Vaterländisches Archiv
für das Herzogthum Lauenburg

Erster Band.
Ratzeburg. Verlag der Buchhandlung von H. Linsen. 1857
 


XII.

Ueber die Zahl der unehelichen Geburten.

Vom Herrn Amtmann Kammerherrn von Warnstedt zu Steinhorst.

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Die neuere Statistik fast aller Länder hat sich viel damit beschäftigt, das Procentverhältniß der ehelichen und unehelichen Geburten der verschiedenen Länder zu ermitteln, und den Gründen nachzuspüren, die dafür geltend zu machen, daß in einer Gegend mehr, in der andern weniger uneheliche Kinder erzeugt werden.
Nach den gründlichen Untersuchungen von DIETERICI und BERGIUS gelangt man zu dem Ergebniß, daß das Religionsverhältniß nicht entscheidend sei; daß Fabrikgegenden nicht mehr uneheliche Kinder haben, als ackertreibende; daß auch unter der städtischen Bevölkerung überhaupt nicht mehr uneheliche Kinder sind, als unter der ländlichen; endlich, daß auch Bierländer nicht mehr uneheliche Kinder haben, als Weinländer.
Der Grund liegt vielmehr einzig und allein in der Gesetzgebung.
Während in England 6 ½ % uneheliche Geburten auf 100 Neugeborene kommen, in Frankreich 7 ¼ %, in Schweden 7 ¾ %, in Belgien 8 ½ %, in Würtemberg 11 ¼ %, in Oesterreich 10 ¼ %, in Baiern 19 ¾ %, in Preußen 7 1/3 %, in Holstein 6 ¼ %, kommt

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in einem Amt des Herzogthums Lauenburg 1 uneheliches Kind auf 5, oder 20 % uneheliche Kinder auf 100 neue Geburten.
Ob das Verhältniß durchgängig im Herzogthum Lauenburg so ungünstig ist, kann bei dem völligen Mangel aller statistischen Nachrichten nicht gesagt werden; es wäre indessen sehr wünschenswerth, wenn die jährlich einzusendenden Predigerlisten über die Geborenen von der Superintendentur zusammengestellt und veröffentlicht würden. +)
Die Statistik weist es unwiderleglich nach, daß, wo der Grundsatz, la recherche de la paternité est interdite, *) gilt, weniger uneheliche Kinder vorkommen, als wo der entgegenstehende Grundsatz gilt. Die Rheinprovinz, in welcher seit mehr als 50 Jahren der Grundsatz des französischen Rechts gilt, zeigt andauernd weniger uneheliche Kinder, als alle übrigen Provinzen des preußischen Staats; in der Rheinprovinz 3 ¾ %, in Preußen mit der Rheinprovinz 7 1/3 %, ohne die Rheinprovinz 8 %.
Wo durch freie Industrie die Möglichkeit einer schnelleren Selbstständigkeit und die Errichtung eines eigenen Hausstandes gegeben, und die Erwerbung eines ländlichen Besitzes erleichtert ist, sind weniger uneheliche Kinder, als da, wo die Gesetzgebung das Selbstständigwerden erschwert.

Auch Leichtigkeit oder Schwierigkeit der Ehescheidungen hat einen großen Einfluß auf die Zahl der unehelichen Geburten; desgleichen der Umstand, ob die Großjährigkeit früh, (in England, Frankreich, Rheinprovinz mit 21, in Preußen, Oestreich mit 24, in Lauenburg mit 25 Jahren) oder spät eintritt.
Von dem entschiedensten Einfluß ist die Frage, ob Freiheit oder Beschränkung der Niederlassung, der Eheschließung, des Landerwerbes und des Gewerbebetriebes herrscht. Jede Be-
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+) Cf. die Mittheilung des Herrn Pastor MORAHT am Schluß dieses Heftes.
Anm. d. Redact.

*) "Die Erforschung der Vaterschaft ist untersagt." Bestimmung des "Code Napoléon" (Art. 340), zufolge dessen die Klage eines unehelichen Kindes gegen den Erzeuger auf Anerkennung der Vaterschaft und Gewährung von Unterhalt ausgeschlossen ist. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch hat diesen Satz aufgehoben.

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schränkung einer dieser vier Freiheiten, und jede Erschwerung oder Vertheuerung ihrer Ausübung führt eine Vermehrung der unehelichen Geburten herbei.
Wenn in Betracht gezogen wird, daß im Herzogthum Lauenburg in jeder dieser Beziehungen große Beschränkungen stattfinden, so kann die große Anzahl der unehelichen Kinder nicht Wunder nehmen, um so weniger, da Lauenburg auch in Bezug auf Heimathsrecht und Niederlassung gegen die übrigen Theile des Gesammtstaats in der durch das Patent vom 24sten April 1846 gesetzlich ausgesprochenen exceptionellen Lage als Ausland steht.
Es wird nur weniger Bemerkungen bedürfen, um das Sachverhältniß klar zu machen.
Was nämlich die NIEDERLASSUNG, so wird das Heimathsrecht bei einer gehörig qualificirten Niederlassung sofort in Lauenburg erworben, ohne daß das Hinzutreten einer Verjährung erforderlich ist. Zur Niederlassung an einem Ort, den man als bleibenden Wohnsitz gewählt, gehört die Erlaubniß der Ortsobrigkeit, welche bei Stellbesitzern durch die gerichtlich bestätigten Kaufcontracte, Stellüberlassungscontracte geschieht, bei Häuslingen durch den s. g. Wohnschein, welcher nicht zu versagen ist, wenn der Betreffende nachweist, daß er eine Miethwohnung erhalten kann, sich bisher untadelhaft aufgeführt hat, und Aussicht hat, sich auf ehrliche Weise sein Brod zu verdienen.
Die Entscheidung über die Ertheilung oder Versagung eines Wohnscheins an Angehörige des Herzogthums Lauenburg hängt lediglich von dem polizeilichen Ermessen der Behörde ab, und steht dagegen den Commünen ein förmliches Widerspruchsrecht nicht zu. +)
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+) Beiläufig kann hier bemerkt werden, daß aus Zweckmäßigkeitsgründen nichts destoweniger wohl überall eine consultative Vernehmung der Dorfschaft vor Bewilligung des Wohnscheins geschieht und geschehen muß, weil die Obrigkeit sonst Gefahr laufen

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Es ist verboten die Ertheilung eines Wohnscheins für einen geborenen Lauenburger von einer Bürgschaft oder sonstigen Sicherheitsbestellung, wegen etwaiger künftiger Verarmung, so wie von einer Wiederaufnahmezusicherung Seitens seiner bisherigen Heimathscommüne abhängig zu machen; nur für Ausländer ist die Bedingung einer Wiederaufnahmezusicherung zulässig.
Eine factische Niederlassung, welche unter Außerachtlassung der rechtlichen Ordnung, ohne obrigkeitliche Genehmigung zu Stande gebracht würde, begründet keinerlei Heimathsrechte.
Dienstboten, Gesellen, und andere sich nicht in einer selbstständigen Lage befindende Personen, können sich durch ihren Aufenthalt an einem Ort, sei derselbe auch von langer Zeitdauer, kein Heimathsrecht in demselben erwerben.
Kinder theilen, ohne Rücksicht auf ihr Lebensalter, so lange das Heimathsrecht ihrer Eltern, resp. des überlebenden Theils derselben, uneheliche Kinder das der unehelichen Mutter, bis sie sich eigene Niederlassung separirt, und eine selbstständige neue Heimath erworben haben.
Es dürfte hieraus hervorgehen, daß im Herzogthum Lauenburg die erste Niederlassung und Wohnhaftwerdung an einem Orte an manche beschränkende Bedingungen geknüpft ist, und viele Leute erst spät dazu kommen können, eine Familie zu gründen.
Der EHESCHLIESZUNG muß nach den Verordnungen vom 23sten Februar 1739 und 19sten Februar 1745 ein Erlaubnißschein der Behörde des Copulanden vorausgehen, welcher erst ausgestellt wird, wenn nichts gegen die Eingehung der Ehe zu erinnern gefunden wird, mithin der Bräutigam einen Wohnschein hat, die Braut elterlichen Consens beibringt.
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würde, daß um Maitag die ausziehenden Häuslinge, die sich nicht um Wohnung bekümmert, nicht untergebracht werden könnten.

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Der LANDERWERB ist bei der im Herzogtum Lauenburg stattfindenden Meierverfassung im höchsten Grade beschränkt. Es findet die Hufengeschlossenheit im strengsten Umfange statt. In einem Amte, welches bei der Verkoppelung 418 meierpflichtige Stellen zählte, gibt es 70 Jahr später 429, und diese neu hinzugekommenen 11 Stellen bestehen aus Neuanbauerstellen, die mit circa 1 Morgen überflüssigem Straßenland; oder Brinkkäthnerstellen, die mit etwas ferne liegender Freiweide oder Hufenland (1 Scheffel bis 1 1/2 Morgen) abgelegt sind.
Theils liegt diese Hufengeschlossenheit in dem Wesen der ganzen Meierverfassung, und selbst in den Zeiten, wo die Meierverfassung über den Haufen geworfen wurde, wie zur französischen Zeit nach dem kaiserlichen Decret vom 9ten Decbr. 1811 über die Abolition des Lehnswesens, und zur Zeit der Geltung des s. g. Staatsgrundgesetzes vom 14ten Mai 1849 bis zur Aufhebung desselben am 6ten März 1851, wo freie Theilbarkeit des Grundbesitzes ausgesprochen war, ist das eng mit dem ganzen Wesen der Bevölkerung verwachsene Meierrecht nicht alterirt worden; theils darin, daß nach der Verordnung vom 14ten Mai 1692 alle Contracte der Amtsunterthanen in Bezug auf Höfe, vor den Aemtern errichtet werden sollen, außerhalb Amts gemachte Contracte aber für null und nicht erklärt sind, auch darauf nicht gesprochen werden soll.
Nicht minder unterliegt der GEWERBEBETRIEB auf dem Lande mannichfachen Beschränkungen.
Nach der Verordnung vom 10ten Decbr. 1776 und der Declaration vom 25sten Septbr. 1778 sollen in jedem Amtsdorfe nur 1 Grobschmidt, 1 Zimmermann, 1 Weber, 1 Rademacher, 1 Schuhflicker, 1 Schneider, 1 Höker sein, und dürfen Landhandwerker keine Gesellen und Lehrjungen halten. Völlig so strenge wird es nun freilich nicht mehr gehalten, und hat das Ministerium es unterm 23sten März 1855 genehmigt, daß den

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Landhandwerkern die Befugniß zur Haltung Eines oder doch einer beschränkten Zahl von Gesellen, bisweiter nur unter der Bedingung ihres Eintritts in eine Zunft ihres Gewerbes ertheilt werde.
Da indessen eine große Zahl von Landhandwerkern nicht zünftig gelernt haben, und die nach dem Kanzeleischreiben vom 8ten Mai 1819 zulässigen Concessionen von Freimeistern, wo den Gildeartikeln gemäß keine Reception in die Zunft thunlich ist, nur sehr selten ertheilt werden, ist die Lage der Landhandwerker eine in vieler Beziehung sehr schwierige. Das Institut unzünftiger Gehülfen wird nicht tolerirt, und hat die Regierung unterm 5ten Juli 1854 ausgesprochen, wie der in Holstein nach dem Kanzeleischreiben vom 25sten Novbr. 1826 geltende Grundsatz, daß die Concessionirten sich der Hülfe ihrer Frauen und Kinder, wenn diese das Gewerbe nicht zunftmäßig erlernt haben, bei ihrem Betriebe bedienen dürfen, nach der im Herzogthum Lauenburg geltenden Gesetzgebung nicht anwendbar sei.
Nach dem Vorangeführten kann es demnach nicht Wunder nehmen, wenn die Zahl der unehelichen Kinder eine verhältnißmäßig große ist. In dem obenangeführten Amte mit 429 Meierstellen, dessen Bevölkerung von 1810 bis 1855 von 4445 Einwohnern auf 6170 gestiegen ist, also in 45 Jahren um 1725, waren 1830 300 Häuslinge und 1855 607. Diese vermehrte Zahl der Häuslinge unterzubringen, ist nur dadurch möglich, daß fast auf allen Hufen, und selbst den kleinsten Anbauer und Käthnerstellen Wohnungen für Häuslinge eingerichtet, und Altentheilswohnungen, oft mit Wohnungen für ein und zwei Häuslinge gegründet sind. Mit jedem Jahre, und da die Zahl der Häuslingswohnungen sich kaum mehr wird erweitern lassen, steigt indessen der Nothstand, in Bezug auf Erlangung von Mietwohnungen, und es wird in gewiß nicht ferner Zeit auf die eine oder andere Weise eine Abhülfe getroffen werden müssen, was



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auch in mehrfacher Weise geschehen kann, ohne die vortrefflichen Elemente der Agrarverfassung und der Domicil- uud Niederlassungsgesetzgebung zu verlassen.
Es mag hier nur angedeutet werden: Cultivirung der Freiweiden, Parzelirung von Außenschlägen der Vorwerke, um hiebei vorläufig stehen zu bleiben, - welcher Gegenstand später einmal erörtert werden soll. - Die Aufhebung der Zulässigkeit der Paternitätsklagen scheint in vieler Beziehung wünschenswerth zu sein.

Kaum hat das geschwängerte Mädchen ihr Wochenbett verlassen, so tritt sie gegen ihren Schwängerer auf, der zu Alimenten von 18 lübsch Cour. für das erste Lebensjahr, und von 8-12 lübsch Cour. bis zum vollendeten 14ten Lebensjahre des Kindes, zu angemessenen Wochenbetts- und event. Deflorationskosten verurtheilt wird; event. tritt die Nebenanlagecasse des Districts hinzu, um das uneheliche Kind unterzubringen. Die Mutter geht als Amme nach Hamburg oder Lübeck, wo sie hohen Lohn erhält, in Kleidung und Lebensgewohnheiten verwöhnt, und, gelinde gesagt, für ihre künftige bürgerliche Stellung als Ehefrau eines Tagelöhners verdorben wird. An einer Reihe von Beispielen ließe es sich nachweisen, wie die unglücklichsten Ehen unter den Häuslingen, grade die sind, wo die Frauen als Ammen früher sich in großen Städten aufgehalten, und sich an Kaffee, Zucker, Weißbrod, schöne Kleider gewöhnt haben.

Manches Mädchen, welches jetzt, da außereheliche Geburt nicht mehr als Schimpf angesehen wird, ohne Bedenken sich schwängern läßt, würde beim Wegfall der Paternitätsklagen ungleich vorsichtiger sich betragen.

Noch ein Umstand kommt in Lauenburg in Betracht, der nicht ohne Einfluß auf die Zahl der unehelichen Geburten ist. In Holstein gelten z, B. nach der Verordnung vom 27sten April
 

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1798 rücksichtlich der Bestrafung der Unzucht, und des Maaßes der Strafe ganz andere Principien, als in Lauenburg, wo nicht die Behörde des Orts, wo die Schwängerung begangen ist, sondern nach Art. 14 des Landesrecesses vom 15ten Septbr. 1702 die Behörde des Orts, wo die Geschwächte niedergekommen ist, und wo der Schwängerer gerichtsangehörig ist, competent ist.
 

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