"FROMME WÜNSCHE EINES LAUENBURGISCHEN JURISTEN."
Unter diesem Titel hat Herr Advokat Meyer - denn dieser giebt sich
S. 263 als Verfasser zu erkennen - im 2ten Hefte dieses Archivs eine
Abhandlung veröffentlicht, gegen welche wir einige Bedenken zu
erheben uns gedrungen fühlen.
Herr Meyer ist, wie wir aus jener Abhandlung erfahren, nicht recht
zufrieden, er klagt sehr über das Unbehagliche und Unerquickliche
von Zuständen, denen die unsrigen, wie er meint, so ziemlich
gleichen. Unser dermalige Rechtszustand ist's, der ihm nicht
gefällt, über welchen er "den Stab bricht." Fein und scharf spricht
er seinen Tadel aus mit des Marcellus Worten im Hamlet: "Etwas ist
faul im Staate Dänemark!" - Dies Etwas ist aber die Legislative,
welche in neuerer Zeit an einem bedenklichen Unfleiß merklich
gelitten hat. Daraus ist nun für uns ein zwiefaches Unglück
entstanden; wir haben zu wenig neue, und wir haben zu viel alte
Gesetze. Diese müssen abgeschafft, neue müssen gegeben werden - das
sind im Wesentlichen die frommen Wünsche unsers Juristen, die er mit
eben so anmuthiger als lehrreicher Gesprächigkeit zu motiviren und
zu exemplificiren auf 24 Seiten sich angelegen sein läßt.
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Die Tortur, der Urphedeneid, der Tollwurm der
Hunde und die Strafe des Stricks für die Diebe sind es zunächst,
gegen welche unser Jurist die schläfrige Legislative wachruft. Wir
mischen uns nicht in seinen Kampf mit dieser gespenstischen Schaar,
gegen welche er selbst nur im Vorübergehen nicht sehr bedeutend
plänkelt. Aber mit voller Kraft wirft sich der Jurist auf einen
lebendigen Gegner, das ist die Consistorialjurisdiction, oder
richtiger die Kirchenordnung, auf welcher jene beruht. Der
Kirchenordnung wird es an Vertheidigern nicht fehlen, von welcher
Seite sie auch immer angegriffen werden mag. Mit Herrn Meyer nehmen
wir es auf.
Herr M. hat in seiner Abhandlung die Ausdrücke geistliche
Gerichtsbarkeit und jurisdictio ecclesisatica promiscue
gebraucht. Wir verstehen ihn aber gleichwohl recht gut. Nicht die
jurisdictio ecclesisatica im Sinne des kanonischen Rechts
1), die kirchliche Regierungsgewalt, will er den weltlichen Richtern
übertragen wissen, sondern nur ein, freilich sehr wesentliches,
Stück derselben. Was er dem Consistorio entziehen möchte, das ist 1)
die Untersuchung und Bestrafung gesetzwidriger Amtsführung und
anstößigen Lebens der Geistlichen so wie der kirchlichen Delicte der
Laien. 2) die Ehegerichtsbarkeit und 3) die Gerichtsbarkeit über die
bürgerlichen Rechtsverhältnisse der Geistlichen und über kirchliches
Gut. Die Uebertragung dieser, nach der Kirchenordnung dem
Consistorio zustehenden, Jurisdiction an die weltlichen Richter
fordert er, weil ihm die Entstehung der geistlichen Gerichtsbarkeit
innerhalb der lutherischen Kirche als eine unklare und unlautere,
die Zusammensetzung des Consistorii als eine irrationale und
unzeitgemäße, die von diesem Collegio geübte Rechtspflege als eine
unzuverlässige und für die Parteien uner-
____________________
1) Vergl. Richter Lehrbuch des kath. u. evangel. Kirchenrechts 4.
Aufl. S. 91 u. Mejer Institutionen des gemeinen deutschen
Kirchenrechts S. 247.
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träglich lästige, und endlich weil ihm die
Beseitigung der geistlichen Gerichtsbarkeit als eine durch den
Vorgang vieler andrer Länder dringend empfohlene erscheint.
Alle diese Gründe unsers Juristen sind entweder völlig aus der Luft
gegriffen, oder durchaus nicht zutreffend oder von gar keiner
Relevanz.
Herr M. sieht in der Consistorialjurisdiction ein Ueberbleibsel
vorreformatorischer Priesterherrschaft, behauptet, daß in der
Gründung der Consistorien das Bedürfniß nach Beseitigung geistlicher
Gerichte sich geltend gemacht habe, läßt es indessen dahingestellt
sein, ob überall von den Reformatoren an eine Reform der geistlichen
Gerichte gedacht sei, vermuthet jedoch, daß bei der Frage nach deren
Beibehaltung das Althergebrachte dieser Einrichtung den Ausschlag
gegeben habe. Das sind so viel Irthümer als Worte. Von einer
Beibehaltung althergebrachter geistlicher Gerichte ist unter den
Protestanten nie die Rede gewesen, die Consistorien sind ein von
Grund aus neues der lutherischen Kirche eigenthümliches Institut; mit
der katholischen Priesterherrschaft haben sie Nichts gemein, und in
ihrer Errichtung hat nicht das Bedürfniß nach Beseitigung, sondern
das Bedürfniß der Wiederherstellung geistlicher Gerichte sich
geltend gemacht. Ein Blick in die Reformationsgeschichte wird
genügen um die Nichtigkeit der zum Theil sich selbst
widersprechenden Behauptungen und Hypothesen unsers Gegners
darzuthun.
Bekanntlich war die Mißachtung und tatsächliche Beseitigung der
bischöflichen Gerichtsbarkeit überall eine unmittelbare Folge der
Predigt des Evangeliums. Zwischen dieser tatsächlichen Aufhebung der
althergebrachten kirchlichen Jurisdiction und der Errichtung
landesfürstlicher Consistorien mit richterlicher Competenz lag ein
weiter Zwischenraum. Im Herzogthum Lauenburg fanden sich schon im
Jahre 1530 Prediger, welche sich und ihre Gemeinden der
bischöflichen Jurisdiction entzogen, und ihre Zahl
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wuchs von Jahr zu Jahr. Ein halbes Jahrhundert
später, nämlich erst im Jahre 1585 wurde hier ein neues
Kirchengericht, das Consistorium begründet. In der Zwischenzeit
wurde die fragliche Gerichtsbarkeit, abgesehen von den seltnen
gelegentlichen Visitationen, von den weltlichen Magistraten geübt.
Aehnlich verhielt es sich in allen übrigen protestantischen Ländern,
namentlich auch in Chursachsen, dem eigentlichen Vaterlande der
Reformation. Dieser Zustand wurde jedoch, obgleich er wegen seines
schneidenden Gegensatzes gegen das Pabstthum viel Anziehendes haben
mochte, als unhaltbar erkannt. 2) Zuerst machte sich das Bedürfnis
ständiger Ehegerichte und eines Gerichtshofes für diejenigen Sachen
geltend, welche ihrer Natur nach von weltlichen Richtern gar nicht
cognoscirt werden konnten, nämlich für die Angelegenheit der
Kirchenzucht. Die Enthebung der weltlichen Richter von den Ehesachen
forderte man aber, weil, wie die Reformationsformel von 1545 sagt,
"magistratus politici non curant et negligentes sunt," d. h. die
weltlichen Richter versäumten sowohl in ihrem Verfahren als auch in
ihren Urtheilsprüchen die religiöse Seite der Ehe zu
berücksichtigen, welche die Reformatoren, nachdem sie zuvor die
bürgerliche Seite derselben gegen die falsche katholische Lehre sehr
stark betont hatten, nun im Gegensatz gegen eine einnistende
widerbiblische Praxis nachdrücklich hervorzuheben sich veranlaßt
sahen. 3) Ein Gericht für die Ehesachen und für
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2) "Ob man nun woll biß anher das schedliche Fewer der Bebstlichen
Irtumb des leichter zu leschenn hat mussen mit abbrechen, das sunst
hett mugen stehen bleibenn, So will doch von noten sein Auch Widder
zu bawen und nützlich ordnung zu Christlicher Zucht widder
Aufzurichten" heißt es mit Bezug auf die Herstellung eines fori für
die vornehmsten Gegenstände der späteren Consistorialjurisdiction in
dem "Bedencken der Consistorien halben" von 1538 abgedruckt in
Richter Geschichte der evangel. Kirchenverfassung in Deutschland S.
82 ff.
3) Das den Reformatoren anstößige Verfahren der weltlichen Ge-
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die Sachen in Betreff der Kirchenzucht
forderte u. A. die schon genannte Reformationsformel von 1545 im
4ten Artikel unbedingt, ohne Rücksicht auf die eventuelle Lösung der
damals noch offenen kirchlichen Verfassungsfrage. Ein derartiges
Gericht sollte auch das Consistorium sein, welches im Jahre 1539 in
Wittenberg unter Zustimmung Luthers zu errichten versucht ward.
Dieselbe Forderung, daß die Ehesachen und die Sachen der kirchlichen
Zucht einem zu begründenden Consistorio überwiesen würden, hatten
die Wittenberger Theologen schon im Jahre 1538 in dem "Bedenken der
Consistorien halben" gestellt. Hier wurde zugleich von ihnen die
Ueberzeugung ausgesprochen, daß für die kyrchenhendel, priester
pfarrer ihr Ampt Wandel vnd Leben belangend, so wie auch für die
delicta ecclesiastica der Laien "ein eigen richter hochnothig sei,
welcher darauf allein warten solle." Auch diese Ueberzeugung war aus
der "Erfahrung" geschöpft, welche man seit der Beseitigung der
geistlichen Gerichte zu machen "täglich" Gelegenheit gehabt hatte.
Diesen Sachen, sagen die Verfasser, sei hoch von Nöthen, weiter
nachzudenken. An solchem Nachdenken hat man es in der That in der
lutherischen Kirche nicht fehlen lassen, und aus ihm sind denn
endlich die gesetzlichen Bestimmungen der spätern Kirchenordnungen
über die
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richte mag sich wenig von demjenigen unterschieden haben, welches
Herr M. uns heute als zeitgemäß anpreiset. Wahrscheinlich haben sie
etwa "am Freitag" nach beschaffter Citation der Parteien die
Eheklagen vorgenommen und "in diesem oder einem folgenden Termin zu
etwaiger Beweisführung den Proceß erledigt" - eine Geschwindigkeit,
welche in dem Gewissen der Parteien nur zu leicht lebenslänglich
offene Wunden zurückließ. Bei ihren Urtheilsprüchen aber legten die
magistratus politici damals wohl keinen größeren Werth auf die
"canones ecclesiasticos der heil. Schrift gemäß" als sie es heut zu
Tage dort thun, wo die Ehegerichtsbarkeit, und in nothwendiger Folge
davon auch das ganze Eherecht verweltlicht worden ist.
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Competenz der Konsistorien hervorgegangen. Durch
die Kirchenordnungen wurde schließlich auch die Gerichtsbarkeit über
die bürgerlichen Rechtsverhältnisse der Geistlichen und über die
Kirchengüter den Consistorien beigelegt. Die Vermuthung, daß hiebei
katholische Reminiscenzen mit gewirkt haben, kann man ohne Lächeln
kaum besprechen. Man braucht nur einen einzigen Blick z. B. in
Luthers Schriften gethan zu haben, um zu wissen, mit welcher
Heftigkeit dieser die Lehre der Päbstlichen, daß es eine Verletzung
göttlicher Ordnung sei, wenn Glieder ihrer Hierarchie, des von Gott
zur höchsten Herrschaft auf Erden berufenen Clerus, von der zweiten
irdischen Macht, der weltlichen Obrigkeit zu Gericht gezogen werden,
angegriffen hat. 4) Der Sympathie für diese widerbiblische Lehre
werden selbst "vor dem foro unserer civilisirenden Zeit" die
Verfasser der altlutherischen Kirchenordnungen nicht schuldig
befunden werden können. Die Exemtion der kirchlichen Personen und
Sachen von der weltlichen Gerichtsbarkeit bestand zur Zeit der
Entstehung der Kirchenordnungen längst nicht mehr - von einer
Beibehaltung althergebrachter Einrichtungen konnte demnach gar nicht
die Rede sein. Das Zugeständniß eines privilegirten Forums für die
Geistlichen und die Kirchengüter findet aber seine Erklärung, ganz
einfach und ganz vollständig in den Motiven, mit welchen die
Kirchenordnungen selbst ihre desfallsigen Bestimmungen einleiten.
Hiernach ist es hervorgegangen aus der erfahrungsmäßig gewonnenen
Einsicht, daß die Unterwerfung der Geistlichen und der Kirchengüter
unter die weltliche Gerichtsbarkeit der Kirche zum Nachtheil
gereiche.
Spät und allmählig und im vollen bewußten Gegensatze gegen die
katholische Kirche und Lehre hat sich demnach die Con-
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4) Vergl. u. A. Luthers Schrift an den christlichen Adel deutscher
Nation in Luthers Werken, Erlangen, Heyder, Th. XXI. S. 282 ff. 1857/16 - 404
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sistorialgerichtskeit in ihrem
kirchenordnungsmäßigen Umfange innerhalb der protestantischen Kirche
herausgebildet. Nicht durch ein Liebäugeln mit der Vergangenheit,
sondern durch die Noth der Gegenwart ist sie aus dem eignen Boden
dieser Kirche hervorgetrieben und gereift durch die klare Einsicht
in das, was zum Heil der Kirche dienlich ist. Damit ist denn auch
die Phrase: daß die Consistorialjurisdiction ein Ueberbleibsel
katholischer Priesterherrschaft sei, auf ihren wahren Werth
zurückgeführt. Die Consistorialgerichtsbarkeit ist gar kein
Ueberbleibsel von irgend etwas Anderem, sondern ein neues Erzeugniß
der lutherischen Kirche. Mit der Priesterherrschaft hat sie Nichts
zu thun. Die katholische Priesterherrschaft besteht darin, daß der
Clerus als solcher jure divino für sich eine gewisse
Regierungsgewalt in Anspruch nimmt, Von der Wiederherstellung einer
solchen Papocaesaria haben die lutherischen Kirchenordnungen sich
eben so weit entfernt gehalten als von der Etablirung der später so
beliebten territorialistischen Casesaropapia. Sie haben die
Regierung der Kirche, mit Einschluß der kirchlichen Gerichtsbarkeit,
der Kirche selbst übertragen, deren drei Stände in unserm aus 2
Politicis, 2 Geistlichen und 2 Mitgliedern oder Deputirten der
Ritter- und Landschaft zusammengesetzten Consistorio repräsentirt
sind. Die Politiker und die Deputirten von Ritter- und Landschaft
wurden in das Consistorium berufen, weil man eben keine
Priesterherrschaft, sondern eine Repräsentation der Kirche begründen
wollte. Geistliche Assessoren aber mußten in das Collegium
aufgenommen werden, weil die Geistlichkeit ja doch auch mit zur
Kirche gehört, ja nach lutherischer Kirchenlehre sogar einen
wesentlichen Bestandtheil derselben ausmacht. Auf welchem Wege Herr
M. zu der Einsicht gekommen ist, daß das Bedürfniß die geistlichen
Gerichte, die man eben jetzt wieder herstellte zu beseitigen, in
dieser Composition der Consistorien
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sich geltend gemacht habe, vermögen wir nicht zu
erkennen, - auf dem Wege fleißiger Geschichtsforschung sicherlich
nicht. 5)
Ein Dorn im Auge ist's aber unserm Juristen, daß auch der geistliche
Stand im Consistorio seine Repräsentanten hat. Denn hieraus eben
gründet sich seine fernere Thesis, daß die Composition des
Kirchengerichts irrational und unzeitgemäß sei.
Die Irrationalität sucht er zunächst durch ein argumentum ad hominem
darzuthun - wir bedauern aber, daß wir ihm die Freude an diesem
Beweisgrunde zerstören müssen. Wenn, sagt er, bei den geistlichen
Gerichten mehrere nicht rechtsgelehrte Beisitzer Sitz und Stimme
haben, so ist das eben so wenig zu rechtfertigen, als wenn man einem
Rechtsgelehrten etwa das Abhalten eines Gottesdienstes oder die
Beichte anvertrauen wollte! Als
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5) Sollte Herr M. über seinen Zweifel, ob die Reformatoren wohl
überall an eine Reform der geistlichen Gerichte gedacht haben, durch
das Obenstehende noch nicht hinreichend beruhigt sein, so verweisen
wir ihn auf Stahl's Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der
Protestanten, wo er u. A. S. 162 ff. u. S. 171 ff. nachgewiesen
findet, in wie vielen und wie wesentlichen Stücken die lutherischen
Kirchengerichte sich von den katholischen Officialaten
unterscheiden. Er wird dort zugleich erfahren, daß im Zeitalter der
Reformation Niemand auch nur darauf verfallen ist, eine Vergleichung
zwischen beiden wesentlich verschiedenen Gerichten anzustellen, -
daß die ersten, welche im Interesse der wissenschaftlichen
Darstellung beide parallelisirten, die Kirchenrechtslehrer des I7ten
Jahrhunderts (Stephani, Reinkingk u. s. w.) waren, daß aber diese
aus solcher Zusammenstellung keinerlei den protestantischen
Grundsätzen widersprechende practische Folgerung gezogen, vielmehr
auf die wesentliche Verschiedenheit beider Institute die wichtigsten
Behauptungen (z. B. über das Avocationsrecht der Fürsten) gebaut,
wie sie denn auch im Widerspruch mit der unhistorischen Ansicht
unsers Gegners den selbständigen Ursprung unserer
Consistorialgerichtsbarkeit nie verkannt haben.
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ob das Letztere nie geschähe, oder als ob es
einer Rechtfertigung bedürfe! Warum sollte man denn einem
qualificirten Juristen nicht das Amt übertragen, welches
Gottesdienst und Beichte zu verwalten hat? In der lutherischen
Kirche hat man nie aus der Jurisprudenz, wie Herr M. aus dem
Grundbesitz eines Individuums einen Argwohn gegen dessen
"Intelligenz" geschöpft. Qualificirte Juristen zu geistlichen
Aemtern zu promoviren hält man in ihr für so unbedenklich, daß es
bis auf den heutigen Tag außer Herrn M. Niemand in den Sinn gekommen
ist, eine Rechtfertigung dafür zu fordern. In Bertram Evangelisches
Lüneburg S. 160 f. findet sich eine ganze Reihe von Juristen
aufgezählt, die wegen ihrer notorischen Frömmigkeit und
Gottesgelahrtheit ohne ein theologisches trieinnium academicum und
ohne theologisches Amtsexamen zum Theil unmittelbar aus bürgerlichen
Aemtern heraus zu Pfarrstellen berufen sind. Und Aehnliches
geschieht gerade in diesem Jahrhundert erst recht häufig. Sollte z.
B. unter unsern "Lauenburgischen Juristen" ein Mann von bewährter
Frömmigkeit und allgemein bekannter theologischer Bildung zu finden
sein, so möge er sich nur am geeigneten Orte zum Missionsdienste
melden, und wir wollen ihm hiemit feierlich die Versicherung gegeben
haben, daß seiner Ordination ohne vorgängiges theologisches
Universitätsstudium auch ohne das gewöhnliche theologische
Amtsexamen wird geschehen, und daß ihm darnach die Erlaubniß zur
Haltung eines Gottesdienstes oder zum gelegentlichen Beichtsitzen
auch in einer hiesigen Kirche unter Umständen ohne Schwierigkeit
wird ertheilt werden können.
Aber so leicht räumt Herr M. nicht das Feld. Er hat zur Behauptung
seiner Thesis von der Irrationalität der Consistorien noch ein
andres sehr schweres Geschütz in Reserve, - das sind "die ersten
Rechtsprincipien." Ein Richter, sagt er, muß nothwendig das Recht
kennen, welches er auf gegebene
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Verhältnisse anwenden soll. Das geben wir zu.
Unsre beiden geistlichen Consistorialassessoren, fährt er fort,
kennen es nicht. Woher weiß das Herr M.? Wie will er diese
Behauptung beweisen? Unsers Wissens wählt das Consistorium zu
geistlichen Assessoren gerade solche Männer, welche außer den
übrigen Erfordernissen auch eine tüchtige Kenntniß des kirchlichen
Rechtes besitzen. Indessen Herr M. bleibt uns den geforderten Beweis
keineswegs schuldig. Er beruft sich auf die allerdings unbestrittene
Thatsache, daß die geistlichen Consistorialassessoren das
juristische Amtsexamen nicht bestanden haben. Das Argument will uns
denn doch etwas chinesisch vorkommen. Aber lassen wir das. So viel
werden wir immerhin einräumen müssen, daß die geistlichen Assessoren
hinsichtlich ihrer Rechtskenntniß den juristischen Mitgliedern
bedeutend nachstehen. Was folgt daraus? Etwa daß schlechte Urtheile
gefällt werden? Mit Nichten, sondern nur, daß der Einfluß der
Juristen aus die Formirung der Urtheile ein überwiegender sein wird.
Wo es auf Entscheidung intricater Rechtsfragen ankommt, da wird kein
Geistlicher mit dem Referat beauftragt werden, da werden die
Geistlichen sich nicht zu faiseurs vordrängen wollen oder können,
aber sie werden die Acten lesen, die Vorträge hören, und nach
sorgfältiger Ueberlegung des Gehörten "aus gutem Grunde göttlichen
Worts und der in den Relationen angezogenen klaren, beständigen
Rechte und Verordnungen ihres Gemüths Meinung vorbringen" wie es die
Kirchenordnung vorschreibt. Herr M. wird nicht in Abrede stellen
können, daß alle Rechtsformeln doch am Ende Nichts enthalten, als
den gesunden Menschenverstand, mitunter freilich in etwas wunderlich
lateinischem Gewande. Menschenverstand wird aber vom
Menschenverstand begriffen, und den wird Herr M. denn doch den
geistlichen Consistorialen wohl nicht absprechen wollen. Wie bei
schwierigen Rechtsfragen die Theologen, so werden in manchen andern
Fällen die Juristen auf diesen gesunden Menschen-
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verstand sich angewiesen sehen. Denn im
Consistorio kommen mitunter auch rein kirchliche, sogar dogmatische
und streng gelehrte Sachen vor. Die Juristen, die kein theologisches
Amtsexamen gemacht haben, stimmen mit, z. B. wenn es sich um Annahme
oder Abweisung eines im Griechischen, Hebräischen, in Dogmatik und
Kirchengeschichte examinirten Candidaten handelt. Freilich das
Hebräische und die spinösen dogmatischen Quästionen werden sie wohl
nicht immer völlig verstehen, aber das Ganze des Examens werden sie
auffassen; sie werden die schriftlichen Arbeiten lesen, die Fragen
und Antworten hören, die Ansicht der geistlichen Assessoren
vernehmen und sich darnach ihr Urtheil bilden. Gerade so machen es
die Theologen im Consistorio mir den streng juristischen Sachen. -
Mit demselben Rechte aber, mit welchem Herr M. behauptet, daß die
geistlichen Consistorialen schlechte Richter seien, weil sie einer
gründlichen juristischen Bildung ermangeln, könnte man ihm die
Behauptung entgegenstellen, daß weltliche Richter in kirchlichen
Sachen durchaus unbrauchbar seien, weil es ihnen an einer
gründlichen theologischen Bildung fehlt. "Es ist, sagt ein bekannter
Rechtslehrer, 6) die Eigenthümlichkeit des Kirchenrechts, daß es im
Ganzen auf einer dogmatischen Grundlage ruht, und in einzelnen,
gerade den wesentlichsten, Theilen gar nichts Anderes ist, als die
äußere Fixirung der durch die Lehre schon bestimmt vorgezeichneten
Verhältnisse. Deshalb kann es auch nicht anders richtig erkannt
werden, als in seinem Zusammenhange mit der Lehre, und in der
sichern Unterscheidung, welche seiner Sätze aus dieser mit
Nothwendigkeit und unabänderlich hervorgehen, und welche dagegen
ihre eigne Wurzeln in sich selber haben." Ohne gründliche
dogmatische
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6) Stahl Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten. S.
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Kenntniß keine tiefe Erkenntnißdes kirchlichen
Rechts! Giebt Herr M., wie er es muß, die Richtigkeit dieser
Bemerkung zu, so kommt er auf seinem oben dargelegten Standpuncte in
eine böse Klemme. Entweder muß er fordern, daß die sämmtlichen
Herren Beamten und Justitiare, bevor ihnen die Jurisdiction in
kirchlichen Sachen übertragen wird, sich einem Examen in der
Dogmatik etwa bei dem Herrn Superintendenten unterwerfen, oder er
muß in seinem Eifer für Reformirung der Gesetzgebung bis zu der
Forderung fortschreiten, daß das gesammte Kirchenrecht über Bord
geworfen werde. Wir aber ziehen aus dem obigen Satze nur diesen
Schluß: in den kirchlichen Sachen, welche nach den canonibus
ecclesiasticis der heil. Schrift gemäß zu beurtheilen sind, muß die
Gerichtsbarkeit dem Consistorio verbleiben, in welchem die
juristischen und die theologischen Mitglieder in einer für eine
gesunde Rechtspflege äußerst dienlichen Weise sich gegenseitig
ergänzen!
Aber, sagt Herr M., die Ausübung richterlicher Functionen durch
Männer, die das juristische Amtsexamen nicht bestanden haben, ist
nicht zeitgemäß! Die Composition unsers Consistorii konnte früher,
als die Schöffengerichte noch bestanden, unanstößig erscheinen,
"vor
dem foro unserer civilisirenden Zeit" kann sie nicht bestehen!
Sollte man nicht fast glauben, es rede hier nicht ein junger
Advokat, sondern der gute, alte Staatshämorrhoidarius, dessen
wunderbares Verständniß für die Bedürfnisse und Bestrebungen unserer
Zeit uns Allen aus den "fliegenden Blättern" sattsam bekannt ist? Wo
hat der Jurist denn gesteckt in diesen letzten 20, 30 Jahren? Ist
denn kein Ton vom Markt des Lebens in sein stilles Studirstübchen
eingedrungen? Volksthümlichkeit der Rechtspflege! heißt eins von den
Losungsworten unserer Zeit. Davon ist die von Herrn M. als zeitgemäß
gepriesene ausschließliche Juristenherrschaft das gerade Gegentheil.
Niemand denkt jetzt noch an eine Beseitigung der ur-
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alten Stadtmagistrate mit ihren ungelehrten
Senatoren. Wo, wie in Hadeln und hier und dort in Holstein und
Schleswig, sich noch volksthümliche Gerichte von Alters her erhalten
haben, da werden sie von den Regierungen wenigstens nicht
angefochten, vom Volke mit Vorliebe festgehalten. Geschworne
urtheilen heut zu Tage in vielen deutschen Ländern über Leib und
Leben. Und die Schöffengerichte wirft unser Eiferer für zeitgemäße
Reformen unter die "Barbarismen" und Irthümer vergangener
Jahrhunderte? In Hannover, dem von Herrn M. gepriesenen Lande
zeitgemäßer Reformen, werden seit der neuerlichen Reorganisation des
Gerichtswesens (irren wir nicht, so ist das betreffende Gesetz vom
1. Sept. 1852!!) bei jedem Amtsgerichte im ganzen Lande monatlich
Schöffengerichte gehalten, bei denen die geringeren Klag-und
Strafsachen zur Verhandlung und Entscheidung kommen. Die Schöffen,
welche in Strafsachen das Schuldig oder Nichtschuldig sprechen, und
nachdem ihnen vom Amtsrichter das betreffende Gesetz vorgelesen ist,
das Maß der Strafe bestimmen, sind in der Regel ungelehrte
Bürgersleute, oder - Bauern! Wir haben Nichts dagegen, wenn Jemand
das Consistorium mit jenen uralten volksthümlichen Gerichten in Eine
Linie stellen will - aber die Zcitgemäßheit seiner Zusammensetzung
soll man uns dann auch nicht länger bestreiten.
Psychologisch falsch ist die Bemerkung, mit welcher Herr M. die
Unzuverlässigkeit der Consistorial-Rechtspflege darthun will. Weil
die vom Consistorio zu verhandelnden Justizsachen den
Administrativsachen an Zahl nachstehen, so meint er, werden jene
leicht als Nebensache oder doch mit derselben Ungebundenheit wie
diese behandelt werden. Wo in aller Welt wird denn aber außer etwa
bei Handwerkern die Wichtigkeit einer Arbeit nach der Stückzahl
bestimmt, die man davon zu liefern hat? Oder wer hat jemals gehört,
daß z. B. .Amputationen und dergleichen Operationen, die in der
Praxis eines Arztes nicht jeden Tag
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vorkommen, von diesem als Nebensache behandelt
werden? Gerade den juristischen Consistorialen wird in der Dürre
alltäglicher Administrativgeschäfte ein Proceß ein wahres Labsal
sein, in dessen fleißiger Verarbeitung sie ihr rechtsgelehrtes Herz
einmal recht gründlich erquicken. Uebrigens liegt schon in dem
collegialischen Geschäftsbetrieb des Consistorii ein starkes
Schutzmittel gegen die Vermengung von Justiz- und
Administrativsachen. Schwerlich würde in diesem Collegio ein
Referent es ungerügt wagen dürfen, da Zweckmäßigkeitsrücksichten als
entscheidende Gründe vorzutragen, wo es sich um eine Frage des
Rechts handelt.
Von gar keiner Bedeutung für den Zweck unsers Gegners sind seine
Klagen über Langsamkeit, Kostspieligkeit und Schriftlichkeit des
Verfahrens vor dem Consistorio. Die Langsamkeit ist z. B. in
Ehescheidungssachen durch die Gesetze geboten, und wir würden es als
einen argen Rückschritt ansehen, wenn diese Sachen mit der
Geschwindigkeit, welche Herr M. den weltlichen Gerichten mit gutem
Gewissen nachrühmen kann, betrieben werden sollten. Insofern würde
es zwar nicht ohne Grund sein, aber auch durchaus keinen Tadel
enthalten, wenn man, wie Herr Meyer entdeckt hat, im gemeinen Leben
eine weitaussehende und precäre Sache eine "Consistoriensache"
benennt. Im Uebrigen aber möchten wir aus diesem Ausdrucke
ebensowenig irgend eine Consequenz ziehen, als aus andern
Sticheleien und Anzüglichkeiten, mit denen der Humor "des gemeinen
Lebens" keinen Stand und keinen Beruf, auch den des Advocaten nicht,
verschont. Nach der Kirchenordnung verträgt sich indessen
Mündlichkeit, Raschheit und Wohlfeilheit sehr wohl mit der
Consistorialjurisdiction. 7) Sind
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7) Kirchenordnung Theil IV. Zum dritten "das niemand mit langen
Processen aufgehalten noch zu vielen schweren vnkosten verursachet,
sondern den Consistorialsachen ohne verzug, schleunig vnd bald, den
Parteien zu gute abgeholfen werde so sollen die Procuratores nicht
Schriftlich, sondern Münd-
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nun in diesem Betreffe Mangel eingerissen, und der
Lauenburgische Jurist findet dieselben unerträglich - nun wohl, so
trage er am geeigneten Orte auf deren Abstellung an, z. B. auf
schärfere Moderatur der Advocatenrechnungen, Herabsetzung der
Consistorialsporteltaxe, Verdopplung oder Verdreifachung der
solennen Sessionen, Wiederherstellung der Mündlichkeit u. dgl. Aber
wegen zufälliger, bald zu beseitigender Mängel, der gesammten
Verfassung unserer Kirche den Krieg ankündigen, das heißt denn doch
das Kind mit dem Bade ausschütten. Daß das Consistorium, wie jedes
Obergericht, zur Vollstreckung seiner abgegebenen Erkenntnisse das
Localgericht requiriren muß, ist richtig. Wäre das ein Mangel, so
würde der paßlichste judex ecclesiasticus der Executor sein, der
Niemand zu requiriren braucht.
Wunderlich nimmt sich die Klage, daß der Sitz des Consistoriums den
Parteien so weit entlegen sei in dem Munde eines Mannes aus, der uns
so eben erst den winzigen Umfang unsers Ländchens vorgerückt hat,
und noch wunderlicher erscheint uns das Mittel, welches er zur
Abhülfe vorschlägt. Er will die Consistorialsachen den 29 weltlichen
Untergerichten übertragen wissen, von denen einige 20 ihren Sitz
eben da, wo das Consistorium, nämlich in Ratzeburg haben.
Ein Argument unsers Gegners bleibt uns noch zu erörtern übrig. Er
empfiehlt die Aufhebung der geistlichen Gerichtsbarkeit durch
Hinweisung auf den Vorgang vieler andern Länder. Als
nachahmenswerthes Beispiel hält er uns vor das reformirte Holland,
das im tiefsten Grunde voltairianisirte, zwischen
vernunftgötzendienerischer Republik und fatalistischem Imperialismus
hin- und hertaumelnde Frankreich, Preußen, das Land der kirchlichen
Experimente, Dänemark, dessen entsetzlich tiefe kirchliche Zer-
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lich ohn langes unnützes plaudern und vergeblichen disputiren die
Klage vnd Species facti mit ihren meritis ziemlicher
notturft nach anbringen" u. s. w.
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rüttung, seit Rudelbach's Nothschrei von Niemand
mehr in Zweifel gestellt wird, Hannover, wo man "im Jahr der
Verirrungen und Verwirrungen" (12. Juli 1848) die geistliche
Gerichtsbarkeit zwar aufhob, die Ehe- und Sponsaliensachen aber
gleichwohl der Jurisdiction der Consistorien bis auf Weiteres
vorbehielt, und im Lande Hadeln die alten Verhältnisse unberührt
fortbestehen ließ u. s. w. Wir müssen gestehen, die Wahl seiner
Vorbilder ist von Herrn M. mit großer Umsicht getroffen. Dennoch
aber wird die bloße Thatsache, daß andre Länder ihre kirchliche
Verfassung geändert haben, noch nicht hinreichen um uns zu einem
gleichen Schritte zu bestimmen. Denn eine Modesache ist das ja
nicht, das wird Herr M. uns zugeben. Zur Nachahmung obiger Beispiele
werden wir uns also vernünftiger Weise nur dann entschließen dürfen,
wenn uns die Gründe, aus welchen dort die Aufhebung der
Consistorialgerichtsbarkeit hervorgegangen ist, vernünftig und
zutreffend, oder die Folgen, von denen jene begleitet gewesen,
heilsam erscheinen. Im Jahre 1848 war es aber die Revolution, welche
der Patrimonialgerichtsbarkeit ihr: "la mort sans phrase!" und den
geistlichen Gerichten das alte "non licet esse vos!"
entgegenschleuderte. Als eine Concession zur Beschwichtigung der
drohenden Revolution wurde in Hannover das Gesetz vom 12. Juli 1848
gegeben. Der Vorgang reizt nicht zur Nachfolge. In den übrigen
protestantischen Ländern Deutschlands ist es die Herrschaft des
Territorialismus gewesen, welche die Consistorialjurisdiction
verdrängt hat. 8) Dieses System halten wir aber für grundfalsch, und
so viel wir wissen giebt es unter den heutigen Kirchenrechtslehrern
keinen einzigen namhaften Mann, der ihm noch huldigt. Die Gründe,
aus welchen man anderswo die geistliche Gerichtsbarkeit beseitigt
hat, haben mithin für uns
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8) Vergl. Richter Lehrbuch des kath. u. evangel. Kirchenrechts. 4.
Aufl. S. 312. Mejer Institutionen des gem. deutschen Kirchenrechts.
S. 580.
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wenig Verlockendes. Ebensowenig die Folgen, von
welchen ihre Aufhebung begleitet gewesen ist. Zahllose
Competenzconflicte sind überall die nächste Folge gewesen. Unsre
Kirchenordnung will, "daß ein jedes Gericht in seinen Circken und
Zielen sich verhalte, daraus nicht schreite, vnangehörige Klagen
sich nicht anmasse, noch ein Gericht dem andern eingriff thue, noch
die Sachen vormischet werden; Sondern menniglicher wisse, an welches
Gericht er sich mit seinen Klagen finden vnd angeben auch Bescheides
gewertig sein solle. 9)" Und das hat sie an ihrem Theil vollständig
erreicht. Von Competenzconflicten zwischen dem Consistorio und den
weltlichen Gerichten ist uns bis dahin nie Etwas zu Ohren gekommen.
In Hannover dagegen stehen seit dem 12. Juli 1848 die Consistorien
und die weltlichen Gerichte beständig auf dem Kriegsfuße. Die im
Mecklenburgischen, in Folge des Landtagsabschiedes vom 22. Nov.
1756, eingerissenen Competenzstreitigkeiten sind bekannt. 10)
Dergleichen, weder dem Staat noch der Kirche zum Heil und zur Ehre
gereichenden, Zänkereien können naturgemäß ihr Ende erst dann
finden, und haben sie erst dann gefunden, wenn die Consistorien sich
und ihre Untergebenen an ihre völlige Nullität gewöhnt hatten. Das
führt uns auf eine andre Folge. Die Consistorien verlieren, wie die
Erfahrung lehrt, mit der Jurisdiction Muth und Macht. 11) Die
weltlichen Obrigkeiten erweisen sich ihnen selten willfährig. Die
strenge kirchliche Haltung der Geistlichen wird gelockert; selbst
die Besseren unter ihnen gerathen in die Gefahr independentistischer
Verwilderung, die schlechteren wagen es ungestraft, ihren
kirchlichen Obern zu trotzen. Eine "gemüthliche Anarchie" greift in
der Kirche Platz. Herr M. hat ganz Recht, das Alter eines In-
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9) KO. Vierter Theil. Vom Kirchen Stadt oder Consistorio.
10) Vergl. Mejer Kirchenzucht und Consistorialcompetenz nach
Mecklenburgischem Rechte. Rostock 1854.
11) Vergl. Mejer a. a. O.
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stituts kann diesem als Mangel nicht angerechnet werden. Das Alter
einer Kirchenordnung ist ebensowenig ein Mangel. Aber wenn sie in
Fetzen zerrissen wird, so ist der kümmerliche Rest, den man der
Kirche davon läßt, nicht viel werth, und wird heut oder morgen zur
Seite geworfen. Wo man die Competenz der Consistorien auf Null
reducirt hat, da ist noch überall die ganze Kirchenordnung hinter
drein gefallen. Auf eine durch und durch zerfetzte Kirchenordnung
können ja auch die Geistlichen nicht mehr beeidigt werden - ein
solcher Eid wäre ja nur eine Farce! Man hat um der einreißenden
Zuchtlosigkeit und den independentistischen Gelüsten unter den
Geistlichen zu steuern, eigne Disciplinargerichte für sie in
Vorschlag gebracht. Diese aber müßten, weil bei der eigenthümlichen
Natur der geistlichen Amts- und Standespflichten, die hier
einschlagenden Momente nur von Standesgenossen richtig gewürdigt
werden können' 12) nothwendig geistliche Mitglieder in sich fassen.
Das hieße denn die geistlichen Gerichte zur Thür hinauswerfen, und
sie durch's Fenster wieder hereinlassen. Daß man, wo es an einem
Consistorium mit richterlicher Competenz fehlt, sogar versucht hat,
die Prediger auf halbjährige Kündigung anzustellen, 13) zeigt
deutlich, zu was für desparaten Auskunftsmitteln man endlich wird
greifen müssen, wenn man dem Consistorio auch nur in doctrinalibus,
ceremonialibus und disciplinalibus ein proceßmäßiges Verfahren
ferner zu gestatten durch die Knechtschaft unter gewisse
selbstgemachte Theorien sich verhindern läßt. - Eine Entartung des
Eherechts ist ferner unvermeidlich, wo die Consistorialjurisdiction
beseitigt wird. In seinem Excurs über die Entstehung des Rechts hat
Herr M. es sehr richtig als den Beruf des Richters dargestellt, daß
er der Gesetzgebung voranschreitend die im Volke lebende Rechtsüber-
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12) Mejer Institutionen etc. S. 570.
13) Zeitblatt für die Angelegenheiten der luth. Kirche. 1855. Nr.
38.
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zeugung zu practischer Geltung bringe. Auf dem kirchlichen Gebiete
gilt dies jedoch nur in beschränktem Maße, und namentlich auf dem
Gebiet des Eherechts wird sich der kirchliche Richter dazu nicht
berufen finden. Für den weltlichen Richter freilich ist auch hier
die Rechtsüberzeugung des Volks die norma normans. Das Gesetz gilt
ihm auch in Ehesachen nur als norma normata. Der kirchliche Richter
aber kennt keine andre norma normans als die heil. Schrift; die
jeweilige Rechtsüberzeugung des Volks hat für ihn nur einen
untergeordneten Werth, und falls sie mit der heil. Schrift in
Widerspruch stehet, gar keinen. Daher können die altlutherischen
Consistorien selbst in andauernden Zeiten der Verirrung und
Verwirrung das aus der heil. Schrift entstandene
kirchenordnungsmäßige Eherecht festhalten und handhaben, der
weltliche Richter kann es nicht. Wo das Eherecht der Handhabung
weltlicher Richter anvertraut ist, da wird es sich gegen das
Zusammenwirken widerbiblischer Richtungen der Wissenschaft und
sittlicher Erschlaffung des Volkslebens niemals in seiner Integrität
behaupten können, es muß entarten. Die Lehre unsrer Kirche aber ist
unwandelbar, und auf ihrem Gebiete heißt es "Recht muß doch Recht
bleiben, und dem werden alle frommen Herzen zufallen." (Psalm 94,
15.) Eine Discrepanz zwischen dem bürgerlichen und dem kirchlichen
Eherecht, wie sie nach Aufhebung der Consistorialjurisdiction gerade
jetzt unvermeidlich ist, hat aber noch ganz andere Nachtheile im
Gefolge, als die geringfügigen, daß irgend ein Geschiedener zu
keiner neuen Ehe schreiten kann. Der größte Schaden einer Differenz
zwischen Staat und Kirche, wie wir sie in diesem Augenblicke in
Preußen vor Augen haben, ist ein sittlicher, die Gefahr liegt darin,
daß die biblisch wohlbegründeten Forderungen der Kirche von der
höchsten weltlichen Auctorität als unpractischer, unberechtigter
Idealismus behandelt werden, während die Kirche das
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Recht des Staats als ein unsittliches und
gottloses brandmarkt. - Eine freudige und wirksame Ausübung der
Seelsorge wird den Predigern durch die Aufhebung der
Consistorialgerichtsbarkeit sehr erschwert. Ein Pastor muß seinen
Beichtkindern, wenn er die eidlich übernommene Pflicht der Seelsorge
üben will, nicht selten sehr scharfe Dinge sagen. Bei unserm
norddeutschen, und vorzugsweise bei dem lauenburgischen
Volkscharacter ist sehr häufig, selbst wenn der Prediger die größte
Vorsicht beobachtet hat, die erste Wirkung solcher Worte heftige
Entrüstung und ein brennendes Verlangen nach Satisfaction. D i e
Sache, heißt es dann, dürfe man nicht stecken lassen, die müsse man
einem Advocaten zu verstehen geben, aber einem ausländischen, am
Liebsten einem Boitzenburger. Der Advocat zuckt die Achseln, meint
indessen, ja hofft ganz zuversichtlich, daß er die Sache durchholen
werde, und will mit einer Beschwerde beim Consistorio einkommen. -
Beim Consistorio?! - Ja, aber die Herren sehen die Sache auch von
der geistlichen Seite an, und sind in ihren sittlichen Anforderungen
am Ende wohl gar noch strenger als der Prediger, der zwar auch etwas
"extrem" aber sonst so übel gar nicht ist. Das Ding verdient
Ueberlegung! Und beim Ueberlegen kommt man zu dem Schluß, daß der
Prediger es doch wohl gut gemeint, und von seinem Standpuncte aus
nicht so ganz Unrecht gehabt habe, wenn er's gleich so nicht hätte
sagen sollen. Das Beste sei, ihn das bei der Kornsammlung oder sonst
einmal etwas fühlen zu lassen, vom Processen aber abzustehen.
Inzwischen thut das seelsorgerliche Wort denn doch seine Wirkung.
Ganz anders, wo die geistliche Gerichtsbarkeit aufgehoben und der
"Geistliche" im Prediger vom "citoyen" in den Schatten gestellt ist.
Da findet man sein scharfes Wort noch viel weniger erträglich, und
macht sich eher Hoffnung vor Gericht mit einer Klage durchzudringen.
Das Zeitblatt für die Angelegenheiten der lutherischen Kirche giebt
darüber manche sehr bemerkenswerthe
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Data. 14) Werden nun auch dergleichen Klagen
schließlich, sei's in der ersten oder letzten Instanz
zurückgewiesen, so hat doch der Proceß mit seinen Weitläufigkeiten
und Kosten einen oft unheilbaren Riß zwischen dem Prediger und dem
Kläger gemacht, das von jenem gesprochene Wort ist inzwischen in der
Bitterkeit des Herzens erstickt, der Prediger ohne Noth in die
Sorgen und Mühen eines Injurienprocesses verwickelt, und für die
Folge in der Erfüllung seiner seelsorgerlichen Pflichten viel
ängstlicher und zurückhaltender geworden, und die Gemeinde, in
welcher sich leicht Parteien für den Einen und den Andern bilden,
ist unnöthiger Weise geärgert. - Streitigkeiten zwischen Prediger
und ihren Gemeindegliedern müssen eben so wie Zwistigkeiten zwischen
Eheleuten wenn irgend möglich ohne richterliche Dazwischenkunft
beseitigt, und bis diese unvermeidlich geworden, möglichst inter
privatos parietes gehalten werden. Die Lauenburgische Kirchenordnung
(Theil II. sub Nr. 7) schreibt deshalb vor, daß bei allen zwischen
Beamten oder Unterthanen wider einen Prediger vorfallenden Privat-
oder Personalirrungen, Span und Mißverstand solche Irrungen
anfänglich durch den Superintendenten neben dem Amtmann, Patron,
Bürgermeister, Vogt und Kirchgeschwornen in Verhör genommen und so
viel immer möglich beigelegt werden sollen. Der Superintendent wird
seinen Einfluß vornämlich auf den Prediger, die Letztgenannten den
ihrigen auf die sich beschwerende Partei geltend zu machen haben.
Gerade die allerschlimmsten Processe - und das sind diejenigen, wo
der Prediger, wenn auch nicht formell, im Unrecht ist, und zur
Beseitigung der Ursach des Streites einer seelsorgerlichen
Einwirkung bedarf - werden auf diese Weise in der Regel ohne Kosten
und Rumor im Entstehen erstickt. Um diese schiedsrichter-
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14) Jahrgang 1853 Nr. 32. 33. 37. 40. 43.
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liche Instanz wäre es bei Aufhebung der
Consistorialjurisdiction zum großen Nachtheil der Kirche geschehen.
Wollte man sie aber auch als eine nicht zu umgehende beibehalten, so
würden doch größere Kosten und Eclat bei derselben schwerlich zu
vermeiden und eben dadurch der Erfolg sehr zweifelhaft geworden
sein. Erfahrung hat gelehrt, daß nach Beseitigung der geistlichen
Gerichtsbarkeit die Zahl der Processe zwischen Predigern und
Gemeindegliedern sich nicht unerheblich zu vermehren pflegt. - Einen
ganz nutzlosen Verbrauch bedeutender Kräfte müssen wir als eine
unvermeidliche Folge der Aufhebung der Consistorialjurisdiction
schließlich noch hervorheben. Regulative, Declarationen,
Instructionen, Commissionen, Synoden, reorganisirte Consistorien,
Oberconsistorien, Kirchenräthe und Oberkirchenräthe kommen und gehen
in jenen Ländern, wo man durch Entziehung der Gerichtsbarkeit die
Consistorien "exauctorirt" und die Kirchenordnungen in wenig
brauchbare Ruinen verwandelt hat; - und trotz aller Anstrengungen
der Gesetzgebung und der Verwaltung gewähren dort die
neugeschaffenen Zustände noch immer keine Befriedigung und bieten
keine Aussicht aus dauerndes Bestehen. Ein starkes Regiment und eine
gute Kirchenordnung dürfen nämlich der Kirche nicht fehlen, wenn sie
nicht durch die von den wechselnden Strömungen der Wissenschaft
herbei und wieder fortgetragenen Theorien und Systeme in ihrer
Einheit immer wieder gefährdet, wenn Lehre, Cultus und Zucht
innerhalb der Gemeinden nicht den subjectiven Belieben der
zeitweiligen Prediger rücksichtlos überantwortet, wenn das
Auseinanderfallen der Kirche in mehr oder weniger independente in
doctrinalibus, ceremonialibus und disciplinalibus verschiedene
Gemeinden nicht angebracht und befördert werden soll. Ein starkes
Regiment und eine neue gute Kirchenordnung zu schaffen, das ist die
Aufgabe, welche man dort, wo die geistliche Gerichtsbarkeit
beseitigt ward, der Gesetz-
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gebung aufbürdet. Wir halten diese Aufgabe für
unausführbar. Die Kirche einer Art geistlicher Säbelherrschaft zu
unterwerfen, ist vollends unstatthaft. Das Kirchenregiment wird
immer ohnmächtig bleiben, so lange man ihm die Gerichtsbarkeit
vorenthält. Unter einer guten Kirchenordnung verstehen wir eine
solche, deren Auctorität darauf beruht, daß sie sowohl nach ihrem
Ursprunge, als nach dem Geist und Inhalt ihrer Statute als der
Ausdruck des Rechtsbewußtseins - nicht der innerhalb eines kleineren
oder größeren Territorii gerade jetzt lebenden Generation - sondern
der gesammten lutherischen Kirche alter und neuerer Zeit anerkannt
werden muß. Eine solche Kirchenordnung für unsere alte lutherische
Kirche neu zu schaffen halten wir für unmöglich. Eben so gut könnte
man es unternehmen, für den Gliederbau des menschlichen Körpers
ein neues Maaß und eine neue Ordnung herzustellen. Jede neue
Kirchenordnung muß binnen kurzer Zeit an allgemeiner Mißachtung
sterben. - Es mag sein, daß, wie Herr Meyer sagt, unsere Legislative
durch lange Trägheit sich verschuldet habe - wir maßen uns darüber
kein Urtheil an. Ist es der Fall, und soll ihr für ihre Versäumniß
eine kleine Buße aufgelegt werden, so möchten wir unmaßgeblich
rathen, die Aufgabe dahin zu stellen, daß sie einen Theil der aus
der "glücklichen hannoverschen Zeit" stammenden kirchlichen
Gesetzgebung, z. B. die schlechte Gottesdienstordnung von 1770, die
veraltete Schulordnung von 1757 sammt dem hannoverschen
Landeskatechismus aus unserer Landeskirche ausfege. Aber daß sie,
wie Herr Meyer will, vielleicht durch viele Menschenalter hindurch
den tückischen Marmor einer neuen Kirchenordnung wälzen soll, der
immer wieder nahe am Ziel mit Donnergepolter entrollet - das ist zu
hart! .
Wir haben im Vorstehenden die vom Herrn Meyer ange-
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regte Frage nur von der kirchlichen Seite
betrachtet. Ihre politische Seite zu beleuchten überlassen wir
billig den Männern vom Fach. Ihr Zusammenhang mit gewissen
politischen Fragen, die gerade jetzt unser Herzogthum heftig bewegen
und die Aufmerksamkeit von ganz Europa auf sich ziehen, ist aber
schwer zu verkennen.
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