu
wenig ins Leben ein und wirke deshalb so wenig. Hören wir, was
Catenhusen darauf erwiedert. "In dem letzten Hefte der evangelischen
Kirchenzeitung," so schreibt er, "ward irgendwo darauf hingedeutet,
daß die evangelischen Wahrheiten noch zu sehr über dem Leben
schwebten, und daß sie in den Predigten und Vorträgen noch zu fern
vom Leben gehalten würden. Findest du das auch? Ich muß gestehen,
ich bin für das Practische in gewisser Beziehung nicht. Jenes
ängstliche Moralpfropfen auf das lebendige Glaubenswort finde ich
auch in der Schrift nicht. In Petri erster Pfingstpredigt schwebt
das Evangelium auch über dem Leben und griff doch von selbst ins
Leben hinein, und die apostolische Verkündigung ist auch nichts
Anderes, als Anempfehlung und Anpreisung des Wortes vom Kreuze, ohne
die specielle Berücksichtigung individueller Lebensverhältnisse.
Woran es aber, meiner Meinung nach, jetzt fehlt, das ist die
Berücksichtigung innerer Gemüthszustände. Diese finde ich in unseren
neueren geistlichen Vorträgen zu wenig bedacht und berührt. Und doch
1863/4 - 151
1863/4 - 152
sind diese es grade, die den älteren geistlichen
Schriften noch jetzt einen so hohen Grad von Interesse verleihen und
sie nie veralten lassen. Was macht Luther's, was Johann Arndt's
Schriften noch jetzt zu einer so reichen Fundgrube der Erbauung und
des Trostes? Nichts Anderes, als der reiche Fond innerer geistlicher
Erfahrung, der darin niedergelegt ist. Luther's Schriften kommen mir
vor, wie ein großes Spital für den Himmel. Jedes kranke, jedes
verwundete, jedes angefochtene Herz findet seine eigene Zelle darin
und sein inneres Leben in effigie. Aus dem Schatze innerer
Erfahrung, dünkt mich, müßte mehr gegeben werden in heutigen
Predigt- und Erbauungsbüchern, als geschieht." Es bedarf übrigens
wohl nicht der Bemerkung, daß der Predigt des Gesetzes damit in
keiner Weise ihre Berechtigung und Nothwendigkeit in der
evangelischen Predigt abgesprochen, oder auch nur beeinträchtigt
werden soll. Es hat wohl selten ein Prediger die rechte Theilung des
Wortes und den rechten Brauch des Gesetzes so gut verstanden und
geübt, wie Catenhusen. So hat er auch wohl die Sünden der Gemeinde
zu strafen und das rechtschaffene Wesen in Christo ihr vorzuhalten
gewußt; aber dieses wie jenes war nicht das Moralpfropfen,
was er meint und wovon er redet, so wenig wie die Paränesen der
apostolischen Briefe es sind.
Fragen wir nun nach dem Erfolge seiner Predigt in seiner ersten
Gemeinde, so kann ja freilich der Erfolg und zumal der sichtbare
Erfolg nicht der untrügliche Maßstab für Predigt und Prediger sein.
Wie viele treffliche und lebendig zeugende Männer haben viele Jahre
lang gepredigt, und sichtbare Erfolge ihrer Predigt nicht sehen
dürfen, wenn auch des Wortes unsichtbarer, verborgener Segen nicht
ausbleiben konnte, und oft erst nach ihrem Tode sich zeigte, so daß
hier das Wort sich erfüllt: Dieser säet, der Andre schneidet. Es ist
eine be-
1863/4 - 152
1863/4 - 153
sondere Gnade, wenn der Herr dem gepredigten
Worte sichtbare Erfolge in der Gemeinde giebt, und er giebt sie
zumeist nur dem Prediger, der sie tragen kann. Diese Gnade aber ward
unserem Catenhusen in seiner ersten Gemeinde gegeben, und er
erkannte das als Gnade und gab dem allein die Ehre, dem sie gebührt.
Seine Predigten, obwohl Nachmittags und an den Festen auch in der
Frühe Morgens um 6 Uhr gehalten, wurden gern und fleißig gehört. Es
bildete sich, was so wichtig ist, bald ein Kreis regelmäßiger und
beständiger Hörer, und dieser Kreis erweiterte sich je mehr und
mehr. So wirkte das Wort freilich nicht in auffallender Weise, - war
doch auch der junge Prediger schon von allem methodistischen Treiben
fern, wie denn ächt lutherische Nüchternheit bei aller
Glaubensinnigkeit ein charakteristischer Zug seines inneren Lebens
war, - aber sauerteigartig in der Gemeinde, hier ein Herz, dort ein
Herz für die Wahrheit gewinnend, und an der treuen Pflege des vom
Prediger ausgestreuten Samens ließ der Pastor es nicht fehlen - die
drei P, wie Claus Harms sagt, Prediger, Pastor und Priester umfassen
ja das geistliche Amt. Und was so innerlich in den Herzen gewirket
ward, das that sich auch im Laufe der Zeit mehr und mehr sichtbar kund. Hören wir,
was Catenhusen selbst, der so fern von eitlem Selbstruhm war, am
Ende seines ersten Amtes über den damaligen Zustand der Gemeinde an
seinen Freund schreibt. Man hat wohl gesagt, er sehe die kirchlichen
Zustände unseres Landes mit dem Auge der Liebe in einem zu günstigen
Lichte an. Das mag von seiner letzten Lebensperiode wohl gelten,
aber es gilt das doch nur von seinem Urtheil über das Ganze unseres
Landes, und das im Gegensatz zu andern Ländern, nicht von seinem
Urtheil über einzelne Gemeinden, namentlich solche, denen er näher
stand. Sein Urtheil über seine erste Gemeinde zeigt sich uns aber um
so unparteiischer, als er im
1863/4 - 153
1863/4 - 154
Anfang seiner Amtsführung ganz anders hatte
urtheilecn müssen, wie wir sehen werden. "Es wenden sich," so heißt
es in einem Briefe vom 19. Juni 1830,
"immer mehr Seelen dem Evangelio zu. Das Haus des N. N.
ist ganz eifrig geworden und fehlt keinen Sonntag in der Kirche. Die
N. N. und sämmtliche Genossen des N'schen Hauses sprechen ihre
evangelische Gesinnung laut und öffentlich vor der Welt aus, und
haben dessen keinen Hehl, was sie glauben und nicht glauben,
N. N. ärgert sich über alle Entstellungen der evangelischen
Wahrheit, und will, daß nach der Augsburgischen Confession gepredigt
werde. N. N. ist dem Evangelio zugethan, und in den
geringeren Ständen giebt es noch sehr Viele, die mit ganzer Seele am
Evangelio hängen. Du stehst also, daß das Wort unseres Gottes und
Heilandes sich hier anfängt Bahn zu brechen. Ach, Gott gebe, daß
unser ganzer Ort immer mehr und mehr voll werde der Erkenntniß des
Herrn! - Mit Obigem wollte ich Dir nur sagen, daß das Evangelium
hier auch Freunde unter Hohen und Niedrigen hat, und die ganze
Gemeinde mit wenigen Ausnahmen so gestimmt ist, daß, wo sie
offenbaren Widerspruch gegen die Schrift wahrnimmt, sie sich solches
nicht gefallen lassen wird. - Nun, der Herr, der hier in Lauenburg
"de beste Hülpsmann" heißt, der wird hüten und wachen, ne quid
ecclesia detrimenti capiat. Dem wollen wir uns und die Sache
befehlen!" Vergleichen wir mit solchen erfreulichen Zeugnissen, was
der junge Prediger in den ersten Amtsjahren einmal (Juli 1819)
schrieb, als von der damals noch nicht lange gestifteten
Bibelgesellschaft unsres Landes die Rede war: "Du kannst es nicht
glauben, wie die Vernunft hier Alles kalt gemacht hat gegen Gottes
Wort. Wollten wir über die Bibel anfangen zu reden (nämlich in
gesellschaftlichen Kreisen), so würde man sich entweder des
Gesprächs bemächtigen, oder es auf andre Dinge
1863/4 - 154
1863/4 - 155
führen, oder aber der Eine und Andre würde
allmälig das Zimmer verlassen, um dem biblischen Discurse sich zu
entziehen. Wieder Andre würden mit stolzem Lächeln zuhören und gegen
den Sprecher eine Miene annehmen, darin der Seufzer: o sancta
simplicitas! nicht undeutlich zu lesen wäre. Du kannst
glauben, ich habe es oft versucht und versuche es noch oft, aber
jeder Versuch fast ist nur zur Kränkung und Verwundung meines
Herzens ausgeschlagen." Wir dürfen nun allerdings diesen
erfreulichen Umschwung in der Gemeinde nicht den Predigten
Catenhusen's allein, aber müssen ihn doch hauptsächlich ihnen und
seiner ganzen Amtsführung, oder vielmehr dem Segen, welchen Gott
darauf gelegt, zuschreiben. Recht deutlich wurde dieser Umschwung in
einem Ereigniß, welches sich im letzten Jahre seines Aufenthalts in
Lauenburg zutrug. In der dortigen Kirche hing seit alten Zeiten ein
großes Christusbild vor dem Chor, wie auch anderswo, z. B. in der
Kirche zu Möllen. Dieses hatte man bei Gelegenheit eines Baues
weggenommen und unter den Thurm gehängt, wo es verbleiben sollte.
Das aber wollte die Gemeinde nicht, zumal da das öffentliche
Gefängniß in Lauenbnrg, weil im alten Schloßthurm befindlich, der
Thurm genannt wird, und auf ihr Verlangen mußte es wieder die
frühere Stelle einnehmen. Hierüber heißt es in einem Briefe vom
16. März 1831: "Was hier für Dinge
vorgegangen sind, und welchen Sturm es gegeben hat, um das
Christuskreuz wieder an seinen alten Platz, oder wie das hiesige
Volk sagt, wieder zu Ehren zu bringen, hast Du vielleicht schon
gehört. Wie viel Leidenschaftliches von der einen und von der andern
Seite auch dabei untergelaufen ist, so ist doch so viel dabei
herausgekommen, daß die Gemeinde ihr Glaubensbekenntniß bei dieser
Gelegenheit rund und unumwunden ausgesprochen hat, und es hat sich
bei dieser Sache nicht um das Christusbild
1863/4 - 155
1863/4 - 156
allein gehandelt, der bei weitem größte Theil der
Gemeinde hat dabei erklärt, daß man sich den Glauben an die ewige
Gottheit Jesu und an die Versöhnung durch sein Blut und seinen Tod
nicht nehmen zu lassen gedenke. Dieser ganze Vorgang wird auf die
demnächstige Wahl eines zweiten Predigers hieselbst großen Einfluß
haben. Einige Mitglieder des Magistrats haben bereits erklärt, daß
man bei der Wahl hauptsächlich auf die Orthodoxie sehen müsse, denn
es möchte sonst wieder ein Sturm kommen!"
____________________
Ich komme jetzt zu Catenhusen's übriger Wirksamkeit in seiner ersten
Gemeinde, zu seiner Arbeit an und in derselben, namentlich seiner
Seelsorge. Der Schwerpunkt der Amtswirksamkeit eines Predigers liegt
in der öffentlichen Predigt, und wo es an ihr ganz fehlte oder wo es
mit ihr nicht steht, wie es sollte, da wird schwerlich alles Andre
sie zu ersetzen vermögen. Aber dieses Andre, und namentlich die
Seelsorge, wozu wir ja alle Lehre und Predigt unter der Kanzel, im
Beichtstuhl, am Krankenbette, in den Häusern hin und her rechnen
dürfen, ist ein nothwendig Hinzukommendes, was nicht fehlen darf,
soll das evangelische Predigtamt recht verwaltet werden. Catenhusen
hatte nun unstreitig eine ganz besondre Gabe zu seelsorgerischer
Thätigkeit, und konnte er namentlich in seinem letzten Amte ihr
weniger genügen, als es seines Herzens Wunsch war, in seinem ersten
Amte, zumal im kräftigen Jugendalter, ist er trotz vieler und
schwerer Arbeit - er gab Jahre lang täglich sechs bis neun Stunden
Privat-Unterricht - ein treuer und fleißiger Seelsorger gewesen. Wie
seine letzte Gemeinde ihn aber auch als solchen hat kennen lernen,
und wie Alle, die ihn näher kannten, es erfahren, wie er so freundlich und liebevoll die
Betrübten trösten, die Angefochtenen aufrichten, die Zweifelnden
belehren, die Zürnenden
1863/4 - 156
1863/4 - 157
besänftigen konnte, und wie er ganz besonders am
Kranken- und Sterbebette sich als evangelischen Prediger erwies, so
ist er auch, abgesehen von der tieferen und reicheren Erfahrung der
späteren Zeit, in seinem ersten Amte gewesen. *) Hatte er
____________________
*) Was namentlich den Besuch und Zuspruch und die
rechte Behandlung der Kranken betrifft, so darf ich mir gestatten,
an dieser Stelle, da sich später der passende Ort nicht finden
dürfte, aus einem an mich im Jahre 1838 gerichteten
Briefe einige Stellen auszuheben. Sie mögen uns Catenhusen's
Ansichten und Grundsätze in dieser Beziehung aussprechen, wie sie
auch schon in Lauenburg die seinigen gewesen sein werden. „Gewiß
sind die Besuche der Kranken ein sehr wichtiger Theil unsrer
Amtspflichten, aber ohne Zweifel ist auch kein Theil unsrer
Amtsobliegenheiten schwieriger und erfordert größere Vorsicht und
Behutsamkeit als eben dieser. Zunächst erfordert das Krankenbett,
die geschwächten Kräfte des Kranken, seine in vielen Fällen erhöhete
Reizbarkeit eine zarte Aufmerksamkeit und Schonung, damit nicht
wirklich durch unsre Ansprache und Zusprache sein Gesundheitszustand
oder vielmehr sein Krankheitszustand verschlimmert und auch nur
augenblicklich verschlimmert werde. Dann aber muß der Prediger in
unsern Tagen die Kranken ganz anders nehmen und mit ihnen ganz
anders umgehen, als in früherer Zeit. - Wir müssen jetzt leider bei
Kranken im Allgemeinen voraussetzen, daß sie von dem, was wir an sie
bringen wollen, nichts verstehen, nichts fassen und begreifen, und
daß deshalb unser Wort vielfältigem Mißverstande und mannichfaltigen
Mißdeutungen werde ausgesetzt sein. Ueberdieß ist das Verhältniß
zwischen Prediger und Gemeinde ein so lockeres geworden, daß viele
Mitglieder der Gemeinde die Befugniß des Predigers zur Seelsorge
kaum ahnen, geschweige denn die Verpflichtung desselben zu ihr
anerkennen, und daß deshalb seine ernsten Bemühungen in der
Seelsorge Mißverständnissen leicht unterliegen. Es ist daher in
unsrer Zeit rathsam und nothwendig, daß der Prediger bei seinen
Krankenbesuchen, bevor er den Kranken an's Herz tritt, zuvor sich
einen Weg zu ihrem Herzen bahne, und daß er vor allen Dingen am
Krankenbett die Zeiten unterscheiden lerne, wo er mit Nutzen
sprechen kann, und wo es vielleicht angelegter ist, für Augenblicke
zu schweigen. - - Mich
1863/4 - 157
1863/4 - 158
doch ein Herz, das jede fremde Noth tief mit
fühlte, und wie
____________________
dünkt, daß es bei der Pflege der Kranken von großer Wichtigkeit ist,
wenn wir die Vergebung der Sünden sofort zum Mittelpunkt und
Hauptgegenstand unsrer Unterhaltung mit ihnen machen. Die
Nothwendigkeit dieses Trostes leuchtet dem Menschen von vornherein
so ein, daß es gar keines weiteren Redens darüber bedarf, und mit
diesem Trost können wir den Kranken so sanft, so linde, und doch so
ernst und nachdrücklich ans Herz kommen, daß wir ein tiefes
Bedürfniß nach Christo und seinem Heile in ihnen erwecken, ohne
heftige Aufregungen ihrer Gemüther zu veranlassen, die auf dem
Krankenbette doch nicht ohne Einwirkungen auf den leiblichen Zustand
bleiben würden. Das Gesetz aber richtet auf dem Krankenbette
meistens nur Zorn an, auch haben wir mit den Kranken gewöhnlich
nicht Zeit, den Lauf durchs Gesetz zum Evangelio zu nehmen, und das
Gesetz ist auch im Evangelio selbst enthalten. -
Es giebt Prediger, und sehr wackere, ernste, brave Prediger, welche die Kranken recht tief in sich treiben
wollen, um sie durch eine ernste Selbsterkenntniß auf die Vergebung
der Sünden vorzubereiten. Allein zu geschweigen, daß es manchmal die
körperlichen Zustände des Kranken gar nicht zulassen, daß er tief in
sich gehe - denn was kann der Kranke in Fieberbetäubungen machen? -
so ist es wohl zu bemerken, daß der Kranke nicht tiefer in sich
gehen kann, als ihm Gnade dazu von Oben geschenkt wird. Die Buße
selbst ist nur in dem Grade da, in welchem die Sehnsucht und das
Verlangen nach Vergebung der Sünden da ist, und wir haben nichts
anderes als diese Sehnsucht und dieses Verlangen zu erwecken, was am
leichtesten zumal auf dem Krankenbette, wo es sich um Bleiben und
Gehen handelt, durch die Anpreisung des Trostes der Vergebung der
Sünden geschehen kann und mag. Vor allen Dingen möchte ich vor dem
Drängen und Treiben der Kranken warnen. Wie gern wir es auch
möchten, so steht es doch nicht in unsrer Kraft, den Kranken zu
bekehren. Die Stunde des Herrn will erwartet sein. Wir können
nichts, als bitten: Lasset Euch versöhnen mit Gott! und das können
und müssen wir thun mit aller Freundlichkeit, Sanftmuth und Geduld.
Schlägt die Bitte nicht an. dürfen wir nicht eifern. In des Herrn
Hand steht die Frucht und der Segen unsrer Arbeit.“
1863/4 - 158
1863/4 - 159
er aller Armen und Bedrängten Freund war, so
trieb ihn seine Liebe, sich leiblicher und geistlicher Noth wo und
wie er nur konnte anzunehmen. So hatte er in seinen ersten
Amtsjahren für eine die äußerste Noth leidende Familie in der Nähe
Lauenburgs Fürsprache gethan, und war, da ihr nach seiner
Ueberzeugung Unbill widerfahren, bis zur Regierung gegangen. "Meine
nicht," schreibt er im Januar 1821, "ich mische mich
in juristische Händel und dränge mich unberufen in diese Sache.
Fürbitte habe ich eingelegt, das ist Keinem verboten. Ich habe zur
Rettung einer verzweifelten Familie um Ausführung dessen gebeten,
was die Regierung zu Recht erkannt hat. Zu solcher Bitte halte ich
mich nicht nur befugt, sondern verpflichtet a) durch
Gottes Wort Jes. I, 17. Sir. 4, 26-29.
Sprichw. 29, 7. 21, 3. b) durch das
Beispiel früherer Diener des göttlichen Worts. Luther schreibt Tom.
1. p. 328: Schwerdt soll kein Christ für
sich und seine Sache anrufen und führen, sondern für einen Andern
mag und soll er es anrufen und führen, damit die Bosheit gesteuert
und Frömmigkeit geschützt werde. Hoffmann's Predigten von
unerkannten Sünden S. 361: vom unzeitigen
Stillschweigen: diese Sünde wird von Allen begangen, die zum Schaden
des Nächsten schweigen. Das Gesetz der Natur und Liebe verbindet
sie, dasjenige zu offenbaren, wodurch ihrem Nächsten Schaden
zugefügt wird. Sehen sie, daß wider den Nächsten gefährliche
Anschläge geschmiedet werden, so sollen sie reden und nicht
schweigen. Cl. Harms Sommerpostille p. 123: Die
Pflicht des Christen, jedem Unrechtleidenden beizustehn. c)
Durch meinen Amtsberuf, Seelen vor Versuchungen und Anfechtungen zu
bewahren; diese sind hier vorhanden - da muß ich doch wohl reden und
die Hülfe der Regierung erflehen, die sie als rechtmäßig erkannt
hat. d) Durch meinen Unterthaneneid, der mich
verbindet, Alles zur Kenntniß der Behörde zu bringen, was
contra leges divinas et civiles ist."
1863/4 - 159
1863/4 - 160
Und ein andermal schreibt er: "Wir haben jetzt
eine verlorene Seele bei uns. Was meinst du, sollte der Herr nicht
auch sie suchen? Sollte der Hirte nicht seine 99
Schäflein lassen und diesem Einen verirrten nachgehen? Sollte das
Weib nicht ihr Licht anzünden, und ihren verlornen Groschen in allen
Winkeln suchen? So laß uns stark sein im Glauben und muthig in
Hoffnung. Gewiß, ist es des Herrn Amt, verlorene Seelen zu suchen,
so ist er auch bei dieser verirrten Seele mit uns auf der Fahrt, und
dürfen wir nicht einen gesegneten Ausgang erwarten, wenn wir an
Verirrten dem Herrn unsern Dienst und unsere Hände leihn? Nun, so
wollen wir denn nicht muthlos werden, uns auch nicht erschrecken
lassen, und diese Seele nicht aufgeben, so lange der Herr sie noch
hält. Dies, denke ich, ist unsre Pflicht, damit wir nachgehends
nicht eine Seele weggestoßen haben, die der Herr noch erretten
wollte!"
Den Confirmationsunterricht hat in Lauenburg der erste, die Taufen
der zweite Prediger, und wie Catenhusen von Anfang an die Heiligkeit
derselben den Eltern ans Herz zu legen suchte, zeigt eine am Feste
der Erscheinung 1817 über Tit. 3, 4-8
gehaltene Predigt: Von dem heiligen Sakramente der Taufe, in der er
zeigt 1) wie die Taufe ein Bad der Widergeburt sei,
und 2) worin die Ehrfurcht bestehe, welche Christen
gegen das Sakrament der Taufe äußern müssen. Er hat aber auch viel
unterrichtet, wozu ihn die geringe Einnahme seiner Stelle bei
wachsender Familie nöthigte. Auch zum Unterricht und namentlich
katechetischen Unterricht hatte er besondre Begabung. Es stand ihm
bei seiner Klarheit im Denken eine Klarheit und Einfalt des
lehrenden Worts zu Gebote, daß das Gelehrte und Gelernte sich dem
Gedächtniß und Herzen unverlierbar einprägte. Das werden seine
späteren Confirmanden bezeugen, und so hat er auch in Lauenburg
durch seinen Un-
1863/4 - 160
1863/4 - 161
terricht manch junges Herz der Wahrheit
zugeführt. "Wie danke ich Ihnen," so schreibt eine liebe, nun längst
auch heimgegangene Schülerinn später an ihn, "wie danke ich Ihnen
noch für den Grund des Glaubens, den Sie in mir gelegt haben! Es
kommen jetzt manche Stürme; aber Gott wird geben, daß ich nicht
wanke. Er, der treue Hirt Jesus, wird auch mich behüten!"
Außer seinen öffentlichen Predigten predigte und lehrte er das Wort,
wo sich ihm eine Gelegenheit bot. An den Sonnabenden hielt er eine
Betstunde im Armenhause, und in einzelnen Bürgerhäusern legte er zu
Zeiten in bestimmten Stunden die heilige Schrift aus. In den
Vormittagsgottesdiensten hatte er, wie bemerkt, die Predigt nicht zu
halten, wohl aber mit dem Altardienst die Vorlesungen. Auch führte
er die Leichenreden wieder ein, wie er (9. April
1817) schreibt: "Die Bürger werden hier öffentlich
beerdigt. Es war bisher Gebrauch, daß in der Capelle blos die
Collecte gesungen ward; jetzt habe ich angefangen, die Leichenreden
wieder einzuführen."
____________________
Nachdem ich nun seine Amtswirksamkeit in
Lauenburg, seine Predigten und seine Arbeit in und an der Gemeinde
besprochen, ist es sein eigentlich theologisches Arbeiten jener
Zeit, das ich noch kürzlich darzustellen habe.
Durch viele Amtsgeschäfte in Anspruch genommen und dazu durch
äußerlich beschränkte Lage zum Privatunterricht genöthigt, wußte er
doch bald in der Theologie einheimisch zu werden und das Versäumte
rasch nachzuholen (namentlich seine gründliche Kenntniß im
Hebräischen hatte er sich erst im Amte erworben). Während er auch
die eigentlich klassischen Studien jetzt keineswegs ganz aufgab,
wendete er nun vor Allem seine ganze Kraft auf das Studium der h.
Schrift in den Grundsprachen, sodann auf die alten Kirchenväter, die
Schriften
1863/4 - 161
1863/4 - 162
Luther's und des Reformationszeitalters, denn es
kam ihm, was auch die allgemeinen Meinungen seiner Zeit sein
mochten, vor Allem darauf an, die über alle Zeitwechsel erhabene ewige Wahrheit zu
erkennen und ein recht sicheres Wissen von dem zu erlangen, was der
Glaube und die Lehre der h. Apostel und aller rechtgläubigen
Christen, die je gelebt, gewesen ist. Da mußte er sich ja bald von
der Theologie seiner Zeit, die sich so leicht als eine von Gottes
Wort abweichende auswies, ganz auf die früheren Zeiten
zurückgewiesen sehen, und so ist es nicht zu verwundern, daß er sich
mit ganz entschiedener Vorliebe in die alten Väter und besonders
Luther hineinzustudiren und hineinzuleben suchte. So heißt es in dem
öfter schon angeführten Nekrologe, und ein vor mir liegendes
Excerptenbuch bezeugt es, wie er mit großem Fleiße die alten
Kirchenväter und die Väter unserer Kirche, namentlich Luther,
Chemnitz, Gerhard studirt, daneben aber auch alte und neue
Philosophie, besonders Plato, Spinoza und Kant, und fortfuhr, mit
den Klassikern sich eingehend zu beschäftigen. Und wenn nun von ihm
gerühmt wird, daß er die theologische Wissenschaft der Neuzeit
keineswegs unbeachtet gelassen, vielmehr jede bedeutende Erscheinung
auf diesem Gebiete kannte, aber auch prüfte, und sich nie, nach der
ihm verliehenen Gabe, die Geister zu prüfen, durch den Schein
blenden ließ, so gilt dieses auch schon von seiner Lauenburger Zeit.
Er ließ sich auch damals schon nicht durch die zeitweilige Geltung
irgend welcher wissenschaftlicher Richtung der Theologie in seinem
selbstständigen und nüchternen Urtheil bestechen. Nicht durch
Schleiermacher, von dem Hengstenberg (in seinem Vorwort zur Ev.
Kirchenzeitung 1861) so treffend sagt, daß sein
persönliches Christenthum, wie Oel im Wasser bei allem Schütteln,
doch immer oben geblieben, der aber von dem Seinigen so viel
hinzuthat, daß der täuschende Schein des Lebens, womit er es bei
seiner hohen geistigen
1863/4 - 162
1863/4 - 163
Begabung auszustatten wußte, gar bald hinwelkte.
Nicht durch Hegel, den seine eignen Nachfolger und Schüler zu
Schanden gemacht, und dessen Strom, wie es eben dort heißt, auf dem
er mit so viel Anstand zu segeln wußte, in die Bauer und Feuerbach
verlief und in die Bilderstürmereien der Hallischen und deutschen
Jahrbücher, die sich nach kurzem Verlauf mit socialistischem Taumel
verschwisterten. Das Alles sah Catenhusen's scharfer Blick,
geschärft und gefestigt durch Gottes Wort und die gesunde Lehre
unsrer Kirche, schon damals voraus, und so auch alle Wirren der
Union, über welche er schon sogleich bei ihrem Anfang und Entstehen
richtig und wie bis ans Ende urtheilte. "Wider die Berliner Union,
schreibt er (1. Juli 1818), stimme ich
ebenfalls, weil zum Ersten unsere Zeit kein himmlisches Fundament
ihr zu Grunde legen kann, sondern die ganze Union zum Theil nichts
Anderes ist, als eine Vereinigung der religiösen Parteien im
Indifferentismus. Die Nebensache ist, wie man sich ausdrückt, zur
Seite gestellt, und in der Hauptsache ist man Eins; den Vogel haben
wir schon lange pfeifen hören. Zum Andern weil diese Vereinigung
nicht gehörig vorbereitet, sondern an den Haaren herbeigezogen ist.
Dabei kann 's nicht fehlen, daß auch Haare ausgerupft werden. Hier
wenigstens sind schon preußische Schiffersfrauen gewesen, die
geklagt haben mit Thränen, daß man sie zu einem neuen Glauben habe
zwingen wollen. Ist das Glaubensfreiheit? Nicht vielmehr
Glaubenszwang? Diese Berliner Union ist nach meiner Ansicht nichts
als das höchste Papstthum in der protestantischen Kirche. - Was die
Symbole (Bekenntnißschriften) anbetrifft, so müssen nach meiner
Ansicht so lange Symbole sein, als es nicht EINE Heerde im wahren
Glauben giebt. Symbole sind nicht etwas Willkührliches, sondern
etwas Nothwendiges in der Zeit. Alle Symbole, lehrt die Geschichte,
sind vom Unglauben erzwungen, damit in ihnen,
1863/4 - 163
1863/4 - 164
so viel dies sein kann, der wahre Glaube
charakterisirt werde. Ist also noch ein Reich des Unglaubens der
wahrhaft gläubigen Kirche entgegengesetzt, so müssen, menschlicher
Schwachheit halber, Symbole sein, damit ein Jeder weiß, in welchem
Territorium er sich aufhalte. Die Symbole sind Gränzpfähle mit der
Inschrift: Territorium des Glaubens. Sie sind so nothwendig, daß
selbst die Feinde der Symbole, ihnen unbewußt, ein Symbol haben. Ist
denn der Rationalismus ohne Symbol? Spricht er nicht in seinem
Princip sein Symbol aus? - Laß uns nur in Gottes Namen unsre
Augsburgische Confession halten. Sie ist freilich nur Planet und
empfängt von der Sonne ihr Licht, aber es ist doch auch Sonnenglanz,
der aus ihm leuchtet. Ich wenigstens kann ohne Symbol nicht fertig
werden, und danke Gott, daß er durch den theuren Mann Dr. Luther ein
solches hat werden lassen. Und, will's Gott, will ich doch um des
lutherischen Symbols willen keinen Reformirten hassen oder gar von
Christo ausschließen, sondern festiglich glauben, daß mancher
Reformirter wohl ein besserer Christ sein mag, als ich. Ist mir
auch, Gott Lob, noch nicht eingefallen, einen Reformirten zu hassen
um seines calvinistischen Symbols willen." So schrieb unser
Catenhusen im Jahre 1818, und wie daraus sein Urtheil
über die "Berliner" Union, das sich allezeit gleich geblieben ist,
hervorgeht, so auch sein Hochhalten und Festhalten der wahren Union,
und auch daran hat er, obschon viel verkannt und mißverstanden, mit
seinem innersten Herzen festgehalten, als später der Gegensatz der
Confessionen gar anders als früher hervortrat und unser Bekenntniß
in ihm einen seiner entschiedensten Vertreter fand. Im Jahre
1826 aber, als er sich in Bremen bei Dräseke's Fortgang um
seine Stelle bewarb und dort gepredigt hatte *), schrieb
____________________
*) Die Predigt erschien im Drucke: "Vom wahren Glauben an Christum.
Eine Predigt. Bremen 1826.“
1863/4 - 164
1863/4 - 165
er: "Die herzlichsten Grüße von Menken, dem
lieben Gottfried in Bremen! Wie er ist, stellt man sich nicht vor,
wenn man ihn nicht gesprochen hat. Ein Vesuvius spuckt Feuer aus
seinen kohlschwarzen Augen. Auch mit Krummacher, Mallet, Müller und
vielen andern Leuten des Schlags habe ich verkehrt. Das waren mir
selige Tage! Mündlich mehr von Bremen. Wenn man da gewesen ist,
kriegt's Herz einen Strich dahin!"
Ich könnte nun aus seiner damaligen Correspondenz noch manches
treffende und bewährte Urtheil über bedeutende theologische
Erscheinungen jener Zeit mittheilen; aber ich will mich daran
erinnern, daß ich nicht zunächst für theologische Leser schreibe.
Was ich bisher von seinen theologischen Ansichten mitgetheilt, hat
ja ein allgemeines Interesse und muß zu seiner Charakterisirung
dienen. Darum aber darf ich auch eine von ihm im Jahre 1820
herausgegebene kleine Schrift nicht unberührt lassen, zumal ihr
Inhalt auch noch für unsre Zeit wohl zu beherzigen ist.
Catenhusen hätte ein eben so fruchtbarer, als ausgezeichneter
Schriftsteller werden können; aber dazu ließ ihm sein Amt nicht die
Muße. Was er früher und später geschrieben, dazu gab ihm dieses die
Veranlassung, und es ist nur Einzelnes, was er in späteren Jahren in
theologischen Zeitschriften erscheinen ließ. In Lauenburg schrieb er
für eine damals in Hamburg erscheinende erbauliche Zeitschrift, der
Friedensbote genannt, einige Aufsätze, die in ihrem ersten Jahrgange
von 1821 stehen. *) Zu der Herausgabe jener Schrift
veranlaßte ihn aber der s. g. Thesenstreit, der eine tiefe und lange
anhaltende Bewegung der Geister hervorgerufen, die sich namentlich
auch in seiner Gemeinde kund that. CLAUS HARMS, der
____________________
*) "Ueber die Wunder Jesu, ihr Verhältniß zum Evangelio und ihre
Wichtigkeit für die Gläubigen."
1863/4 - 165
1863/4 - 166
damalige in seiner vollen Kraft stehende
"Archidiakonus in Kiel“ hatte am Reformationsjubiläum 1817
seine köstlichen Jubelpredigten gehalten und nebst ihnen "die
95 Sätze Luther's mit andern 95 Sätzen als
einer Uebersetzung aus 1517 in 1817"
veröffentlicht. Luther's Thesen schlugen als ein Blitz in seine Zeit
ein, und bewiesen sich auch jetzt wieder so in ihrer erneuerten
Gestalt. Harms' Wort hatte getroffen - das zeigte der unmittelbar
erfolgende Wiederhall der in großer Menge auf einander folgenden
Schriften dafür und dawider. Und wie es hieß zur Zeit der
Reformation: Hier Papst, hier Luther, so hieß es nun: Hier Vernunft,
hier Glaube, und diese alten Gegensätze sprachen sich schroff aus
und kamen dadurch erst Vielen zum klaren Bewußtsein. Da fühlte sich
denn nun auch Catenhusen berufen, seine Stimme für den alten Glauben
und die alte Wahrheit zu erheben, und ließ 1820 (zu
Kiel, in der akademischen Buchhandlung) gedachte Schrift erscheinen,
die den Titel trägt: "Zeugnisse der Lutherischen Kirche über
Vernunftreligion und wider die Anmaßung der Vernunft, in Sachen des
Glaubens Richterinn zu sein. Mit einem Vorbericht für Unstudirte,
wie für Studirte, von der ehmaligen Vernunftreligion der Heiden und
von der jetztmaligen unter den Christen. Angehängt einige von Herrn
Conrector Arndt in Ratzeburg gesammelte schöne Zeugnisse aus
Luther's Kirchenpostille insonderheit." LIV. und
88. Jene Zeugnisse sind nun Stellen aus den
Bekenntnißschriften, so wie aus Luther's und der älteren Lutherischen
Theologen Schriften; für uns ist hier die Vorrede das Wichtigste,
und deren Inhalt will ich kürzlich mittheilen. Des Verfassers
Absicht ist eine dreifache. Zuerst und hauptsächlich will er
Zeugnisse aus der Lutherischen Kirche über eine s. g.
Vernunftreligion beibringen, um zu beweisen, daß es nichts weniger
als lutherisch und protestantisch sei, die geoffenbarte Lehre der
1863/4 - 166
1863/4 - 167
h. Schrift der Kritik der Vernunft zu
unterwerfen, und nur das und so viel zu glauben, als vor ihrem
Richterstuhle bestände, - das ganze Christenthum also - wie Lessing
sagt - zu einer Offenbarung zu machen, die nichts offenbart. Sodann
will er nachweisen, wie einseitig, flach, verkehrt, ja unredlich das
gerühmte Zeitalter der Aufklärung in Behandlung der theologischen
Wissenschaften verfahre und damit umgehe, die Lutherische Kirche,
wenn es möglich wäre, auf den Kopf zu stellen, und uns dennoch
vorzugaukeln, sie sei nun erst auf den rechten Grund gestellt.
Endlich aber will er den Lutherischen Predigern in Erinnerung
bringen, daß vor den gepriesenen Leuten der Aufklärungszeit auch
große, berühmte und gelehrte Theologen in unsrer Kirche gelebt, die
nicht so dumm und unwissend gewesen, als man sie gern verschreien
möchte, und daß es für Lutherische Prediger unerläßliche Pflicht
sei, ihren Werken ein sorgfältiges Studium zu widmen. Dieses der
Inhalt der noch immer sehr lesenswerthen Vorrede, denn das dort
Gesagte gilt ja auch noch für unsre Zeit. Besonders interessant ist
in der ersten Abtheilung der Nachweis aus den alten Griechischen und
Römischen Dichtern und Philosophen, daß ihre religiösen Lehren
nichts als schwache, dunkle und unvollständige Ahnungen seien, die
auf Irrwege geführt und die Nothwendigkeit einer göttlichen
Offenbarung in ein helles Licht setzten. Wie gesagt, diese Vorrede
ist noch immer sehr lesenswerth, und daß sie damals ihren Zweck
nicht verfehlt hat, bewies der Zorn der Gegner, namentlich des
Verfassers der Gegenschrift: "Ueber den hohen Werth der
Vernunftreligion. Eine theologische Streitschrift gegen die
Donatisten unserer Zeit." Altona 1821.
____________________
So meine ich denn ein Bild der Wirksamkeit
Catenhusen's in seinem ersten Amt gezeichnet zu haben, in welchem er
uns
1863/4 - 167
1863/4 - 168
als Prediger, Seelsorger und Theologe
entgegentritt - und wie ich schon gesagt, im Ganzen als derselbe,
als den wir ihn später gekannt, geliebt und geehrt haben. Und nehmen
wir dazu seine ganze Persönlichkeit, seine herzgewinnende
Freundlichkeit und Liebe gegen Jedermann, seine harmlose
Fröhlichkeit, in der er sich, zumal in freundschaftlichen Kreisen,
beim Erzählen, wozu er eine seltne Gabe besaß, in kindlicher
Arglosigkeit erging; seine Bereitwilligkeit, Allen zu dienen, und
seine große Freigebigkeit an Arme und Nothleidende, dazu seinen
reinen, unanstößigen Wandel, seine von Freund und Feind anerkannte
ungeheuchelte Frömmigkeit, seine Friedfertigkeit bei aller
Entschiedenheit und darum sein freundliches Verhältniß zu seinen
Amtsgenossen trotz abweichender theologischer Richtung, so läßt es
sich wohl ermessen, daß er der Gemeinde lieb und werth war und ihr
mit den Jahren immer theurer wurde. Und ihm war die Gemeinde ja so
theuer, war ihm, als seine erste, so an's Herz gewachsen, daß er
sich gewiß nie hinweggewünscht und um ein andres Amt sich nicht
beworben hätte, wäre er nicht durch den Drang der auch ja so von
Gott geordneten Verhältnisse dazu veranlaßt und darauf hingewiesen.
"Ich habe," so schreibt er den 11. Mai 1830
an seinen Freund, "die Aussicht vor mir, Schulden zu machen, und das
darf ich nicht als ehrlicher Mann, da ich nicht weiß, wie ich sie
wieder bezahlen soll. Ueberdieß widerstehen auch Schulden meinen
amtlichen Verhältnissen. So viel Privatstunden, wie ich ehemals gab
(ich gab häufig täglich 9!), kann ich nach meiner
Krankheit *), die mich vor zwei Jahren befiel, und nach einer
völligen Nervenschwäche, die ein Jahr darauf, nachdem ich wieder so
viel Stunden gab, mich belästigte, nicht er-
____________________
*) Im Jahre 1828 lag er längere Zeit an einer
lebensgefährlichen Krankheit darnieder, die wohl Folge zu großer
Anstrengung war.
1863/4 - 168
1863/4 - 169
theilen. Zu einer Pensionsanstalt ist mein Haus
zu klein. Es ist also von dieser Seite keine Aushülfe möglich. Unter
diesen Umständen dringt mein Schwager in Uetersen in mich, daß ich
mich um die durch den Tod des Pastors Höpfner daselbst erledigte
Stelle bewerben soll. Bisher hab' ich mich mit Gottes Hülfe sauer
durchgearbeitet, und ohne Schulden durchzukommen, das ist für meine
amtliche Wirksamkeit nothwendig. Es beruht meine Achtung vor meiner
Gemeinde darauf, und diese mir zu erhalten, fühle ich mich
verpflichtet. Es ist also nur der Drang der Umstände, der mich zu
diesem Schritte vermocht hat, und diesem habe ich geglaubt nachgeben
zu müssen." Aus diesen Gründen bewarb Catenhusen sich denn um die
Stelle des Hauptpastors und Klosterpredigers in Uetersen, mußte
aber, um präsentirt werden zu können, zuvor das Holsteinische
Candidatenexamen in Glückstadt bestehen, wo er in dem Hause seines
ihm nahe verbundenen Freundes, des Obergerichtsadvokaten Tiedemann,
gastliche Aufnahme fand. Dieses Examen war, wie Catenhusen's
ausführlicher Bericht an seinen Freund ergiebt, in der That ein
rigorosum, und er bestand es mit Ehren, wenn er auch nur
den zweiten Charakter mit Auszeichnung erhielt. Besonders über sein
fließendes und elegantes Lateinsprechen wunderten sich die
Examinatoren. Um solch ein Examen aber mit Ehren bestehen zu können,
war Catenhusen zuvor das ganze Gebiet der Theologie noch einmal
durchgegangen, und wurde auch dadurch vorbereitet, später selbst ein
Examinator zu sein. Er machte das Examen im Herbst (den 10.
October) 1830 und blieb, als er am 4.
Advent den 19. December nach der über das Evangelium
des Sonntags gehaltenen Wahlpredigt mit 229 von
336 Stimmen zum Pastor in Uetersen gewählt war, bis nach
Ostern des folgenden Jahres noch in Lauenburg, von wo er nach seiner
am zweiten Ostertag-Nachmittag gehaltenen
1863/4 - 169
1863/4 - 170
Abschiedspredigt dorthin übersiedelte. In dieser
Zeit habe ich ihn zuerst gesehen, als ich mich von Hamburg aus zu
seiner Stelle meldete - nicht ahnend und nicht ahnen könnend, wie
nahe ich ihm noch einmal stehen würde! Sein Scheiden mag ihm schwer,
und Vielen seiner Gemeindemitglieder nicht weniger schmerzlich
geworden sein, als jenem jungen Bauernburschen aus der Nähe, der ihn
Jahrelang sonntäglich gehört, ohne je mit ihm gesprochen zu haben.
Aus einem lustigen Weltkinde war er ein gläubiges Gotteskind
geworden, seitdem er eines Sonntagsnachmittags auf dem Wege ins
Wirthshaus von einem zur Kirche gehenden Mütterchen aufgefordert
ward, ihr dahin zu folgen, und seitdem er von dem Sonntage an keine
Nachmittagspredigt seines lieben Pastor Catenhusen versäumte. Der
kommt ihm nun wenige Tage vor seinem Fortgange auf's Zimmer, und ein
Beutelchen mit Geld auf den Tisch legend, spricht er: Herr Pastor,
der Apostel sagt: der unterrichtet wird mit dem Worte, der theile
mit allerlei Gutes dem, der ihn unterrichtet hat. Weil Sie mich denn
im Worte Gottes unterrichtet haben, so wollte ich Ihnen beim
Abschied meine schuldige Dankbarkeit beweisen, und bitte Sie, diese
Kleinigkeit, die ich mir übergespart habe, von mir anzunehmen. Das
sagt der junge Bursch mit treuherziger Miene; als der Pastor aber
sich dessen weigert, da treten ihm die Thränen in die Augen und er
meint, der Herr Pastor müsse und müsse das von ihm annehmen, denn so
sei es ja des Apostels Gebot. Endlich macht der Pastor ihm den
Vorschlag, es einer armen Familie, der mit so und so viel geholfen
sei, das Geld zu geben, und darauf geht jener denn ein. "Herr
Pastor, das ist Ihr Eigenthum, Sie können damit machen, was Sie
wollen." Nach acht Tagen aber kommt er noch einmal wieder, um das
nachzubringen, was an der Summe für die Armen fehlte. Gewiß, solcher
Seelen hat's nicht
1863/4 - 170
1863/4 - 171
wenige damals in der Stadt Lauenburg auch
gegeben, die dem scheidenden Prediger des Herrn Gnadenlohn
erflehten! *) Er aber zog, wenn auch mit Schmerzen, dennoch fröhlich
seine Straße, denn er wußte, derselbe Herr, der ihn nach Lauenburg
geführt, der führe ihn nun auch weiter und ziehe ihm voran.
Und das war ja augenscheinlich Gottes Fügung und Führung. Freilich,
was Er jetzt that, das wußte Catenhusen selbst so wenig, als alle
Andern; hernach aber hat er's und haben sie's erfahren. Der Weg in
die Superintendentur unsrer Landeskirche ging über das Pastorat in
Uetersen, und Alles, was er in Lauenburg gearbeitet und gewirkt, und
was er in Uetersen noch ferner lernte und erfuhr, das hat dazu
dienen müssen, ihn für sein letztes hohes Amt zu bereiten. Ach, was
wird's doch sein,, wenn wir Alle einst in unser Erdenleben als in
ein offnes Buch zurückblickend, dessen letzte Seite vor uns daliegt,
alle die Wege, die unser Gott mit uns gegangen, und ihre Ausgänge
mit ihnen schauen dürfen! Da werden wir denn Alle bekennen, was wir
auch am Schlusse dieser Lebensperiode unseres Heimgegangenen
sprechen:
So führst du doch recht selig, Herr, die Deinen,
Ja selig und doch meistens wunderlich!
Wie könntest du es böse mit uns meinen,
Da deine Treu' nicht kann verläugnen sich? |
____________________
*) Eine Anzahl Gemeindeglieder beabsichtigten, ohne Vorwissen
Catenhusen's, durch Subscription die Herausgabe eines Jahrganges
seiner Predigten zu veranstalten, "um ihn ferner unter seiner mit so
innigem dankerfüllten Sinn für diesen theuren Lehrer beseelten
Gemeinde zur Hausandacht fortwirken zu sehn." Dieses Unternehmen
aber ist nicht ausgeführt, wohl weil er selbst nicht darauf einging.
Später im Jahre 1839 erschienen einige seiner
Predigten zum Besten des Marienstifts in Ratzeburg. Er selbst legte
keinen Werth darauf, seine Predigten gedruckt zu sehen.
1863/4 - 171
1863/4 - 172
Die Wege sind oft krumm, und doch gerad',
Darauf du lässest deine Kinder gehen, -
Da pflegt es wunderseltsam auszusehen.
Doch triumphirt zuletzt dein hoher Rath!
____________________
3. Die Jahre des zweiten Amtes. (1831-1834.)
Am 10. April des Jahres 1831
wurde Catenhusen in sein neues Amt eingeführt und hielt er seine
Antrittspredigt. Sein Vorgänger, Diedrich Leberecht HÖPFNER, war ein
ausgezeichneter Prediger gewesen, wie das der nach seinem Tode von
seinem Schwager, dem ihm auch in Sinn und Glauben eng verbundnen
Senator Hudtwalcker in Hamburg herausgegebene Jahrgang seiner
Predigten beweis't. Er war aber auch ein treuer Seelsorger und hatte
sich die Liebe seiner Gemeinde in hohem Grade erworben. "Wenn daher
- ich spreche hier und in den ferneren Mittheilungen über
Catenhusen's Wirksamkeit in Uetersen mit den Worten eines
hervorragenden Mitgliedes dieser Gemeinde, das meine Bitte um
dieselben freundlichst erfüllt hat - wenn daher auf der einen Seite
bei dem Nachfolger in seiner Bescheidenheit sich der Zweifel erhob,
wie er seine Stelle ausfüllen könne, so war dagegen auf der anderen
Seile der rege kirchliche Sinn der Gemeinde für ihn eine erfreuliche
Erscheinung und eine Aufmunterung, die Wirksamkeit seines Vorwesers
fortzusetzen. Und Gott Lob! die Uetersener Gemeinde hat das Glück
gehabt, daß der von ihr gewählte Prediger in jeder Beziehung seinem
Vorgänger an die Seite gestellt werden konnte, ja daß er die Liebe
seiner Gemeinde sich in einem noch höheren Grade zu erwerben wußte.
War Catenhusen auf der Kanzel durch seine gehaltreichen und immer im
Concepte vorher niedergeschriebenen Predigten im Stande, die
Gemeinde in die Kirche zu locken und sie bei dem
1863/4 - 172
1863/4 - 173
rechten evangelischen Glauben zu erhalten, so
wußte er eben so sehr unmittelbar auf die Gemeindemitglieder durch
seine häuslichen Besuche zu wirken. Durch seine
Johannesfreundlichkeit und seine würzigen Reden und Erzählungen im
populären Ton zog er die Herzen unwiderstehlich an sich, und fand
dadurch auch zur rechten Zeit Gelegenheit, die, welche es bedurften,
auf das Eine was Noth thut hinzuweisen. Vorzüglich waren es aber
seine Besuche bei den Trostbedürftigen und Kranken, bei denen sich
seine priesterliche Seelsorge in schönster Weise entfaltete und den
reichsten Segen und Trost über die Leidenden ausgoß. Es verging fast
kein Tag, an welchem er nicht seine Besuche bei den Gemeindegliedern
machte, und sobald er von irgend einem Leidenden oder
Trostbedürftigen vernahm, so war er zur Stelle, erkundigte sich auch
fast jeden Morgen bei den Aerzten nach den Kranken. Schon sein
freundliches, Liebe strahlendes Antlitz flößte unbedingtes Vertrauen
ein; wie vielmehr nicht sein von keinem Eifern, sondern nur von
Jesusliebe überfließender beredter Mund! Und dabei war er ein ächter
Jünger seines Herrn und Meisters, voller Demuth und Sanftmuth,
voller Freundlichkeit und Güte, gleich gegen Arme wie Reiche,
Niedrige wie Hohe. Von jenem priesterlichen Hochmuthe (ich rede hier
mit den Worten meines Berichterstatters - und strafe mich selbst!),
der sich mehr oder weniger bei vielen Predigern unbewußt äußert, und
der damit verbundnen Schärfe des Urtheilens und Verurtheilens war
bei ihm keine Spur zu entdecken. Und dennoch war seine Censur, wo es
galt, ungescheut nach dem Worte, das er verkündete. Er war ein
Prediger, wie er sein muß, und daher der große Einfluß, den er
gewann, und die allgemeine Liebe, die er sich in seiner Gemeinde
erwarb. Dazu kam denn noch seine große Uneigennützigkeit und der
fast unwillkürliche Trieb, überall und Allen zu helfen, wo er
angespro-
1863/4 - 173
1863/4 - 174
chen wurde, was so weit ging, daß er seine
Sporteln nicht bei sich behalten durfte, weil er sonst veranlaßt
wurde, Alles wegzugeben, obwohl er bei zahlreicher Familie seiner
Einnahme sehr bedürftig war. Es konnte nicht fehlen, daß bei einem
solchen Charakter das Verhältniß zu seinem Collegen nicht getrübt
wurde, obwohl es ihn schmerzte, daß er in Hinsicht der
Bibelgesellschaft und der Missionssache keine Unterstützung bei ihm
fand. Nicht aber blos als Prediger und Seelsorger, auch in den
andern Obliegenheiten seines Amts bewies er seine ausgezeichneten
Fähigkeiten. Er scheute keine Mühe und Nachfragen, um sich die
gehörige Kenntniß der Verhältnisse zu verschaffen, verwaltete die
Geschäfte als Director des Armencollegiums und des Schulcollegiums
mit der größten Genauigkeit und Umsicht, und zeigte dabei auch bald
eine practische Anlage und Tüchtigkeit, die ihn für eine höhere
Stellung auch in dieser Hinsicht als qualificirt bezeichnete.
So lebte und wirkte Catenhusen viertehalb Jahre in der Uetersener
Gemeinde, und hatte sich in dieser Zeit so innig in dieselbe
hineingelebt, daß eine Trennung von derselben nicht möglich schien.
Wie innig dieses Verhältniß war, darüber ließen sich viele rührende
Beispiele anführen; wir wollen nur das von einem alten, nicht
unbegüterten Bauern nennen, welcher, als er durch Andre erfahren,
daß Catenhusen fortgehen werde, und daß dieses deshalb geschehe,
weil seine Einnahme in Uetersen so gering sei, ihn auf die
bescheidenste und feinste Weise bat, er möge es doch nicht
verschmähen, von ihm eine Summe Geldes anzunehmen, wenn er sie
bedürfe, was Catenhusen aber auf seine uneigennützige Weise
ablehnte.
Catenhusen hat lange und viel mit sich gekämpft, ob er die ihm
angetragene Superintendentur in Ratzeburg annehmen solle. Es
widerstand ihm auf der einen Seite, seine zweite ihm so lieb
gewordene Gemeinde nach so kurzer Zeit wieder
1863/4 - 174
1863/4 - 175
zu verlassen, auf der anderen Seite war er nach
seiner Bescheidenheit zweifelhaft, ob er im Stande sei, diese Stelle
zu bekleiden. Die Verbesserung seiner Einnahme und die größere
Ehrenstellung konnten nach seiner Gesinnung auf ihn keinen Einfluß
ausüben. Schließlich mußte er es aber als den Willen Gottes
anerkennen, dem Rufe zu folgen. Als dieses in der Uetersener
Gemeinde bekannt wurde, entstand allgemeine Trauer. Es wurden
Versammlungen gehalten und eine Deputation von zehn Vorstehern der
Gemeinde an ihn abgesandt, um ihn zu bitten, in Uetersen zu bleiben,
mit dem Anerbieten, die Einnahme des Pastorats um 600
zu erhöhen. Als dieses aber nicht gelingen konnte, entstand der
Wunsch in der Gemeinde, dem geliebten scheidenden Prediger noch ein
Zeichen ihrer Liebe und ihres Andenkens zu verehren. Mehrere
Gemeindeglieder brachten unter sich eine Summe von 400
zusammen, wofür in Hamburg ein Schreibtisch mit Sessel und
Schreibutensilien gekauft und solches Catenhusen nach Ratzeburg
nachgesandt wurde. Am 25. Sept. 1834
machte Catenhusen dem Patronate die Anzeige, daß er zur Lauenburger
Superintendentur berufen sei, daß er am 20. Sonntag
nach Trin. in Ratzeburg introducirt werden solle und am 19.
Trin. in Uetersen seine Abschiedspredigt halten werde. *) In dieser
Anzeige sagt er: Die Zeit seiner hiesigen Amtsführung sei eine
kurze, aber unvergeßliche, das Gedächtniß derselben werde
unaustilgbar in seiner Seele leben und die Erinnerung daran in
seinem Herzen nie untergehn. "Was ich," fügt er hinzu, "als ich
hierher kam, von meiner lieben Gemeinde in Lauenburg mitnahm, das
darf ich, nun ich von hier gehe, hoffen auch von meiner lieben
Gemeinde in Uetersen mitzunehmen: die
____________________
*) Er predigte über Apostelgesch. 20, 16-38: Mein
letztes Wort an dieser Stätte, ein Wort der Rechenschaft, des
Dankes, der Bitte.
1863/4 - 175
1863/4 - 176
wehmüthige und doch so beglückende Gewißheit, daß
mein Gedächtniß im Segen unter ihr bleiben werde." Und das ist auch
in vollem Maße geschehen, selbst bis auf den heutigen Tag."
____________________
So weit die Mitteilungen meines geehrten
Berichterstatters, die eben so ehrenvoll für den, den sie betreffen,
als für ihn selbst sind und für welche alle Freunde Catenhusen's ihm
mit mir herzlich Dank wissen werden. Ich füge denselben nun noch
Auszüge aus des Letzteren Briefen an seinen Freund hinzu, die es uns
zeigen, wie schwer ihm die Entscheidung wurde, die angebotene
Superintendentur anzunehmen, und wie er darnach rang, des Willens
seines Gottes gewiß zu werden. Sich in Allem von der Hand des Herrn
führen zu lassen, sich von ihm, wie er sich oft ausdrückte, schieben
zu lassen, das war ihm je und je seines Lebens Aufgabe, und erst
dann fand er Ruhe, wenn es ihm klar geworden, daß nicht Menschen-,
sondern Gottes Hand ihn so und so geführt. Aber dann fand er sie
auch, oft nicht ohne schweren Kampf, und mit ihr auch Freudigkeit
und Muth, auf dem ihm gewiesenen Wege fortzuschreiten.
"Ich habe eine für mich äußerst wichtige Sache im Vertrauen mit Dir
zu besprechen und zu berathen. Schon seit längerer Zeit hat sich ein
Gerücht verbreitet und ist auch bis hieher zu mir gedrungen, daß man
bei der Wiederbesetzung der erledigten Superintendentur in Ratzeburg
auf mich Rücksicht nehme und daß mir deshalb ein Antrag geschehen
würde. Ich ließ aber Gerücht Gerücht sein, ohne nur von ferne zu
ahnen, daß etwas dahinterstecken könnte. Nun aber rückt mir die
Sache auf den Leib und zwar ganz unerwartet, und hat mich darum
erschreckt und beunruhigt, denn ich habe nicht im mindesten daran
gedacht, und es geschieht mir dabei ungefähr, wie dem Saul
1863/4 - 176
1863/4 - 177
hinter seinen Eseln, so kommt mir die Sache über
den Kopf. Weil aber Gottes Wege wunderbar sind, und er nicht immer
den ältesten Sohn Isai's, sondern mitunter den jüngsten wählt, so
bin ich zaghaft geworden, die Sache abzulehnen, wie ich anfangs
wollte, weil mehr als Menschenrath dahinter stecken könnte. - Es
schwebt mir das Wort vor Augen, daß ein Prophet nirgends weniger als
in seinem Vaterlande gilt. Hier bin ich nun mit meiner großen
Gemeinde - sie zählt 5000 Seelen - durch meinen
dreijährigen Aufenthalt bekannt; die Gemeinde hat mich lieb, sie
besucht die Kirche fleißig, und als im Winter sich ein wiewohl
leeres Gerücht verbreitete, daß man mich bei St. Petri in Hamburg
zur Wahl ziehen würde, hatte sie geäußert, daß sie mich nicht fahren
lassen würde, und Flecken und Landgemeinde hatten sich in der Stille
verbündet, mir eintretenden Falles eine bedeutende Zulage zu bieten.
Ich lebe hier also mit meiner Gemeinde in den glücklichsten
Verhältnissen. Gott hat mich wiederum mit ihrer Liebe gesegnet, und
ich stehe mit den Uetersenern, wie früher mit den Lauenburgern, und
solche Verhältnisse aufzugeben, ist schwer, sehr schwer, wenn man
vielleicht in andere schreitet, die kalt sind und kalt bleiben! Ich
bin in dieser Art verwöhnt! Ich würde schwermüthig werden, wenn ich
in einer Gemeinde ohne Liebe leben müßte, und dieser Punct ist's
gerade, der mich fast bestimmt, den Antrag abzulehnen, wenn nicht
das Patronat und die Gemeinde in Ratzeburg von Herzen und mit Liebe
mich aufnehmen. Hier wurde ich mit überwiegender Stimmenmehrheit
GEWÄHLT, und in der WAHL sprach die Gemeinde ihre Liebe und ihr
Vertrauen aus. In Ratzeburg werde ich nicht gewählt, sondern
GESETZT, und man kann einer Gemeinde zum Verdrusse gesetzt werden. -
- Wenn ich die Sache ansehe, wie sie sich mir gestaltet, und
bedenke, was ich auf mich nehmen soll, welche Verpflichtungen und
Arbeiten, so möchte ich
1863/4 - 177
1863/4 - 178
im Gefühl meiner Untüchtigkeit wohl zurückbeben
und Nein! sagen. Und dazu habe ich menschlicher Weise die größte
Neigung! Nur wenn ich Gottes Willen deutlich erkenne, nur dann werde
ich mich, wiewohl mit Furcht und Zittern, entschließen können, Ja!
zu sagen. - - Ich lebe hier zufrieden und glücklich, und wenn ich
nicht Gottes Finger und Leitung wahrnähme, so wüßte ich, was ich
nach meinen menschlichen Gedanken, die ich aber Gottes Gedanken in
Demuth unterwerfe, thun würde. - Bereits am Dienstag Abend hatte ich
zurückgeschrieben, daß ich die Sache in Gottes Hand legen wolle. Ich
konnte nicht länger mit der Antwort warten. Nun aber erhebt sich ein
neuer Sturm. Meine liebe Gemeinde, die von Pinneberg Kunde über
diese Angelegenheit erhalten hatte, will mich nicht los- und fahren
lassen. Sie hat mir heut eine Deputation geschickt und mich bitten
und beschwören lassen, nicht von ihr zu gehn. Sie hat mir
vorgestellt, daß sie mich doch, als einen Fremdling, mit so großer
Zuvorkommenheit und Liebe erwählt und aufgenommen habe, daß sie mir
so viele Beweise ihrer Liebe und ihres Vertrauens gegeben, daß ich
sie in der wichtigsten Angelegenheit ihres Lebens, in der Sorge für
ihr Seelenheil, verlassen würde, wenn ich von ihr ginge; daß sie zu
Allem erbötig sei, was ich wünsche und verlange, daß sie meine
Stelle verbessern wolle. Und wie ich höre geht sie damit um, ein
Capital von 6000 Reichsthalern für mich
zusammenzubringen, von dem ich und meine Frau, so lange ich oder sie
leben würden, die Zinsen genießen sollen. O welche Bürden häuft
diese Zeit mir aufs Herz! Ich weine täglich und bin wankend und
schwankend, und diese Tage sind die schwersten meines Lebens. Möchte
ich doch zur Ruhe kommen! - Ich bin ängstlich, einen solchen Posten
mit solchen Obliegenheiten anzutreten, und möchte gar zu gern gewiß
werden, daß in dieser Angelegenheit solche Personen möchten
1863/4 - 178
1863/4 - 179
zu Rathe gezogen sein, die mich kennen und ein
competentes Urtheil abgeben können, daß und ob ich tüchtig bin oder
nicht! - Du schreibst mir so viel Tröstliches, so Vieles, was in
meiner jetzigen Lage mir wohlthut, und mich bei den wehmüthigen
Gefühlen, die täglich in mir angeregt werden, erquicken kann, daß
ich dir nicht genug dafür danken kann. Und wahrlich,
Freundeszuspruch thut mir Noth in meiner jetzigen Lage, wo mich so
vieles bestürmt, so vieles bedrängt. Mir ist das Herz so schwer,
wenn ich auf den Wechsel der Verhältnisse blicke, der mir
bevorsteht. Ist es Blödigkeit des Fleisches, oder ist es der
Eintritt in einen so weiten und wichtigen Wirkungskreis, der mich
bewegt, kurz ich bin und werde noch manchmal voll Zweifel, ob ich
der rechte Mann zu diesem Amte bin. Wenn ich namentlich daran denke,
welch eine Liebe und welch einen Ernst, welch eine Geduld und welch
eine Energie, welche Besonnenheit und welche Entschlossenheit es
erfordern wird, Auswüchse im kirchlichen Wesen und Leben, die nicht
bestehen dürfen, allmälig zu tilgen und auszurotten, so fühle ich
ganz die Schwere des Berufs und die mannigfaltigen Kämpfe, die nicht
ausbleiben werden und können, und welche zu sehr gegen die stille,
ruhige Wirksamkeit abstechen, an die ich gewöhnt bin. - Ich habe ja
die Sache in Gottes Hand gelegt, so mag Gott sie auch weiter
ausführen und leiten. Ich komme nicht in Uebermuth und aus
Eitelkeit, sondern mit Furcht und Zittern. Gott sei stark in meiner
Schwachheit und helfe mir! - Ach, möchte mich Gottes Gnade und Segen
wie bisher so auch in meine neuen Amtsverhältnisse hinübergeleiten!
Mein Herz ist hier von dem Schmerz der Trennung ganz erfüllt und
gebrochen. Gestern war trotz des schlechten Wetters die Kirche so
voll, so voll - und wie wird es erst am nächsten Sonntage (dem Tage
der Abschiedspredigt) werden! - Ach, möchte Gott mir einen
fröhlichen Anfang und gesegneten Fortgang in Ratzeburg geben!"
1863/4 - 179
1863/4 - 180
So schrieb Catenhusen zu der Zeit an seinen
Freund; der letzte Brief ist vom 29. Septbr.
1834. Wir sehen ihm hier tief ins Herz: seine Liebe zur
Gemeinde, seine Demuth im Urtheil über sich selbst, sein ängstliches
Suchen, des göttlichen Willens gewiß zu werden. Wir sehen aber auch,
wie er die Größe der ihm gewordnen Aufgaben nicht unterschätzte und
sich nicht verhehlte, welche Kämpfe ihm bevorstehen dürften, und daß
es mit seinem pfarramtlichen Stillleben auf immer dahin sein werde.
Gerade dieses mußte seinem weichen Herzen besonders schmerzlich
sein. Wir erkennen aber auch hier die Hand der göttlichen Führung.
Bei manchfachem Kreuz, von welchem auch er nicht verschont geblieben
war, hatte Catenhusen bisher doch das eigentliche Amtskreuz wenig
oder gar nicht erfahren. Ueberall war ihm Liebe entgegengekommen und
hatte er Liebe gefunden, und er konnte sich's gar nicht denken, ohne
diese Liebe im Amte zu stehen. Das mußte er auch noch lernen und hat
es auch gelernt in den oft schweren Kämpfen, denen er jetzt
entgegenging. Vor Allem aber erkennen wir es hier, daß er sich nicht
selbst in das hohe Amt gedrängt, das Haupt einer ganzen Landeskirche
zu sein, daß er vielmehr nur mit Widerstreben dem an ihn ergangenen
Rufe gefolgt, bis er sich deß gewiß geworden, er sei von Gott, und
daß, wenn irgend Einer, er von dem Herrn in dieses Amt gesetzet
ward. Diese Gewißheit war der feste Grund, auf dem er hinfort mit
seiner ganzen Wirksamkeit stand, und sie war's, die ihn fest und
unerschütterlich machte, wo es nach seiner Ueberzeugung die Eine
große Hauptsache galt, während er, wo es seine Person und wo es die
Liebe galt, nur zu gerne nachgab. Diese Gewißheit aber war seinem
liebebedürftigen Herzen darum auch ein reicher Trost, wenn er später
vielfach mißverstanden und verkannt wurde - fiel sie ihm doch
zusammen mit der Gewißheit seines persönlichen Glaubens, daß er wohl
mit dem
1863/4 - 180
1863/4 - 181
Apostel sagen konnte, und nicht nur wie bisher
als Diener Einer Gemeinde, sondern vieler Gemeinden: dafür halte uns
Jedermann, nämlich für Christi Diener - mir aber ist's ein Geringes,
daß ich von Euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage! -
Und so, als von Gott ihnen zugeführt, sahen ihn auch Viele, Viele in
seiner Heimath an, so daß, was sein Freund ihm schrieb, gewiß die
Sprache Vieler war: "Am vorigen Freitag, so heißt es in einem Briefe
vom 25. August, ist hier die Nachricht eingelaufen,
daß Deine Ernennung zum Superintendenten verfügt sei. Gewiß wirst Du
auch jetzt schon die Nachricht haben. Ich aber schreibe
hauptsächlich, weil ich nicht anders kann, als mit Dir Gott danken,
Dir Segen von Gott für diesen schweren Beruf wünschen und
Erleichterung der hohen damit verbundenen Verantwortung um seines
Sohnes willen in seinem Gericht. Ja, er selbst, der treue Gott,
mache Dich stark, um seines Namens willen durch Alles hindurch zu
dringen, wohin er mit Dir gehn will, und eine Sache auszuführen, die
in seinem Namen und nicht nach Menschenwillen und menschlicher
Eitelkeit unternommen ist! Wie viele Herzen sind nicht hier, die
diesen Tag gesegnet haben! Du solltest es nur wissen, wie man sich
gegenseitig die Nachricht mittheilte, wie man sich Glück wünschte,
einer dem Andern seine Freude bezeugte! O wie viele Hoffnungen sind
auf Dich gerichtet!"
Und, dem Herrn sei dafür allein die Ehre, diese Hoffnungen sind
nicht unerfüllt geblieben.
____________________
1863/4 - 181
1863/4 - 182
4. Die kampf- und segensreiche
Zeit des letzten Amtes. (1834-1853.)
Indem ich jetzt Catenhusen's letzte Lebensperiode
und seine Wirksamkeit in seinem letzten Amte darzustellen habe, ist
es sein Superintendentenamt, welches ich hauptsächlich ins Auge
fasse. Deshalb habe ich, was sein Predigtamt und auch sein letztes
betrifft, größtentheils schon vorweggenommen, und manche
Anticipation hat darin ihren Grund. Es ist nicht sowohl der Pastor,
als der Superintendent Catenhusen, den ich zeichnen will, und den
ich in dem, was er als solcher für die Lauenburgische Kirche
gewirkt, ihrem dankbaren Gedächtniß eindrücken möchte. Wenn ich nun
so glücklich war, den größten Theil dieser seiner letzten Lebenszeit
ihm persönlich nahe zu stehen, wie kein andrer seiner Amtsbrüder
außer seinem vielgeliebten Jugendfreunde, so darf ich meine
Darstellung um so getroster beginnen, als ich mehr als Andre
Dolmetscher seiner Gedanken sein kann; ich verkenne aber auch nicht
die in dieser Lebensperiode sich gerade mir darbietende
Schwierigkeit rein objectiver Darstellung, und das um so weniger,
als ihr Inhalt in die Gegenwart herein greift. Möchte denn der
geneigte Leser mein Streben nach unparteiischer Berichterstattung
nicht verkennen!
Am 12. October, den 21. Sonntag nach
Trin. 1834 war es, als Catenhusen in der St.
Petrikirche zu Ratzeburg von dem Consistorialassessor Wagner zu
Schwarzenbeck eingeführt und der Gemeinde vorgestellt wurde, nachdem
er über 2. Cor. 3, 4-6 gepredigt hatte,
in welcher Predigt er das evangelische Lehramt als ein schweres, ein
von Gott begnadigtes und ein segensreiches Amt darstellte. Diese mir
vorliegende Predigt, mit der er sein Predigtamt in Ratzeburg begann,
welches er nach Gottes Rathschluß 18 1/2 Jahre lang
dort geführt hat,
1863/4 - 182
1863/4 - 183
zeigt uns ihn in aller Hinsicht schon so, wie er
oben als Prediger gezeichnet worden, und so hat er bis ans Ende in
aller Treue, jede seiner Predigten bis aufs Wort concipirend, mit
großem Ernst und dem ernstlichsten Fleiß sein Predigtamt verwaltet.
Ganz Ratzeburg weiß es und wird es nicht vergessen, was es an ihm
als Prediger und an seinen Predigten gehabt hat. Er hatte auch eine
stets volle Kirche bis in die acht und vierziger Jahre hinein, wo
auch er die allgemeine Erfahrung machen mußte, und das um so mehr,
als er es mit Recht für die Aufgabe der Predigt hielt, die
Zeitverhältnisse aus und mit Gottes Wort zu beleuchten und die
Zeitsünden zu strafen. Darum trat er ohne Scheu und unbeirrt durch
die Stimmen und Stimmungen jener irrthumsvollen Tage auch auf der
Kanzel für die Sache christlicher Ordnung mit Entschiedenheit ein,
und als Alles einzustürzen drohte, stand er auch als Prediger des
Evangeliums, Vielen zum Trost und Halt, fest und unerschüttert da.
Ratzeburg wird ihn, den treuen Prediger, nicht vergessen, und
ebensowenig den treuen, gewissenhaften Lehrer der Kinder im
Confirmationsunterricht, ebensowenig den treuen, liebevollen und
gesegneten Beichtvater und Seelsorger. Die Grundsätze, die er in
dieser Zeit über die Behandlung der Kranken ausgesprochen und die
wir oben mitgetheilt, übte er selbst mit hoher christlicher Weisheit
und mit treuem Fleiße, und wenn es ihm schmerzlich war, bei den
vielen Arbeiten seiner Superintendentur so wenig Zeit zur
eigentlichen Seelsorge gewinnen zu können, so müssen wir um so mehr
das anerkennen, was er doch für sie und in ihr that. Gerade als
Seelsorger und Tröster aller Leidenden wird er der Ratzeburger
Gemeinde im dankbaren Gedächtniß bleiben, und es ist das auch ein
Zeugniß ihrer dankbaren Liebe noch für künftige Zeiten, wenn auf dem
von ihr auf seinem Grabe errichteten Kreuze die Worte stehn: die
dankbare Gemeinde.
1863/4 - 183
1863/4 - 184
Doch, wie gesagt, nicht den Prediger, sondern den
Superintendenten Catenhusen habe ich jetzt zu zeichnen. Mit schwerem
Herzen folgte er ja darum dem Rufe nach Ratzeburg, weil der
Schwerpunkt seines dortigen Amtes die Superintendentur war. Und
allerdings waren die damaligen kirchlichen Verhältnisse der Art, daß
sie die Uebernahme eines solchen Amtes nicht leicht erscheinen
lassen konnten. Werfen wir auf die Verhältnisse einen Rückblick!
Wie stand es mit den kirchlichen Verhältnissen damals, in dem Anfang
der dreißiger Jahre, im Allgemeinen? Der alte Rationalismus war
immer noch eine Macht, und das nicht bloß im Volksleben, dessen
verschiedene Schichten er ja je länger desto mehr durchdrungen hat.
Noch war er nicht durch seine eignen Consequenzen wissenschaftlich
so gerichtet, wie er es jetzt ist, und thatsächlich war noch nicht
vor aller Welt seine Schande so bloß gelegt, wie die
Revolutionsjahre sie bloß gelegt haben. Er hatte so zu sagen noch
immer etwas Ehrbares, daß er sich in anständiger Gesellschaft nicht
bloß sehen lassen, sondern das große Wort führen konnte. Dagegen
galt das evangelische Bekenntniß als das spezifisch christliche noch
als ein Eindringling, dem das Recht der Existenz abgesprochen wurde.
Wer jene Zeit mit Bewußtsein durchlebt, der weiß das aus eigner
Erfahrung. Mit den Bannwörtern Mystizismus, Orthodoxie wies man den
alten Glauben ab, ohne sich bei jenen irgend etwas Bestimmtes zu
denken. Und war im Allgemeinen für das Christliche noch wenig
Verständniß, so noch weniger für das eigentlich Kirchliche, dieses
aber auch in den eigentlich christlichen und gläubigen Kreisen; gar
anders als jetzt, da man von kirchlichen Leuten, kirchlichen
Grundsätzen spricht, die man damals nur christliche nannte.
Allerdings fing damals in dieser Beziehung schon ein Umschwung an,
der auch auf weitere Kreise einwirkte. Die Un-
1863/4 - 184
1863/4 - 185
geheuerlichkeiten der „milden und toleranten“
preußischen Union an den schlesischen Lutheranern riefen das
Bekenntniß der lutherischen Kirche vielfach wieder ins Gedächtniß.
daß Männer wie Steffens "wieder Lutheraner wurden." Und in noch
weiteren Kreisen erwachte und weckte wieder der mehr und mehr sich
lebendig zeigende Eifer für die Mission, zunächst von Basel aus
angeregt, dem alten Rationalismus etwas ganz Unbegreifliches. Und so
war auch ein Fortschritt gegen die oben geschilderte Zeit von
1816, wie im Allgemeinen, allerdings auch in unserem Lande
nicht zu verkennen. Konnte doch die Wirksamkeit der obgedachten
Männer, eines Claudius, Zurhelle, und auch die vieljährige Arbeit
Catenhusen's nicht fruchtlos für das ganze Land geblieben sein, und
fanden sich doch unter den jüngeren Predigern auch Einzelne, die
jenen sich anschlossen. Gleichwohl aber war das evangelische Zeugniß
auf der Kanzel auch bei uns damals noch eine Seltenheit. Es galt
immer noch als eine Singularität. Alle aber, die sich dem alten
Glauben wieder zugewandt, freuten sich über Catenhusen's Erwählung
und sahen in ihr den Anfang einer neuen Zeit.
Und so dürfen auch wir sie ansehen. Wer eine Kirchengeschichte
Lauenburgs schreiben will, der muß mit ihr eine neue Periode
beginnen. Durch seinen Eintritt in die Superintendentur sollte er
dem ganzen Lande das in noch größerem Maße werden, was er seinen
beiden früheren Gemeinden gewesen war. Er war sich selbst seiner
Aufgabe wohl bewußt und darum lag sie ihm so schwer auf seinem
Gewissen. Er kannte recht gut den kirchlichen Zustand unseres
Landes, und wußte, was ihm fehlte und Noth that. Er wußte aber auch,
was unsere Landeskirche noch hatte und daß es darauf ankomme,
derselben wieder zum Bewußtsein und zum wirklichen Besitz desselben
zu verhelfen. Unsere Landeskirche hatte noch ihre alte treffliche
Kirchenordnung, die s. g. Niedersächsische v. J. 1585,
allge-
1863/4 - 185
1863/4 - 186
mein als eine der besten aus der Reformationszeit
anerkannt. "Niemals ausdrücklich - ich laß hier den Nekrolog reden -
als rechtliche Grundlage unserer Kirche beseitigt, galt sie doch als
antiquirt und hatte bei Behörden, Geistlichkeit und Volk ihre
Auctorität verloren, die Meisten kannten sie nicht einmal. Zwar
äußere Einrichtungen und Gebräuche erinnerten noch an ihre Geltung,
aber die Hauptsache, Aufrechthaltung des Bekenntnisses und der
reinen Lehre, war zur Nebensache geworden, das Consistorium selbst
hatte, wie damals überall die Consistorien, mehr oder weniger das
Bewußtsein verloren, daß es auf der Kirchenordnung ruhe und eine von
weltlichen Behörden spezifisch verschiedene geistliche Stellung
einnähme. Und das ist nun das große bleibende Verdienst
Catenhusen's, daß er zunächst dem weltlichen Regimente gegenüber die
Kirchenordnung wieder zur bewußten faktischen Geltung gebracht, daß
er unserer Kirche und ihrer geistlichen Oberbehörde, dem
Consistorium, die Freiheit und Selbstständigkeit wieder gewonnen
hat, die ihr nach der Kirchenordnung zukommt. Hand in Hand hiermit
ging bei ihm aber das Streben, sie auch nach Innen zur Geltung zu
bringen; unerschütterlich bestand er darauf, daß Alles nach ihr in
Kirchen und Schulen gehalten werden solle."
Was nun zunächst unsre auf der Kirchenordnung ruhende kirchliche
Verfassung betrifft, so ließ Catenhusen es sogleich beim Antritt
seines Amts sich angelegen sein, sie selbst und unsre gesammte
kirchliche Gesetzgebung auf das Gründlichste und Genaueste kennen zu
lernen - war er doch als Superintendent Mitglied und erstes
geistliches Mitglied des Kirchenregiments. Und das mußte ihm Jeder,
auch jeder eigentliche Rechtskundige bezeugen, daß er auf diesem
Gebiete nicht weniger als auf dem eigentlich theologischen zu Hause
war. Er hatte aber auch eine juristische Ader und einen juristischen
Blick, daß er
1863/4 - 186
1863/4 - 187
in den schwierigsten Fällen alsbald das Richtige
zu treffen wußte. Legte ein Freund ihm doch noch in den letzten
Tagen seiner Krankheit, da er an wenig mehr Theil nehmen konnte und
meist stillschlummernd in seinem Bette lag, einen Fall vor, ihn um
ein bloßes Ja oder Nein bittend, was er denn auch in richtiger
Entscheidung gab. Es ist wohl kein Prediger, der seiner Zeit nicht
gar oft bei ihm sich Rath erholt und allemal den rechten und allein
zutreffenden von ihm empfangen, und das gewöhnlich in ausführlichen
Schreiben. Solcher Superintendenturschreiben zählt z. B. die Möllner
Pfarr-Registratur eine große Menge, und sie dürfen als ein Schatz
derselben angesehen werden. Wie aber unsre Kirchenordnung, so war
ihm auch unsre auf ihr ruhende kirchliche Verfassung lieb und
theuer. War sie ihm doch eine Bürgschaft für die eine große
Hauptsache, die er immer im Auge hatte, für die Predigt des reinen
Bekenntnisses unsrer Kirche, und bewährte sie sich ihm doch in
schweren Verhältnissen, namentlich in den Umsturzjahren als eine in
und auf Gottes Wort ruhende. Und im Lichte dieser Ordnung und
Verfassung sah er denn auch unser Land an und, mehr als manch Andrer
den Abstand der Wirklichkeit von dem in ihr gesteckten Ziele wohl
erkennend, hing er mit einer Vorliebe an "unserem Lande," die
Manchem wohl oft zu groß erschien, aber doch ihren eben so gerechten
als natürlichen Grund hatte. Und ich meine, wir haben auch wohl
Ursache, für das, was wir haben und durch Gottes Gnade behalten
haben, Gott zu danken im Hinblick auf die trostlosen Zustände andrer
Landeskirchen, die ihre alten Ordnungen und Verfassungen längst über
Bord geworfen und nun ohne alle kirchliche Ordnung oder mit ihren
kläglichen modernen Machwerken willenlos von einem religionslosen
und widerchristlichen Staat geknechtet werden. Daß es aber bei uns
noch so steht, wie es steht, daß unsre kirchliche Verfassung
1863/4 - 187
1863/4 - 188
die Sturmzeit der Revolution bestanden, daß heut
noch unsre Kirchenordnung und darum Gottes Wort bei uns die höchste
Instanz ist in allen kirchlichen Dingen, das verdanken wir vor Allen
Catenhusen, der in jener Zeit keinen Finger breit nachgab, als der
religionslose Staat mit großen Concessionen und glänzenden
Anerbietungen ihm entgegentrat. "Aber wir verdanken es auch," so
bekennen wir mit dem Nekrologe, "der väterlichen Weisheit und
Gerechtigkeit unsres Königshauses, wenn dieses Streben Catenhusen's
mit Erfolg gekrönt wurde, und wenn auch in späterer Zeit bei
Aenderung der staatlichen Dinge die Regierung dem Drängen nach
Aenderung der kirchlichen Verhältnisse zur Freude aller Freunde der
Kirche nicht nachgegeben hat." Das aber sei uns Allen eine ernste
Aufforderung, zu halten, was wir haben, und keinen Fußbreit des
sicheren Besitzes fahren zu lassen. Catenhusen wußte es und lernte
es immer besser, was wir an unserer Kirchenordnung haben. Und das
erkannten auch Andere. Im Jahre 1843 theilte er einer
theologischen Conferenz in Dresden, die sich dem Missionsfeste
anschloß, in einem längeren Vortrage die Grundzüge unserer
kirchlichen Verfassung mit, und es war nur Eine Stimme der
Anerkennung, die laut ward. Er ging auch damit um, unsre
Kirchenordnung, die nur in wenigen Exemplaren, welche den einzelnen
Kirchen gehören, noch vorhanden ist, wieder abdrucken zu lassen,
hatte auch schon die Einrichtungen dazu getroffen, als das Jahr
1848 kam. Ein Wiederabdruck dürfte aber wohl zu wünschen
sein, damit auch unsre Gemeinden erfahren, was sie daran besitzen.
Was nun ferner sein Bestreben betrifft, die Kirchenordnung nach
Innen zur Geltung zu bringen, so ist es lehrreich, dasselbe von dem
Anfange seines Amts bis an sein Ende zu verfolgen. Immer und immer
blieb das Eine ihm die große Hauptsache, daß Gottes Wort, und nur
Gottes Wort, nach dem Bekennt-
1863/4 - 188
1863/4 - 189
niß unsrer lutherischen Kirche in Kirche und
Schule lauter und rein gelehret werde, denn darin allein sah er mit
Recht die Bedingung alles Heils. Die Kirchenordnung war ihm nicht
Selbstzweck, sondern nur Mittel, diese Eine Hauptsache zu erreichen,
und er war fern davon, sie oder irgend welche menschliche Ordnung zu
einem papiernen Papst zu machen. Gottes Wort allein stand ihm über
Allem - und nur weil sie auf ihm ruhte, war sie ihm die feste Norm
beim Ausbau unsrer Kirche, wie ihm ja darum auch unser Bekenntniß
nur Wahrheit war, weil er das Wort der Wahrheit in ihm fand. Und
darum haben ihn in späteren Jahren alle die wenig verstanden und gar
nicht gekannt, die bei seinem ernsten Dringen auf Halten unseres
lutherischen Bekenntnisses ihn einer Hyperorthodoxie und eines
Hyperlutheranismus beschuldigten, wie er ja freilich wohl sich
findet, aber bei und in ihm sich niemals fand. War ihm aber jenes
Eine immer die Hauptsache, daß Gottes Wort gelehret werde und durch
dasselbe wieder lebendiger Glaube in die Herzen komme, so leitete
ihn diese Eine Hauptsache auch in Allem, was er bei dem Wiederaufbau
kirchlicher Ordnung erstrebte. So in Betreff der Liturgie, der Form
des öffentlichen Gottesdienstes. Wir können es ja nicht in Abrede
stellen, daß unsre Gottesdienste darin einen Mangel haben, denn die
ursprüngliche, in der Kirchenordnung gegebene Liturgie ist längst
nicht mehr die unsrige, und auch wie sie später gesetzlich verändert
wurde (in der s. g. Verbesserung des öffentlichen Gottesdienstes v.
J. 1770, welche bekanntlich auch unsre Vorlesungen
einführte), findet sie sich lange nicht in allen Kirchen unsres
Landes. Diese s. g. Verbesserung hat aber so manche Schwächen der
damaligen Zeit, daß eine möglichste Rückkehr zu der ursprünglichen
Ordnung wohl zu wünschen wäre. Vor Allem aber ist es doch mißlich,
wenn in unsrem Lande die Gottesdienstordnung kaum in zwei Gemein-
1863/4 - 189
1863/4 - 190
den eine ganz gleichmäßige ist, und auch in der
Form der einzelnen heiligen Handlungen bei aller Uebereinstimmung im
Wesentlichen sich die mannichfaltigsten Verschiedenheiten finden. Es
wäre also wohl gut, wenn eine gleichmäßige Form sich überall fände
und wenn überall zu der ursprünglich gegebnen zurückgekehrt würde.
Das Alles erkannte und wußte auch Niemand besser, als Catenhusen.
Aber doch legte er auf die liturgische Form nur einen
untergeordneten Werth, und konnte es nicht billigen, wenn auf sie
ein zu einseitiger Werth und Nachdruck gelegt wurde, wie das in
etlichen anderen Landeskirchen geschah. Ihm konnte es nicht
entgehen, daß mit der correctesten Liturgie der Gemeinde so gut wie
gar nicht gedient werde, so lange es ihr an der Hauptsache, dem
lebendigen Glauben, fehlt, von welchem jene der Ausdruck sein soll,
und daß überhaupt mit solch äußerem Werk die Gemeinde nicht erbaut
und gebaut werden könne. „Sie fangen den Kirchenbau beim Dache an,"
meinte er, als das Kirchenregiment einer anderen lutherischen
Landeskirche die liturgische Wiederherstellung mit einem Eifer
betrieb, als hinge Alles davon ab. Catenhusen war und blieb das die
Eine große Hauptsache, daß Gottes Wort lauter und rein und mit
Beweisung des Geistes und der Kraft wieder gepredigt werde; dann,
das war seine Ueberzeugung, werde auch alles Andre und auch die
angemessene Form sich von selbst wieder finden. Und so ist es auch
schon hie und da geschehen, und so wird es immer mehr geschehen, je
mehr die Gemeinden erst wieder in den Glauben hinein wachsen.
Und in derselben ächt evangelischen Weise beurtheilte er die
Wiederherstellung der Kirchendisciplin und die Handhabung der
öffentlichen Kirchenbuße. Es sind ja in unserm Lande von ihr noch
Ueberreste vorhanden, wie wohl in wenigen anderen lutherischen
Landeskirchen. Waren und sind das auch nur Ueber-
1863/4 - 190
1863/4 - 191
reste, und finden sie sich auch nicht einmal in
allen Gemeinden, namentlich nicht in den Stadtgemeinden, so
verkannte Catenhusen doch nicht ihren Werth und ihren Segen, und es
war sein Bestreben, sie dort wo sie sich fanden zu conserviren, nach
dem Worte: Verderbe es nicht, es ist ein Segen darin. Aber er
erkannte es auch, daß eine plötzliche Repristination der alten
Kirchendisciplin eine Unmöglichkeit sei und "daß man sie in ihrer
ganzen Strenge den Gemeinden in jetziger Zeit, wo sie keineswegs zur
Erbauung und Förderung dienen würde, nicht aufdringen, sondern in
geduldiger Hoffnung zu Gott warten müsse, bis die Gemeinden durch
neues Glaubensleben wieder zum christlichen Mannesalter gereift
wären. Denn nicht aus äußeren Mitteln und Institutionen, sondern
allein aus dem Worte Gottes erwartete er Heilung unsrer Schäden und
bessere Zeiten für die Kirche." Dahingegen war es sein Wunsch, daß
eine Kirchendisciplin sich in den einzelnen Gemeinden, namentlich in
denen, wo sie ganz hingefallen, in einer ihnen entsprechenden Weise
wieder anbahne, und wie er gleich Anfangs den Vorsatz hatte, eine
solche für die Städte auf Grund unsrer Kirchenordnung zu entwerfen,
zu dessen Ausführung er aber nicht gekommen, weil noch wichtigere
Pflichten ihn in Anspruch nahmen, so sah er es gern, wenn z. B. in
der Gemeinde zu Möllen sich im Laufe der Jahre die Kirchendisciplin
wieder anbahnte. Als daher die dortigen Prediger im März des Jahres
1853 zum Berichte darüber aufgefordert wurden und für
die von ihnen geübte Praxis die Bestätigung des Consistoriums
erbaten, da antwortete dasselbe - es war das letzte Reskript an sie,
an dem Catenhusen Theil nahm - daß es mit ihnen einverstanden sei,
eine rechte und lebendige Kirchenzucht müsse nicht blos durch
obrigkeitliche Verordnung vorgeschrieben werden, sondern wesentlich
aus dem christlichen Bewußtsein und Bedürfnisse der Gemeinde
hervorgehen, und daß
1863/4 - 191
1863/4 - 192
es daher ihr Verfahren zum Zweck der
Wiederanbahnung einer evangelischen Kirchenzucht billige, auch die
Erwartung ausspreche, daß künftig in diesem Sinne werde weiter
verfahren werden.
____________________
Nachdem ich nun die Grundsätze und Grundzüge der Wirksamkeit
Catenhusen's als Superintendenten im Allgemeinen gezeichnet habe ist
es meine Aufgabe, sie im Einzelnen zu verfolgen und darzustellen,
ohne damit auf mehr Anspruch zu machen, als auf die Zeichnung eines
Umrisses derselben, da es zu einem Mehr eines reicheren Materials
bedürfen würde, als mir zu Gebote steht. Ich muß dabei die Folge der
Zeit berücksichtigen, werde mich aber in Einzelnen hie und da durch
sie nicht beengen lassen. Eine kampf- und segensreiche Zeit habe ich
diese letzte Zeit genannt. Es wird sich zeigen, daß sie es gewesen.
Die Kirchenordnung wieder zu faktischer Geltung nach Oben und nach
Unten so wie nach Außen und nach Innen zu bringen, das war also die
Aufgabe, welche Catenhusen von Anfang an sich nicht sowohl selbst
stellte, als sich gestellt sah. Es war vorauszusehen und er mußte es
sich selbst sagen, daß es da an Opposition nicht fehlen könne und
werde. Und diese Opposition zeigte sich auch sogleich in den ersten
Jahren, und wurde ihm dadurch seine Stellung erschwert, daß nach
Abgang des Gouverneurs von Levetzau das Präsidium der Regierung wie
des Consistoriums bis zu der erst im Jahre 1838
erfolgenden Wiederernennung eines neuen Gouverneurs von dem ersten
Regierungsrathe Gottschalck geführt wurde, einem eben so
energischen, als in Kenntniß unsrer Zustände wohlerfahrnen, aber in
seiner kirchlichen Denk- und Anschauungsweise von Catenhusen
grundverschiednem Manne. Es war nun aber die Diakonatswahl in
Möllen, bei der die Opposition gegen die
1863/4 - 192
1863/4 - 193
mit dem neuen Superintendenten angefangne
Neugestaltung oder vielmehr Wiederherstellung kirchlicher
Verhältnisse sich besonders aussprach, aber auch für die Folgezeit
in den bestimmenden Regionen gebrochen wurde. Wenn man es mir nun
nicht verargen wird, daß ich in diese Angelegenheit, welche erst
nach zwei Jahren ihre Erledigung fand (1836 bis
1838), nicht ins Einzelne eingehe, weil es sich dabei um
meine eigne Wahl handelte, so darf ich sie doch um ihrer Bedeutung
willen für Catenhusen's spätere Wirksamkeit nicht ganz übergehen,
und muß so viel davon berühren, als nöthig ist, sie selbst und seine
Stellung zu ihr recht zu beurtheilen.
In Möllen war am 4. März 1836 der vor
Kurzem als Pastor primarius eingeführte Pastor Rohrdantz gestorben,
und in seine Stelle der im Jahr zuvor erwählte Diaconus Genzken
eingerückt. Nach altherkömmlicher Observanz hatte der Pastor das
Recht, drei Candidaten von denen, die Wahlpredigten gehalten, zu
denominiren, so daß aus ihnen das Patronat Einen zu wählen hatte.
Dieses Recht war freilich schon früher, namentlich Dräseke
gegenüber, der bekanntlich von 1795 bis 1804
erst Diaconus, dann Pastor daselbst war, bei der Wahl des Diaconus,
später Pastor Focke, Seitens des Patronats beanstandet, aber es galt
doch faktisch. Als daher aus den betreffenden Candidaten, zu denen
auch der Verfasser gehörte, drei, unter denen er sich nicht befand,
denominirt wurden, erwählte die Majorität des Wahlcollegiums
gleichwohl diesen zum Diaconus. Der Pastor, mit der Minorität sich
auf das Denominationsrecht berufend, protestirte mit ihr gegen diese
Wahl, und das Consistorium cassirte sie, doch mit diffentirendem
Voto des Superintendenten, und befahl eine neue Wahl aus der Zahl
der Denominirten. Hieraus entspannen sich nun die verwickeltsten
Verhandlungen, die, wie bemerkt, sich bis in das zweite Jahr
hineinzogen, und in denen Schriften für und gegen
1863/4 - 193
1863/4 - 194
erschienen, in welche sich auch, wie es ja zu
gehen pflegt, mancherlei Leidenschaftliches mit einmengte. Das Ende
war, daß der König als oberster Bischof das s. g. Denominationsrecht
als ein ausschließendes aufhob, und daß nach Ansetzung eines neuen
Wahltermins der zuerst gewählte Diaconus von der Majorität des
Patronats wieder erwählt (28. August 1837)
und nach erfolgter Bestätigung im Jahr darauf in Möllen eingeführt
wurde (1. April 1838). Dieses der äußere
Verlauf der betreffenden Sache. Aeußerlich betrachtet handelte es
sich hier nur um eine herkömmliche Observanz, und dem damaligen
Pastor darf man es nicht verargen, wenn er daran fest hielt. Aber
die Sache hatte auch eine andere Seite, und von dieser sah
Catenhusen sie mit Recht an. Es handelte sich hier darum, ob die
Kirchenordnung in einer so entscheidend wichtigen Angelegenheit, wie
die Wahl eines Predigers ist, maßgebend sein solle oder nicht, und
ob ein von einem Patronus beanspruchtes, aber in ihr nicht
begründetes Recht dazu gebraucht werden dürfe, eine mit ihren
Bestimmungen streitende Wahl zu erzwingen. So sah Catenhusen diese
Sache an, und als eine solche stellte sie sich auch immer mehr
heraus, so daß es sich weniger um die Person des Gewählten, als um
diese Hauptsache handelte. Und darum nahm sie auch das Interesse
unseres ganzen Landes in Anspruch, und Catenhusen durfte ihre
endliche Entscheidung als einen Sieg der evangelischen Wahrheit
ansehen. Und als einen solchen hat sie sich auch bewiesen und
bewährt, sowohl für die betreffende Gemeinde und deren beide
Prediger, die in Jahrelanger herzlicher Liebe und Gemeinschaft
verbunden waren, wie sie noch auf das Innigste verbunden sind, als
auch für unser ganzes Land und Catenhusen's Wirksamkeit, indem jetzt
die Kirchenordnung als in kirchlichen Dingen allein maßgebend und
bestimmend gelten durfte, und die Opposition in den betreffenden
Regionen ge-
1863/4 - 194
1863/4 - 195
brochen war. Catenhusen aber, dem übrigens der
Gewählte persönlich ganz unbekannt war, außer daß er ihn im Jahre
1831 einmal gesehen, hat in dieser Sache, wie es ja nicht anders
sein konnte, viel gelitten, und war oft nahe daran, um seine
Entlassung zu bitten. Um so wohlthuender war es ihm daher, wenn
Freunde von nah und fern ihm ermunternd und ermuthigend zusprachen,
wie z. B. der ihm engbefreundete CLAUS HARMS in Kiel, der unter dem
13. October 1837 noch schrieb: "Nicht
antworten will ich Dir, mein theurer und theurer gewordner
Catenhusen, sondern antiworten. Du steckst also noch als in einem
Nessushemde; wirf's ab, spring heraus, welches geschieht in dem, daß
Du die Maxime ergreiffst: Was ich nicht kann, das laß ich und leg's
Gott in die Hand - mit mir selbst. - Ich bitte Dich, vergiß meine
Vermahnungen nicht. Du hast Dich zu erhalten als Pastor, hast Dich
zu erhalten als GEISTLICHER Superintendent - und Frau und Kinder
stehen sich auch nicht übel dabei, wenn Vater so viel in der
Schmiede ist. - Komm bald einmal wieder zu Deinem Cl. Harms." Und
wenn Catenhusen nach der Entscheidung dieser Sache von seinem mit
tiefster Pietät geliebten König Friedrich VI. das
Ritterkreuz des Dannebrogordens erhielt, so galt ihm das als äußere
Ehre, auf die es ihm niemals ankam, wenig, aber als Beweis des
königlichen Wohlwollens viel, und er durfte darin auch ein Zeichen
sehen, daß er diese Angelegenheit nach dem Willen des allerhöchsten
Königs hinausgeführt habe.
Es ließ sich nun auch erwarten, daß aus der Mitte der Prediger
selbst sich eine Opposition bilden werde, wie Catenhusen das auch
früher schon als Befürchtung gegen seinen Freund ausgesprochen
hatte. Wenn dieses aber wenig oder gar nicht der Fall war, so hatte
das offenbar seinen Grund in seiner liebenswürdigen und gewinnenden
Persönlichkeit und in der ächt evangelischen Weise seines
Auftretens und Wirkens.
1863/4 - 195
1863/4 - 196
Auch die Mehrzahl der Prediger, die doch in der
Hauptsache von ihm abwichen, wußte er durch seine herzliche und
demüthige Liebe zu gewinnen, daß auch die älteren ihm, dem noch
jüngeren Manne, mit Liebe und Vertrauen entgegen kamen. War sein
Verhältniß zu seinen früheren Amtsbrüdern doch auch ein sehr
freundliches geblieben, nachdem er aus ihrer Mitte geschieden. So
heißt es in einem Briefe, den sein Vorgänger der Superintendent
Block im Jahre 1831 an ihn schrieb und in dem er ihm
zugleich den Tod seiner ersten Frau anzeigt: "Gott segne Sie in der
neuen Berufssphäre, in die Sie jetzt eintreten, und lasse Sie Heil
und Segen schaffen an den Erlösten Jesu Christi zu Seinem ewigen
Preise. Amen. Leben Sie denn wohl, geliebter Bruder, und gönnen Sie
mir Ihre Fürbitte, daß Gott dem jetzt Einsamen und Verlassenen sein
Kreuz tragen helfe! Meine Segenswünsche werden Sie überall hin
begleiten!"
Diese herzliche Liebe, mit der er seinen Amtsbrüdern zuvorkam und
mit welcher sie ihm entgegenkamen, erleichterte ihm die an sich
schwierige Aufgabe, so manchem älteren Manne entgegentreten zu
müssen, und das um so mehr, als er es ja wußte, daß mit einem
gesetzlichen Eifern nur das Gegentheil des Gewollten könne bewirkt
werden, und daß es hier galt, mit zarter, schonender, zuwartender
Liebe und Geduld zu verfahren. Und so bildete sich von Anfang an ein
Verhältniß inniger und vertrauensvoller Liebe zwischen ihm und
seinen Predigern, das um so schöner wurde, je größer die Zahl der
neueintretenden ward, die ihm auch innerlich nahe standen, das aber
auch auf manchen der älteren Männer segensreich einwirkte.
Catenhusen gewann auch unter ihnen manches Herz nicht bloß für sich.
Und diese Liebe sprach sich namentlich deutlich und erfreulich aus,
als er am 10. November 1841 sein fünf
und zwanzigstes Amtsjahr feierte. Sämmtliche Prediger
1863/4 - 196
1863/4 - 197
versammelten sich in seiner Wohnung und
überreichten ihm als ein Zeichen ihrer Liebe die Werke Augustin's.
Der alte HARMS aber schrieb ihm bald hernach: "Du gratulirst mir,
und ich hatte Dir noch nicht gratulirt, um so herzlicher dank' ich
Dir. Uebrigens muß ich mir das doch arrogiren nach dem jus gratiae -
schlag auf Du Philolog! daß ich wirklich im Geist Mitfreuden über
Dein Jubiliren zu Dir hinübergeflößt habe. - Du jubilirst dießmal
früher als ich; allein das zweite Mal, paß auf! 1856
paß auf! jubilire ich nicht einige Wochen, sondern einige Jahre
früher als Du. Aber, mein lieber Bruder, wie der Herr will! Er lehr'
uns und er helf' uns abtreten, wenn wir nur wenig mehr taugen, damit
Tauglichere unsre Plätze einnehmen. Und auch für jetzt schon lehr'
und helf er uns aus seiner Höhe. Was so von der Seite kommt, dient
wenig oder gar nicht." Dieses Verhältniß herzlicher Liebe verband
aber Catenhusen bis ans Ende mit allen seinen Amtsbrüdern und blieb
auch trotz der inzwischen eingetretnen Sturmjahre und ungeachtet
einzelner Differenzen. Noch einmal waren, wie am Tage seines
Jubiläi, alle Prediger in seinem Hause versammelt, damals in
einmüthiger Freude, jetzt in einmüthiger Trauer - als er sein
letztes Jubiläum feierte, und das früher, als Vater HARMS es
gemeint. *)
Ich habe von der Pietät gesprochen, mit der Catenhusen König
Friedrich VI. geliebt. Auch der König hielt von ihm
und hatte ihm sein Wohlwollen mehrfach kundgethan. Catenhusen aber
war voll tiefster Ehrerbietung vor der königlichen Majestät, in der
er gleichsam einen irdischen Widerschein der göttlichen erblickte,
und dieses Gefühl ehrerbietiger Pietät galt nicht nur der Person des
Königs, sondern seinem hohen Amte
____________________
*) Claus Harms starb bereits den 1. Febr. 1855
im Alter von 77 Jahren; da war ihm aber
Catenhusen schon zwei Jahre vorangegangen.
1863/4 - 197
1863/4 - 198
als solchem, weshalb es auch in späteren Zeiten
ungeschwächt dasselbe blieb. Dazu kam, daß er dankbar anerkannte,
was unser Königshaus je und je an unsrer Landeskirche gethan und was
es ihr gewesen, wie es namentlich die Rechte derselben gewahrt und
ihn selbst in seinem Amte vielfach wesentlich unterstützt hatte. Als
nun König Friedrich VI. Ende des Jahres 1839
mit Tode abging, war gewiß Niemand mit tieferer Trauer erfüllt, als
er, und er sprach aus der Fülle seines Herzens in der am
Begräbnißtage des Königs den 16. Januar über den
vorgeschriebenen Text Spr. Salom. 20, 28 gehaltenen
Trauerpredigt seine Trauer und seine dankbare Liebe aus, indem er
„unsern entschlafnen König Frederik VI. wie er im Leben war"
darstellte: "er war fromm, er war wahrhaftig, durch Frömmigkeit
stützte und schützte er seinen Thron." Und als nun König Christian
VIII. mit der Königinn Caroline Amalie in demselben
Jahre noch auch unser Land besuchte, da war Niemand höher über
diesen Besuch erfreut, als Catenhusen; der König aber kannte und
erkannte seinen Werth gar wohl, wie er denn, als er ihn gehört und
gesehn, das treffende Urtheil über ihn fällte: "Das ist ein aus dem
sechszehnten Jahrhundert auferstandner Mann!" Diese persönliche
Berührung mag aber auch eine Ursache gewesen sein, wenn Catenhusen
später in manchem wichtigen Unternehmen so willige Unterstützung von
Oben fand.
Verfolgen wir jetzt weiter, was Catenhusen für die Geltendmachung
der Kirchenordnung nach Innen und zunächst im geistlichen
Ministerium gethan. Hätte er hier damit angefangen, entweder in
gesetzlicher Rigorosität von jedem Einzelnen, den er im Amte fand,
die rechte Predigt zu erzwingen, oder die straffen kirchlichen
Formen der Kirchenordnung zu repristiniren, so wäre schwerlich so
bald erreicht, was durch Gottes Gnade erreicht ist, daß bei seinem
Tode das Mini-
1863/4 - 198
1863/4 - 199
sterium mit wenigen Ausnahmen im rechten, und das
freiwilligen, ungezwungnen Glauben und Bekenntniß der Kirche stand.
"Damit, so sagen wir allerdings mit dem Nekrologe, soll dieses
keineswegs seinem Verdienste allein zugeschrieben werden; wir wissen
es ja, daß wir es der Barmherzigkeit und den Führungen Gottes zu
verdanken haben, daß unser Land jetzt mit vielen treuen Predigern
gesegnet und daß Gottes Wort reichlich in ihm vorhanden ist; doch
ist ohne Zweifel Catenhusen's Zeugniß, und setzen wir hinzu, die
evangelische Weise seiner Amtsführung eins der wichtigsten Mittel
göttlicher Führung gewesen." Während er in aufrichtiger und
gewinnender Liebe allen Predigern gegenüberstand und sie alle betend
auf dem Herzen trug, sorgte er dafür, daß die neu eintretenden
Prediger den rechten Glauben und das rechte Bekenntniß schon mit ins
Amt brächten und fand dazu in dem Tentamen und dem Examen der
Candidaten die rechte, weil gewiesene Gelegenheit. Unser
theologisches Examen weicht von dem Holsteinischen in mancher
Hinsicht ab. Catenhusen, der dieses selbst bestanden und daher seine
Einrichtung wohl kannte, hielt an der herkömmlichen Einrichtung des
unsrigen fest. "Für ihn war es die Hauptsache, die Reinheit des
Bekenntnisses, das Verständniß der Kirchenlehre zu prüfen, dann erst
das Wissen der Examinanden. Da konnte der sonst so milde und weiche
Mann hart und eisern sein, wenn Jemand ein Kirchenamt begehrte und
doch dem Kirchenglauben widersprach. Doch war es fern von ihm, sich
zum Gewissensrichter und Inquisitor über den Einzelnen aufzuwerfen:
mit großartigem Vertrauen, allezeit das Beste hoffend, hielt er sich
nur an das offene, unmißverständliche Bekenntniß, das Jemand über
seinen Glauben von sich gab." (Nekrolog.) Mehr als einmal sind aber
Candidaten, namentlich ausländische von Patronen präsentirte,
zurückgewiesen, weil es ihnen an dem, was die Hauptsache, mangelte.
1863/4 - 199
1863/4 - 200
Wie Catenhusen das bei seinem weichen Herzen wehe
that, hab' ich selbst einmal gesehn, als ein solcher Candidat sich
bei ihm verabschiedete. Aber in diesem Punkte war er fest und
unerschütterlich. Wie sorgfältig und genau er es aber von Anfang an
mit dem Examen nahm, zeigen die ausführlichen Entwürfe, die er in
der ersten Zeit zu jedem Examen für sich ausarbeitete, was er bei
seinem theologischen Wissen und seiner glänzenden Gabe Latein zu
sprechen doch gar nicht nöthig gehabt hätte. Und wie er es verstand,
die jungen Leute zur Darlegung ihres theologischen Wissens und
Bekennens auf die sicherste Weise zu veranlassen, zeigten die
Arbeiten, welche er zum Tentamen sowohl als zum Examen aufgab, und
die immer so recht in den Mittelpunkt der Theologie trafen. Dabei
legte er aber auch einen großen Werth auf Formale und gelehrte
Bildung, und hielt namentlich das Lateinischsprechen beim Examen
fest, wenn er auch davon keineswegs den Ausfall der Prüfung abhängig
machte. In solcher Bildung leuchtete er uns Allen vor und es war
auch seine Ueberzeugung, was wir kürzlich in der Evangelischen
Kirchenzeitung lasen: "Eine Ilias von Uebeln ist eine ungelehrte
Theologie. Das ist ein Ausspruch Melanchthon's, den sich jetzt jeder
Theologe tief ins Herz schreiben, der namentlich von allen Seiten
den Theologie Studirenden zugerufen werden sollte. Eins der
wichtigsten Mittel des Siegs der Reformation war, daß sie auf der
Höhe der Bildung ihrer Zeit stand, daß sie sich aller Mittel dieser
Bildung bemächtigte, nicht bloß in der eigentlichen Theologie,
sondern auch in der Geschichte, Sprachwissenschaft, Philosophie."
Und daß von Catenhusen das Alles auch galt, das machte ihn zu dem,
was er als Theologe und als Superintendent war und wirkte.
Wie im Examen und durch dasselbe, so suchte er auf den andern von
seinem Amte gewiesenen und von diesem bestimmten
1863/4 - 200
1863/4 - 201
Wegen wissenschaftlich und praktisch auf seine
Geistlichkeit einzuwirken und sie in der reinen, lauteren Lehre
unsrer lutherischen Kirche zu gründen, so wie in rechter Predigt und
Amtsführung zu fördern; denn er wußte es ja wohl, daß nur durch sie
die Gemeinden könnten weiter geführt werden, und daß er selbst ohne
sie ein General ohne Officiere sei. Er sorgte dafür und es wurde
ausdrücklich vorgeschrieben, daß, der Kirchenordnung gemäß, jede
Kirche Luther's sämmtliche Werke besitze, und daß, wo sie nicht mehr
wären, die Erlanger Gesammtausgabe auf Kirchenkosten angeschafft
werde. Er veranlaßte im Jahre 1836 eine Currende, in
welcher den Predigern eingeschärft wurde, ihre Predigten nicht
abzulesen, sondern frei zu halten, und das Wort Gottes und nur
dieses zu predigen in aller Einfalt und Lauterkeit, in der sie aber
auch darauf hingewiesen wurden, daß keine Lehre Frucht bringen
könne, die nicht durch das Leben der Lehrer bestätigt werde, und
"daß es in Beziehung auf die Prediger nicht bloß auf die allgemeinen
für Jedermann geltenden Sittengesetze, sondern auch auf die aus dem
Standesverhältnisse sich ergebende besondere Verbindlichkeit
ankomme, den gebührlichen äußern Anstand (die jetzige Amtstracht z.
B. führte er ein, während bisher sich Jeder ad libitum gekleidet
hatte) auch in solchen Dingen streng zu beobachten, die für andere
Stände gleichgültig sind, in welchen aber von den Predigern leicht
Anstoß und Aergerniß gegeben werden kann." Er veranlaßte eine Reihe
andrer Currenden über Confirmandenunterricht, über Kirchengesang,
über die Kirchenkatechesen u. dgl; theilte einzelnen Predigern
ausführlich seine Ansichten über amtliche Gegenstände mit, wie z. B.
die oben angeführte treffliche Anweisung zum Krankenbesuche, und
benutzte namentlich die Kirchenvisitationen, nicht bloß auf die
Gemeinden, sondern auch auf die Prediger einzuwirken, sowohl in den
vortrefflichen Visitationsreden, die er
1863/4 - 201
1863/4 - 202
allemal wörtlich zuvor concipirte und deren viele
ich selbst gehört, als in den Unterredungen mit den Kindern, darin
er Meister war. Er hatte aber auch vor Allem seine Prediger im Auge,
wenn er bei gegebner Gelegenheit mit einer theologischen Arbeit
öffentlich hervortrat und einem einzelnen wohlverdienten Amtsbruder
Ehre erwies. So schrieb er in lateinischer Sprache im Jahre
1840 bei der 50jährigen Jubelfeier des Pastor
Baumann in Lütau: de duplici vi ac significatione verbi
...
(Textseitenausschnitt
mit griechischen Buchstaben)
So im Jahre 1842 bei der 50jährigen
Jubelfeier des Assessors und Pastors Wagener in Schwarzenbeck:
"Luther's Verhalten im Sakramentsstreite, gerechtfertigt durch das
Grundprincip der evangelisch-lutherischen Kirche,“ eine
vortreffliche Abhandlung, welche die weiteste Verbreitung verdiente,
und aus welcher hervorgeht, wie Catenhusen, ich will nicht sagen mit
der Zeit fortschritt, sondern in dem vom Herrn gewollten und
gewirkten kirchlichen Fortschritt in die alte Wahrheit unsres
Bekenntnisses hinein auch selbst immer tiefer in sie hineingeführt
wurde und auch das Wort zu finden und zu reden wußte, das gerade zu
der Zeit Noth war. Und dieses Wort finden wir auch in seinen
Predigten jener und der folgenden Zeit, in denen er offen und frei
für das herrliche Bekenntniß unsrer Kirche auftrat, alle
Unionsmengerei herzlich verabscheuend, dabei aber an der rechten
Union festhaltend, die über den verschiednen Confessionen nicht die
Einheit der Kirche und aller Gläubigen hintansetzt. Ich werde auf
dieses sein lautes und lauteres lutherisches Bekenntniß noch
zurückkommen, wenn ich darauf hinzuweisen habe, daß er dadurch für
unsre ganze Kirche eine Bedeutung gewonnen hat. Zunächst wollte er
seiner Landeskirche und seinen Predigern auch dadurch zur Förderung
helfen. Darum aber wünschte er auch ihre wissenschaftliche
Förderung,
1863/4 - 202
1863/4 - 203
und es war ihm nur lieb, wenn sich, wie früher
schon bei dem lieben Claudius in Sahms eine Conferenz (seit
1827) Statt gefunden, an der er Jahre lang Theil nahm, eine
größere Predigerconferenz bildete, an der im Laufe der Jahre immer
mehr Prediger Theil nahmen und der er selbst in den ersten Jahren
gern beiwohnte, und wenn außerdem mehrere kleinere Kreise der
Prediger zu theologischen Besprechungen Statt fanden. Er hatte aber
Bedenken, die in der Kirchenordnung bestimmte Synode schon wieder
ins Leben zu rufen, bevor unter den Predigern eine vollstimmige
Einigkeit in der Hauptsache sei, und blieb dieses seinem Nachfolger
vorbehalten.
____________________
So suchte Catenhusen auf alle Weise seiner
Geistlichkeit als Superintendent zu dienen, und hielt es auch für
seine Aufgabe, in außeramtlichen Thätigkeiten, wie namentlich im
Werke der Mission, dahin zu wirken, daß sie in den Schranken des
kirchlichen Bekenntnisses seien und blieben. Es ist hier der Ort,
sein Verhältniß zur Missionssache und seine Grundsätze in dieser
Beziehung darzustellen.
Während die Bibelgesellschaft seit ihrer Stiftung ihren stillen und
gesegneten Fortgang hatte und in den Amtsjahren Catenhusen's, der
als Superintendent ihrem Verwaltungsausschusse angehörte, so viel
ich weiß nur die eine Aenderung geschah, daß die Collecte vom
Trinitatissonntag auf den 20. nach Trinitatis, als das
hiesige Reformationsfest, verlegt wurde, und während der
Gustav-Adolph-Verein bei uns gar keine Geschichte hat, weil er nicht
auf dem lutherischen Bekenntniß ruht, hat die Missionssache unter
uns eine Geschichte, die noch nicht zum Abschluß gekommen ist.
Catenhusen war lange schon ein Freund der Mission, bevor es zu einer
gemeinsamen Missionsthätigkeit in unserem Lande kam. Diese veranlaßte
in Lauenburg nach seinem Fort-
1863/4 - 203
1863/4 - 204
gange der Candidat, jetzige Pastor Harms zu
Hermannsburg, der damals Hauslehrer bei dem dortigen Amtmann und
Kammerherrn von Linstow war. Damals aber standen die Sachen noch so,
daß man vor nichts größere Angst hatte als vor Conventikeln und
darunter wer weiß was Alles witterte. Deshalb mußte der
Lauenburgische Missionsverein Jahre lang um das Recht der Existenz
kämpfen, bis er endlich durch Catenhusen's Vermittelung von König
Christian VIII. nach dessen Besuche bei uns förmlich, unter
Voraussetzung der Beaufsichtigung des Consistorii, bestätigt wurde.
In seiner Comité befanden sich, außer dem Kammerherrn und Amtmann
von Linstow in Lauenburg als Präses, der dortige Pastor Berlin,
Candidat Harms und mit mehreren andern Predigern auch der Verfasser.
Der Verein hatte sich der Norddeutschen Missionsgesellschaft
angeschlossen, der in Hamburg seinen Mittelpunkt und seine
Generalversammlungen abwechselnd in verschiedenen Städten, einmal
auch in Lauenburg hatte. Jährlich fand nach Pfingsten eine
Missionsfeier auf dem Amte daselbst Statt und erschien ein Bericht
im Druck mit den Namen und Gaben der Mitglieder des Vereins. Ich muß
sagen, denn es ist die Wahrheit, es war ein reges, lebendiges
Streben in demselben und viele in der Gemeinde schenkten ihm ihre
Theilnahme. Je länger je mehr erkannten aber anfangs nur Einzelne,
bald Mehrere, daß es nicht zulässig sei, wenn Lutheraner und
lutherische Pastoren sich unmittelbar an einer Misstonsgesellschaft
betheiligten, die, wie die Norddeutsche, aus Lutheranern und
Reformirten bestand, und in der darum das lutherische Bekenntniß
nicht zu seinem vollen Rechte kommen konnte. Dieser Ansicht war auch
Catenhusen, und es war nur in seinem wie des Consistorii Sinne, wenn
sich zuerst nur einzelne Prediger, und nach und nach die übrigen von
dem Lauenburger Verein zurückzogen und für lutherische Mission in
ihren Gemeinden wirkten. So kam es,
1863/4 - 204
1863/4 - 205
daß der Lauenburgische Missionsverein nach
einigen Jahren sich ganz von selbst auflöste. Viele Freunde in der
Ferne konnten das gar nicht begreifen, auch lutherische Freunde
nicht, die erst nach und nach zu der Ueberzeugung kamen, die
Catenhusen auf das Entschiedenste aussprach, daß lutherische
Pastoren auch lutherisch missioniren müßten. Namentlich aber
konnten's die lieben Bremer Freunde nicht begreifen, und das trug
auch dazu bei, daß Catenhusen vielerwärts als exclusiver
Hyperlutheraner, freilich mit großem Unrecht, galt. Es war das aber
auch ein öffentliches Bekenntniß, das mit ihm die Lauenburgische
Kirche ablegte, und was sie einerseits an Freunden verlor, gewann
sie andrerseits so reicher wieder. Die sächsische, damals noch
einzige deutsche lutherische Missionsgesellschaft, die in Dresden
ihr Collegium hatte, gewann immer mehr Freunde, und auch andre
Vereine, die mit uns der Norddeutschen Gesellschaft angehört hatten,
schlossen jener sich an. Unser Consistorium aber genehmigte (im Nov.
1844) den Antrag einer Anzahl von Predigern, eine
Missionscollecte zum Zweck einer gemeinsamen Missionsthätigkeit
halten zu dürfen, jedoch in der Voraussetzung und unter der
Bedingung, daß sie sich damit in den Schranken der Kirchenordnung
und denen des Bekenntnisses der lutherischen Kirche hielten, wie
denn auch selbstverständlich unter Oberaufsicht und Inspection der
kirchlichen Behörden. An dem kirchlichen Princip wollte Catenhusen
in der Mission entschieden und unumwunden festgehalten haben, am
Bekenntniß der Kirche, "weil, wie er an seinen Freund schreibt,
sonst zerstreut wird, was zusammengehalten werden soll, und weil,
wenn ein Princip der Willkür erst einmal autorisirt ist, das
Consistorium die Zügel der Leitung aus den Händen gegeben hat und
nicht mehr halten kann, was es losgelassen hat." Daneben aber, und
das konnte ja wohl bestehen, ohne jenes Princip zu verletzen, wollte
Catenhusen die Freiheit, sich dieser Missions-
1863/4 - 205
1863/4 - 206
thätigkeit anzuschließen oder nicht, keinem der
Prediger beschränkt und auch die fernere Gestaltung derselben ihnen
überlassen wissen, nur daß sie nach obigen Grundsätzen geschehe.
Ueber diese fernere Gestaltung beriethen sich nun eine Anzahl (13)
Prediger in Gemeinschaft mit ihrem Superintendenten in
brüderlichster Weise am 19. Febr. 1845
in Möllen. Einige wollten die Brüdergemeinde, Andre auch die
Lutheraner in Nord-Amerika aus den Collectengeldern unterstützt
wissen; die Majorität aber beschloß mit ihm, der damals noch
einzigen deutsch-lutherischen Missionsgesellschaft in Dresden die
Gelder zu senden. Zugleich wurde beschlossen, im Anschluß an die
Predigerconferenzen auch Missionsconferenzen zu halten, einen
jährlichen Bericht herauszugeben und sobald thunlich auch auf die
Feier eines Missionsfestes Bedacht zu nehmen. Hiezu kam es aber erst
im Jahre 1832, wo am 15. Juli (dem
Ansverustage) das erste allgemeine Lauenburgische Missionsfest in
der Stadt Lauenburg Statt fand, welchem Catenhusen mit hoher Freude
- war's doch in seiner vielgeliebten ersten Gemeinde! - beiwohnte; -
dem ersten und für ihn zugleich dem letzten! So gestaltete sich das
Missionswerk auf das Erfreulichste. Das allgemeine Interesse aber
konnte nur gewinnen, als im Jahre 1846 der Missionar
Mylius und 1848 der Missionar Glasell in Ratzeburg
ordinirt wurden. Die bei der Ordination des Ersteren gehaltne
Ordinationsrede Catenhusen's über Apostg. 26, 18. 19:
"Von den Boten und Zeugen, die der Herr unter die Heiden sendet,"
erschien gedruckt mit Mylius' Predigt. Im Jahre 1844,
1845 und 1847 war Catenhusen in Dresden
bei der Misstonsfeier und in Leipzig bei der großen
Predigerconferenz, die in den damaligen lichtfreundlichen
Bewegungen, gegen welche auch die Mehrzahl der hiesigen
Geistlichkeit ihren Protest veröffentlicht hatte, von Bedeutung war.
Ich war 1843 mit ihm in Dresden bei der Jahresfeier
der Mission, bei welcher
1863/4 - 206
1863/4 - 207
ich die Predigt hielt. Mit allgemeiner Verehrung
kam man ihm dort überall entgegen; sein Name war auch außerhalb
unsres Landes schon ein wohlbekannter und anerkannter, und mit
seiner herzlichen Liebe gewann er sich Vieler Herzen. Das waren
schöne Tage, und manch kleiner Zug ist mir erinnerlich, der ihn
charakterisirt. Als wir z. B. eines Abends einen Spaziergang machten
und die wunderschöne Aussicht nach der sächsischen Schweiz, vom
Abendroth vergoldet, sich uns darbot, und er gefragt wurde: Ist es
hier nicht schön, Herr Superintendent? antwortete er: "Ja, - aber
Sie sollten einmal Ratzeburg sehn!" Im Jahre 1847
hielt er dort die, auch im Druck erschienene Predigt über Matth.
8, 11. 12: "Unsre Missionsfreude." Bald darauf siedelte
das Missionscollegium von Dresden nach Leipzig über, wo ein großes
Missionshaus gebaut wurde. Dieser Schritt erschien ihm bedenklich.
Er fürchtete, daß er der Mission nicht die Vortheile bringen werde,
die man sich von ihm versprach. Die späteren Differenzen mit den bei
uns ordinirten Missionaren Mylius und Glasell, welche beide nach
kurzer Arbeit zurückkehrten, waren ihm sehr schmerzlich. Und als nun
eine engere Verbindung mit der Leipziger Missionsgesellschaft in der
Weise geschah, daß wir als ein stimmberechtigtes Glied uns der
Generalversammlung anschlossen, da hatte er uns ernstlich davon
abgerathen und verhehlte seine Unzufriedenheit nicht. Seine
Abneigung vor dem Anschluß an eine andre Missionsgesellschaft rührte
aus dem Bestreben her, uns unsre Selbstständigkeit zu sichern. Er
fürchtete (und dieselbe Scheu hatte er auch vor jeder Verbindung mit
einem fremden Kirchenregiment, wie z. B. bei dem Entstehen der
Eisenacher Conferenz), wir könnten dann später zu Schritten
genöthigt werden, die wir nicht billigen dürften.
Wenn nun auf diese Weise Catenhusen dafür sorgte, daß
1863/4 - 207
1863/4 - 208
das Missionswerk dem Bekenntniß gemäß geschehe,
im Uebrigen dasselbe seiner freien Gestaltung überlassend, und wenn
er deshalb dem nicht auf dem Bekenntniß ruhenden
Gustav-Adolph-Verein seine Hülfe nicht konnte werden lassen, so
versäumte er doch nicht, ähnliche Zwecke innerhalb der lutherischen
Kirche zu verfolgen, nnd veranlaßte eine allgemeine Collecte für die
Gemeinde Saatzke bei Wittstock zur Erbauung einer Kirche in Jabel.
Dies geschah freilich erst im Jahre 1851, ich bemerke
es aber schon hier. Er hatte dabei die Absicht, zunächst bedrängten
Glaubensgenossen zu helfen, dann aber auch, das Bewußtsein der
Gemeinschaft mit ihnen zu beleben, und es ist ganz in seinem Sinn,
was jetzt unter uns theils für die böhmischen Lutheraner, theils für
die ausgewanderten deutschen Lutheraner in Nordamerika geschieht. In
diesem Allen ging Catenhusen seiner Geistlichkeit voran und führte
sie mit sich, ihnen selbst und durch sie den Gemeinden dienend. Er
half und diente ihnen aber auch in ihren persönlichen amtlichen
Verhältnissen, wo und wie er konnte. So ließ er sich die
Predigerwittwenkasse sehr angelegen sein und veranlaßte eine zu
gewissen Zeiten wiederkehrende allgemeine Predigerversammlung zur
Berathung über sie, auch die Mittheilung eines Auszugs aus der
jährlichen Rechnung derselben. So führte er 1844 eine
Verhandlung mit der betreffenden Oberbehörde herbei wegen Freiheit
der Prediger vom Landzoll, die in einem einzelnen Falle beanstandet
war, und erwirkte eine Anerkennung derselben für die Prediger als
solche. Und so zeigte er, wo sich ihm nur die Gelegenheit bot, daß
ihm auch das persönliche Wohl seiner Prediger auf dem Herzen lag und
daß er zu Allem bereit war, was er vermochte, ihnen zu dienen. Darum
hatten sie denn auch in dieser Hinsicht ein freudiges Vertrauen zu
ihm und kamen oft, sich Raths zu erholen auch in persönlichen
Angelegenheiten und gingen nie
1863/4 - 208
1863/4 - 209
unberathen von ihm. Er vertrat sie aber auch, wo
es Noth war, ihren Gemeinden und Einzelnen ihrer Gemeindeglieder
gegenüber, und schonte auch in solchen Fällen, wo er in einer Sache
ihnen nicht beistimmen konnte, auf die zarteste Weise ihre
Autorität, denn er wußte es wohl, daß von derselben ihre Wirksamkeit
sehr abhänge. Er nahm sich aber in gleichem Maaße der Gemeinden an
und trachtete dahin, nach beiden Seiten gerecht zu sein. Das
erkannten denn auch sie gar wohl, und ich weiß es ja, wie sein Haus
fast keinen Tag leer war von Leuten, die in allen möglichen
Angelegenheiten seinen Rath und seine Hülfe sich erbaten. Vor Allem
aber war es sein Hauptbestreben, jeder einzelnen Gemeinde das zu
sein, was sein Amt ihm auferlegte. Und wie er ja in Allem, womit er
den Predigern diente, auch ihnen seinen Dienst erwies, so unterließ
er es nicht, auch für die Erhaltung ihrer Rechte einzutreten. Er sah
dahin, daß den Gemeinden kein Prediger zum Verdruß aufgezwungen
werde, und es war ihm nicht eine leere Form, wenn ein ernannter
Prediger seiner Gemeinde aufgestellt und diese gefragt wurde, ob sie
gegen Lehre, Gaben und Wandel desselben etwas zu erinnern habe. Er
erwies dem Rechte der Patronen alle gebührende Ehre, aber mehr als
einmal nahm er auch die Gemeinde gegen sie in Schutz, namentlich bei
Zurückweisung solcher Candidaten und Prediger, die im Punkte des
Bekenntnisses von der Kirchenordnung abwichen. Es war ihm aber auch
Grundsatz, weder Predigern noch Gemeinden vorzugreifen; wo kein
Kläger ist, da ist auch kein Richter - und daher sah und wußte er
wohl Manches, was sein Herz beschwerte, dem er aber nicht sofort
abhelfen konnte. Darum aber benutzte er die Visitationen, auf beide
Theile geistlich einzuwirken und entstandne Differenzen in Liebe zu
erledigen, was ihm bei seiner freundlichen Milde auch meist gelang.
Wie schonend und zögernd er oft vorging, das
1863/4 - 209
1863/4 - 210
ist mir namentlich bei einem betrübenden Fall
erinnerlich, der endlich mit der Entlassung eines Mannes endigte,
mir, dem damals jungen Prediger, viel zu zögernd. Hernach aber
erkannte ich es, daß so nur die rechte Weise getroffen war. Weil er
aber so auch für die Gemeinde in väterlicher Liebe sorgte, so hatten
sie auch eine herzliche Liebe zu ihm, und wenn ein Bauer den Herrn
Superintendenten einmal sah, da glänzte sein Angesicht vor Freude!
Catenhusen aber verstand es auch, mit den Leuten sich einzulassen
und mit Jedem so zu sprechen, wie mit ihm gesprochen werden mußte.
Was nun aber von seinem Verhältniß zu Predigern und Gemeinden gesagt
ist, das galt in aller Hinsicht auch von den LEHRERN. Wenn Einer
ihren Beruf als einen hochwichtigen, aber auch schweren und so
vielfach mühseligen anerkannte, so war er es. Wie ging es ihm so
tief zu Herzen, wenn mancher seiner Lehrer mit Sorgen zu kämpfen
hatte, und wie war er bei jeder Gelegenheit bereit, ihnen zu helfen!
Wir war er stets bemüht, ihre Lage zu verbessern, und wie war es ihm
so schmerzlich, wenn er oft seine Absicht so wenig oder so gar nicht
erreichen konnte! Das wußten sie auch Alle, und die ihn gekannt,
wissen es noch, daß sie keinen treueren Freund gehabt, als ihn.
Darum waren sie es auch vor Allem, die fortwährend bei ihm aus- und
eingingen. Und wie schwer wurde es ihm, abschlagen und verweigern zu
müssen, wo er so gern gegeben und zugestanden hätte. Es waren ja
aber unter den Lehrern seiner Zeit, und namentlich den
Landschullehrern, die hier insonderheit gemeint sind, manche nicht
bloß hülfsbedürftige, sondern alte und geistig sehr schwache, wenn
auch ein großer Theil derselben im Lauf der Jahre erneuert und im
Ganzen ein tüchtigerer Lehrerstand hergestellt war. Dazu half
namentlich die neueingerichtete Präparandenanstalt, von der ich noch
reden werde, wenn ich Catenhusen's Sorge für die Schule
1863/4 - 210
1863/4 - 211
darstelle. Aber es waren doch noch Manche
untüchtige Lehrer da. Catenhusen trug, was er nur konnte, und es war
rührend, wie er so manchen alten, schwachen Mann schonte und seine
Blößen bedeckte. Mit zarter Hand suchte er hie und da nachzuhelfen
und namentlich durch die Prediger auf die Lehrer einzuwirken. Und in
den oft so schwierigen Verhältnissen entstandener Differenzen
zwischen Prediger und Lehrer suchte er mit Liebe und Geduld ein
besseres Verhältniß anzubahnen, ohne sogleich mit dem Gesetz darein
zu fahren und größeren Zorn anzurichten. Das war sein Verhältniß zu
den Lehrern, und von diesem gilt es vorzugsweise, was der Nekrolog
sagt: „Wie er alle Verhältnisse des Landes auf's Genauste kannte,
durch die Kirchenvisitationen allen Gemeinden persönlich bekannt
wurde, und durch sein treues Gedächtniß auch über das Specielle
genaue Uebersicht hatte, so suchten und fanden auch Alle bei ihm
väterlichen Rath und Trost. Trotzdem, daß er von Vielen täglich
angelaufen wurde, fanden doch Alle bei ihm allezeit Zugang und
williges Gehör - und was ihm zum Vorwurf gemacht wird, das geht
meistens darauf hinaus, daß er zu weich und zu milde gewesen, und
daß er es zu wenig verstanden, harte und abschlägige Antworten auf
Bitten und Fragen geben zu können.“
Bevor ich jetzt zu dem übergehe, was Catenhusen für die Schulen
unsres Landes gethan, muß ich noch der neuen Auftage des GESANGBUCHES
gedenken, mit der er der ganzen Landeskirche gedient hat. Allerdings
hätte eine noch durchgreifendere Revision desselben stattfinden
können, als im Jahre 1841 geschah, aber es sollte ja
nicht ein neues und andres Gesangbuch werden, und wenn wir bedenken,
wie mißlich es ist, ein vielfach den Gemeinden lieb gewordnes Buch
großen Aenderungen zu unterwerfen, so müssen wir auch zugestehen,
daß viel mehr nicht geschehen konnte. Wer aber die schöne Vorrede
1863/4 - 211
1863/4 - 212
zu der neuen Ausgabe noch einmal liest und
beherzigt, der muß auch Gott dafür danken, daß wir ein solches
Gesangbuch haben, und das um so mehr, wenn er die Gesangbücher manch
andrer Landeskirche kennt, und wenn er weiß, welche Wirren anderswo
durch ein unbedachtsames Vorgehen auf diesem Gebiete verursacht
sind. Ein besondres, wenn auch unscheinbares Verdienst erwarb sich
Catenhusen auch noch dadurch, daß er den lutherischen Katechismus
und die Augsburgische Confession der neuesten Auflage hinzufügte -
und das war die letzte Arbeit seines Lebens.
____________________
Ich komme nun zu dem, was Catenhusen für unser
SCHULWESEN, das niedere und das höhere, gethan hat. Der ihn leitende
Grundsatz war in Allem, was er für die Schulen that, die enge
Verbindung derselben mit der Kirche, eine Verbindung, die so
selbstverständlich ist, daß nur unsre verworrene und verwirrende
Zeit das Gegentheil als selbstverständlich ansehen kann. Ueberdieß
spricht unsre Kirchenordnung diese Verbindung auf das Entschiedenste
aus. Catenhusen sah also alle Schulen des Landes seiner Aufsicht und
Fürsorge zugewiesen, und für alle zu sorgen ließ er sich angelegen
sein. Zunächst für die LANDSCHULEN. Er wußte, woran es ihnen
gebrach, erkannte namentlich auch den Uebelstand der fehlenden
Sommerschule an; aber er konnte es sich ja nicht verbergen, daß nur
ein Zwiefaches hier Wandel schaffen könne: bessere Vorbereitung und
bessere Besoldung der Lehrer. Darum sorgte er zunächst für jene
durch die von ihm veranlaßte Präparandenanstalt in Ratzeburg. Bisher
hatten die jungen Leute bei ihren Predigern und bei Lehrern
nothdürftigen Unterricht erhalten, jetzt aber wurde die Einrichtung
getroffen, daß sie in Ratzeburg von dem zweiten Prediger ordentlich
in Unterricht genommen wurden und die praktische Unterweisung
1863/4 - 212
1863/4 - 213
von einem der Lehrer der Stadtschule empfingen.
Catenhusen war der Ansicht, daß ein eigentlich seminaristischer
Cursus, wie er auf Seminaren Statt findet, für die künftigen
Landschullehrer nicht passend sei, und daß eine solche Vorbereitung,
wie er sie veranlaßte, für sie genüge, und darin muß ihm beistimmen,
wer die nöthigen Erfahrungen auf diesem Gebiete gemacht hat. Auch
für die Elementar- und unteren Lehrer der Stadtschulen hat sich jene
Vorbereitung als im Ganzen genügend erwiesen; für die oberen
Lehrerstellen bedarf es freilich einer weitergehenden Vorbildung.
Was die bessere Besoldung der Landschullehrer betrifft, so ist sie
nicht nur an sich wünschenswerth, sondern für die Sommerschule
unerläßlich. Nach der Landschulordnung v. J. 1757,
welche im Jahre 1842 wieder abgedruckt wurde, soll nun
allerdings der Regel nach täglich, mit Ausnahme der Erndtezeit,
unterrichtet werden, und nur ausnahmsweise für dürftige Kinder ein
ein- oder zweitägiger Unterricht in der Woche gelten. Aus der
Ausnahme war aber im Laufe der Zeit bis auf zwei Schulen eine Regel
geworden, und fand sich daher das Consistorium bewogen, in demselben
Jahre die Nothwendigkeit der täglichen Sommerschule einzuschärfen.
Wenn nun aber die Prediger aufgefordert wurden, die Hindernisse
dieser gesetzlichen Ordnung namhaft zu machen, so ergab sich, daß
die Lehrer in ihrer Einnahme meist so gestellt seien, daß ohne deren
Verbesserung der tägliche Unterricht schwerlich allgemein wieder
hergestellt werden konnte. Deshalb war es auch Catenhusen's
lebhafter Wunsch, daß die Lehrer besser gestellt würden, und es war
ihm sehr schmerzlich, wenn er die Erfüllung desselben nicht erleben
konnte. Es kann hier ja aber mit Befehlen und Vorschriften von Oben
nicht geholfen werden, so lange die betreffenden Stellen und
namentlich die Commünen selbst nicht dazu willig sind. Später ist
das von ihm Beabsichtigte wieder aufgenommen, und steht
1863/4 - 213
1863/4 - 214
zu hoffen, daß, was allgemein als wünschenswerth
und nothwendig erkannt wird, seiner Verwirklichung nicht mehr fern
sei.
Wie Catenhusen für das Landschulwesen sorgte, so war es auch sein
ernstlicher Wunsch, den STADTSCHULEN seine Dienste zu erweisen, so
weit ihm dieses möglich war. Die Stellung des Superintendenten zu
ihnen ist aber insofern eine andere, als hier die Stadtmagistrate
die Schulpatrone sind; doch ist ja das Consistorium die
Oberschulbehörde und der Superintendent der wie den Predigern auch
den Lehrern Vorgesetzte, der mit jener das städtische Schulwesen zu
überwachen und zu leiten hat. Auf Einzelnheiten kann ich hier nicht
eingehen, weil sie nur ein örtliches Interesse haben. Sonst könnte
ich Catenhusen's treue und umsichtige Fürsorge für die Möllner
Schule rühmen, durch welche er allen Ständen, den unteren wie den
höheren gedient wissen wollte. Vor Allem aber war es seine
Hauptsorge, daß in allen Schulen den namentlich die Lehre
betreffenden Bestimmungen der Kirchenordnung entsprochen werde, und
er sah es als eine der wichtigsten Amtspflichten seiner Prediger an,
sie in dieser Hinsicht zu überwachen. Es sind auch Fälle
vorgekommen, daß unwürdige Lehrer entfernt sind und ein präsentirter
Lehrer wegen Abweichung von der rechten Lehre göttlichen Worts
zurückgewiesen wurde.
Ein bleibendes Verdienst hat Catenhusen sich um die GELEHRTENSCHULE
unsres Landes erworben, als deren eigentlicher Gründer er angesehen
werden darf, wenn er sich auch selbst freilich nur als Helfer oder
Mitbegründer betrachtet sehen wollte. Die Domschule in Ratzeburg,
die in den altehrwürdigen Räumen des Doms Jahrhunderte bestanden,
wurde im Jahre 1845 Seitens der
Mecklenburgisch-Strelitzischen Regierung, welcher sie mit dem Dom
bekanntlich gehörte, aufgehoben und in Folge dessen von König
Christian VIII. die Errichtung einer Gelehrtenschule
für das Herzogthum Lauenburg in der
1863/4 - 214
1863/4 - 215
Stadt Ratzeburg beschlossen. Sie stand Anfangs
noch sehr in Zweifel, und es darf gesagt werden, daß ohne Catenhusen
aus der Sache nie etwas geworden wäre. Ihre Verwirklichung danken
wir seiner Ausdauer, seiner Begeisterung und Wärme, mit der er diese
ihm so wichtige Angelegenheit betrieb und wie bei dem Consistorio,
der Regierung und den Ständen, so nach Oben hin befürwortete.
Deshalb war es auch für ihn, wie für Alle, welche die Bedeutung
einer eigenen Gelehrtenschule für unser Land zu würdigen wußten,
eine große Freude, als dieselbe endlich beschlossen wurde und
bereits am 20. Oct. 1845 im ehemaligen
Lokale der Domschule von ihm eröffnet werden konnte. Er lud dazu ein
durch eine als Schulprogramm gedruckte Ansprache: "Dr.
M. Luther's, des deutschen Propheten und Apostels, lehrreiche
Aussprüche über die hohen Schulen." Aus derselben und namentlich aus
den einleitenden Worten erkennen wir die ächt-lutherischen
Grundsätze, welche Catenhusen bei dieser wichtigen Angelegenheit
leiteten, und welche in dem das Jahr darauf erfolgenden Regulativ
ihren Ausdruck fanden. Ich darf mir es nicht versagen, einige
Stellen der Ansprache auszuheben, welche Catenhusen's tiefe
Verehrung Luther's und sein eignes deutsch-lutherisches Herz kund
thun, aber auch sein nur zu bald bestätigtes Urtheil über die
damalige Zeit aussprechen. "Luther's Name ist groß und unsterblich.
Aber ob er dem Namen nach Allen bekannt ist, so ist er doch nach
seinem Geist und inneren Wesen nur von Wenigen gekannt. Die kennen
ihn nicht, die seine Schriften nicht ernst gelesen und gründlich
erwogen haben, und deren ist in unsrer Zeit eine große Zahl. So
urtheilt man über Luther, ohne ihn zu kennen, und der Ruhm des
Fortschrittes, den unsre Zeit sich vor Luther in geistlichen Dingen
anmaßt, beruht auf einem dünkelhaften Vorurtheil der Unwissenheit,
hat seine Quelle in unsrer Unkenntniß seiner und unser selbst. Doch
1863/4 - 215
1863/4 - 216
von Luther ist nie ab- und wegzukommen, und darum
müssen auch wir wieder zu ihm hinan. Liebes Deutschland, du wirft
deinen edelsten und hochherzigsten Sohn, liebes deutsches Volk, du
wirfst den deutschesten unter allen deutschen Männern, den treusten
Knecht Gottes, deinen Propheten und Apostel, durch den Gott die
Nacht und Macht des Papstthums über dir zerstreut und zerbrochen
hat, - du wirst deinen Luther, dessen Name der reinste Juwel und der
edelste Demant in der Krone deines Ruhmes ist, bald näher, bald
besser kennen lernen, als du ihn jetzt kennst. Ich will nicht
rechten und hadern mit deinen Lichtfreunden, die klüger sind als
Gott und darum Gottes Wort weit von sich weisen. Dazu hab' ich nicht
Zeit, Auch verlohnt es sich der Mühe nicht. Aber das will ich sagen:
Soll Deutschland Deutschland bleiben, und in ihm ein deutsches Volk,
nicht bloß dem Namen, sondern auch dem Wesen und der Wahrheit nach
erhalten bleiben, so können wir von Luther nicht ab und weg, sondern
müssen wieder zu ihm hinan. Denn Luther ist der allerdeutscheste
Mann, den es je gegeben hat und geben wird. In ihm hat sich
deutsches Wesen, deutscher Sinn, deutsche Kraft und deutscher Muth,
der ganze deutsche Charakter, am reinsten und völligsten ausgeprägt.
Was in Hermann, der den Varus schlug, rohe heidnische Naturkraft
war, das ist in Luther christlich verklärt. Hermann war ein
deutscher Heide, Luther ein deutscher Christ. Und wir wollen doch
wohl nicht wieder zu den stummen Götzen unsrer Väter zurück?
Deutsches Volk, du willst doch wohl ein christlich Volk bleiben? So
sieh, so ist und bleibt Luther dein Mann, der deutsche Mann, an dem
und nach dem, was deutsches Wesen, deutscher Muth, deutscher Sinn
ist, ermessen werden kann und ermessen werden muß. Da schaue ihn an,
diesen theuren deutschen Gottesmann, wie er leibt und lebt im Werk
und Kampf der Reformation. Ein Herz von Stahl und Eisen, so fest, so
undurchdringlich, so
1863/4 - 216
1863/4 - 217
unbezwinglich, wo es die edelsten theuersten
Güter galt, im Kampf für Gottes Wort, für den evangelischen Glauben;
ein Herz, das nicht anficht Menschengunst und Menschenhaß, das sich
vor der Welt und Hölle nicht fürchtet, das nicht fragt nach Lust und
Leid, das Gut und Blut nicht achtet, das hinweg ist über Leben und
Sterben, wo das Heil deiner Seelen, deutsches Volk, auf dem Spiele
stand, und dein edelstes Kleinod, der Glaube an Christum den
Gekreuzigten, bedroht war. Gab ihm doch ein ergrauter Kriegsheld
unter Thränen Zeugniß: daß er einen schwereren und heißeren Gang
gehe, als der Krieger in die Schlacht. Und dies Herz von Eisen und
Stahl im Kampfe, so voll Demuth gegen Gott, so voll Furcht vor Gott,
so unterwürfig und unterthan aller menschlichen und göttlichen
Ordnung, so voll Liebe und Inbrunst, so voll Treue und Güte, so voll
Hingebung und Aufopferung, so ernst und doch so fröhlich, so eifrig
und doch so besonnen, so thätig und nie verdrossen, so männlich und
doch so kindlich in allen Verhältnissen und Beziehungen seines
amtlichen und häuslichen Lebens. Seht, das sind die Hauptzüge in
Luther's Charakter, und die Grundzüge eines wahrhaft deutschen
Charakters. Gottes Wort und der Glaube sind die Hauptsache darin,
denn sie sind der Grund, auf dem sich das christlich deutsche Wesen
entwickelt, die Quelle alles wahrhaft deutschen Sinnes, Muths und
Lebens. Gottes Wort und der Glaube gehören nothwendig zum deutschen
Charakter. Und darum müssen wir zu Luther wieder hinan. Denn Gottes
Wort und Glaube sind aus unserem deutschen Vaterlande gewichen, und
dadurch deutscher Sinn und deutscher Muth gefährdet und bedroht.
Deutschland, Deutschland, willst du deutsch bleiben? Ohne Gottes
Wort und den Glauben kannst du es nicht! Denn ohne Gottes Wort und
den Glauben stehen deine Kinder im schreiendsten und schneidendsten
Contraste mit Luther, sind Luther's Gegen-
1863/4 - 217
1863/4 - 218
bild, und Luther war und bleibt doch ohne
Widerrede und Widerspruch der allerdeutscheste Mann, den es gegeben
hat und noch giebt." Nachdem hierauf auf mehrere merkwürdige
prophetische Aussprüche Luthers hingewiesen, heißt es: "So Luther!
Und daß er scharf gesehen hat, das können wir in unsrer Zeit
nachgerade mit Händen greifen. So wie es jetzt ist (1845),
kann es unmöglich bleiben. Die babylonische Verwirrung muß zu einem
Ende hinaus. Und weil man Gottes Wort heut zu Tage verachtet und
nichts davon wissen und hören will, sondern seinem eignen Lichte
folgen und nach eignem Rathe gehen will, so geht es den schlimmsten
Weg und zum schlimmsten Ende hinaus. Wir können es wohl merken und
spüren, daß eine Zeit großer Noth und großer Trübsal vor der Thür
ist. Verachtung des göttlichen Wortes geht allem Unglück voran. Wir
werden's sehen, wohin der Fortschritt gedeiht. Dahin, daß guter Rath
theuer wird, daß man fragen wird, wie einst zu Josaphat's Zeit: Ist
denn kein Prophet des Herrn hier, daß wir den Herrn durch ihn
rathfragen? Und dann wird der deutsche Prophet, unser Luther, wieder
zu Ehren kommen, der jetzt vergessen und verachtet ist im deutschen
Volk, und wird Deutschland wieder in Gottes Wort zeigen, das jetzt
verworfen ist!" - Darauf wird, mit Hinweisung auf den wörtlich
aufgeführten 2. Artikel des Principallandesrecesses,
"des allerwichtigsten Artikels in unsrer Landesverfassung," es mit
Dank gegen Gott ausgesprochen, daß unser Land noch ein
evangelisch-lutherisches ist, und "daß in ihm auch unser Luther noch
gilt als der er ist, als der deutsche Prophet, dessen Rath wir in
unsern Kirchen und Schulen gern hören, denn, ob er wohl ein Mensch
war, so ist er doch ein theurer Gottesmann, durch Gottes Wort und
Geist so hoch erleuchtet, wie nach ihm Keiner, am wenigsten in
unsrer Zeit. Und all sein Rath ist in Gottes Wort gegründet. Das ist
die Sache, darauf es
1863/4 - 218
1863/4 - 219
ankommt." Endlich wird dann die erfreuliche Kunde
von dem neuen Segen gegeben, womit Gott uns beglückt habe in der von
dem König Christian VIII. in seiner landesväterlichen
Fürsorge für das Wohl unsres Landes und unsrer Jugend, unter dem
Beitritt der Lauenburgischen Ritter- und Landschaft beschlossenen
Stiftung einer Lauenburgischen Gelehrtenschule. "Die Stiftung dieser
Schule ist eine Angelegenheit, die das ganze Land angeht und darum
auch das ganze Land bewegen und erfreuen muß, indem nämlich des
Landes Hoffnung für die Zukunft und unsre Nachkommen zu einem großen
Theile wesentlich auf dieser Schule beruht. Denn auf dieser Schule
soll die Lauenburgische Jugend ohne Ausnahme und Unterschied, in der
ein Antrieb und Begabung zur Wissenschaft verspürt wird, gezogen und
gebildet werden, und du siehst, liebes Land, in deinen Söhnen, die
diese Schule besuchen, deine künftigen Prediger, Räthe, Richter,
Aerzte, deine gebildeten Bürger und Landleute aufblühn. Sollte dir
das denn nicht eine herzliche Freude sein, daß deine Söhne, die
einst die geistlichen und weltlichen Aemter im Vaterland bekleiden,
in unserem lieben gesegneten Lande selbst und unter unsren Augen
gezogen werden, und nicht erst auszuwandern brauchen, um sich auf
ihren künftigen Beruf, so weit das die Schule vermag, zu bilden und
vorzubereiten? - Damit aber auch dem ganzen Lande kund und offenbar
werde, daß bei der Stiftung dieser Gelehrtenschule unsre
Landesverfassung im Auge behalten sei und daß sie auf
evangelisch-lutherischem Grunde stehe, so folgen hieneben des
deutschen Propheten, unsers theuren Dr. M. Luther's
lehrreiche Sprüche und goldene Worte über die hohen Schulen." - So
wurde also am 20. October 1845 die
Gelehrtenschule im Lokale der Domschule eröffnet, das Regulativ
derselben erschien aber im folgenden Jahre. Nach demselben hat der
König das Patronat und Ritter- und Landschaft das Compatronat, und
1863/4 - 219
1863/4 - 220
übt das Consistorium dieses gemeinsame Patronat,
wie es auch die Lehrer, bis auf den, der zugleich Rector der
Stadtschule ist, dem Könige präsentirt. Das Consistorium hat die
Oberaufsicht über die Schule, und der Superintendent ist Ephorus
derselben. Sämmtliche Lehrer werden auf die Lauenburgische
Kirchenordnung verpflichtet und beeidigt. Ich hebe bloß diese
Bestimmungen des Regulativs hervor, weil aus ihnen die kirchliche
Grundlage der Schule erhellt, die sich Catenhusen vor Allem
angelegen sein ließ. Nicht weniger aber war er unausgesetzt darauf
bedacht, in wissenschaftlicher Hinsicht für sie zu sorgen und suchte
und fand bei seinem Freunde, der ja selbst lange Jahre Lehrer an der
alten Domschule gewesen, den besten Rath, namentlich bei Besetzung
vakant gewordener Lehrerstellen. Von einem so gründlich gelehrten
und wissenschaftlich tüchtigen Manne wie Catenhusen durfte das Land
ja mit vollem Rechte erwarten, daß auch in dieser Hinsicht für die
Schule auf's Beste gesorgt werde. Sehr wichtig war ihm auch der Bau
des neuen Schulhauses, und er gab sich die größte Mühe, zunächst den
rechten Platz für dasselbe zu wählen, wozu denn auch unter seiner
Beihülfe der offenbar geeignetste bestimmt ist. Auch die Einrichtung
des Hauses selbst hatte er bis ins Speziellste bedacht und erwogen,
und es war ihm eine große, reine Freude, als das schöne Haus
vollendet da stand. Inzwischen waren die Tage hereingebrochen, die
das Haus, darin wir Alle so lange unter Gottes Segen in Frieden
gewohnt, in seinem Grunde erschütterten; Catenhusen aber weihte
unerschüttert in seinem Glauben und getrost in Hoffnung am 8.
October 1849 das neue Schulhaus ein, wozu er durch ein
Programm: "Vom göttlichen Segen, oder: Kurze göttliche Segensordnung
nach der heil. Schrift" einlud. - "Was könnte wohl mehr an der Zeit
sein, als das Wort vom göttlichen Segen? Denn der Segen Gottes ist
ja fast überall im
1863/4 - 220
1863/4 - 221
Wanken, ja im Weichen begriffen. Mehr noch, ist
er nicht schon gewichen mit wenigen Ausnahmen aus fast allen Ländern
des christlichen Europa's? Nicht gewichen aus unserem, lieben
christlichen Deutschland? Sind nicht alle Zustände erschüttert,
zerrissen, in Unordnung gerathen, in Auflösung begriffen? Nichts ist
fest. Nichts ist sicher. Nichts, was Bürgschaft für ein längeres als
ephemeres Dasein hätte und gäbe. Es steht Alles in der Schwebe. Das
Wohl und Heil ganzer Völker und Nationen, wie der Familien und
Individuen. Sind diese Zustände von Gott? Unmöglich! Denn Gott ist
ein Gott des Friedens und nicht der Unordnung. Und darum, weil sie
nicht von Gott sind, kann auch der Segen Gottes nicht mit ihnen
sein, nicht auf ihnen ruhn. Vielmehr es steht etwas Anderes vor der
Thür. Die Zeit ist da, von der Luther, den das christliche
Deutschland einst seinen Propheten und Apostel nannte, mit schwerem
Herzen geweissagt hat. Luther's, durch Gottes Wort erleuchteter und
durch den Reichthum christlicher Erfahrung geschärfter Seherblick
spiegelt sich in den Zuständen und Ereignissen unsrer Zeit ab. Das
Wetterleuchten des heiligen Ernstes Gottes, der Vorbote seines
verzehrenden Feuereifers, durchzuckt schon die sichere Welt, und von
fernher und in der Nähe lassen sich die Plagen schon sehen, die von
den Propheten des alten Bundes geweissagt sind, als die Gerichte
Gottes in der Zeit. - Wohl also dürfte es an der Zeit sein, vom
Segen Gottes zu reden und zu schreiben und durch das Wort von ihm
die Herzen und Blicke auf das zu lenken, was das Erste, Wichtigste
und Nothwendigste, zur gemeinsamen Wohlfahrt unsres lieben
Vaterlandes ist, womit Alles angefangen, fortgesetzt und vollführt
werden muß, was Dauer und Bestand, was Gelingen und Gedeihen haben
soll, und ohne welches Alles, Weisheit, Rath und Verstand, Mühe,
Arbeit und Fleiß vergebens und verloren ist, nichts schafft und
keinen Gewinn, keine Frucht bringt und davon trägt."
1863/4 - 221
1863/4 - 222
Soweit über Catenhusen's Verdienste um unser
Schulwesen. Aber dazu gehört auch sein entschiedenes Auftreten für
die innige Verbindung der Schule mit der Kirche, als der
"religionslose" Staat sie von dieser trennen und sich selber
zueignen wollte. Das werde ich nun hervorheben müssen, wenn ich
jetzt von seinem Verhalten in den Wirren der Revolutionszeit und von
der Stellung rede, welche er zu ihnen einnahm und festhielt.
____________________
In Zeiten, wie die achtundvierziger Jahre, wird
man schnell alt; ein Tag wiegt da oft so viel als sonst Jahre! Auch
Catenhusen alterte in den Jahren schnell. Konnte man's an ihm auch
sobald nicht merken, blieb er, als die Wogen hoch und höher gingen,
in der gehobnen Stimmung des Glaubens: daß er so bald aus unsrer
Mitte schied, ist doch eine Folge jener aufreibenden Zeit gewesen.
Der von Allen, die ihn gekannt, geliebte Gouverneur v. Rantzau
sprach es selbst aus, er sei alt geworden in jenen Tagen; er ist nun
auch schon drüben und droben! Es war doch eine wunderbare Zeit. Sie
ganz unparteiisch und ganz objectiv zu beurtheilen vermag erst die
Zukunft; wir fühlen den Boden unter uns noch zittern, und "die
rhythmische Bewegung der Revolutionen, die eine steigende
Progression zeigt, ist in ihren schrecklichen Schwingungen noch
nicht zu Ende," müssen wir mit Wolfgang Menzel (Geschichte der
letzten vierzig Jahre) bekennen. Aber doch darf jetzt schon ein
unparteiisches Urtheil über jene Zeit fällen, wer sie verstanden hat
und versteht, und solch ein Urheil finden wir von Menzel in seinem
lesenswerthen Buche ausgesprochen. Die Ursachen und Faktoren des
Jahres 48 lagen ja längst jedem Sehenden offen da; wie
klar haben Männer wie Catenhusen sie gesehen und ausgesprochen! Und
als nun alle finstern Gewalten und die Mächte der Finsterniß durch
einander wog-
1863/4 - 222
1863/4 - 223
ten, nein! sie selber waren ja nicht von Gott,
aber doch war sein Weg im Meere und sein Pfad in großen Wassern, und
man spürte doch seinen Fuß nicht. Und sein Volk hat Er auch da
geführt wie eine Heerde Schaafe durch Mose und Aaron. Es war eine
Zeit großer und tiefer Demüthigung für Alle, die Gott noch
fürchteten, und darum schon eine Zeit des verborgnen Segens für sie.
Es waren Tage, in denen vieler Herzen Gedanken offenbar wurden, auch
in unserem Lande. Ein lutherisches Land nannten wir uns, und
Catenhusen hatte sich oft unsres Landes als eines solchen gerühmt;
jetzt wählte es einen, immerhin sonst achtbaren, Juden zu seinem
Vertreter! Ein Contrast, schneidender als der, war nicht zu denken;
das war eine wohlverdiente Demüthigung für uns Alle und machte alle
hohe Gedanken zu Schanden. Aber wir spüren Gottes Fuß, und in allen
ferneren Demüthigungen, die wie über unser großes deutsches
Vaterland, so in besondrer Weise über unser Land kamen, die Hand
unseres Gottes. Ich will hier aber keine Geschichte jener Zeit
schreiben, auch nicht alles deß, was bei uns geschehen. Ich will nur
hervorheben, wie ohne alle Widerrede Catenhusen es gewesen ist,
durch den bei uns die hochgehenden Wasser in ihr Bette
zurückgeleitet wurden; - aber er war ja nur das Werkzeug einer
höheren Hand.
Die schleswig-holsteinische Sache konnte bei unsrer Bevölkerung
keine Sympathie haben, und hatte sie um so weniger, als unser Land
von der Krone Dänemark keine Unbill erfahren hatte, und seine
staatliche wie kirchliche Verfassung je und je unangetastet
geblieben war. Darum blieb auch der Kern unsres Volks von jenen
Wirren unberührt, und jeder Besonnene mußte sich es sagen, daß unsre
Theilnahme an ihnen eine ungerechtfertigte gewesen wäre. Das aber
1863/4 - 223
1863/4 - 224
ist und bleibt Catenhusen's Verdienst, daß seine
Festigkeit den schwankenden Gemüthern eine Stütze war, und daß seine
Nüchternheit in dem allgemeinen Rausche jener Tage Vielen zur
Besonnenheit half. "Gestern," so schreibt er am 26.
August 1848 seinem Freunde, "waren mehrere Landleute
bei mir und forderten von mir einen Gewissensrath und
seelsorgerliches Bedenken über die Frage: ob ihre Söhne durch ihren
dem Könige geleisteten Eid der Huldigung und Treue noch gebunden
seien oder nicht? Sie ständen in Rendsburg und äußerten sich dahin,
daß es wider ihr Gewissen sei, gegen den König zu fechten. Was ist
hierauf zu antworten? Man kann doch nach Gottes Wort - und das hat
allein zu entscheiden - den geleisteten Eid nicht verachten und
wegwerfen, noch den Leuten zumuthen oder rathen, irgend etwas wider
ihr Gewissen zu thun!" - Wir wissen, was er geantwortet hat, und mag
ihm das damals auch von vielen Seiten Schmähung und Verkennung
zugezogen haben, wir kennen sein deutsches Herz, seine innige Liebe
zu seinem deutschen Vaterlande, und erblicken darin nichts weniger
als eine Verläugnung derselben, vielmehr seine christlich-deutsche
Treue, die mit Luther sprach: es ist weder sicher noch gerathen,
etwas wider das Gewissen zu thun! Und ob damals über unser Land viel
Spott und Verachtung kam, der Kern unsrer Bevölkerung ließ sich das
nicht anfechten, und Alle, die es mit unserem Volke wahrhaft wohl
meinten und meinen, dankten Gott dafür. Ich sage es aber noch
einmal, und sage nicht zu viel: Gott hat sich Catenhusen's als eines
Werkzeuges bedient, die damals auch bei uns hochgehenden Wasser in
ihr Bette zurückzuweisen. Das haben namentlich wir Prediger
erfahren. Wer war denn in jenen Tagen ganz ohne Aufregung, und nicht
auch in Gefahr, mit fortgerissen zu werden? Da haben wir's denn
zunächst gelernt, was es doch sei, wenn eine bestimmte und
bestimmende Persönlichkeit, die da aus
1863/4 - 224
1863/4 - 225
Gottes Wort weiß, was sie soll und will, an der
Spitze steht. Und auch darum segnen wir Catenhusen's Gedächtniß! Als
nun später unser Land seine eigne Statthalterschaft erhielt und auch
wir Prediger jenen Revers unterschreiben mußten, welcher der
augenblicklichen Obrigkeit Gehorsam gelobte, ohne daß den
beschwornen Rechten des Königs dadurch solle etwas vergeben sein, da
ward es Catenhusen nicht leicht, sich dazu herbeizulassen. Er wäre
bereit gewesen, sein Amt niederzulegen, wenn er etwas gegen Gottes
Wort und sein Gewissen hätte thun sollen. Er hat auch hierüber viel
mit seinem Freunde verhandelt, und erst als er es klar erkannte, daß
mit jenem Revers weder Gottes Wort noch sein Gewissen verletzt
werde, entschloß er sich dazu, und entschlossen wir uns dazu. Viel,
viel hat er gelitten, als die wilden Wogen der Revolution ihre
Brandungen auch in unser Land schleuderten, aber, wie gesagt, nicht
so, daß wir's hätten gemerkt - blieb er doch stets nüchtern, ruhig
und besonnen. Wie oft hat er mich in dieser Zeit getröstet, wenn ich
beinah verzagend zu ihm kam! Als aber nun die s. g. Grundrechte in's
Land kamen, sofort auch bei uns angenommen und publicirt im
"Staatsgrundgesetze," und als in Folge derselben die
Ungeheuerlichkeit auch in unserem Lande sollte eine Wirklichkeit
werden - - eine Wahrheit war sie nie! - daß der Staat, der sich
selbst als einen religionslosen proklamirt hatte, die Schulen, die
der Kirche gehören, sich ohne Weiteres zueignen wollte, da war es
Catenhusen, der mit aller Entschiedenheit sich gegen diese selbst
nach den Grundrechten widerrechtliche Anmaßung, die unsre ganze
Kirchenordnung umgestoßen hätte, aussprach. Willst du, Staat, ohne
Religion sein, wohlan, so sei es auf deine eigne Gefahr hin. Aber
dann halt' auch dein eignes Versprechen, daß du die
Religionsgesellschaften ihre Angelegenheiten selbstständig ordnen
und verwalten läßt! Unsre Schulen sind aber die
1863/4 - 225
1863/4 - 226
unsren, gehören wenn irgend etwas zu unsern
Angelegenheiten, und keine Gewalt der Erde darf und kann sie uns
nehmen. Die Gerechtigkeit und Billigkeit dieser Forderung wird jetzt
schwerlich Jemand, der überall ein Urtheil hat, in Abrede stellen;
aber wie war das damals so anders! Damals schrieb ich zwei kleine
Brochüren über diese Frage, die nur eine ephemere Bedeutung hatten.
Ich schrieb sie selbstständig und allein, aber es waren auch
Catenhusen's Gedanken, die ich in ihnen aussprach, und wenn ich sie
jetzt noch ansehe, nimmt es mich Wunder, wie man Dinge, die sich
eigentlich von selbst verstehen, damals erst weitläufig beweisen
mußte und dennoch von den Meisten nicht verstanden wurde! So groß
war die Verwirrung der Begriffe. Diese Verwirrung legte später der
Pastor in Lauenburg, jetzt Bischof in Holstein, Koopmann in einem
Schriftchen dar: "die grundrechtliche Confusion," welches mehr als
ephemere Bedeutung hatte und von Catenhusen sehr anerkannt wurde.
Damals aber hatten sich die wilden Wasser schon bedeutend verlaufen,
und als nun im Anfang des Jahres 1851 die königliche
Auctorität bei uns wieder hergestellt wurde, da waren auch jene
grundrechtlichen Projecte alsbald bei uns wie Spreu zerstoben.
Catenhusen aber danken wir's, wenn sie bei uns nicht den Anfang
eines Anfangs genommen, sondern nur Theorieen geblieben sind, die
das Gebiet der Wirklichkeit gar nicht berührt haben. Er aber gab dem
die Ehre, dem sie allein gebührt! In einem Schreiben an die Prediger
vom 6. April 1851, in dem er eine
Collecte für die lutherische Gemeinde zu Saatzke befürwortete, heißt
es: "Seien wir unsern bedrängten Brüdern warme Fürsprecher bei
unsern Gemeinden, aus herzlicher Liebe, aber auch aus innigem Danke
gegen Gott, der sein Zion in unserem Lande gnadenreich behütet, und
das Schwerdt, das über unserem Haupte hing, nicht hat auf uns fallen
lassen. Was unsre lutherischen Brüder
1863/4 - 226
1863/4 - 227
in Preußen seit Jahren so hart betroffen, das
stand auch uns während der drei letzten Jahre in Aussicht. Der Herr
hat's in Gnaden von uns abgewandt!"
____________________
Das also war Catenhusen's politische und kirchliche Stellung in den
Wirren der Revolutionszeit. Er hat viel in ihr gelitten, und sie war
in vollem Sinne eine Zeit des Kampfes für ihn. Viele sehr
schmerzliche Erfahrungen hat er in ihr gemacht, und von Vielen wurde
er verkannt und mißverstanden. Was aber Gott zu unser Aller
Demüthigung geschehen ließ, das hat er auch zu der seinigen dienen
lassen, und darum war diese schwere Zeit seinem inneren Leben eine
gesegnete. Und als nun seine Warnungen und seine
Vorherverkündigungen, wie seine Urtheile und Rathschläge durch die
Thatsachen bekräftigt und als die richtigen erwiesen wurden, da
wandte auch das allgemeine Vertrauen und die dankbare Liebe sich dem
Manne wieder zu, der in schwerer Zeit durch Gottes Gnade
unerschüttert dagestanden und so unserem ganzen Lande zu einem Segen
geworden war. Und das soll unser Land ihm nie vergessen! Welches
aber seine politischen Grundsätze gewesen, das mögen uns noch
folgende Aeußerungen zeigen, die ich unter seinen Papieren gefunden.
In einem, vielleicht für ein öffentliches Blatt bestimmten Aufsatz:
"Christliche Gedanken über Staatsverfassungen" heißt es: - "Eine
Staatsverfassung, deren letztes Ziel und höchster Zweck die Ehre
Gottes sein soll, muß nothwendig eine christliche sein. Jede andre,
der nicht das christliche Princip, sondern ein indifferentes zum
Grunde liegt, ist ein Angriff auf und ein Eingriff in die Ehre
Gottes, und daß man's grade heraussagt, eine Gotteslästerung, und
trägt das Urtheil ihrer Nichtigkeit und darum auch das ihrer
Verwerfung in sich. Die kann und wird nicht stehn und bestehn, so
gewiß nicht, als Gott seine Ehre keinem Andern
1863/4 - 227
1863/4 - 228
geben will. Und darum die Staatsmänner, die
religionslose, indifferente Verfassungen aufstellen, die gleichen
sammt und sonders jenem thörichten Manne, der sein Haus auf Sand
baute. Es bedarf nicht einmal des Platzregens, nicht der Gewässer,
nicht der Winde, um ein solch Machwerk umzustoßen; ja, wie Luther
sagt, der liebe Gott streckt nicht einmal den kleinsten Finger
dagegen aus, sondern er lacht bloß (Psalm 2, 4), so
fällt die ganze Geschichte über einander und aus einander. Das haben
unsre Augen wohl in den letzten Jahren gesehn. Die Frankfurter
Nationalversammlung war hin, sobald sie das Christenthum aus der
Verfassung Deutschlands auswies. Da lachte ihrer, der im Himmel
wohnet, und der Herr spottete ihrer. Da sie Gott seine Ehre rauben
wollte, verlor sie ihre Ehre, und die Grundrechte der Deutschen sind
ein laut redendes Zeugniß von dem Wahnsinn, in den die Weisheit
dieser Welt verfällt, sobald sie durch Verwerfung des Christenthums
Gott die Ehre nehmen will, die ihm gebührt. Soll und muß daher jede
gedeihliche Staatsverfassung eine christliche sein, so darf sie auch
die christliche Kirche nicht bloß nicht ignoriren, sondern muß sie
den Grund sein lassen, die den Staat trägt. Der Staat darf sich
nicht von der christlichen Kirche trennen, sonst verliert er Alles,
was die unabweisliche Bedingung seiner glücklichen und dauerhaften
Existenz ist, verliert Geist, Wahrheit, Leben und Kraft, und geht in
sittliche Fäulniß und Verwesung über. Die christliche Kirche ist das
Herz des Staats, von dem seine Lebensadern ausgehn. In ihr wird
einzig und allein durch die Predigt des göttlichen Worts das reine
gesunde Blut des bürgerlichen Lebens erzeugt, und in den
Staatskörper und alle seine Glieder ausgeströmt. - Der Staat ruinirt
sich selbst und begeht einen Selbstmord an sich, der nicht mit allem
Fleiß und mit der schärfsten Wachsamkeit auf die christliche Kirche
und die reine lautere Lehre des göttlichen Worts in ihr hält.
1863/4 - 228
1863/4 - 229
Denn wo Gottes Wort nicht rein und lauter
gepredigt wird, da gewinnt Menschenlehre und Menschensatzung Raum
und Macht, und das ist die Weisheit, die Jacobus zeichnet als eine
solche, die nicht von Oben herab kommt, sondern irdisch, menschlich
und in ihrem letzten Grunde teuflisch ist. Jac. 3, 15.
Nun, mit solcher Weisheit sind die Völker lange gefüttert. Man hat
nicht bloß ruhig und still in der letzten Hälfte des vorigen und in
den ersten Decennien dieses Jahrhunderts zugesehen, als die Lehre
des göttlichen Worts durch die menschlich diabolische Weisheit
dieser Welt verdrängt ward, und der Zeitgeist statt des heiligen
Geistes seinen Lehrstuhl auf den Kanzeln aufschlug, sondern dies
Unwesen in vollem Maaße begünstigt und gefördert. Man ließ statt des
Waizens Unkraut säen! Nun ist die Frucht da, und die Welt ist voll
Verbrechen. O welche Greuel sind seit 1848 in allen
Staaten und Ländern Deutschlands gehäuft! Wie ist Gottes Ehre
geschmäht und entehrt! Wird darauf keine strafende Heimsuchung, kein
Gericht erfolgen? Ach, wir sind so sicher, so sicher, während doch
ganz ersichtlich der Boden unter unsern Füßen unterminirt ist." --
Und in einem andern Aufsatze: "Louis Napoleon, Kaiser der Franzosen"
heißt es u. A: - "Ach, daß wir Ohren hätten zu hören, und Augen zu
sehen! Dann würde das neue in Frankreich entstandne Kaiserthum uns
eine gewaltige, Mark und Bein durchdringende Bußpredigt werden, und
wir würden es im Voraus merken, was der Kaiser Louis Napoleon in
Gottes allmächtiger Hand für Deutschland werden kann, wenn wir uns
nicht von ganzem Herzen zu dem Herrn unserem Gott bekehren. Welch
ein unzählbares Heer großer und schwerer Sünden und Missethaten
ruhet und lastet nicht, besonders seit den vier letzten Jahren, auf
Deutschland! Unsre Väter hatten gesündigt, und sie wurden deshalb
hart und schwer viele Jahre heimgesucht und gezüchtigt von der
gewaltigen Hand
1863/4 - 229
1863/4 - 230
unsers Gottes. Aber wir, wir haben viel mehr und
weit schwerer gesündigt, als unsre Väter. Denken wir denn frei
auszugehen und der Heimsuchung und Züchtigung des Herrn zu
entrinnen? - - - Wo aber ist Erkenntniß der Sünden? Wo Bereuung der
Schuld? Wo die Buße, die mit zerschlagnem Herzen vor Gott sich beugt
im demüthigen und aufrichtigen Bekenntniß? Wo der Glaube, der das
Sühnopfer Christi ergreift und vor Gott bringt? Wo die Umkehr von
den alten Wegen des Verderbens zu dem guten Wege Gottes? Davon kann
man in der That nur wenig, fast gar nichts merken!"
____________________
Dieses die politischen Grundsätze Catenhusen's.
Sie hingen auf das Engste mit den theologischen zusammen, die er als
lutherischer Theologe und als ein ächt lutherischer Pastor und
Superintendent die seinen nannte. Und als solcher, nicht als
theologischer Schriftsteller, als muthiger Vertreter des
lutherischen Bekenntnisses einer widerchristlichen und
widerkirchlichen Zeitströmung gegenüber hat er auch in weiteren
Kreisen Anerkennung gefunden. Durfte ihn doch der Herausgeber des
Sächsischen Kirchen- und Schulblattes, in welchem der oftgedachte
Nekrolog erschien, Dr. Kahnis in Leipzig, einen Mann
nennen, welcher der ganzen lutherischen Kirche angehörte. Und wie
andre bedeutende Männer unsrer Kirche ihn hochgeehrt, ein Rudelbach,
ein Harleß, ist ja bekannt und geht namentlich aus den Briefen des
Letzteren an ihn hervor. Bei den zu ihrer Zeit sehr gewichtigen
lutherischen Conferenzen in Leipzig war Catenhusen, der sie mehrmals
besuchte, eine sehr willkommene Erscheinung, und vielen Mitgliedern
derselben wird er durch sein bei aller Anspruchslosigkeit
imponirendes Auftreten unvergessen geblieben sein. Noch bei der im
Jahre 1851 abgehaltnen Conferenz war er zum Referenten
über das Thema: "Landeskirchenthum und Separation" bestimmt, und
sandte er sein Referat, da er nicht persönlich kommen konnte,
1863/4 - 230
1863/4 - 231
schriftlich ein. Es ist abgedruckt in der
Zeitschrift für Lutherische Theologie und Kirche v. J. 1852,
erstes Heft, S. 144-151. So wurde er auch mehrfach um
seinen Rath und um sein Gutachten namentlich von Solchen angegangen,
die der Union gegenüber ihr lutherisches Bekenntniß festhalten
wollten, und denen doch eine Separation schwere Gewissensbedenken
verursachte, und auch in eigentlich theologischen Dingen wandte man
sich gern an ihn. Unter seinen nachgelassenen Papieren finde ich ein
ausführliches "theologisches Bedenken über die Frage, ob nach den
Grundsätzen der lutherischen Kirche bei der Confirmation die Prüfung
von der Einsegnung zu trennen und letztere für den eigentlichen Act
der Confirmation zu halten sei?" was er auf Grund unsrer
Kirchenordnung und unsrer Bekenntnißschriften verneint. Was ihm aber
eine solche Bedeutung erwarb, das war, so sprechen wir mit dem
Nekrologe, "daß er, was heutzutage eine Seltenheit ist, eine
Persönlichkeit, und zwar, was noch seltner, eine christliche und
eine lutherische Persönlichkeit war; fast konnte man ihn einen
Fremdling in unsrer Zeit nennen. Er war ja auch ein Kind seiner
Zeit, aber er gehörte zu denen, die dem giftigen, entnervenden
Anhauche des Zeitgeistes am kräftigsten widerstanden. Wenn bei
irgend Einem, so waren bei ihm die eigenthümlichen Schäden und
Schwächen unsrer Zeit nur in den leisesten Spuren zu erkennen; wenn
irgend Einer, so war er im Stande, durch sein ganzes Lebensbild den
Augen der jetzigen Generation die Gestalt eines treuen,
rechtgläubigen Dieners des Worts zu vergegenwärtigen, wie sie unsre
Kirche in ihren früheren Zeiten viele gesehen hat. Wenn man die
verschiedenen Schattirungen christlichen Glaubens und Lebens
überblickt, die an den Gläubigen unsrer Zeit bemerklich sind, die
pietistische Richtung, die herrnhutisirende, die methodistische, die
katholisirende und wie viele es noch geben mag (und wir wissen es
ja, wie schwierig
1863/4 - 231
1863/4 - 232
es für einen Jeden ist, zu vermeiden, daß er
nicht einer oder der andern dieser Richtungen, bewußt oder unbewußt,
mehr oder minder anheimfalle), so müssen Alle, die den Verstorbenen
kannten, bezeugen, daß an ihm keinerlei Hinneigung zu einer dieser
Schwächen moderner Gläubigkeit zu erkennen war. Er hielt die Mitte
zwischen ihnen und ging unbeirrt durch sie Alle hindurch den
einfältigen, längst erprobten Weg altlutherischer Frömmigkeit. Ja,
er gehörte zu den Wenigen, die zuerst und am klarsten in unsern
Tagen wieder zum alten Kirchenton in Glauben und Bekennen
hinangekommen, an denen viele Andere sich wieder zurecht finden und
zur alten gesunden Christenweise unsrer Väter zurückkehren lernten."
Catenhusen war ein lutherischer Theologe von altem Schrot und Korn,
das seine Bedeutung. Es hat ja unser lutherisches Bekenntniß vor
allen anderen das als Signatur seiner Wahrheit, daß es in allen
eigentlichen Bekenntnißpunkten auf dem klaren Schriftgrund ruht.
Gottes Wort und Luther's Lehr - jeder Lutheraner weiß, was das sagen
will und daß damit der alleinigen Auctorität und der Superiorität
des göttlichen Worts nicht das Mindeste derogirt, daß damit aber
unser lutherisches Bekenntniß als der genuine Ausdruck desselben
bezeichnet werden soll. Und so hatte Catenhusen von Anfang an die
seligmachende Wahrheit in Luther's Lehre gefunden und wieder
gefunden, wie ja Luther ihm, wie wir sahen, der menschliche Führer
zum Evangelium war. Daher die tiefe Verehrung, die er bis ans Ende
vor diesem Manne Gottes hatte, und daher sein Hochhalten der
Schriften Luther's. Höher aber und über Alles hoch war ihm Gottes
Wort. Darum war ihm Luther und darum Luther's Wort so theuer, weil,
wie er in der trefflichen Abhandlung: "Luther's Verhalten im
Sakramentstreit" sagt, "ihm wie die Schrift überhaupt, so jedes Wort
des Herrn in der Schrift ein unantastbares Heiligthum war.
Willkürlich
1863/4 - 232
1863/4 - 233
mit einem Wort des Herrn zu schalten und zu
walten, ohne die zwingendste und dringendste Noth und ohne
anderweitige Berechtigung aus der Schrift selbst vom buchstäblichen
Sinne des Worts abzugehn, und dem Worte einen Sinn nach menschlicher
Vernunft unterzuschieben, das war ihm der größte und ruchloseste
Frevel, der an der Schrift und an dem Worte des Herrn begangen
werden konnte." Und damit hat Catenhusen sich auch selbst
gezeichnet. So war er Lutheraner je und je und schon in seiner
ersten Gemeinde. *) Wenn er aber erst
____________________
*) In der kürzlich erschienenen Lebensbeschreibung SPITTA's, dessen
"Psalter und Harfe“ in so weiten Kreisen bekannt ist (†
als Superintendent in Burgdorf 28. Sept. 1859),
von K. K. MÜNKEL, wird S. 102 f. eines Besuches
gedacht, den Spitta von Lüne aus, wo er damals Hauslehrer war, bei
Catenhusen im Jahre 1825 machte. „Ich war zwei Tage
bei ihm, so berichtete Spitta. Es sind viele Gaben, aber nur Ein
Geist! So ist grade bei ihm jene Milde und wohlthuende
Freundlichkeit das hervorstechende Merkmal seiner
Glaubensgerechtigkeit. Es waren herrliche Stunden, die ich bei ihm
verlebte; wir konnten unsern Gesprächen gar kein Ende machen, denn
sie dreheten sich immer um das alte, nie ausgeredete: Liebe und
Leid! um das große, wunderbare, liebevolle: Also hat Gott die Welt
geliebt! und das leidige, betrübte: Er kam in sein Eigenthum und die
Seinen nahmen ihn nicht auf!" Dabei bemerkt Münkel: "Wichtig wurde
ihm aber dieser Besuch dadurch, daß er zum ersten Male mit einem
Lutheraner zusammentraf, der es mit Bewußtsein war und darüber mit
Ernst hielt. C. hatte damals schon mehrfach seine Stimme über Luther
hören lassen und war eben damit beschäftigt, eine Schrift über das
h. Abendmahl herauszugeben." Dazu muß es nicht gekommen sein, auch
finde ich in seinen Papieren darüber nichts aus jener Zeit. Dabei
bemerkt aber Münkel, wie damals für den s. g. Confessionalismus die
Zeit noch nicht angebrochen war und Catenhusen's Kämpfe sich damals
auch eigentlich nur gegen den Rationalismus richteten. Beiläufig
noch die Bemerkung, daß von den dort weiter genannten Predigern,
deren Bekanntschaft Spitta gemacht, nur ZURHELLE, CLAUDIUS und
1863/4 - 233
1863/4 - 234
später den confessionellen Gegensatz mehr
accentuirte, so war das eben der Entwicklungsgang der Kirche, dem
auch er folgte. Und wenn er namentlich die lutherische
Abendmahlslehre mit so großer Entschiedenheit verfocht, so hat er
von Anfang an nicht anders geglaubt und gelehrt; er hielt es aber
für nöthig, mit allem Ernst es auszusprechen, daß durch die kleinste
Abirrung von diesem Artikel die ganze Glaubenslehre in ihrer
schriftgemäßen Reinheit leide, wie er das namentlich in gedachter
Abhandlung mit Darlegung des Grundprincips unserer Kirche gethan.
Und darum konnte er nicht anders, als bei allem Festhalten an dem
ökumenischen Charakter der Kirche jede Union abweisen, welche die
Reinheit dieses Artikels verletzte, das aber um so mehr, als die
Ueberzeugung, die er sogleich von Anfang an, wie wir gesehn, über
die Union aussprach, durch die Erfahrung nur zu sehr gerechtfertigt
wurde, und als die neuesten Ereignisse auf ihrem Gebiete so laut
gegen sie zeugten. Was war es doch für ein Armuthszeugniß, welches
sie in jener preußischen Generalsynode (August 1846)
über sich selbst ausstellte! Naiver hat sie nie ihre eigentliche
Tendenz ausgesprochen, als eben damals. Und ob es dieser
Generalsynode erging wie dem Thurmbau zu Babel, und trotz der
folgenden Sturmjahre, die auch die Union mit hatte vorbereitet -
hatte sie doch Wind genug gesäet! - ist sie selbst doch nicht klüger
geworden und hat ihre Pläne keineswegs aufgegeben. Alles das
rechtfertigte Catenhusen's Position, in der er ihr nicht die
geringste Concession gemacht wissen wollte, und wenn sie auch unter
uns gar keinen Raum haben konnte, so müssen doch auch wir ihm das
Dank wissen. Daß wir zu allen neuen Maßregeln auf dem Gebiet der
Kirche so gar kein Vertraun haben und uns von
____________________
HENNINGS unserem Lande angehörten. Letzterer, seit
1826 Pastor in Siebeneichen, jetzt zu St. Georg, gehört
auch zu den ersten Wahrheitszeugen der damaligen Zeit.
1863/4 - 224
1863/4 - 235
vorn herein an ihnen nicht betheiligen, das
verdanken wir ihm. Deshalb hatte er auch gegen den Kirchentag seine
großen Bedenken. Es ist ihm das oft verdacht, aber jetzt liegt es am
Tage, wie sehr diese Bedenken gerechtfertigt waren. Bei allem dem
aber war er in seinem innersten Herzen frei von jener doch wirklich
hyperlutherischen Richtung, die allein in der lutherischen Kirche
die Kirche findet, und bei aller Accentuirung der reinen Lehre war
er fern von jener einseitigen Accentuirung derselben, die uns in
manchen Erscheinungen unsrer Tage mit gerechtem Bedenken erfüllen
muß. Das zeigte sich namentlich bei der in seine letzten Jahre
fallenden Controvers über die Amtsfrage. Luther's und unsrer
Bekenntnißschriften Lehre und Anschauung von der Kirche und dem Amte
waren auch die seinen, woran er unbeirrt festhielt.
____________________
Es bleibt mir jetzt noch übrig, das Wichtigste aus
Catenhusen's letzten Lebens- und Amtsjahren zu berühren. Mit neuem
Muth und neuer Hoffnung hatte er die wieder geordneten Verhältnisse
unsres Landes und unsrer Landeskirche begrüßt, und gab dem die Ehre,
der das Schifflein, so nahe dem Zerscheitern und Untergehen, mit
seiner allmächtigen Hand behütet hatte. Wir haben ja durch Gottes
Gnade behalten, was wir durch sie gehabt, und schwerlich ist der
Gewittersturm der Revolution so gnädig an einem Lande
vorübergegangen, als an dem unsrigen. In wiefern Catenhusen an
seinem Theile dazu mitgeholfen, ist oben angedeutet, und so suchte
er auch bei der sich vorbereitenden Neugestaltung staatlicher
Verhältnisse auf dem altbewährten Grunde unsrer Verfassung, die
Selbstständigkeit unsrer auf der Kirchenordnung ruhenden kirchlichen
Stellung zu wahren, wo er es vermochte. Von dem, was er für den
weiteren inneren Ausbau der Kirche
1863/4 - 235
1863/4 - 236
unter uns in dieser Zeit gethan, ist Manches
schon zuvor erwähnt. Ich bemerke namentlich noch die durch ihn
veranlaßte und von ihm geordnete definitive Theilung unsrer größten
Landgemeinde, der Sandesnebener, in ein Pastorat und Compastorat.
Catenhusen's ältester Sohn war bisher Adjunct des alten Pastor Beer
zu Sandesneben gewesen, und wurde nach dessen Tode zum Compastor
gewählt. Wie das dem Vater eine große Freude war, seinen Sohn im
Amte zu sehn, und diese Freude seine letzten Jahre versüßte, so war
es seinem weichen Herzen ein Balsam, wenn in alter Liebe auch die
Herzen derer sich ihm wieder zuwandten, die in den an
Mißverständnissen so reichen Jahren auch ihn mißverstanden hatten,
und wenn auch seine von ihm so treu geliebte Gemeinde ihm
unzweideutige Beweise ihrer Verehrung und Liebe gab. Und auch das
war ihm billig eine Freude, wenn seine Treue an höchster Stelle
anerkannt wurde. Früher schon mit dem Ritterkreuze des
Danebrogordens beschenkt, später zum Danebrogsmann erhoben, empfing
er nun auch das Commandeurkreuz dieses Ordens. Niemand war weniger
eitler Ehre geizig, als er, und man hat ihn auch mit dieser Ehre
niemals prunken sehn. Aber er nahm sie aus der Hand seines Königs
als aus Gottes Hand an und darum freute er sich derselben in
demüthiger und kindlicher Freude.
Fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, anhaltend am Gebet, so
war Catenhusen, wie er's je und je gewesen, auch seine letzten
Lebensjahre. Seine Hoffnung stand ja nach Oben, aber er glaubte
doch, nachdem die wilden Wasser der Revolution sich verlaufen, auch
noch ein Wiederaufblühen der Kirche auf Erden hoffen, wenn auch
nicht selbst mehr erleben zu dürfen. Deß war ihm aber einzige
Bedingung das Festhalten an der reinen Lehre des Worts, wie unsrer
Kirche sie vertraut ist. Daß aber auf der andern Seite das Fehlen
und das Nicht-
1863/4 - 236
1863/4 - 237
wollen dieser Bedingung ihn mit eben so tiefem
Schmerz, als wohlberechtigter Besorgniß erfüllte, haben wir ihn ja
oft bezeugen hören. Geduldig in Trübsal - hatte er diese Geduld doch
auch wie zuvor noch nicht in seinem letzten Amte, zumal in der
letztvergangenen Zeit gelernt. Und er hat auch sonst sie lernen
müssen in manch herbem Lebensschmerz. Er hat sie aber von dem und
bei dem gelernt, dessen Geduld unsre Seligkeit ist, in anhaltendem
Gebet. Catenhusen's inneres Leben war mit Christus verborgen in
Gott, und von ihm galt das schöne Wort, das er in seiner letzten
Osterpredigt sprach: "Die Erfahrungen der Nähe des Herrn nehmen
nicht ab, sondern zu, daß die Seinen es wissen und immer mehr
erkennen, an wen ihr Glaube sich hält, und täglich bekennen müssen:
so lange Jesus bleibt der Herr, wird's alle Tage herrlicher! Doch
aber bleiben diese Erfahrungen als ein heiliges, stilles Geheimniß
bewahrt in den Seelen, die sie machen, und treten selten offenkundig
vor der Menschen Augen!" Das Wort galt so ganz von ihm, auch von
seinem Gebetsleben. Oben in seinem Studirzimmer der Arbeitsstuhl vor
seinem Schreibtisch das war sein Gebetsstuhl, auf dem er manchen
Gebetskampf gerungen und manchen Gebetssieg errungen hat. Es war
seit vielen Jahren seine liebe Gewohnheit, aus den Loosungen der
Brüdergemeinde ein Wort seines Gottes mit sich hineinzunehmen in den
Kampf jedes Tages, und dieses Wort ins Gebet fassend es seine
tägliche Speise sein zu lassen auf seiner Pilgerreise. So fand man
denn auch allezeit dieses ihm so liebe Büchlein aufgeschlagen auf
seinem Arbeitstische. Und gewiß, das Beste, das Fruchtbarste in
seinem Amte hat er dort vollbracht - auf seinem Gebetsstuhle, hat da
sich hindurchgeglaubt und hindurchgebetet durch manche schwere
dunkle Stunde, wie er in einer seiner letzten Predigten sprach: "O
da müssen wir lernen, uns hindurchzuglauben, müssen es lernen im
dunkeln Thale, damit
1863/4 - 237
1863/4 - 238
wir's einst in der Nacht des Todes können. Da,
wenn unser Leben in die Nacht des Todes eingeht, da findest du kein
Licht, wenn du nicht gelernt hast, es in Gottes Wort zu sehn und
darauf von ganzem Herzen zu trauen und zu bauen." Und dort in seinem
Kämmerlein hat er, zurückschauend auf sein ganzes Leben und alle
seine Führungen, auch an dem täglichen Dankopfer es nicht fehlen
lassen. Von so Vielem, was Gott gethan, und er hatte oft wohl nicht
gewußt warum, war ihm ja nun schon das Warum? aufgegangen, und mehr
und mehr erkannte er in allen Wegen den Plan dessen, "der das Leben
seiner Christen zu einem System, einem Schauplatz wie seiner
göttlichen Langmuth und Geduld, so seiner anbetungswürdigen Weisheit
und Erkenntniß macht." Nach einem seiner letzten Geburtstage (1850),
an welchem ich nicht hatte bei ihm sein können, schrieb er: "Gott
hat mich den gestrigen Tag in Ruhe, Frieden und Freude erleben und
verleben lassen, und mich die zurückgelegten 58 Jahre
meines Lebens so väterlich, so wunderbar, so treu und liebreich
geführt, daß ich ihm gestern mit dankbarem Herzen ein Ebenezer in
der Stille gesetzt, seine Freundlichkeit angeschaut und mich an ihr
erquickt habe. Hilf ferner weit, du treuer Hort, hilf du zu allen
Stunden!" Catenhusen's letzte Lebensjahre waren, wenn auch bei manch
herbem Schmerz, doch stille Friedensjahre. In der Gemeinschaft
lieber Freunde und Brüder, unter denen sein geliebter Jugendfreund
seinem Herzen ja der Nächste blieb, und mit den nahen Amtsbrüdern
gern auch wissenschaftlich verkehrend und ihre Versammlungen gern
besuchend, fühlte er sich glücklich und froh, und fand er Erquickung
und Stärkung, wenn er unter der Last der Amtssorgen und Amtsarbeit
oft schwer seufzte. Denn - verbergen konnte man sich's ja nicht, und
auch er empfand es - seine Kraft war doch und wurde immer mehr eine
gebrochene, und was er in den vorhergehenden Jahren gelitten, das
zeigte sich
1863/4 - 238
1863/4 - 239
mehr und mehr in dem Abnehmen seines äußeren
Menschen. Manches Auge hat damals mit Wehmuth auf ihm geruht, denn
uns ergreift ja ein tiefwehmüthiges Gefühl, wenn wir einen geliebten
Menschen altern sehn. Aber wenn wir's denn wissen - und bei ihm
wußten wir es ja! - daß sein innerer Mensch nicht gealtert ist,
vielmehr sich täglich erneuert, so ist's doch nur die Wehmuth bei'm
sinkenden Strahl der Abendsonne, deren Wiederaufgang wir getrost
hoffen. ,Sieh, die Sonne geht zur Ruh, kommt doch Morgen wieder!"
Die vielen und schweren Arbeiten seines zwiefachen Amts drückten
Catenhusen je länger je mehr. Wie gern hätte man ihm Erleichterung
verschafft! Aber davon wollte er nie etwas wissen. Mit der
pünktlichsten und oft ängstlichsten Genauigkeit besorgte er Alles
selbst, und es hätte ihm auch Niemand darin genügen können. Deshalb
wollte er auch keinen Schreiber haben. Er schrieb Alles selbst und
ebenso ausführlich und gründlich wie immer. Zu einer nöthigen
Erholung rieth man ihm im Sommer 1852 einen Aufenthalt
in Travemünde. Dort gebrauchte er auch das Seebad, welches ihm wie
es schien sehr wohlthat, so daß er neu gestärkt wiederkehrte und mit
neuer Kraft sich seinen Arbeiten wieder hingab. Wie Vieles trug er
noch in seinen Gedanken und hat auch wohl gehofft, es hinausführen
zu können! Aber Gottes Gedanken waren andere. Nachdem er den Winter
in gewohnter Weise und im Ganzen neu gestärkt verbracht, und seine
allerletzte Arbeit, wie schon bemerkt, die neuste und zwar eine
stereotypirte Auflage unseres Gesangbuches, dessen mühsame Correctur
er selbst besorgte, gewesen, kam das Osterfest 1853
heran, welches sein letztes hienieden sein sollte. Es ist, als habe
er eine Vorahnung des baldigen Scheidens gehabt - so klingen uns
seine letzten Worte. Sie tönen uns wie Abschiedsworte an Uns Alle.
In der Ansprache an die Confirmanden, deren Confirmation am
1863/4 - 239
1863/4 - 240
grünen Donnerstage geschah, heißt es: „Endlich
mein letztes Wort an Euch. Sehet, mein Tagewerk, mein Dienst an
Euren Seelen in Eurem Unterricht ist nun vollbracht, und so wie
bisher werde ich nicht mehr fortan in Eurem Kreise sein. Ob aber
unsre Wege auseinander gehen, wenn sie dort nur sich wieder
zusammenfinden und wir uns dort wiederfinden vor dem Richterstuhle
Christi als solche, die nicht gerichtet werden, weil sie Vergebung
der Sünden haben. Nun meine letzte Bitte, die ich Euch ans Herz
lege, die fass' ich zusammen in das Wort: seid getreu, getreu Eurem
Gott, getreu Eurem Erlöser, getreu bis an den Tod, so wird Er Euch
die Krone des Lebens geben. Und nun befehle ich Euch Gott, meine
Lieben, und dem Wort seiner Gnade, das mächtig ist, Euch zu erbauen
und das Erbe zu geben unter Allen, die geheiligt worden. Ich habe
Euch nichts verhalten, was Euch zum Heil nöthig ist, daß ich es Euch
nicht verkündigt hätte, und Euch gelehrt öffentlich und sonderlich,
und habe Euch bezeuget die Buße zu Gott und den Glauben an unsern
Herrn Jesum Christum. Gedenket daran, wie ich nicht abgelassen habe,
Euch zu ermahnen. Und nun die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, die
Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft seines heiligen Geistes
sei und bleibe mit Euch. Amen." Und in seiner letzten Predigt, am
zweiten Ostertage: "O welch eine Wonne, welch eine Herrlichkeit wird
das sein, wenn das, was wir hier in der Welt die lange, bange Nacht
des Todes nennen, wie ein kurzer Schlummer und Traum weggeweht sein
wird, und was unter Thränen der Liebe ins Grab getragen und gesenkt
ward, unter dem Freudenjubel der Liebe wieder aufersteht, und das
Lebewohl, das du einem gebrochenen Herzen in die Nacht des Grabes
hast mitgegeben, nun ein fröhlicher Gruß des Willkommens wird! Ja,
ihr Theuren, es giebt eine Auferstehung des Lebens. O das ist uns
ein seliger Trost, der allein die
1863/4 - 240
1863/4 - 241
Liebe aufrecht erhält und erhalten kann, wenn sie
mit ihren bangen, heißen Thränen am Grabe steht. Diesen Trost, diese
Hoffnung halte fest und stärke sie in dir; du hast sie nöthig!" -
Schon vor dem Feste zeigte sich ein Geschwür an der Hand und bald
ein andres im Nacken, das er anfangs nicht beachtete, welches aber
in Kurzem um sich griff und endlich so schlimm ward, daß trotz aller
ärztlichen Hülfe - auch sein Schwager aus Uetersen war anwesend -
keine Heilung mehr möglich war. Ostern war der 27.
März gewesen; der 24. April war bereits sein Todestag.
So Jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen
ewiglich! Dieses Wort, vor Kurzem noch von ihm verkündigt, hat sich
auch darin an ihm bewährt, daß er die Schmerzen des Todes nicht
empfunden hat. Im Anfange seines Krankseins ahnte er so wenig als
die Seinen sein so nahes Ende, im Fortgange desselben lag er je
länger je mehr in einem soporösen Schlummer, der ihm nur einzelne
und immer seltner werdende lichte Augenblicke ließ. In der Nacht von
Donnerstag auf Freitag vor seinem Ende, da die Tochter, welche sich
mit der Mutter in seine Pflege theilte, und der älteste Sohn an
seinem Lager weilten, sprach er in einem solchen Augenblicke, als
der Sohn ihn auf das Psalmwort hinwies: Und ob ich schon wanderte im
finstern Thale -: "Mein Kind, das Thal, darin ich wandle, ist nicht
finster; o nein, es ist ganz hell!" Und ein andermal hob er an seine
Beichte zu beten, worauf der Sohn, der ja auch sein Bruder im Amte,
dem geliebten Vater mit weinender Stimme die Absolution ertheilte.
Dann lag er wieder stillschlummernd da, und als sein Bewußtsein
einmal wiederkehrte, hob er den ihm so lieben Gesang (Nr. 712)
an: "Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Noth," den darauf
die Tochter zu Ende betete. Immer seltner kamen die Augenblicke des
Bewußtseins, und während wir, die Seinen, Alle um sein
1863/4 - 241
1863/4 - 242
Sterbelager versammelt waren, Gottes Wort ihm
zurufend - wer weiß, wie Vieles Sterbende noch hören! - und nicht
ablassend, für ihn zu beten, schlief er unter unserm Gebet und unter
unsern Thränen, "den Thränen der Liebe," still und sanft wie ein
Kindlein ein! Es war die Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag
Cantate.
Der darauf folgende Mittwoch, der 27. April, war der
Tag seines Begräbnisses, welches unter allgemeiner Theilnahme und
Bewegung stattfand; war das doch ein Tag der Trauer für unser ganzes
Land! Nachdem sämmtliche, vom Consistorio dazu entbotene Prediger
des Herzogthums sich im Trauerhause versammelt hatten, und nachdem
am Sarge ein kurzes Gebet gesprochen worden, ward er in die
Stadtkirche getragen und vor den Altar gesetzt, um welchen sich die
Prediger nieder ließen. Darauf hielt ich als Schwiegersohn die
Trauerpredigt über Ebr. 13, 7. 8.: "Unsre Trauer,
unsre Pflicht, unser Trost an unseres theuren Vaters Grabe." Diese
Predigt ist hernach zum Besten der Lehrerwittwenkasse im Druck
erschienen. Unter zahlreicher Begleitung der Ratzeburger Gemeinde
und Vieler aus anderen Gemeinden, so wie der höchsten
Landesbehörden, des damaligen Herrn Gouverneurs von Pechlin, dem der
Heimgegangne und der diesem sehr theuer gewesen, der Mitglieder der
Regierung, des Consistorii, des Hofgerichts, der Stadtmagistrate,
Aemter und andrer Landesbehörden, auch des Officiercorps und zweier
Compagnien der in Ratzeburg garnisonirenden Truppen, und
selbstverständlich der Prediger, der Gymnasiallehrer, Stadt- und
Landschullehrer und der Schulen, die mit Gesang vorangingen, wurde
darauf der Sarg, welchem die Familie des Verstorbnen zunächst
folgte, nach dem Gottesacker gefahren und dort von dem Musikcorps
mit der Melodie: Jesus, meine Zuversicht! empfangen, Nach der
Einsenkung hielt der Compastor Caten-
1863/4 - 242
1863/4 - 243
husen aus Sandesneben als ältester Sohn die
Grabrede, und nach dem Gesange einiger Verse des schönen Liedes:
Mein ganzer Geist, Gott! wird entzückt! (1200a.) und
nach der Schlußliturgie sprach ich das Schlußgebet und den Segen.
Die Gemeinde zu Ratzeburg, die den Vollendeten ja vor Allen den
ihrigen nannte, hat ihm auf seinem Grabe ein eisernes Kreuz
errichtet. Darauf stehet der Spruch Joh. 8, 51: So
Jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich!
und: Ihrem geliebten Superintendenten Catenhusen die dankbare
Gemeinde.
Diese Darstellung seines Lebens habe ich ihm auch als ein Denkmal
der Liebe setzen wollen, und ich darf getrost darauf schreiben:
Seinem geliebten Superintendenten Catenhusen das dankbare Lauenburg!
____________________
Zum Schlusse aber kann ich mir es nicht versagen,
aus dem schönen Nekrologe, dem ich so Manches schon entnommen, die
Charakteristik des Vollendeten mitzutheilen, in der Jeder, der ihn
gekannt, sein treues Bild erkennen wird:
„Was das Wesen altlutherischer Frömmigkeit charakterisirt: vor Allem
unbedingtes, felsenfestes Halten am Worte Gottes, ein Stehen auf dem
Worte, das alle Höhen und Tiefen menschlicher Weisheit dagegen für
Nichts achtet und kein höheres Gut auf der Welt kennt, als dieses
Wort; - ein brennender Eifer für die reine Lehre und das
schriftgemäße Bekenntniß der Kirche, der im Kampfe für das
Heiligthum Gottes keinen Fuß breit weicht und Alles für dasselbe
hinzugeben bereit ist, der es mit Schmerz zwar, aber mit
Standhaftigkeit und Freudigkeit zu Gott trägt, wenn er von sonst
liebenden irrenden Brüdern nur um des Bekenntnisses willen
1863/4 - 243
1863/4 - 244
verkannt und geschmäht wird; - tiefer Ernst der
Buße und Sündenerkenntniß, und fröhlicher, allezeit getroster Glaube
an die zugerechnete Gerechtigkeit Christi; - kindlich frohe
Zuversicht in die Gewißheit der Rechtfertigung und ein von allem
sauren gesetzlichen Wesen weit entfernter, aber deshalb nicht minder
gründlicher Ernst der Heiligung; - Innerlichkeit des Seelenverkehrs
mit Gott, die am liebsten vor der Welt verborgen mit Christo ein
Leben in Gott führt, aber dabei jener priesterliche Sinn und jener
Bekennermuth, der auch in die Welt ausgehen will mit dem Zeugniß von
Christo zur Rettung der Seelen und zur Mehrung des Reiches Gottes,
verbunden mit der ächten altprotestantischen Nüchternheit, die sich
weder auf die Wege sentimentaler Askese, noch auf die
selbstgemachter Dienste verlocken läßt, sondern vor Allem in treuer
Erfüllung des göttlich angewiesenen Berufes Gott dienen und Seelen
gewinnen will; - ja, was wir von den Vätern unsrer Kirche rühmen,
die männliche Stärke und Tapferkeit, vereint mit Weichheit und
Milde, der hohe Ernst des Streiters Christi, vereint mit kindlicher
Fröhlichkeit und Hingebung, die allezeit tragende und hoffende
Liebe, die Treue und Güte gegen Jedermann, die Unterwürfigkeit unter
göttliche und menschliche Ordnung, der Eifer und der eiserne Fleiß,
die Standhaftigkeit unter dem Kreuz, die Demuth gegen Gott und auch
gegen Menschen - das Alles fand sich auch an ihm, und hat ihn uns
als einen treuen Sohn unsrer Kirche charakterisirt, in dem der Geist
Luther's und der Reformatoren lebte, es fand in sich in ihm in einem
so hohen Maße, daß wir es seinen Neidern und Widersachern gern
freilassen können, wenn sie die menschlichen Gebrechen und Mängel,
die ja auch ihm nicht fehlten, geflissentlich hervorsuchen wollen:
die Naturwüchsigkeit, die christliche Gesundheit und Ganzheit seiner
Persönlichkeit, die harmonische Durchdringung aller in ihn gelegten
Kräfte von
1863/4 - 244
1863/4 - 245
geistlichem Leben, die um so heller leuchtete,
weil hier ungewöhnliche natürliche Gaben in den Dienst des
göttlichen Worts genommen wurden, die Treue endlich, in der diese
Gaben verwaltet wurden, und der Gehorsam, in dem dieses Leben
geführt und zwar ohne Wanken bis an's Ende geführt wurde, lassen uns
die volle ungestörte Freude und den ungestörten Trost, daß wir hier
ein ganzes volles Christenleben, einen getreuen Knecht Gottes
gesehen haben, der Glauben gehalten und seinen Lauf mit Ehren
vollendet hat. Und das ist in unsrer Zeit etwas Großes!"
____________________
[Heft 2: 1861]
|