Vaterländisches Archiv
für das Herzogthum Lauenburg

Erster Band.
Ratzeburg. Verlag der Buchhandlung von H. Linsen. 1857
 


 

XVI.

Für die Consistorialgerichtsbarkeit - wider Herrn Meyer.

Von Herrn Pastor Rohrdantz in Lütau.

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"FROMME WÜNSCHE EINES LAUENBURGISCHEN JURISTEN." Unter diesem Titel hat Herr Advokat Meyer - denn dieser giebt sich S. 263 als Verfasser zu erkennen - im 2ten Hefte dieses Archivs eine Abhandlung veröffentlicht, gegen welche wir einige Bedenken zu erheben uns gedrungen fühlen.

Herr Meyer ist, wie wir aus jener Abhandlung erfahren, nicht recht zufrieden, er klagt sehr über das Unbehagliche und Unerquickliche von Zuständen, denen die unsrigen, wie er meint, so ziemlich gleichen. Unser dermalige Rechtszustand ist's, der ihm nicht gefällt, über welchen er "den Stab bricht." Fein und scharf spricht er seinen Tadel aus mit des Marcellus Worten im Hamlet: "Etwas ist faul im Staate Dänemark!" - Dies Etwas ist aber die Legislative, welche in neuerer Zeit an einem bedenklichen Unfleiß merklich gelitten hat. Daraus ist nun für uns ein zwiefaches Unglück entstanden; wir haben zu wenig neue, und wir haben zu viel alte Gesetze. Diese müssen abgeschafft, neue müssen gegeben werden - das sind im Wesentlichen die frommen Wünsche unsers Juristen, die er mit eben so anmuthiger als lehrreicher Gesprächigkeit zu motiviren und zu exemplificiren auf 24 Seiten sich angelegen sein läßt.

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Die Tortur, der Urphedeneid, der Tollwurm der Hunde und die Strafe des Stricks für die Diebe sind es zunächst, gegen welche unser Jurist die schläfrige Legislative wachruft. Wir mischen uns nicht in seinen Kampf mit dieser gespenstischen Schaar, gegen welche er selbst nur im Vorübergehen nicht sehr bedeutend plänkelt. Aber mit voller Kraft wirft sich der Jurist auf einen lebendigen Gegner, das ist die Consistorialjurisdiction, oder richtiger die Kirchenordnung, auf welcher jene beruht. Der Kirchenordnung wird es an Vertheidigern nicht fehlen, von welcher Seite sie auch immer angegriffen werden mag. Mit Herrn Meyer nehmen wir es auf.

Herr M. hat in seiner Abhandlung die Ausdrücke geistliche Gerichtsbarkeit und jurisdictio ecclesisatica promiscue gebraucht. Wir verstehen ihn aber gleichwohl recht gut. Nicht die jurisdictio ecclesisatica im Sinne des kanonischen Rechts 1), die kirchliche Regierungsgewalt, will er den weltlichen Richtern übertragen wissen, sondern nur ein, freilich sehr wesentliches, Stück derselben. Was er dem Consistorio entziehen möchte, das ist 1) die Untersuchung und Bestrafung gesetzwidriger Amtsführung und anstößigen Lebens der Geistlichen so wie der kirchlichen Delicte der Laien. 2) die Ehegerichtsbarkeit und 3) die Gerichtsbarkeit über die bürgerlichen Rechtsverhältnisse der Geistlichen und über kirchliches Gut. Die Uebertragung dieser, nach der Kirchenordnung dem Consistorio zustehenden, Jurisdiction an die weltlichen Richter fordert er, weil ihm die Entstehung der geistlichen Gerichtsbarkeit innerhalb der lutherischen Kirche als eine unklare und unlautere, die Zusammensetzung des Consistorii als eine irrationale und unzeitgemäße, die von diesem Collegio geübte Rechtspflege als eine unzuverlässige und für die Parteien uner-
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1) Vergl. Richter Lehrbuch des kath. u. evangel. Kirchenrechts 4. Aufl. S. 91 u. Mejer Institutionen des gemeinen deutschen Kirchenrechts S. 247.

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träglich lästige, und endlich weil ihm die Beseitigung der geistlichen Gerichtsbarkeit als eine durch den Vorgang vieler andrer Länder dringend empfohlene erscheint.

Alle diese Gründe unsers Juristen sind entweder völlig aus der Luft gegriffen, oder durchaus nicht zutreffend oder von gar keiner Relevanz.

Herr M. sieht in der Consistorialjurisdiction ein Ueberbleibsel vorreformatorischer Priesterherrschaft, behauptet, daß in der Gründung der Consistorien das Bedürfniß nach Beseitigung geistlicher Gerichte sich geltend gemacht habe, läßt es indessen dahingestellt sein, ob überall von den Reformatoren an eine Reform der geistlichen Gerichte gedacht sei, vermuthet jedoch, daß bei der Frage nach deren Beibehaltung das Althergebrachte dieser Einrichtung den Ausschlag gegeben habe. Das sind so viel Irthümer als Worte. Von einer Beibehaltung althergebrachter geistlicher Gerichte ist unter den Protestanten nie die Rede gewesen, die Consistorien sind ein von Grund aus neues der lutherischen Kirche eigenthümliches Institut; mit der katholischen Priesterherrschaft haben sie Nichts gemein, und in ihrer Errichtung hat nicht das Bedürfniß nach Beseitigung, sondern das Bedürfniß der Wiederherstellung geistlicher Gerichte sich geltend gemacht. Ein Blick in die Reformationsgeschichte wird genügen um die Nichtigkeit der zum Theil sich selbst widersprechenden Behauptungen und Hypothesen unsers Gegners darzuthun.

Bekanntlich war die Mißachtung und tatsächliche Beseitigung der bischöflichen Gerichtsbarkeit überall eine unmittelbare Folge der Predigt des Evangeliums. Zwischen dieser tatsächlichen Aufhebung der althergebrachten kirchlichen Jurisdiction und der Errichtung landesfürstlicher Consistorien mit richterlicher Competenz lag ein weiter Zwischenraum. Im Herzogthum Lauenburg fanden sich schon im Jahre 1530 Prediger, welche sich und ihre Gemeinden der bischöflichen Jurisdiction entzogen, und ihre Zahl

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wuchs von Jahr zu Jahr. Ein halbes Jahrhundert später, nämlich erst im Jahre 1585 wurde hier ein neues Kirchengericht, das Consistorium begründet. In der Zwischenzeit wurde die fragliche Gerichtsbarkeit, abgesehen von den seltnen gelegentlichen Visitationen, von den weltlichen Magistraten geübt. Aehnlich verhielt es sich in allen übrigen protestantischen Ländern, namentlich auch in Chursachsen, dem eigentlichen Vaterlande der Reformation. Dieser Zustand wurde jedoch, obgleich er wegen seines schneidenden Gegensatzes gegen das Pabstthum viel Anziehendes haben mochte, als unhaltbar erkannt. 2) Zuerst machte sich das Bedürfnis ständiger Ehegerichte und eines Gerichtshofes für diejenigen Sachen geltend, welche ihrer Natur nach von weltlichen Richtern gar nicht cognoscirt werden konnten, nämlich für die Angelegenheit der Kirchenzucht. Die Enthebung der weltlichen Richter von den Ehesachen forderte man aber, weil, wie die Reformationsformel von 1545 sagt, "magistratus politici non curant et negligentes sunt," d. h. die weltlichen Richter versäumten sowohl in ihrem Verfahren als auch in ihren Urtheilsprüchen die religiöse Seite der Ehe zu berücksichtigen, welche die Reformatoren, nachdem sie zuvor die bürgerliche Seite derselben gegen die falsche katholische Lehre sehr stark betont hatten, nun im Gegensatz gegen eine einnistende widerbiblische Praxis nachdrücklich hervorzuheben sich veranlaßt sahen. 3) Ein Gericht für die Ehesachen und für
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2) "Ob man nun woll biß anher das schedliche Fewer der Bebstlichen Irtumb des leichter zu leschenn hat mussen mit abbrechen, das sunst hett mugen stehen bleibenn, So will doch von noten sein Auch Widder zu bawen und nützlich ordnung zu Christlicher Zucht widder Aufzurichten" heißt es mit Bezug auf die Herstellung eines fori für die vornehmsten Gegenstände der späteren Consistorialjurisdiction in dem "Bedencken der Consistorien halben" von 1538 abgedruckt in Richter Geschichte der evangel. Kirchenverfassung in Deutschland S. 82 ff.

3) Das den Reformatoren anstößige Verfahren der weltlichen Ge-

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die Sachen in Betreff der Kirchenzucht forderte u. A. die schon genannte Reformationsformel von 1545 im 4ten Artikel unbedingt, ohne Rücksicht auf die eventuelle Lösung der damals noch offenen kirchlichen Verfassungsfrage. Ein derartiges Gericht sollte auch das Consistorium sein, welches im Jahre 1539 in Wittenberg unter Zustimmung Luthers zu errichten versucht ward. Dieselbe Forderung, daß die Ehesachen und die Sachen der kirchlichen Zucht einem zu begründenden Consistorio überwiesen würden, hatten die Wittenberger Theologen schon im Jahre 1538 in dem "Bedenken der Consistorien halben" gestellt. Hier wurde zugleich von ihnen die Ueberzeugung ausgesprochen, daß für die kyrchenhendel, priester pfarrer ihr Ampt Wandel vnd Leben belangend, so wie auch für die delicta ecclesiastica der Laien "ein eigen richter hochnothig sei, welcher darauf allein warten solle." Auch diese Ueberzeugung war aus der "Erfahrung" geschöpft, welche man seit der Beseitigung der geistlichen Gerichte zu machen "täglich" Gelegenheit gehabt hatte. Diesen Sachen, sagen die Verfasser, sei hoch von Nöthen, weiter nachzudenken. An solchem Nachdenken hat man es in der That in der lutherischen Kirche nicht fehlen lassen, und aus ihm sind denn endlich die gesetzlichen Bestimmungen der spätern Kirchenordnungen über die
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richte mag sich wenig von demjenigen unterschieden haben, welches Herr M. uns heute als zeitgemäß anpreiset. Wahrscheinlich haben sie etwa "am Freitag" nach beschaffter Citation der Parteien die Eheklagen vorgenommen und "in diesem oder einem folgenden Termin zu etwaiger Beweisführung den Proceß erledigt" - eine Geschwindigkeit, welche in dem Gewissen der Parteien nur zu leicht lebenslänglich offene Wunden zurückließ. Bei ihren Urtheilsprüchen aber legten die magistratus politici damals wohl keinen größeren Werth auf die "canones ecclesiasticos der heil. Schrift gemäß" als sie es heut zu Tage dort thun, wo die Ehegerichtsbarkeit, und in nothwendiger Folge davon auch das ganze Eherecht verweltlicht worden ist.

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Competenz der Konsistorien hervorgegangen. Durch die Kirchenordnungen wurde schließlich auch die Gerichtsbarkeit über die bürgerlichen Rechtsverhältnisse der Geistlichen und über die Kirchengüter den Consistorien beigelegt. Die Vermuthung, daß hiebei katholische Reminiscenzen mit gewirkt haben, kann man ohne Lächeln kaum besprechen. Man braucht nur einen einzigen Blick z. B. in Luthers Schriften gethan zu haben, um zu wissen, mit welcher Heftigkeit dieser die Lehre der Päbstlichen, daß es eine Verletzung göttlicher Ordnung sei, wenn Glieder ihrer Hierarchie, des von Gott zur höchsten Herrschaft auf Erden berufenen Clerus, von der zweiten irdischen Macht, der weltlichen Obrigkeit zu Gericht gezogen werden, angegriffen hat. 4) Der Sympathie für diese widerbiblische Lehre werden selbst "vor dem foro unserer civilisirenden Zeit" die Verfasser der altlutherischen Kirchenordnungen nicht schuldig befunden werden können. Die Exemtion der kirchlichen Personen und Sachen von der weltlichen Gerichtsbarkeit bestand zur Zeit der Entstehung der Kirchenordnungen längst nicht mehr - von einer Beibehaltung althergebrachter Einrichtungen konnte demnach gar nicht die Rede sein. Das Zugeständniß eines privilegirten Forums für die Geistlichen und die Kirchengüter findet aber seine Erklärung, ganz einfach und ganz vollständig in den Motiven, mit welchen die Kirchenordnungen selbst ihre desfallsigen Bestimmungen einleiten. Hiernach ist es hervorgegangen aus der erfahrungsmäßig gewonnenen Einsicht, daß die Unterwerfung der Geistlichen und der Kirchengüter unter die weltliche Gerichtsbarkeit der Kirche zum Nachtheil gereiche.

Spät und allmählig und im vollen bewußten Gegensatze gegen die katholische Kirche und Lehre hat sich demnach die Con-
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4) Vergl. u. A. Luthers Schrift an den christlichen Adel deutscher Nation in Luthers Werken, Erlangen, Heyder, Th. XXI. S. 282 ff.

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sistorialgerichtskeit in ihrem kirchenordnungsmäßigen Umfange innerhalb der protestantischen Kirche herausgebildet. Nicht durch ein Liebäugeln mit der Vergangenheit, sondern durch die Noth der Gegenwart ist sie aus dem eignen Boden dieser Kirche hervorgetrieben und gereift durch die klare Einsicht in das, was zum Heil der Kirche dienlich ist. Damit ist denn auch die Phrase: daß die Consistorialjurisdiction ein Ueberbleibsel katholischer Priesterherrschaft sei, auf ihren wahren Werth zurückgeführt. Die Consistorialgerichtsbarkeit ist gar kein Ueberbleibsel von irgend etwas Anderem, sondern ein neues Erzeugniß der lutherischen Kirche. Mit der Priesterherrschaft hat sie Nichts zu thun. Die katholische Priesterherrschaft besteht darin, daß der Clerus als solcher jure divino für sich eine gewisse Regierungsgewalt in Anspruch nimmt, Von der Wiederherstellung einer solchen Papocaesaria haben die lutherischen Kirchenordnungen sich eben so weit entfernt gehalten als von der Etablirung der später so beliebten territorialistischen Casesaropapia. Sie haben die Regierung der Kirche, mit Einschluß der kirchlichen Gerichtsbarkeit, der Kirche selbst übertragen, deren drei Stände in unserm aus 2 Politicis, 2 Geistlichen und 2 Mitgliedern oder Deputirten der Ritter- und Landschaft zusammengesetzten Consistorio repräsentirt sind. Die Politiker und die Deputirten von Ritter- und Landschaft wurden in das Consistorium berufen, weil man eben keine Priesterherrschaft, sondern eine Repräsentation der Kirche begründen wollte. Geistliche Assessoren aber mußten in das Collegium aufgenommen werden, weil die Geistlichkeit ja doch auch mit zur Kirche gehört, ja nach lutherischer Kirchenlehre sogar einen wesentlichen Bestandtheil derselben ausmacht. Auf welchem Wege Herr M. zu der Einsicht gekommen ist, daß das Bedürfniß die geistlichen Gerichte, die man eben jetzt wieder herstellte zu beseitigen, in dieser Composition der Consistorien

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sich geltend gemacht habe, vermögen wir nicht zu erkennen, - auf dem Wege fleißiger Geschichtsforschung sicherlich nicht. 5)

Ein Dorn im Auge ist's aber unserm Juristen, daß auch der geistliche Stand im Consistorio seine Repräsentanten hat. Denn hieraus eben gründet sich seine fernere Thesis, daß die Composition des Kirchengerichts irrational und unzeitgemäß sei.

Die Irrationalität sucht er zunächst durch ein argumentum ad hominem darzuthun - wir bedauern aber, daß wir ihm die Freude an diesem Beweisgrunde zerstören müssen. Wenn, sagt er, bei den geistlichen Gerichten mehrere nicht rechtsgelehrte Beisitzer Sitz und Stimme haben, so ist das eben so wenig zu rechtfertigen, als wenn man einem Rechtsgelehrten etwa das Abhalten eines Gottesdienstes oder die Beichte anvertrauen wollte! Als

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5) Sollte Herr M. über seinen Zweifel, ob die Reformatoren wohl überall an eine Reform der geistlichen Gerichte gedacht haben, durch das Obenstehende noch nicht hinreichend beruhigt sein, so verweisen wir ihn auf Stahl's Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten, wo er u. A. S. 162 ff. u. S. 171 ff. nachgewiesen findet, in wie vielen und wie wesentlichen Stücken die lutherischen Kirchengerichte sich von den katholischen Officialaten unterscheiden. Er wird dort zugleich erfahren, daß im Zeitalter der Reformation Niemand auch nur darauf verfallen ist, eine Vergleichung zwischen beiden wesentlich verschiedenen Gerichten anzustellen, - daß die ersten, welche im Interesse der wissenschaftlichen Darstellung beide parallelisirten, die Kirchenrechtslehrer des I7ten Jahrhunderts (Stephani, Reinkingk u. s. w.) waren, daß aber diese aus solcher Zusammenstellung keinerlei den protestantischen Grundsätzen widersprechende practische Folgerung gezogen, vielmehr auf die wesentliche Verschiedenheit beider Institute die wichtigsten Behauptungen (z. B. über das Avocationsrecht der Fürsten) gebaut, wie sie denn auch im Widerspruch mit der unhistorischen Ansicht unsers Gegners den selbständigen Ursprung unserer Consistorialgerichtsbarkeit nie verkannt haben.

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ob das Letztere nie geschähe, oder als ob es einer Rechtfertigung bedürfe! Warum sollte man denn einem qualificirten Juristen nicht das Amt übertragen, welches Gottesdienst und Beichte zu verwalten hat? In der lutherischen Kirche hat man nie aus der Jurisprudenz, wie Herr M. aus dem Grundbesitz eines Individuums einen Argwohn gegen dessen "Intelligenz" geschöpft. Qualificirte Juristen zu geistlichen Aemtern zu promoviren hält man in ihr für so unbedenklich, daß es bis auf den heutigen Tag außer Herrn M. Niemand in den Sinn gekommen ist, eine Rechtfertigung dafür zu fordern. In Bertram Evangelisches Lüneburg S. 160 f. findet sich eine ganze Reihe von Juristen aufgezählt, die wegen ihrer notorischen Frömmigkeit und Gottesgelahrtheit ohne ein theologisches trieinnium academicum und ohne theologisches Amtsexamen zum Theil unmittelbar aus bürgerlichen Aemtern heraus zu Pfarrstellen berufen sind. Und Aehnliches geschieht gerade in diesem Jahrhundert erst recht häufig. Sollte z. B. unter unsern "Lauenburgischen Juristen" ein Mann von bewährter Frömmigkeit und allgemein bekannter theologischer Bildung zu finden sein, so möge er sich nur am geeigneten Orte zum Missionsdienste melden, und wir wollen ihm hiemit feierlich die Versicherung gegeben haben, daß seiner Ordination ohne vorgängiges theologisches Universitätsstudium auch ohne das gewöhnliche theologische Amtsexamen wird geschehen, und daß ihm darnach die Erlaubniß zur Haltung eines Gottesdienstes oder zum gelegentlichen Beichtsitzen auch in einer hiesigen Kirche unter Umständen ohne Schwierigkeit wird ertheilt werden können.

Aber so leicht räumt Herr M. nicht das Feld. Er hat zur Behauptung seiner Thesis von der Irrationalität der Consistorien noch ein andres sehr schweres Geschütz in Reserve, - das sind "die ersten Rechtsprincipien." Ein Richter, sagt er, muß nothwendig das Recht kennen, welches er auf gegebene


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Verhältnisse anwenden soll. Das geben wir zu. Unsre beiden geistlichen Consistorialassessoren, fährt er fort, kennen es nicht. Woher weiß das Herr M.? Wie will er diese Behauptung beweisen? Unsers Wissens wählt das Consistorium zu geistlichen Assessoren gerade solche Männer, welche außer den übrigen Erfordernissen auch eine tüchtige Kenntniß des kirchlichen Rechtes besitzen. Indessen Herr M. bleibt uns den geforderten Beweis keineswegs schuldig. Er beruft sich auf die allerdings unbestrittene Thatsache, daß die geistlichen Consistorialassessoren das juristische Amtsexamen nicht bestanden haben. Das Argument will uns denn doch etwas chinesisch vorkommen. Aber lassen wir das. So viel werden wir immerhin einräumen müssen, daß die geistlichen Assessoren hinsichtlich ihrer Rechtskenntniß den juristischen Mitgliedern bedeutend nachstehen. Was folgt daraus? Etwa daß schlechte Urtheile gefällt werden? Mit Nichten, sondern nur, daß der Einfluß der Juristen aus die Formirung der Urtheile ein überwiegender sein wird. Wo es auf Entscheidung intricater Rechtsfragen ankommt, da wird kein Geistlicher mit dem Referat beauftragt werden, da werden die Geistlichen sich nicht zu faiseurs vordrängen wollen oder können, aber sie werden die Acten lesen, die Vorträge hören, und nach sorgfältiger Ueberlegung des Gehörten "aus gutem Grunde göttlichen Worts und der in den Relationen angezogenen klaren, beständigen Rechte und Verordnungen ihres Gemüths Meinung vorbringen" wie es die Kirchenordnung vorschreibt. Herr M. wird nicht in Abrede stellen können, daß alle Rechtsformeln doch am Ende Nichts enthalten, als den gesunden Menschenverstand, mitunter freilich in etwas wunderlich lateinischem Gewande. Menschenverstand wird aber vom Menschenverstand begriffen, und den wird Herr M. denn doch den geistlichen Consistorialen wohl nicht absprechen wollen. Wie bei schwierigen Rechtsfragen die Theologen, so werden in manchen andern Fällen die Juristen auf diesen gesunden Menschen-


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verstand sich angewiesen sehen. Denn im Consistorio kommen mitunter auch rein kirchliche, sogar dogmatische und streng gelehrte Sachen vor. Die Juristen, die kein theologisches Amtsexamen gemacht haben, stimmen mit, z. B. wenn es sich um Annahme oder Abweisung eines im Griechischen, Hebräischen, in Dogmatik und Kirchengeschichte examinirten Candidaten handelt. Freilich das Hebräische und die spinösen dogmatischen Quästionen werden sie wohl nicht immer völlig verstehen, aber das Ganze des Examens werden sie auffassen; sie werden die schriftlichen Arbeiten lesen, die Fragen und Antworten hören, die Ansicht der geistlichen Assessoren vernehmen und sich darnach ihr Urtheil bilden. Gerade so machen es die Theologen im Consistorio mir den streng juristischen Sachen. - Mit demselben Rechte aber, mit welchem Herr M. behauptet, daß die geistlichen Consistorialen schlechte Richter seien, weil sie einer gründlichen juristischen Bildung ermangeln, könnte man ihm die Behauptung entgegenstellen, daß weltliche Richter in kirchlichen Sachen durchaus unbrauchbar seien, weil es ihnen an einer gründlichen theologischen Bildung fehlt. "Es ist, sagt ein bekannter Rechtslehrer, 6) die Eigenthümlichkeit des Kirchenrechts, daß es im Ganzen auf einer dogmatischen Grundlage ruht, und in einzelnen, gerade den wesentlichsten, Theilen gar nichts Anderes ist, als die äußere Fixirung der durch die Lehre schon bestimmt vorgezeichneten Verhältnisse. Deshalb kann es auch nicht anders richtig erkannt werden, als in seinem Zusammenhange mit der Lehre, und in der sichern Unterscheidung, welche seiner Sätze aus dieser mit Nothwendigkeit und unabänderlich hervorgehen, und welche dagegen ihre eigne Wurzeln in sich selber haben." Ohne gründliche dogmatische

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6) Stahl Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten. S. 1.

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Kenntniß keine tiefe Erkenntnißdes kirchlichen Rechts! Giebt Herr M., wie er es muß, die Richtigkeit dieser Bemerkung zu, so kommt er auf seinem oben dargelegten Standpuncte in eine böse Klemme. Entweder muß er fordern, daß die sämmtlichen Herren Beamten und Justitiare, bevor ihnen die Jurisdiction in kirchlichen Sachen übertragen wird, sich einem Examen in der Dogmatik etwa bei dem Herrn Superintendenten unterwerfen, oder er muß in seinem Eifer für Reformirung der Gesetzgebung bis zu der Forderung fortschreiten, daß das gesammte Kirchenrecht über Bord geworfen werde. Wir aber ziehen aus dem obigen Satze nur diesen Schluß: in den kirchlichen Sachen, welche nach den canonibus ecclesiasticis der heil. Schrift gemäß zu beurtheilen sind, muß die Gerichtsbarkeit dem Consistorio verbleiben, in welchem die juristischen und die theologischen Mitglieder in einer für eine gesunde Rechtspflege äußerst dienlichen Weise sich gegenseitig ergänzen!

Aber, sagt Herr M., die Ausübung richterlicher Functionen durch Männer, die das juristische Amtsexamen nicht bestanden haben, ist nicht zeitgemäß! Die Composition unsers Consistorii konnte früher, als die Schöffengerichte noch bestanden, unanstößig erscheinen, "vor dem foro unserer civilisirenden Zeit" kann sie nicht bestehen! Sollte man nicht fast glauben, es rede hier nicht ein junger Advokat, sondern der gute, alte Staatshämorrhoidarius, dessen wunderbares Verständniß für die Bedürfnisse und Bestrebungen unserer Zeit uns Allen aus den "fliegenden Blättern" sattsam bekannt ist? Wo hat der Jurist denn gesteckt in diesen letzten 20, 30 Jahren? Ist denn kein Ton vom Markt des Lebens in sein stilles Studirstübchen eingedrungen? Volksthümlichkeit der Rechtspflege! heißt eins von den Losungsworten unserer Zeit. Davon ist die von Herrn M. als zeitgemäß gepriesene ausschließliche Juristenherrschaft das gerade Gegentheil. Niemand denkt jetzt noch an eine Beseitigung der ur-

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alten Stadtmagistrate mit ihren ungelehrten Senatoren. Wo, wie in Hadeln und hier und dort in Holstein und Schleswig, sich noch volksthümliche Gerichte von Alters her erhalten haben, da werden sie von den Regierungen wenigstens nicht angefochten, vom Volke mit Vorliebe festgehalten. Geschworne urtheilen heut zu Tage in vielen deutschen Ländern über Leib und Leben. Und die Schöffengerichte wirft unser Eiferer für zeitgemäße Reformen unter die "Barbarismen" und Irthümer vergangener Jahrhunderte? In Hannover, dem von Herrn M. gepriesenen Lande zeitgemäßer Reformen, werden seit der neuerlichen Reorganisation des Gerichtswesens (irren wir nicht, so ist das betreffende Gesetz vom 1. Sept. 1852!!) bei jedem Amtsgerichte im ganzen Lande monatlich Schöffengerichte gehalten, bei denen die geringeren Klag-und Strafsachen zur Verhandlung und Entscheidung kommen. Die Schöffen, welche in Strafsachen das Schuldig oder Nichtschuldig sprechen, und nachdem ihnen vom Amtsrichter das betreffende Gesetz vorgelesen ist, das Maß der Strafe bestimmen, sind in der Regel ungelehrte Bürgersleute, oder - Bauern! Wir haben Nichts dagegen, wenn Jemand das Consistorium mit jenen uralten volksthümlichen Gerichten in Eine Linie stellen will - aber die Zcitgemäßheit seiner Zusammensetzung soll man uns dann auch nicht länger bestreiten.

Psychologisch falsch ist die Bemerkung, mit welcher Herr M. die Unzuverlässigkeit der Consistorial-Rechtspflege darthun will. Weil die vom Consistorio zu verhandelnden Justizsachen den Administrativsachen an Zahl nachstehen, so meint er, werden jene leicht als Nebensache oder doch mit derselben Ungebundenheit wie diese behandelt werden. Wo in aller Welt wird denn aber außer etwa bei Handwerkern die Wichtigkeit einer Arbeit nach der Stückzahl bestimmt, die man davon zu liefern hat? Oder wer hat jemals gehört, daß z. B. .Amputationen und dergleichen Operationen, die in der Praxis eines Arztes nicht jeden Tag

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vorkommen, von diesem als Nebensache behandelt werden? Gerade den juristischen Consistorialen wird in der Dürre alltäglicher Administrativgeschäfte ein Proceß ein wahres Labsal sein, in dessen fleißiger Verarbeitung sie ihr rechtsgelehrtes Herz einmal recht gründlich erquicken. Uebrigens liegt schon in dem collegialischen Geschäftsbetrieb des Consistorii ein starkes Schutzmittel gegen die Vermengung von Justiz- und Administrativsachen. Schwerlich würde in diesem Collegio ein Referent es ungerügt wagen dürfen, da Zweckmäßigkeitsrücksichten als entscheidende Gründe vorzutragen, wo es sich um eine Frage des Rechts handelt.

Von gar keiner Bedeutung für den Zweck unsers Gegners sind seine Klagen über Langsamkeit, Kostspieligkeit und Schriftlichkeit des Verfahrens vor dem Consistorio. Die Langsamkeit ist z. B. in Ehescheidungssachen durch die Gesetze geboten, und wir würden es als einen argen Rückschritt ansehen, wenn diese Sachen mit der Geschwindigkeit, welche Herr M. den weltlichen Gerichten mit gutem Gewissen nachrühmen kann, betrieben werden sollten. Insofern würde es zwar nicht ohne Grund sein, aber auch durchaus keinen Tadel enthalten, wenn man, wie Herr Meyer entdeckt hat, im gemeinen Leben eine weitaussehende und precäre Sache eine "Consistoriensache" benennt. Im Uebrigen aber möchten wir aus diesem Ausdrucke ebensowenig irgend eine Consequenz ziehen, als aus andern Sticheleien und Anzüglichkeiten, mit denen der Humor "des gemeinen Lebens" keinen Stand und keinen Beruf, auch den des Advocaten nicht, verschont. Nach der Kirchenordnung verträgt sich indessen Mündlichkeit, Raschheit und Wohlfeilheit sehr wohl mit der Consistorialjurisdiction. 7) Sind

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7) Kirchenordnung Theil IV. Zum dritten "das niemand mit langen Processen aufgehalten noch zu vielen schweren vnkosten verursachet, sondern den Consistorialsachen ohne verzug, schleunig vnd bald, den Parteien zu gute abgeholfen werde so sollen die Procuratores nicht Schriftlich, sondern Münd-

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nun in diesem Betreffe Mangel eingerissen, und der Lauenburgische Jurist findet dieselben unerträglich - nun wohl, so trage er am geeigneten Orte auf deren Abstellung an, z. B. auf schärfere Moderatur der Advocatenrechnungen, Herabsetzung der Consistorialsporteltaxe, Verdopplung oder Verdreifachung der solennen Sessionen, Wiederherstellung der Mündlichkeit u. dgl. Aber wegen zufälliger, bald zu beseitigender Mängel, der gesammten Verfassung unserer Kirche den Krieg ankündigen, das heißt denn doch das Kind mit dem Bade ausschütten. Daß das Consistorium, wie jedes Obergericht, zur Vollstreckung seiner abgegebenen Erkenntnisse das Localgericht requiriren muß, ist richtig. Wäre das ein Mangel, so würde der paßlichste judex ecclesiasticus der Executor sein, der Niemand zu requiriren braucht.

Wunderlich nimmt sich die Klage, daß der Sitz des Consistoriums den Parteien so weit entlegen sei in dem Munde eines Mannes aus, der uns so eben erst den winzigen Umfang unsers Ländchens vorgerückt hat, und noch wunderlicher erscheint uns das Mittel, welches er zur Abhülfe vorschlägt. Er will die Consistorialsachen den 29 weltlichen Untergerichten übertragen wissen, von denen einige 20 ihren Sitz eben da, wo das Consistorium, nämlich in Ratzeburg haben.

Ein Argument unsers Gegners bleibt uns noch zu erörtern übrig. Er empfiehlt die Aufhebung der geistlichen Gerichtsbarkeit durch Hinweisung auf den Vorgang vieler andern Länder. Als nachahmenswerthes Beispiel hält er uns vor das reformirte Holland, das im tiefsten Grunde voltairianisirte, zwischen vernunftgötzendienerischer Republik und fatalistischem Imperialismus hin- und hertaumelnde Frankreich, Preußen, das Land der kirchlichen Experimente, Dänemark, dessen entsetzlich tiefe kirchliche Zer-

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lich ohn langes unnützes plaudern und vergeblichen disputiren die Klage vnd Species facti mit ihren meritis ziemlicher notturft nach anbringen" u. s. w.

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rüttung, seit Rudelbach's Nothschrei von Niemand mehr in Zweifel gestellt wird, Hannover, wo man "im Jahr der Verirrungen und Verwirrungen" (12. Juli 1848) die geistliche Gerichtsbarkeit zwar aufhob, die Ehe- und Sponsaliensachen aber gleichwohl der Jurisdiction der Consistorien bis auf Weiteres vorbehielt, und im Lande Hadeln die alten Verhältnisse unberührt fortbestehen ließ u. s. w. Wir müssen gestehen, die Wahl seiner Vorbilder ist von Herrn M. mit großer Umsicht getroffen. Dennoch aber wird die bloße Thatsache, daß andre Länder ihre kirchliche Verfassung geändert haben, noch nicht hinreichen um uns zu einem gleichen Schritte zu bestimmen. Denn eine Modesache ist das ja nicht, das wird Herr M. uns zugeben. Zur Nachahmung obiger Beispiele werden wir uns also vernünftiger Weise nur dann entschließen dürfen, wenn uns die Gründe, aus welchen dort die Aufhebung der Consistorialgerichtsbarkeit hervorgegangen ist, vernünftig und zutreffend, oder die Folgen, von denen jene begleitet gewesen, heilsam erscheinen. Im Jahre 1848 war es aber die Revolution, welche der Patrimonialgerichtsbarkeit ihr: "la mort sans phrase!" und den geistlichen Gerichten das alte "non licet esse vos!" entgegenschleuderte. Als eine Concession zur Beschwichtigung der drohenden Revolution wurde in Hannover das Gesetz vom 12. Juli 1848 gegeben. Der Vorgang reizt nicht zur Nachfolge. In den übrigen protestantischen Ländern Deutschlands ist es die Herrschaft des Territorialismus gewesen, welche die Consistorialjurisdiction verdrängt hat. 8) Dieses System halten wir aber für grundfalsch, und so viel wir wissen giebt es unter den heutigen Kirchenrechtslehrern keinen einzigen namhaften Mann, der ihm noch huldigt. Die Gründe, aus welchen man anderswo die geistliche Gerichtsbarkeit beseitigt hat, haben mithin für uns

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8) Vergl. Richter Lehrbuch des kath. u. evangel. Kirchenrechts. 4. Aufl. S. 312. Mejer Institutionen des gem. deutschen Kirchenrechts. S. 580.

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wenig Verlockendes. Ebensowenig die Folgen, von welchen ihre Aufhebung begleitet gewesen ist. Zahllose Competenzconflicte sind überall die nächste Folge gewesen. Unsre Kirchenordnung will, "daß ein jedes Gericht in seinen Circken und Zielen sich verhalte, daraus nicht schreite, vnangehörige Klagen sich nicht anmasse, noch ein Gericht dem andern eingriff thue, noch die Sachen vormischet werden; Sondern menniglicher wisse, an welches Gericht er sich mit seinen Klagen finden vnd angeben auch Bescheides gewertig sein solle. 9)" Und das hat sie an ihrem Theil vollständig erreicht. Von Competenzconflicten zwischen dem Consistorio und den weltlichen Gerichten ist uns bis dahin nie Etwas zu Ohren gekommen. In Hannover dagegen stehen seit dem 12. Juli 1848 die Consistorien und die weltlichen Gerichte beständig auf dem Kriegsfuße. Die im Mecklenburgischen, in Folge des Landtagsabschiedes vom 22. Nov. 1756, eingerissenen Competenzstreitigkeiten sind bekannt. 10) Dergleichen, weder dem Staat noch der Kirche zum Heil und zur Ehre gereichenden, Zänkereien können naturgemäß ihr Ende erst dann finden, und haben sie erst dann gefunden, wenn die Consistorien sich und ihre Untergebenen an ihre völlige Nullität gewöhnt hatten. Das führt uns auf eine andre Folge. Die Consistorien verlieren, wie die Erfahrung lehrt, mit der Jurisdiction Muth und Macht. 11) Die weltlichen Obrigkeiten erweisen sich ihnen selten willfährig. Die strenge kirchliche Haltung der Geistlichen wird gelockert; selbst die Besseren unter ihnen gerathen in die Gefahr independentistischer Verwilderung, die schlechteren wagen es ungestraft, ihren kirchlichen Obern zu trotzen. Eine "gemüthliche Anarchie" greift in der Kirche Platz. Herr M. hat ganz Recht, das Alter eines In-

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9) KO. Vierter Theil. Vom Kirchen Stadt oder Consistorio.
10) Vergl. Mejer Kirchenzucht und Consistorialcompetenz nach Mecklenburgischem Rechte. Rostock 1854.
11) Vergl. Mejer a. a. O.

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stituts kann diesem als Mangel nicht angerechnet werden. Das Alter einer Kirchenordnung ist ebensowenig ein Mangel. Aber wenn sie in Fetzen zerrissen wird, so ist der kümmerliche Rest, den man der Kirche davon läßt, nicht viel werth, und wird heut oder morgen zur Seite geworfen. Wo man die Competenz der Consistorien auf Null reducirt hat, da ist noch überall die ganze Kirchenordnung hinter drein gefallen. Auf eine durch und durch zerfetzte Kirchenordnung können ja auch die Geistlichen nicht mehr beeidigt werden - ein solcher Eid wäre ja nur eine Farce! Man hat um der einreißenden Zuchtlosigkeit und den independentistischen Gelüsten unter den Geistlichen zu steuern, eigne Disciplinargerichte für sie in Vorschlag gebracht. Diese aber müßten, weil bei der eigenthümlichen Natur der geistlichen Amts- und Standespflichten, die hier einschlagenden Momente nur von Standesgenossen richtig gewürdigt werden können' 12) nothwendig geistliche Mitglieder in sich fassen. Das hieße denn die geistlichen Gerichte zur Thür hinauswerfen, und sie durch's Fenster wieder hereinlassen. Daß man, wo es an einem Consistorium mit richterlicher Competenz fehlt, sogar versucht hat, die Prediger auf halbjährige Kündigung anzustellen, 13) zeigt deutlich, zu was für desparaten Auskunftsmitteln man endlich wird greifen müssen, wenn man dem Consistorio auch nur in doctrinalibus, ceremonialibus und disciplinalibus ein proceßmäßiges Verfahren ferner zu gestatten durch die Knechtschaft unter gewisse selbstgemachte Theorien sich verhindern läßt. - Eine Entartung des Eherechts ist ferner unvermeidlich, wo die Consistorialjurisdiction beseitigt wird. In seinem Excurs über die Entstehung des Rechts hat Herr M. es sehr richtig als den Beruf des Richters dargestellt, daß er der Gesetzgebung voranschreitend die im Volke lebende Rechtsüber-
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12) Mejer Institutionen etc. S. 570.

13) Zeitblatt für die Angelegenheiten der luth. Kirche. 1855. Nr. 38.

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zeugung zu practischer Geltung bringe. Auf dem kirchlichen Gebiete gilt dies jedoch nur in beschränktem Maße, und namentlich auf dem Gebiet des Eherechts wird sich der kirchliche Richter dazu nicht berufen finden. Für den weltlichen Richter freilich ist auch hier die Rechtsüberzeugung des Volks die norma normans. Das Gesetz gilt ihm auch in Ehesachen nur als norma normata. Der kirchliche Richter aber kennt keine andre norma normans als die heil. Schrift; die jeweilige Rechtsüberzeugung des Volks hat für ihn nur einen untergeordneten Werth, und falls sie mit der heil. Schrift in Widerspruch stehet, gar keinen. Daher können die altlutherischen Consistorien selbst in andauernden Zeiten der Verirrung und Verwirrung das aus der heil. Schrift entstandene kirchenordnungsmäßige Eherecht festhalten und handhaben, der weltliche Richter kann es nicht. Wo das Eherecht der Handhabung weltlicher Richter anvertraut ist, da wird es sich gegen das Zusammenwirken widerbiblischer Richtungen der Wissenschaft und sittlicher Erschlaffung des Volkslebens niemals in seiner Integrität behaupten können, es muß entarten. Die Lehre unsrer Kirche aber ist unwandelbar, und auf ihrem Gebiete heißt es "Recht muß doch Recht bleiben, und dem werden alle frommen Herzen zufallen." (Psalm 94, 15.) Eine Discrepanz zwischen dem bürgerlichen und dem kirchlichen Eherecht, wie sie nach Aufhebung der Consistorialjurisdiction gerade jetzt unvermeidlich ist, hat aber noch ganz andere Nachtheile im Gefolge, als die geringfügigen, daß irgend ein Geschiedener zu keiner neuen Ehe schreiten kann. Der größte Schaden einer Differenz zwischen Staat und Kirche, wie wir sie in diesem Augenblicke in Preußen vor Augen haben, ist ein sittlicher, die Gefahr liegt darin, daß die biblisch wohlbegründeten Forderungen der Kirche von der höchsten weltlichen Auctorität als unpractischer, unberechtigter Idealismus behandelt werden, während die Kirche das

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Recht des Staats als ein unsittliches und gottloses brandmarkt. - Eine freudige und wirksame Ausübung der Seelsorge wird den Predigern durch die Aufhebung der Consistorialgerichtsbarkeit sehr erschwert. Ein Pastor muß seinen Beichtkindern, wenn er die eidlich übernommene Pflicht der Seelsorge üben will, nicht selten sehr scharfe Dinge sagen. Bei unserm norddeutschen, und vorzugsweise bei dem lauenburgischen Volkscharacter ist sehr häufig, selbst wenn der Prediger die größte Vorsicht beobachtet hat, die erste Wirkung solcher Worte heftige Entrüstung und ein brennendes Verlangen nach Satisfaction. D i e Sache, heißt es dann, dürfe man nicht stecken lassen, die müsse man einem Advocaten zu verstehen geben, aber einem ausländischen, am Liebsten einem Boitzenburger. Der Advocat zuckt die Achseln, meint indessen, ja hofft ganz zuversichtlich, daß er die Sache durchholen werde, und will mit einer Beschwerde beim Consistorio einkommen. - Beim Consistorio?! - Ja, aber die Herren sehen die Sache auch von der geistlichen Seite an, und sind in ihren sittlichen Anforderungen am Ende wohl gar noch strenger als der Prediger, der zwar auch etwas "extrem" aber sonst so übel gar nicht ist. Das Ding verdient Ueberlegung! Und beim Ueberlegen kommt man zu dem Schluß, daß der Prediger es doch wohl gut gemeint, und von seinem Standpuncte aus nicht so ganz Unrecht gehabt habe, wenn er's gleich so nicht hätte sagen sollen. Das Beste sei, ihn das bei der Kornsammlung oder sonst einmal etwas fühlen zu lassen, vom Processen aber abzustehen. Inzwischen thut das seelsorgerliche Wort denn doch seine Wirkung. Ganz anders, wo die geistliche Gerichtsbarkeit aufgehoben und der "Geistliche" im Prediger vom "citoyen" in den Schatten gestellt ist. Da findet man sein scharfes Wort noch viel weniger erträglich, und macht sich eher Hoffnung vor Gericht mit einer Klage durchzudringen. Das Zeitblatt für die Angelegenheiten der lutherischen Kirche giebt darüber manche sehr bemerkenswerthe

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Data. 14) Werden nun auch dergleichen Klagen schließlich, sei's in der ersten oder letzten Instanz zurückgewiesen, so hat doch der Proceß mit seinen Weitläufigkeiten und Kosten einen oft unheilbaren Riß zwischen dem Prediger und dem Kläger gemacht, das von jenem gesprochene Wort ist inzwischen in der Bitterkeit des Herzens erstickt, der Prediger ohne Noth in die Sorgen und Mühen eines Injurienprocesses verwickelt, und für die Folge in der Erfüllung seiner seelsorgerlichen Pflichten viel ängstlicher und zurückhaltender geworden, und die Gemeinde, in welcher sich leicht Parteien für den Einen und den Andern bilden, ist unnöthiger Weise geärgert. - Streitigkeiten zwischen Prediger und ihren Gemeindegliedern müssen eben so wie Zwistigkeiten zwischen Eheleuten wenn irgend möglich ohne richterliche Dazwischenkunft beseitigt, und bis diese unvermeidlich geworden, möglichst inter privatos parietes gehalten werden. Die Lauenburgische Kirchenordnung (Theil II. sub Nr. 7) schreibt deshalb vor, daß bei allen zwischen Beamten oder Unterthanen wider einen Prediger vorfallenden Privat- oder Personalirrungen, Span und Mißverstand solche Irrungen anfänglich durch den Superintendenten neben dem Amtmann, Patron, Bürgermeister, Vogt und Kirchgeschwornen in Verhör genommen und so viel immer möglich beigelegt werden sollen. Der Superintendent wird seinen Einfluß vornämlich auf den Prediger, die Letztgenannten den ihrigen auf die sich beschwerende Partei geltend zu machen haben. Gerade die allerschlimmsten Processe - und das sind diejenigen, wo der Prediger, wenn auch nicht formell, im Unrecht ist, und zur Beseitigung der Ursach des Streites einer seelsorgerlichen Einwirkung bedarf - werden auf diese Weise in der Regel ohne Kosten und Rumor im Entstehen erstickt. Um diese schiedsrichter-
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14) Jahrgang 1853 Nr. 32. 33. 37. 40. 43.

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liche Instanz wäre es bei Aufhebung der Consistorialjurisdiction zum großen Nachtheil der Kirche geschehen. Wollte man sie aber auch als eine nicht zu umgehende beibehalten, so würden doch größere Kosten und Eclat bei derselben schwerlich zu vermeiden und eben dadurch der Erfolg sehr zweifelhaft geworden sein. Erfahrung hat gelehrt, daß nach Beseitigung der geistlichen Gerichtsbarkeit die Zahl der Processe zwischen Predigern und Gemeindegliedern sich nicht unerheblich zu vermehren pflegt. - Einen ganz nutzlosen Verbrauch bedeutender Kräfte müssen wir als eine unvermeidliche Folge der Aufhebung der Consistorialjurisdiction schließlich noch hervorheben. Regulative, Declarationen, Instructionen, Commissionen, Synoden, reorganisirte Consistorien, Oberconsistorien, Kirchenräthe und Oberkirchenräthe kommen und gehen in jenen Ländern, wo man durch Entziehung der Gerichtsbarkeit die Consistorien "exauctorirt" und die Kirchenordnungen in wenig brauchbare Ruinen verwandelt hat; - und trotz aller Anstrengungen der Gesetzgebung und der Verwaltung gewähren dort die neugeschaffenen Zustände noch immer keine Befriedigung und bieten keine Aussicht aus dauerndes Bestehen. Ein starkes Regiment und eine gute Kirchenordnung dürfen nämlich der Kirche nicht fehlen, wenn sie nicht durch die von den wechselnden Strömungen der Wissenschaft herbei und wieder fortgetragenen Theorien und Systeme in ihrer Einheit immer wieder gefährdet, wenn Lehre, Cultus und Zucht innerhalb der Gemeinden nicht den subjectiven Belieben der zeitweiligen Prediger rücksichtlos überantwortet, wenn das Auseinanderfallen der Kirche in mehr oder weniger independente in doctrinalibus, ceremonialibus und disciplinalibus verschiedene Gemeinden nicht angebracht und befördert werden soll. Ein starkes Regiment und eine neue gute Kirchenordnung zu schaffen, das ist die Aufgabe, welche man dort, wo die geistliche Gerichtsbarkeit beseitigt ward, der Gesetz-

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gebung aufbürdet. Wir halten diese Aufgabe für unausführbar. Die Kirche einer Art geistlicher Säbelherrschaft zu unterwerfen, ist vollends unstatthaft. Das Kirchenregiment wird immer ohnmächtig bleiben, so lange man ihm die Gerichtsbarkeit vorenthält. Unter einer guten Kirchenordnung verstehen wir eine solche, deren Auctorität darauf beruht, daß sie sowohl nach ihrem Ursprunge, als nach dem Geist und Inhalt ihrer Statute als der Ausdruck des Rechtsbewußtseins - nicht der innerhalb eines kleineren oder größeren Territorii gerade jetzt lebenden Generation - sondern der gesammten lutherischen Kirche alter und neuerer Zeit anerkannt werden muß. Eine solche Kirchenordnung für unsere alte lutherische Kirche neu zu schaffen halten wir für unmöglich. Eben so gut könnte man es unternehmen, für den Gliederbau des menschlichen Körpers ein neues Maaß und eine neue Ordnung herzustellen. Jede neue Kirchenordnung muß binnen kurzer Zeit an allgemeiner Mißachtung sterben. - Es mag sein, daß, wie Herr Meyer sagt, unsere Legislative durch lange Trägheit sich verschuldet habe - wir maßen uns darüber kein Urtheil an. Ist es der Fall, und soll ihr für ihre Versäumniß eine kleine Buße aufgelegt werden, so möchten wir unmaßgeblich rathen, die Aufgabe dahin zu stellen, daß sie einen Theil der aus der "glücklichen hannoverschen Zeit" stammenden kirchlichen Gesetzgebung, z. B. die schlechte Gottesdienstordnung von 1770, die veraltete Schulordnung von 1757 sammt dem hannoverschen Landeskatechismus aus unserer Landeskirche ausfege. Aber daß sie, wie Herr Meyer will, vielleicht durch viele Menschenalter hindurch den tückischen Marmor einer neuen Kirchenordnung wälzen soll, der immer wieder nahe am Ziel mit Donnergepolter entrollet - das ist zu hart! .

Wir haben im Vorstehenden die vom Herrn Meyer ange-

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regte Frage nur von der kirchlichen Seite betrachtet. Ihre politische Seite zu beleuchten überlassen wir billig den Männern vom Fach. Ihr Zusammenhang mit gewissen politischen Fragen, die gerade jetzt unser Herzogthum heftig bewegen und die Aufmerksamkeit von ganz Europa auf sich ziehen, ist aber schwer zu verkennen.
 


 

 

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