Die neuere Statistik fast aller Länder hat sich viel
damit beschäftigt, das Procentverhältniß der ehelichen und
unehelichen Geburten der verschiedenen Länder zu ermitteln, und den
Gründen nachzuspüren, die dafür geltend zu machen, daß in einer
Gegend mehr, in der andern weniger uneheliche Kinder erzeugt werden.
Nach den gründlichen Untersuchungen von DIETERICI und BERGIUS gelangt man zu dem Ergebniß, daß das Religionsverhältniß nicht
entscheidend sei; daß Fabrikgegenden nicht mehr uneheliche Kinder
haben, als ackertreibende; daß auch unter der städtischen
Bevölkerung überhaupt nicht mehr uneheliche Kinder sind, als unter
der ländlichen; endlich, daß auch Bierländer nicht mehr uneheliche
Kinder haben, als Weinländer.
Der Grund liegt vielmehr einzig und allein in der Gesetzgebung.
Während in England 6 ½ % uneheliche Geburten auf 100 Neugeborene
kommen, in Frankreich 7 ¼ %, in Schweden 7 ¾ %, in Belgien 8 ½
%, in Würtemberg 11 ¼ %, in Oesterreich 10 ¼ %, in Baiern 19 ¾ %, in
Preußen 7 1/3 %, in Holstein 6 ¼ %, kommt
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in einem Amt des Herzogthums Lauenburg 1
uneheliches Kind auf 5, oder 20 % uneheliche Kinder auf 100 neue
Geburten.
Ob das Verhältniß durchgängig im Herzogthum Lauenburg so ungünstig
ist, kann bei dem völligen Mangel aller statistischen Nachrichten
nicht gesagt werden; es wäre indessen sehr wünschenswerth, wenn die
jährlich einzusendenden Predigerlisten über die Geborenen von der
Superintendentur zusammengestellt und veröffentlicht würden. +)
Die Statistik weist es unwiderleglich nach, daß, wo der Grundsatz,
la recherche de la paternité est interdite,
*) gilt, weniger uneheliche
Kinder vorkommen, als wo der entgegenstehende Grundsatz gilt. Die
Rheinprovinz, in welcher seit mehr als 50 Jahren der Grundsatz des
französischen Rechts gilt, zeigt andauernd weniger uneheliche
Kinder, als alle übrigen Provinzen des preußischen Staats; in der
Rheinprovinz 3 ¾ %,
in Preußen mit der Rheinprovinz 7 1/3 %, ohne die Rheinprovinz 8 %.
Wo durch freie Industrie die Möglichkeit einer schnelleren
Selbstständigkeit und die Errichtung eines eigenen Hausstandes
gegeben, und die Erwerbung eines ländlichen Besitzes erleichtert
ist, sind weniger uneheliche Kinder, als da, wo die Gesetzgebung das
Selbstständigwerden erschwert.
Auch Leichtigkeit oder Schwierigkeit der Ehescheidungen hat einen
großen Einfluß auf die Zahl der unehelichen Geburten; desgleichen
der Umstand, ob die Großjährigkeit früh, (in England, Frankreich,
Rheinprovinz mit 21, in Preußen, Oestreich mit 24, in Lauenburg mit
25 Jahren) oder spät eintritt.
Von dem entschiedensten Einfluß ist die Frage, ob Freiheit oder
Beschränkung der Niederlassung, der Eheschließung, des Landerwerbes
und des Gewerbebetriebes herrscht. Jede Be-
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+) Cf. die Mittheilung des Herrn Pastor MORAHT am Schluß dieses
Heftes.
Anm. d. Redact.
*) "Die
Erforschung der Vaterschaft ist untersagt." Bestimmung des "Code
Napoléon" (Art. 340), zufolge dessen die Klage eines unehelichen
Kindes gegen den Erzeuger auf Anerkennung der Vaterschaft und
Gewährung von Unterhalt ausgeschlossen ist. Das Deutsche Bürgerliche
Gesetzbuch hat diesen Satz aufgehoben.
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schränkung einer dieser vier Freiheiten, und jede
Erschwerung oder Vertheuerung ihrer Ausübung führt eine Vermehrung
der unehelichen Geburten herbei.
Wenn in Betracht gezogen wird, daß im Herzogthum Lauenburg in jeder
dieser Beziehungen große Beschränkungen stattfinden, so kann die
große Anzahl der unehelichen Kinder nicht Wunder nehmen, um so
weniger, da Lauenburg auch in Bezug auf Heimathsrecht und
Niederlassung gegen die übrigen Theile des Gesammtstaats in der
durch das Patent vom 24sten April 1846 gesetzlich ausgesprochenen
exceptionellen Lage als Ausland steht.
Es wird nur weniger Bemerkungen bedürfen, um das Sachverhältniß klar
zu machen.
Was nämlich die NIEDERLASSUNG, so wird das Heimathsrecht bei
einer gehörig qualificirten Niederlassung sofort in Lauenburg
erworben, ohne daß das Hinzutreten einer Verjährung erforderlich
ist. Zur Niederlassung an einem Ort, den man als bleibenden Wohnsitz
gewählt, gehört die Erlaubniß der Ortsobrigkeit, welche bei
Stellbesitzern durch die gerichtlich bestätigten Kaufcontracte,
Stellüberlassungscontracte geschieht, bei Häuslingen durch den s. g.
Wohnschein, welcher nicht zu versagen ist, wenn der Betreffende
nachweist, daß er eine Miethwohnung erhalten kann, sich bisher
untadelhaft aufgeführt hat, und Aussicht hat, sich auf ehrliche
Weise sein Brod zu verdienen.
Die Entscheidung über die Ertheilung oder Versagung eines
Wohnscheins an Angehörige des Herzogthums Lauenburg hängt lediglich
von dem polizeilichen Ermessen der Behörde ab, und steht dagegen den
Commünen ein förmliches Widerspruchsrecht nicht zu. +)
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+) Beiläufig kann hier bemerkt werden, daß aus
Zweckmäßigkeitsgründen nichts destoweniger wohl überall eine
consultative Vernehmung der Dorfschaft vor Bewilligung des
Wohnscheins geschieht und geschehen muß, weil die Obrigkeit sonst
Gefahr laufen
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Es ist verboten die Ertheilung eines Wohnscheins
für einen geborenen Lauenburger von einer Bürgschaft oder sonstigen
Sicherheitsbestellung, wegen etwaiger künftiger Verarmung, so wie
von einer Wiederaufnahmezusicherung Seitens seiner bisherigen
Heimathscommüne abhängig zu machen; nur für Ausländer ist die
Bedingung einer Wiederaufnahmezusicherung zulässig.
Eine factische Niederlassung, welche unter Außerachtlassung der
rechtlichen Ordnung, ohne obrigkeitliche Genehmigung zu Stande
gebracht würde, begründet keinerlei Heimathsrechte.
Dienstboten, Gesellen, und andere sich nicht in einer
selbstständigen Lage befindende Personen, können sich durch ihren
Aufenthalt an einem Ort, sei derselbe auch von langer Zeitdauer,
kein Heimathsrecht in demselben erwerben.
Kinder theilen, ohne Rücksicht auf ihr Lebensalter, so lange das
Heimathsrecht ihrer Eltern, resp. des überlebenden Theils derselben,
uneheliche Kinder das der unehelichen Mutter, bis sie sich eigene
Niederlassung separirt, und eine selbstständige neue Heimath
erworben haben.
Es dürfte hieraus hervorgehen, daß im Herzogthum Lauenburg die erste
Niederlassung und Wohnhaftwerdung an einem Orte an manche
beschränkende Bedingungen geknüpft ist, und viele Leute erst spät
dazu kommen können, eine Familie zu gründen.
Der EHESCHLIESZUNG muß nach den Verordnungen vom 23sten Februar 1739
und 19sten Februar 1745 ein Erlaubnißschein der Behörde des
Copulanden vorausgehen, welcher erst ausgestellt wird, wenn nichts
gegen die Eingehung der Ehe zu erinnern gefunden wird, mithin der
Bräutigam einen Wohnschein hat, die Braut elterlichen Consens
beibringt.
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würde, daß um Maitag die ausziehenden Häuslinge, die sich nicht um
Wohnung bekümmert, nicht untergebracht werden könnten.
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Der LANDERWERB ist bei der im Herzogtum Lauenburg
stattfindenden Meierverfassung im höchsten Grade beschränkt. Es
findet die Hufengeschlossenheit im strengsten Umfange statt. In
einem Amte, welches bei der Verkoppelung 418 meierpflichtige Stellen
zählte, gibt es 70 Jahr später 429, und diese neu hinzugekommenen 11
Stellen bestehen aus Neuanbauerstellen, die mit circa 1 Morgen
überflüssigem Straßenland; oder Brinkkäthnerstellen, die mit etwas
ferne liegender Freiweide oder Hufenland (1 Scheffel bis 1 1/2
Morgen) abgelegt sind.
Theils liegt diese Hufengeschlossenheit in dem Wesen der ganzen
Meierverfassung, und selbst in den Zeiten, wo die Meierverfassung
über den Haufen geworfen wurde, wie zur französischen Zeit nach dem
kaiserlichen Decret vom 9ten Decbr. 1811 über die Abolition des
Lehnswesens, und zur Zeit der Geltung des s. g. Staatsgrundgesetzes
vom 14ten Mai 1849 bis zur Aufhebung desselben am 6ten März 1851, wo
freie Theilbarkeit des Grundbesitzes ausgesprochen war, ist das eng
mit dem ganzen Wesen der Bevölkerung verwachsene Meierrecht nicht
alterirt worden; theils darin, daß nach der Verordnung vom 14ten Mai
1692 alle Contracte der Amtsunterthanen in Bezug auf Höfe, vor den
Aemtern errichtet werden sollen, außerhalb Amts gemachte Contracte
aber für null und nicht erklärt sind, auch darauf nicht gesprochen
werden soll.
Nicht minder unterliegt der GEWERBEBETRIEB auf dem Lande
mannichfachen Beschränkungen.
Nach der Verordnung vom 10ten Decbr. 1776 und der Declaration vom
25sten Septbr. 1778 sollen in jedem Amtsdorfe nur 1 Grobschmidt, 1
Zimmermann, 1 Weber, 1 Rademacher, 1 Schuhflicker, 1 Schneider, 1
Höker sein, und dürfen Landhandwerker keine Gesellen und Lehrjungen
halten. Völlig so strenge wird es nun freilich nicht mehr gehalten,
und hat das Ministerium es unterm 23sten März 1855 genehmigt, daß
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Landhandwerkern die Befugniß zur Haltung Eines
oder doch einer beschränkten Zahl von Gesellen, bisweiter nur unter
der Bedingung ihres Eintritts in eine Zunft ihres Gewerbes ertheilt
werde.
Da indessen eine große Zahl von Landhandwerkern nicht zünftig
gelernt haben, und die nach dem Kanzeleischreiben vom 8ten Mai 1819
zulässigen Concessionen von Freimeistern, wo den Gildeartikeln gemäß
keine Reception in die Zunft thunlich ist, nur sehr selten ertheilt
werden, ist die Lage der Landhandwerker eine in vieler Beziehung
sehr schwierige. Das Institut unzünftiger Gehülfen wird nicht
tolerirt, und hat die Regierung unterm 5ten Juli 1854 ausgesprochen,
wie der in Holstein nach dem Kanzeleischreiben vom 25sten Novbr.
1826 geltende Grundsatz, daß die Concessionirten sich der Hülfe
ihrer Frauen und Kinder, wenn diese das Gewerbe nicht zunftmäßig
erlernt haben, bei ihrem Betriebe bedienen dürfen, nach der im
Herzogthum Lauenburg geltenden Gesetzgebung nicht anwendbar sei.
Nach dem Vorangeführten kann es demnach nicht Wunder nehmen, wenn
die Zahl der unehelichen Kinder eine verhältnißmäßig große ist. In
dem obenangeführten Amte mit 429 Meierstellen, dessen Bevölkerung
von 1810 bis 1855 von 4445 Einwohnern auf 6170 gestiegen ist, also
in 45 Jahren um 1725, waren 1830 300 Häuslinge und 1855 607. Diese
vermehrte Zahl der Häuslinge unterzubringen, ist nur dadurch
möglich, daß fast auf allen Hufen, und selbst den kleinsten Anbauer
und Käthnerstellen Wohnungen für Häuslinge eingerichtet, und
Altentheilswohnungen, oft mit Wohnungen für ein und zwei Häuslinge
gegründet sind. Mit jedem Jahre, und da die Zahl der
Häuslingswohnungen sich kaum mehr wird erweitern lassen, steigt
indessen der Nothstand, in Bezug auf Erlangung von Mietwohnungen,
und es wird in gewiß nicht ferner Zeit auf die eine oder andere
Weise eine Abhülfe getroffen werden müssen, was
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auch in mehrfacher Weise geschehen kann, ohne die
vortrefflichen Elemente der Agrarverfassung und der Domicil- uud
Niederlassungsgesetzgebung zu verlassen.
Es mag hier nur angedeutet werden: Cultivirung der Freiweiden,
Parzelirung von Außenschlägen der Vorwerke, um hiebei vorläufig
stehen zu bleiben, - welcher Gegenstand später einmal erörtert
werden soll. - Die Aufhebung der Zulässigkeit der Paternitätsklagen
scheint in vieler Beziehung wünschenswerth zu sein.
Kaum hat das geschwängerte Mädchen ihr Wochenbett verlassen, so
tritt sie gegen ihren Schwängerer auf, der zu Alimenten von 18
lübsch Cour. für das erste Lebensjahr, und von 8-12
lübsch Cour. bis zum vollendeten 14ten Lebensjahre des Kindes, zu
angemessenen Wochenbetts- und event. Deflorationskosten verurtheilt
wird; event. tritt die Nebenanlagecasse des Districts hinzu, um das
uneheliche Kind unterzubringen. Die Mutter geht als Amme nach
Hamburg oder Lübeck, wo sie hohen Lohn erhält, in Kleidung und
Lebensgewohnheiten verwöhnt, und, gelinde gesagt, für ihre künftige
bürgerliche Stellung als Ehefrau eines Tagelöhners verdorben wird.
An einer Reihe von Beispielen ließe es sich nachweisen, wie die
unglücklichsten Ehen unter den Häuslingen, grade die sind, wo die
Frauen als Ammen früher sich in großen Städten aufgehalten, und sich
an Kaffee, Zucker, Weißbrod, schöne Kleider gewöhnt haben.
Manches Mädchen, welches jetzt, da außereheliche Geburt nicht mehr
als Schimpf angesehen wird, ohne Bedenken sich schwängern läßt,
würde beim Wegfall der Paternitätsklagen ungleich vorsichtiger sich
betragen.
Noch ein Umstand kommt in Lauenburg in Betracht, der nicht ohne
Einfluß auf die Zahl der unehelichen Geburten ist. In Holstein
gelten z, B. nach der Verordnung vom 27sten April
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1798 rücksichtlich der Bestrafung der Unzucht,
und des Maaßes der Strafe ganz andere Principien, als in Lauenburg,
wo nicht die Behörde des Orts, wo die Schwängerung begangen ist,
sondern nach Art. 14 des Landesrecesses vom 15ten Septbr. 1702 die
Behörde des Orts, wo die Geschwächte niedergekommen ist, und wo der
Schwängerer gerichtsangehörig ist, competent ist.
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