In Sachen der Dorfschaft Gr. Klinkrade, Klägerin,
gegen die Dorfschaft Kühsen, Beklagtin, wegen Aufnahme des Häuslings
JUNGE, erkennen Königl. Dänemarkische, zum Hofgerichte des
Herzogthums Lauenburg verordnete Hofrichter, Räthe und Assessores
hiemit für Recht.
Da es
1. in factischer Hinsicht, als richtig angenommen werden muß, daß
der Tagelöhner Junge in Kühsen geboren ist, aber mehrere Jahre in
Klinkrade GEWOHNT, sich mit einer im letzten Orte geborenen Frau
verheirathet, und in seiner Ehe mehrere daselbst gleichfalls geborne
Kinder erzeugt hat, endlich aber im Jahre 1829 an seinem gedachten
Wohnorte Klinkrade mit seiner Familie obdachslos, und ein Gegenstand
der polizeilichen Fürsorge des Amts Steinhorst geworden ist,
da ferner
2. eine solche obdachslose Familie, ohne Zweifel, zu den nach
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*) Die nachfolgenden Entscheidungen sind für die Kunde der Anwendung
der Verordnung vom 19ten März 1735 so wichtig, daß ein Abdruck
derselben im Archiv von Interesse sein dürfte.
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der Verordnung vom 19ten März 1735 zu
behandelnden Armen gerechnet werden muß;
3. da die Armen im Herzogthume Lauenburg, zwar für sich selbst kein
klagbares Recht auf Versorgung, sondern nur einen Anspruch auf
Almosen haben, welche ihnen, mit Rücksicht auf ihre
Hülfsbedürftigkeit, Würdigkeit und Arbeitsfähigkeit bewilligt
werden, jedoch Streitigkeit zwischen einzelnen Ortschaften darüber,
welche von ihnen die Last der Armenpflege zu übernehmen habe,
allerdings zu rechtlicher Entscheidung geeignet sind, der
vorliegende Fall auch von der Königl. Regierung auf den Weg Rechtens
verwiesen ist, indem die polizeilichen, auf Abhülfe eines
augenblicklichen Nothstandes gerichteten Regiminalverfügungen, nur
provisorisch, und salva via juris, zu verstehen sind;
da
4, wenn in einzelnen Fällen von der Regierung dem Geburtsorte eines
Armen die Aufnahme desselben aufgegeben sein mag, der Grund solcher
Verfügung doch nicht sowohl in einer vermeintlichen Absicht, die
verordnungsmäßigen Principien abzuändern, als vielmehr in der
besonderen Beschaffenheit der speciellen Fälle gesucht werden muß;
5. da die Verordnung vom 19ten März 1735, welche § 11 und 15
bestimmt, daß die eingebornen Armen an dem Orte, wo sie resp.
geboren sind, oder gewohnt haben, unterstützt werden sollen, den
Geburtsort keineswegs vor dem Wohnorte verpflichtet vielmehr aus dem
§ 13 der gedachten Verordnung sich ein Gegentheil ergiebt, daß kein
an einem Orte einmal wohnhafter Arme weggewiesen werden darf, diese
Erklärung der Verordnung auch den vom foro originis
und domicilii geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen
entspricht, nach welchem das forum originis
nicht weiter in Betracht kommt, wenn ein forum domicilii
erworben ist.
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Da
6. die Ehefrau und ehelichen Kinder an dem Gerichtsstande des
Wohnorts des Ehemannes Theil nehmen, selbige auch im vorliegenden
Falle selbst, wenn die mehrgedachte Verordnung, nicht nach den
gemeinschaftlichen Grundsätzen interpretirt würde, ihren eigenen
Geburtsorte, mithin der klagenden Dorfschaft, welche alsdann die
Principien, die sie für sich anführt, auch gegen sich gelten lassen
müßte, zur Last fallen würden;
So wird die Klägerin mit ihrer sowohl angebrachtermaaßen als
überhaupt unstatthaften Klage ab- und zur Ruhe verwiesen; und werden
übrigens die Kosten, bewandten Umständen nach, compensirt.
Von Rechtswegen.
Publicirt Ratzeburg
in ordinaria den 21sten August 1830.
Namens Sr. Königl. Majestät.
Auf die am 29sten Decbr. 1830 hieselbst
eingebrachte Rechtfertigung der Appellation des Syndicus der
Dorfschaft Gr. Klinkrade, Amts Steinhorst, Hufner Groth daselbst,
Klägerin, Implorantin, contra die Dorfschaft Kühsen, Amts Ratzeburg,
Bekl., Imploraten, wegen Aufnahme des Häuslings Junge, wird dem
Imploranten hiemit zum Bescheid ertheilt, daß, da die
Entscheidungsgründe des Hofgerichts sub Nro. 1, 2, 3, 4, 5 ganz den
Worten und dem Sinne der Verordnung vom 19ten März 1735, wegen
Versorgung und Verpflegung der Armen, entsprechen, indem in dieser
Verordnung der Grundsatz aufgestellt ist, daß wenn einheimische
Arme, welche in einem Orte wohnhaft sind, unterstützt werden sollen,
der Wohnort zur Unterstützung verpflichtet ist; zum Begriffe des
Wohnhaftseins aber weder Ansässigkeit mit liegenden Gründen, noch
Gewinnung des Bürger-
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rechts erforderlich ist, da ferner, wenn man auch
annehmen wollte, daß die erwähnte Verordnung vom 19ten März 1735
hier nicht entscheidend wäre, weder aus einem Gewohnheitsrechte,
noch aus dem gemeinen Rechte, noch aus der Natur der Sache, sich
nachweisen läßt, daß der Ort, wo ein einheimischer Armer wohnt, den
Geburtsort rechtlich in Anspruch nehmen kann, den Verarmten selbst
überall oder mit seiner Familie zur Unterstützung und Versorgung
anzunehmen, - das eingebrachte Gesuch nicht statt finde.
V. R. W. unter vorgedruckten Königl. Insiegel. Gegeben im Königl.
Holst.-Lauenb. Obergericht zu Glückstadt den 1sten Mai 1831.
(L. S.) gez. Levsen. Rönne.
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Destinon.
(Auf derselben Seite): 5. Über
Brandversicherungen.
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