Vaterländisches Archiv
für das Herzogthum Lauenburg

Erster Band.
Ratzeburg. Verlag der Buchhandlung von H. Linsen. 1857
 


X.

Fromme Wünsche eines Lauenburgischen Juristen

(Anonym publiziert: Advokat C. Meyer).

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Corruptissima quaque republica plurimae leges, sagt Tacitus schon mit einem seufzenden Seitenblick auf den traurigen Beleg, den der Verfall seines eignen Vaterlandes diesem seinem Ausspruch bietet. Die Gelüste des Despotismus sind so mannigfach und so wandelbar, daß der langsame Weg, der bisher zur Gesetzeskraft führte, nicht mehr ausreicht, sie zu befriedigen; es wird eine bequemere Maschine eingerichtet, auf der die Willkür fabrikmäßig die Gesetze schafft und wieder beseitigt, wie sie ihr augenblickliches Bedürfniß erheischt. Andererseits erfordert auch ein depravirtes Volk immer neue Schranken seiner Leidenschaften und neue Gesetze, um dem Raffinement zu begegnen, mit dem täglich Mittel und Wege zur Umgehung der alten und zu neuen Rechtsverletzungen ersonnen werden.
Wäre der Stand der Gesetzgebung eines Volks in dieser Beziehung ein absolut richtiger Maßstab für das Gedeihen desselben, so ist es wahr, unser Ländchen wäre das glücklichste, denn unsere Legislative giebt nur höchst selten Beweise ihrer Thätigkeit, kaum genug, um Lebenszeichen in ihnen erkennen zu können; was sie schafft, hat kaum einen andern Zweck, als um der Administration unter die Arme zu greifen. Unsere Militair- und Zollverfassung wird regulirt, auch werden financielle und polizeiliche Maßregeln

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veröffentlicht; Gesetze im eminenten Sinne des Worts, Normen für die Entscheidungen der Gerichte in Criminal- und Civilsachen, sind, abgesehen von mageren processualischen und transitorischen Bestimmungen, kaum seit der französischen Occupation nachweisbar. Eine einzige und um so wohlthätigere Ausnahme hiervon macht die Verordnung aus dem Jahre 1836, betreffend das Hypothekenwesen, aber auch diese ist noch nicht einmal in Vollzug gesetzt, da ihre wichtigste Bestimmung, die Anordnung neu eingerichteter Hypothekenbücher mit Realfolien bisher noch keine Gesetzeskraft erlangt hat: die Einrichtung neuer Hypothekenbücher wird durch die Bestimmung präparirt, daß alle durch Hypotheken in Lauenburgischen Grundstücken gesicherte Creditoren von den betreffenden Gerichten speciell 1) aufgefordert werden sollen, sich binnen einer präclusivischen Frist zu melden. Diese Frist ist später um mehrere Jahre extendirt, nach deren Ablauf aber weder die wirkliche Präclusion ausgesprochen, noch die Einrichtung neuer Hypothekenbücher definitiv verfügt. Wenn gleichwohl bei dieser prekären Sachlage die meisten Gerichte die beabsichtigte Einrichtung des Hypothekenwesens anticipirt haben, so verdient eine solche, den Credit des Landes fördernde Maßregel gewiß allen Beifall, aber es können auch die Gerichte, welche zu einer solchen Maßregel erst die gesetzliche Autorisation erwarten, nicht getadelt werden. 2) - Eine allgemeine Expropriations-Ordnung besitzen wir nicht, es sind für specielle Fälle specielle Verfügungen erlassen; und die Verordnung, betreffend die Niederlassung von
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1) S. Regierungsausschreiben vom 23. Octbr. 1839, wodurch die in der Verordnung wegen Verbesserung des Hypothekenwesens vom 15. März 1836 § 2 u. 3 vorgeschriebene Anmeldungsfrist bis zum I. Januar 1842 prolongirt worden.
2) Beim Amte Lauenburg und dem Vernehmen nach auch beim Hofgerichte bestehen noch keine Hypothekenbücher nach dem neuen Zuschnitte.

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Ausländern, ist doch mehr administrativer Natur. Die Verwirrungen und Verirrungen des Jahres 1848 können schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil die damals emanirten Gesetze nicht als Ausflüsse unsers innern Rechtslebens angesehen werden dürfen, sondern von Außen, von der Reichsgewalt, octroirt wurden und nun fast alle nur noch unserer Rechtsgeschichte angehören. - Seitdem ist eine Verfassungsurkunde publicirt mit im Wesentlichen alten Fundamenten und einigen Concessionen für die neueren Ideen.
Diese Zeitschrift war daher vollkommen berechtigt, den Satz gleichsam an ihre Spitze zu stellen: Mit Gesetzesleichen ist das Land nicht beglückt, und zum Zeugniß dafür sich auf die Richtersche Verordnungen-Sammlung zu berufen; insofern jener Satz auszudrücken bestimmt ist, daß unsere gesetzgebende Gewalt nicht häufig in den Gang unserer Rechtsentwickelung eingreift. Erhebliche Einwendungen würden aber dagegen schon zu machen sein, wollte man den Sinn hineinlegen, unsere Gesetzgebung sei frei von veralteten und unbrauchbaren Verordnungen. Ein Blick in die Spangenbergische Sammlung zeigt, daß unser Gesetzesrecht noch mit dem Barbarismus und allen Irrthümern des vorigen Jahrhundert behaftet ist. Gesetzlich besteht bei uns noch die Tortur und der Urphedeneid; jeder Raub, der dritte Diebstahl, der Hausdiebstahl, der durch Einsteigen und Einbruch qualificirte Diebstahl soll unnachsichtlich mit dem Tode bestraft werden, unzähliger anderer, weniger verhängnisvoller Gesetze nicht zu gedenken. 3)

Dieser Uebelstand schon zeugt von Beschränkungen, denen die Selbstentwickelung des Rechtsbewußtseins eines Volks unter-
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3) Nach unserm Gesetzsrechte besteht noch die Verordnung, "daß den Hunden der Tollwurm genommen werden soll, " in voller Kraft.


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worfen werden muß: das dem Gesunden schädliche Gift ist oft das einzige Rettungsmittel für einen Kranken. Da wir einmal nicht ohne Gesetze fertig werden können, so ist es nicht die geringste Pflicht der Regierungen, die Achtung vor dem Gesetze nach Kräften zu conserviren und zu fördern. Das Volk aber, wie auch seine Richter, werden daran gewöhnt, die Gesetze außer Acht zu lassen, wenn das Gesetzesrecht nicht den energischen Anforderungen der Zeit accommodirt wird, wo Volk und Richter gezwungen werden, das Gesetz zu verletzen, weil es zu Härten oder in das Gebiet des Lächerlichen führt. Ist aber die Heiligkeit des Gesetzes verletzt, die Schranke einmal durchbrochen, da setzt man sich desto leichter zum andern und öftern Male über sie hinweg, bis zuletzt nichts mehr bleibt, als Rechtsunsicherheit und Zügellosigkeit und einer maßlosen Proceßlust Vorschub geleistet wird.
Allerdings versiegt das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle nie, wie denn auch in der Vorrede zum Archiv hierauf als auf ein Surrogat für eine erlahmte Gesetzgebung hingewiesen wird. Und es ist nicht zu leugnen, die Gewohnheit schafft das unmittelbarste Recht, und eine volksthümliche Rechtsentwickelung ist ohne Rücksicht auf die Sitte und Gewöhnung im Volke unmöglich. Aber wenn sie auch wesentlich zur Rechtsbildung ist, so kann sie doch nicht als einziger Factor derselben angesehen werden, das Gesetz ist in gleichem Grade wesentlich, und nur wenn Gesetz und Gewohnheit Hand in Hand gehen und sich gegenseitig ergänzen, ist die höchste Perfektibilität des Rechtszustandes zu erreichen.
Hat die Gewohnheit vor dem Gesetzesrechte das voraus, daß sie die unmittelbarste Quelle der Erkenntniß des allgemeinen Wissens und Willens d. i. des Rechts ist, so ist andererseits das Gesetz die vollkommenste Form, in der das Recht zur Erscheinung kommt. Ist das Gewohnheitsrecht das Ergebniß einer fast be-

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wußtlosen und instinktartigen Selbstentwickelung des allgemeinen Willens, so ist das Gesetz das Product eines wohlüberlegten und allseitig berücksichtigenden Plans, das Volksbewußtsein zur Geltung zu bringen, es für die praktische Anwendung zu präpariren und durch die Publication auch Jedermann den Einwand des Nichtkennens zu benehmen. Das Gesetz kann daher Lücken durch Herleitung der Consequenzen aus dem Gegebenen ergänzen, selbst da modificiren, wo die Gewohnheit in's Irrationable streift und Zeit, Ort und Umfang genau fixiren, während das Gewohnheitsrecht an den Zufall des augenblicklichen Bedürfnisses gebunden ist: die Gewohnheit ist das durch die That geäußerte Volksbewußtsein und kann daher nie weiter reichen, als concrete Fälle Anlaß zur Bethätigung des allgemeinen Willens gegeben haben. Der Verkehr kümmert sich aber um kein System und ruft die Verhältnisse, an denen sich der Volkswille bethätigen kann, hervor, ohne Rücksicht auf die Möglichkeit, aus ihnen das wahre Recht herauszulauschen. Das Schlimmste vor Allem ist: das Gewohnheitsrecht tritt nicht gleich fertig in's Leben, das im Volke schlummernde Bewußtsein bedarf meistens einer langjährigen Entwickelung (usus longaevus), um unbezweifelt da zu stehen und Anspruch auf Anerkennung als solches machen zu können; sollte es auch nicht an Gelegenheit fehlen, sich zu bethätigen, so ist wieder das Bewußtsein im Volke häufig nicht so stark, um sich sofort gleichmäßig zu äußern, und es hat erst viele Phasen durchzumachen, um ohne Widerspruch anerkannt zu werden. Ist es endlich so weit gediehen, daß ein Nachweis des Gewohnheitsrechts ermöglicht ist, so ist damit noch nicht eine einfache Berufung darauf genügend. Dann hat es meistens noch die Feuerprobe des Processes zu bestehen, um nun endlich klar an's Licht zu treten und als erzwingbare Norm für künftige Fälle dienen zu können. Und was es mit diesem Nachweise eines Gewohnheitsrechts vor Gericht für eine Bewandtniß hat, wird Jeder

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Zeitlebens fühlen, der einmal einen derartigen Proceß durchgemacht und den unendlichen Apparat von Zeugen, Urkunden und juristischen Kenntnissen und Kunstgriffen, um sich nach allen Seiten hin zu decken, von dem sehr prekären Kostenpunkte ganz zu schweigen, bat herbeischaffen müssen, um einen durch Gewohnheitsrecht gestützten Anspruch gegen einen querulantischen Widersacher durchzusetzen. - Diese voraussichtlichen Schwierigkeiten sind meistens so groß, daß weniger rechthaberische Partheien lieber einen nicht gar zu bedeutenden Anspruch fallen lassen, um nur den Troublen und Kosten eines so weit aussehenden Processes zu entgehen. –
Und hat das Gewohnheitsrecht diesen Proceß endlich so weit bestanden, daß es durch einen Richterspruch in die allgemein verständliche Sprache der Schriftzüge übersetzt ist, so wird man sich nun am Ende sagen müssen, daß ein solches Urtheil doch in der That nichts Anderes ist, als das nothdürftige Surrogat eines Gesetzes, das, nicht beschränkt auf einen bestimmten Fall und ein Rechtsverhältniß zwischen zwei bestimmten Partheien, Alles dies viel leichter und weit wirksamer, weil in erschöpfender Weise, hätte feststellen können. - Ueberdies haben transitorische Zustände immer etwas Unerquickliches, ganz besonders aber bei der consuetudo derogatoria. Der Uebergang vom Gesetzesrechte zum entgegenstehenden Gewohnheitsrechte erfordert längere Zeit, als andere Gewohnheiten, um zur Geltung zu gelangen, weil hier erst die natürliche Scheu vor der Verletzung des jus scriptum überwunden werden muß, ehe dawider streitende Handlungen zur Publicität gelangen können, und diese auch dann noch der Gefahr ausgesetzt sind, von den Gerichten reprobirt zu werden, weil sie - salva sit venia verbo - ihrer Instruction zuwiderlaufen. Schwierigkeiten aller Art thürmen sich auf, sind vielleicht vom Gesetze absichtlich geschaffen, um seine Aufhebung durch Gewohnheit zu verhindern, - ehe das praktische Recht den Anforderungen des Verkehrs bequem ist. Zu verkennen ist es auch nicht, daß

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gerade die Organe, welche dem Gewohnheitsrechte die Geburtswehen erleichtern und verkürzen könnten da, wo das Gesetz nicht rechtzeitig eingreift, die Gerichte durch ihre Präjudicate, in anderer Hinsicht wieder mit nothwendigen Mängeln behaftet sind, die der Ausbildung des Gewohnheitsrechts einen Hemmschuh anlegen. Ein durch jahrelange, meistens ausschließliche Beschäftigung mit dem Formalismus des Rechts befangener und durch seinen Beruf selbst zu den größten Minutien hingezogener Richter muß allmählig den unbefangenen Blick in's Freie verlieren, der doch dazu erforderlich, sich da, wo es Zeit ist, einmal über das Gesetz hinwegzusetzen und einen Standpunkt über dem Gesetze einzunehmen: mit anderen Worten, die Symptome des Gewohnheitsrechts frühzeitig zu spüren und dasselbe alsbald zur vollen Blüthe zu bringen.
Faßt man die wesentliche Bestimmung des Gesetzes scharf in's Auge, so ist es nicht für sich eine Rechtsquelle neben der andern der Gewohnheit, es giebt vielmehr nur eine Rechtsquelle, zu der Gesetz und Gewohnheit, jedes in seiner Sphäre, zusammenwirken müssen, um das lautere Recht aus ihr schöpfen zu lassen. Denn ist das Recht das Product des Gesammtwillens, so wird ein Gesetz seinen vollen Zweck nur dann erreichen, wenn es das durch einzelne Acte indicirte Volksbewußtsein, die Gewohnheit, zum unbezweifelten Rechte erhebt. Das Gesetz soll eben sowohl der Ausdruck des Gesammtwillens sein, als das Gewohnheitsrecht; weil aber der Gesammtwille sich nicht anders, als durch Handlungen der Staatsangehörigen beurkunden kann, so hat das Gesetz auch die Aufgabe zu erläutern, näher zu bestimmen und Lücken im Sinne des Gewohnheitsrechts auszufüllen. Ist dem aber so, dann ist auch ein geordneter Rechtszustand in einem Staate nicht ohne Gesetze denkbar; das Gewohnheitsrecht im Allgemeinen, ja jedes einzelne Gewohnheitsrecht - für sich allein und ohne die markirende und ordnende Thätigkeit des


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Gesetzes - ist unzulänglich nur ein Behelf in Ermangelung etwas Besseren und Präciseren.
So weit von der Rechtbildung im Ganzen und Großen; sehen wir nun speciell auf das Criminal-Recht und die Proceßnormen. Erschien das Gesetz im Allgemeinen als Diener des Gewohnheitsrechts, aber als ein unerläßlicher, so beherrscht in den nun berührten Rechtstheilen das Gesetz vielmehr das Gewohnheitsrecht, muß es mindestens beherrschen, wenn der Staatsorganismus nicht aus seinen Fugen weichen soll. Wollte der Staat mit seiner Strafgesetzgebung so lange warten, bis sich das Volksbewußtsein so handgreiflich, wie im Privatrecht bethätigt hätte, so würde jedem Gesetze, das eine bisher straflose Handlung einer Strafsanction unterwirft, ein Akt der Lynchjustiz vorhergehen müssen, weil nur ein solcher die allgemeine Ueberzeugung, daß diese Handlung Strafe verdiene, gründlich bezeugt. Um mich der treffenden Worte eines neueren Schriftstellers (Marezoll) zu bedienen, schon die Natur des Strafrechts bringt es mit sich, daß seine positive Ausbildung vorzugsweise der eigentlichen Legislation anheimfallen müsse, und daß nur, wo diese ihre Schuldigkeit nicht thut, mit Nothwendigkeit auch hier dem Gewohnheitsrechte wieder ein freierer Spielraum eingeräumt werden muß, als er ihm eigentlich zukommt. - Aehnlich verhält es sich mit dem Proceßrecht, da auch hier kein Feld vorliegt, auf dem sich das Volksbewußtsein in entsprechender Weise manifestiren könnte. Hier ist der Richter der Träger des Volksbewußtseins, und wie bemerkt, er wird durch seinen Beruf dazu getrieben, den Satz:  "salus publica suprema lex esto" zu vergessen; eine derogatorische Gewohnheit auf diesem Felde ist gar nicht denkbar, wenn der Richter sich gewissenhaft an die Proceßordnung hält, und wo davon abgewichen werden sollte, ist noch ein weiter Schritt erforderlich, dies Verfahren als Observanz oder Praxis zu legalisiren. Das Gewohnheitsrecht kann sich

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hier freilich in ergänzenden Normen bemerkbar machen, aber eine Proceßordnung wird durch Ausfüllung ihrer Lücken noch nicht zeitgemäß fortgebildet, hierzu reicht wieder allein das Gesetz aus.
Endlich dürfte auch die Bemerkung hier am Platze sein, daß das Gesetzesrecht dann um so unentbehrlicher ist, wo sich einmal ein vollständiges Rechtssystem gebildet hat, sei es durch Reception fremden Rechts oder von innen heraus. Wo noch tabula rasa vorhanden, da wird das Bedürfniß wohl die rechten Normen schaffen; wenn aber zeitwidrige Gesetze das freie Entfalten des Volksbewußtseins in Fesseln legen, dann hilft Nichts, als ein Durchhauen des gordischen Knotens durch das Schwerdt des Gesetzes: Die Wunden, welche schlechte Gesetze den Volksinteressen schlagen, können nur durch das Gesetz wieder in zweckmäßiger Weise geheilt werden. Wir nun haben, Dank sei es der ratio scripta des Römischen Rechts und dem gemeinen Rechte Deutschlands, bereits ein fertiges Rechtssystem; wo es nicht ausdrückliche Normen für vorkommende Verhältnisse bietet, da hilft die Interpretation und die Analogie; daraus ist aber auch zu schließen, daß wir der Gesetze dringend bedürfen, um unser bestehendes Recht im Niveau der fortschreitenden Zeit zu halten. Bei uns ist die Bildung eines Gewohnheitsrechts mit doppelten Beschwerden verknüpft, weil bei der verhältnißmäßig geringen Zahl unserer Rechtsangehörigen sich um so weniger häufig die Gelegenheit findet, durch Handlungen die Rechtsüberzeugung im Volke an's Licht zu bringen und das Gewohnheitsrecht erst durch häufige übereinstimmende Aeußerungen dieser Ueberzeugung zu Kräften gelangen kann.
Resümiren wir vorläufig das Vorstehende. Ist eine Ueberzahl von Gesetzen eine große Last für den Staat und ein sicheres Zeichen des innern Verderbnisses, so ist das entgegengesetzte Extrem doch nicht minder gefährlich und indicirt eben so wohl eine Fäulniß, nur in anderer Richtung. Ist die Gewohnheit im

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Volke die lauterste Quelle, aus der das Rechtsbewußtsein desselben fließt, so ist doch die Rechtsbildung, welche auf sie allein angewiesen wird, mangelhaft, wie jeder transitorische Zustand, weil sie mit unendlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, ehe sie zum Ziele gelangt, und kaum ohne unzureichende Surrogate des Gesetzes als praktisches Gewohnheitsrecht wirksam werden kann. Zur Erschaffung gesunder Rechtsnormen in unsern civilisirten Staaten ist ein Zusammenwirken von Gewohnheit und Gesetz nöthig, namentlich in Rechtsgebieten von geringerem Umfange, weil hier die Rechtsüberzeugung im Volke nicht so häufig Gelegenheit findet, sich durch ihr entsprechende Acte zu manifestiren.

Wenn nun überdies die Neuzeit in der Repräsentativ-Verfassung 4) ein Organ der Rechtsüberzeugung des überwiegenden Theils des Staats geschaffen hat, durch welches sich diese Ueberzeugung zwar nicht so unmittelbar äußert, wie durch die Gewohnheit, aber doch in möglichster Annäherung an eine unvermittelte Eruirung des Gesammtwillens, - so hat damit das Gesetz auch dem Gewohnheitsrecht den Vorzug einigermaßen streitig gemacht, den es ehedem noch voraus hatte, und wir dürfen das Resultat ziehen, daß eine heilsame Rechtsentwickelung ohne eine allzeit wachsame Legislative nicht denkbar ist.
Damit ist aber zugleich über unsern dermaligen Rechtszustand der Stab gebrochen. Niemand wird behaupten wollen, die Rechtswissenschaft habe seit dem vorigen Jahrhundert nicht so wesentliche Fortschritte gemacht, daß durch dieselben nicht eine Aenderung der Gesetzgebung aus dem vorigen Saeculo vernothwendigt werde, oder das den Verhältnissen des vorigen Jahrhunderts
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4) Das Herzogthum Lauenburg hat freilich noch keine Repräsentativ-Verfassung, wenn auch die neueste Verfassungsurkunde die althergebrachte ständische Vertretung einigen Modificationen z. B. durch die Wahl von Deputierten ans dem Bauernstande in den Aemtern unterzogen hat.

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entsprechende und angepaßte Rechtssystem sei auch noch mit der Gegenwart congruent. So gewiß aber, als eine solche Behauptung unhaltbar wäre, so gewiß leidet unser Rechtszustand an den bedenklichsten Fehlern, da seit dem vorigen Jahrhunderte unsere Legislative fast nichts gethan hat, um das überall keimende Gewohnheitsrecht durch die treibende Gewalt des Gesetzes zur Blüthe zu bringen. - Wäre dieser Vorwurf nicht begründet, so würde andererseits unsere frühere Regierung, die Hannoversche, der Vorwurf treffen müssen, daß sie zu viel regiert, zu viele Gesetze gegeben hätte. Zu der s. g. Hannoverschen Zeit wurden außer den speciell für Lauenburg erlassenen Verordnungen unzählige andere allgemeine Landes-Verordnungen alsbald auch für Lauenburg nach geschehener Communication mit der Ritter- und Landschaft publicirt und unser Herzogthum befand sich sehr wohl dabei; es hat aus der Zeit noch das Epitheton eines glücklichen Ländchens mitgebracht, und Unzufriedenheit mit den von Hannover emanirten Gesetzen, Versuche zur Beseitigung derselben, oder Klagen über zu viele Gesetze sind zur damaligen Zeit wohl nicht merklich laut geworden. War die Thätigkeit unserer Legislative zur Hannoverschen Zeit aber nicht zu rege, so folgt daraus für die Jetztzeit, die sich durch weitergreifenden Verkehr und durch das Streben nach Verbesserungen auszeichnet, das Postulat einer noch größern Regsamkeit unserer Legislative, und es ist nicht zu verkennen, der Stillstand in dieser Beziehung ist nicht die sichere Ruhe, die die Zufriedenheit mit dem Bestehenden schafft, sondern ein Stagniren, ein Zeichen der Erlahmung der zur Fortentwickelung des Staats erforderlichen Kräfte. - Zur Zeit unserer Lostrennung von Hannover standen wir mit diesem auf gleicher Stufe der Gesetzgebung; seitdem sind dort die gewichtigsten und umfassendsten Gesetze erlassen, die älteren Verordnungen, die bei uns noch gelten, sind in Hannover fast sämmtlich beseitigt und durch zeitgemäßere ersetzt, ergänzt, modificirt; es wäre aber un-

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erklärlich, warum bei uns gerade jene ältern Verordnungen noch zeitgemäß sein sollten, warum das für uns heilsam wäre, dessen Mangelhaftigkeit durch gewissenhafte Prüfung anderswo nachgewiesen worden.
Gestehen wir es uns nur, es ist 'was faul im Staate Dänemark! Die Grundursachen dieses Uebels näher zu erörtern, ist hier nicht am Orte: eine Andeutung derselben in nuce wird zu unserm Zwecke genügen. Ich finde die vorzüglichste caussa mali in dem winzigen Umfange unsers Ländchens, das gleichwohl dazu berufen ist, einen ganzen Staatsorganismus zu repräsentiren. Da wir - deductis deducendis - einen selbstständigen Staat bilden, so bedürfen wir alle die Elemente, welche zur Construirung einer Staatsmaschine unerläßlich sind, und bedürfen sie zum allseitigen Wohlgedeihen in vieler Hinsicht, namentlich aber in der Legislative, in gleicher Stärke, wie größere Staaten. Warum sollte ein gutes Gesetz im Herzogthum Lauenburg wesentlich geringern Kraftaufwandes bedürfen, als z. B. in Preußen oder Baiern. Es liegt aber in der Natur der Verhältnisse, daß ein kleinerer Staat nicht gleiche Kosten und Anstrengung aufwenden kann zur Kräftigung der Staatsmaschine, wie größere, wir haben z. B. nicht eine gleiche Intelligenz in unsere Landesversammlung zu schicken, wie etwa Preußen, und wir müssen daher darauf verzichten, unsere Gesetzesvorlagen durch ein so vielseitiges Zusammenwirken vieler Kräfte geläutert oder Gesetzesvorschläge aus dem Schooße so vielseitiger Erfahrung und Intelligenz hervorgehen zu sehen, wie anderswo. Es folgt, daß unsere Gesetze, weniger geprüft, auch weniger zweckmäßig sein werden, und daß wir uns mit manchen Zuständen behelfen müssen, die anderswo längst eine Remedur durch wirksamere Organe gefunden hätten. - Ein anderer Grund möchte in der Zusammensetzung unserer Landstände liegen: es ist durch sie vorzugsweise der Grundbesitz vertreten, der doch durch keinen besondern Grad der Intelligenz

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bedingt wird. Stimmberechtigte praktische Juristen fehlen bis auf Einen gänzlich in der Versammlung. Zur Fortentwickelung des Rechts gehört aber vor Allem eine weitergehende Kenntniß desselben, als die, welche der Grundbesitzer aus dem Verkehre des gewöhnlichen Lebens ziehen kann: eine wirksame Abhülfe von Mängeln im Rechtszustande erfordert schon deshalb einen sichern Ueberblick über das ganze gültige Recht, weil ohne ihn ein Eingriff in das bestehende Recht die größte Verwirrung anstiften würde. - Ein dritter Uebelstand endlich möchte darin zu finden sein, daß der Sitz unserer Immediat-Regierung nicht im Lande selbst, sondern in Kopenhagen ist. Je ferner entrückt, in um so dunklern Umrissen erscheint jeder Gegenstand dem Auge. Ueberdies ist unser Ministerium nicht aus Männern, die durch ihre Heimath oder entsprechenden Aufenthalt hinreichendes Interesse an unsern Zuständen und die dadurch bedingte Kunde unseres Landes hätten, zusammengesetzt, ja unser Herzogthum ist durch keinen Beamten im Ministerio in dieser Weise vertreten. Und es ist nicht mehr als natürlich, daß die viel verwickelteren und großartigeren Verhältnisse unsers Bruderstaats Holstein nur einen sehr, sehr beschränkten Theil der Aufmerksamkeit für uns übrig lassen. Unsere Regierungsbehörde im Lande aber ist sicherlich so überaus mit Administrativgeschäften überhäuft, daß ein Vorgehen in der Gesetzgebung von ihr nicht füglich erwartet werden kann. Unter diesen Umständen können wir es auch nur dankbarlichst anerkennen, wenn unser Rechtszustand von Oben her so zart, wie möglich, behandelt wird; es hat sich dies noch in neuester Zeit sehr augenscheinlich in dem Erlaß einer Wechsel-Ordnung für Holstein allein gezeigt. Eine Wechsel-Ordnung ist für Lauenburg gewiß eben so nöthig, wie es für Holstein damals anerkannt ist; unsere drei Städte, namentlich die Stadt Lauenburg, stehen mindestens mit ganz Deutschland in Wechselverkehr und es muß über kurz oder lang dem Credite der Lauenburger

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im Auslande schaden, wenn es durch einen praktischen Fall es erst einmal zur größern Publicität gelangt, daß die Wechselverbindlichkeit hier zu nichts Anderm führen kann, als zum Executiv-Proceß. 5)
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5) Allerdings ist die Allgemeine Deutsche Wechsel-Ordnung zur Zeit ihres Erlasses durch die Reichsgewalt auch in unserm Officiellen Wochenblatte einfach ohne Vollzugs-Verordnung publicirt, aber gleichwohl nie zu praktischer Gültigkeit gelangt. Die Wechselklagen werden im Executiv-Processe verhandelt, und gewiß nicht, weil dies die dem Kläger günstigere Form ist, sondern weil Keiner in solchen, meistens nicht viele Kosten vertragenden Sachen erst darauf ankommen lassen will, ob bei uns die weiland Reichsgewalt noch so viele Kraft hat, daß die Gerichte die lediglich von ihrer Auctorität getragene Wechsel-Ordnung noch respektiren werden. Ein in der Sache selbst liegender Grund, der die praktische Anwendung der Wechsel-Ordnung ausschließt, dürfte der sein, daß bei den meisten Gerichten keine Detentions-Lokale vorhanden sind, in denen der Wechsel-Arrest von Gebildeten, ohne in eine wirkliche Strafe für sie auszuarten, abgehalten werden könnte. Muß hierfür aber in den kleineren holsteinischen Städten Sorge getragen werden, so wird es auch bei uns keine Unmöglichkeit sein, für gehörige Arrestlokale geeigneten Falls zu sorgen. - Aehnlich, wie mit dem Wechselrecht, verhält es sich mit der Apotheker-Ordnung: eine solche ist neuerdings für Holstein publicirt; dieselbe oder eine modificirte für Lauenburg zu erlassen, daran ist damals nicht gedacht, obgleich das Bedürfniß unsers Herzogthums nach einer solchen so groß ist, daß jetzt, nachdem lange von vielen Seiten auf den Erlaß einer Apotheker-Ordnung hingearbeitet ist, eine solche dem Vernehmen nach auch für Lauenburg vorbereitet wird. Wie es augenblicklich mit unserer Medicinal-Verfassung in dieser Beziehung steht, davon legt ein kürzlich vorgekommener Fall ein unerquickliches Zeugniß ab. Nachdem einem unserer Apotheker vor einiger Zeit die Nichtbeobachtung eines speciell allegirten Artikel der neuen Hannoverschen Apotheker-Ordnung von Oben strenge gerügt, ihm auch von den Commünen 25 pro Ct. Rabatt auf die an Arme verabfolgte Medicamente, wie es die Hannoversche Apotheker-Ordnung

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Dennoch ist die so nahe liegende Veranlassung, bei Gelegenheit der Publication des Holsteinschen Wechsel-Gesetzes auch Lauenburg mit einer gleichen Wohlthat zu beglücken, nicht benutzt. Aehnlich verhält es sich mit der Wasserlösungs-Ordnung und andern Gesetzen. - Wie sehr aber auch die Ungunst der Verhältnisse für uns von Oben her gemildert wird, - ein Uebelstand, das Stillestehen der Gesetzgebung, bleibt immer ein solcher und gleich fühlbar, wenn auch die dermaligen Zustande eine Abhülfe desselben sehr erschweren.

Ist es mir gelungen, den bisher im Allgemeinen versuchten Nachweis, daß uns eine regere Thätigkeit der gesetzgebenden Gewalt bitterlich Norh thut, zu liefern, so wird sich dies Resultat auch im Einzelnen bewähren und es wird daher jetzt die Aufgabe sein müssen, specielle Theile unsers Rechtsgebiets hervorzuheben, die in ihrer jetzigen Beschaffenheit Grund zu Klagen und zu

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den Commünen gestattet, mehrere Jahre hindurch gekürzt waren, trug derselbe nun auch auf Schutz in den den Apothekern in der Hannoverschen Apotheker-Ordnung eingeräumten commodis bei den Behörden an. Dieser wurde ihm indeß verweigert, weil die neue Hannoversche Apotheker-Ordnung nicht für Lauenburg publicirt sei und darum hier keine Gesetzeskraft habe. Nach dem jetzigen Zustande unserer Gesetzgebung muß man beiden, sich widersprechenden Entscheidungen Recht geben: jener Rüge und jenen Abzügen, weil sie die Natur der Sache und die Billigkeit für sich haben, der letzteren Entscheidung, weil die Hannoversche Apotheker-Ordnung gar nicht für Lauenburg erlassen ist, wenn auch deren hier fragliche Bestimmung vollkommen sachgemäß und billig war, sie betraf das Verbot für die Handelstreibenden, gewisse den Apothekern reservirte Artikel feil zu bieten. Für uns existiren aber in der That keine eigentlichen Apotheken, so lange es jedem Kramer gestattet ist, Nebenapotheken zu halten, da der Zweck der Apotheken deren Visitation und die Prüfung der Apotheker bedingt, diese aber bei den Handelstreibenden nicht möglich sind.

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frommen Wünschen geben. Da es bei der vorhergehenden Erörterung nicht hat vermieden werden können, beispielsweise einige zu solchen Wünschen Anlaß gebenden Verhältnisse zu berühren, so sind dem Nachfolgenden vorweg zu nehmen:

1) Das Bedürfniß nach der Einrichtung neuer Hypothekenbücher bei den Gerichten, wo solche noch nicht bestehen. Wie dringend dies Bedürfniß ist, hat unsere Regierung selbst dadurch anerkannt, daß sie schon vor 20 Jahren die gewiß durch den seitherigen Zustand stark motivirte Absicht angekündigt, bei sämmtlichen Gerichten im Lande neue Hypothekenbücher einzuführen, und dieselben unter Beseitigung sehr großer Schwierigkeit bereits so weit präparirt hat, daß es eben den meisten Gerichten möglich ward, auch ohne die definitive gesetzliche Erledigung dieses Punktes abzuwarten, die neue Einrichtung alsbald in's Leben treten zu lassen. Auch Letzteres wäre gewiß nicht geschehen, da der Richter dem Gesetzgeber bei normalen Zuständen nicht vorgreifen kann und darf, wenn nicht gerade die Wohlthat der neuen Einrichtung so überaus ersehnt und unumgänglich nöthig gewesen wäre. Dieser dort beseitigte bedenkliche Zustand besteht aber nun noch in den bisher nicht mit neuen Hypothekenbüchern versehenen Orten und wird über kurz oder lang den durch ein geordnetes Hypothekenwesen bedingten Credit in diesen Theilen des Landes merklich schwächen. 6)
2) Die Ordnung unseres Wechselrechts, und
3) die Apotheker-Ordnung sind, so weit es der hier verfolgte Zweck zu erfordern scheint, schon hinlänglich berücksichtigt.
4) Hinsichtlich der bei unsern Gerichten noch eine so bedeutende Rolle spielenden Actenverschickung ad extraneos glaubt

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6) Beim Amte Lauenburg sind schon jetzt keine andere Hypothekenscheine möglich, als mit paralysirenden Zusätzen, wie etwa "so weit es bei der Einrichtung der hiesigen Hypothekenbücher hat ermittelt werden können."
 

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Verfasser auf die betreffende Abhandlung im ersten Hefte dieser Zeitschrift sich beziehen zu dürfen. Er gestattet sich, seiner dort ausgesprochenen Ansicht hier noch hinzuzufügen, daß eine gründliche Beseitigung dieses für unsere Rechtssachen, wie die Faust auf's Auge passenden Proceßinstituts gerade jetzt ohne Schaden für einen angemessenen Rechtsgang ermöglicht ist, wo die Competenz unsers höchsten Tribunals durch die Beschränkung desselben auf Holstein und Lauenburg erst neuerlich so stark beschnitten worden, ohne daß die bei demselben thätigen Arbeitskräfte geschmälert wären. Dadurch ist die Schwierigkeit gehoben, welche vorher einer Herabsetzung der zur Oberappellation erforderlichen Summa appellabilis auf etwa die Hälfte ad 200 Crt. entgegenstand. Wir würden durch diese Erweiterung der Oberappellation einen gewiß nicht zu verachtenden Ersatz für das remedium der Actenverschickung erhalten, ohne daß die hierdurch verursachte kleine Geschäftserweiterung des Oberappellations-Gerichts diesem wesentlich fühlbar werden würde.
Um endlich zu dem Hauptthema überzugehen, könnte man in Verlegenheit gerathen, wo anzufangen sei; nicht aus Mangel an Stoff, sondern weil des Stoffs zu viel für eine leichte Wahl da ist. Indeß Ehre dem, dem Ehre gebührt: fangen wir daher mit der Geistlichkeit an.

5) Aufhebung der geistlichen Gerichtsbarkeit.

Die geistliche Gerichtsbarkeit, wie sie bei uns jetzt besteht, hat ihren Hauptsitz in der Kirchen-Ordnung vom Jahre 1585. Das Alter eines Instituts allein kann ihm freilich nicht als Mangel angerechnet werden; aber es ist auch gewiß, daß die geistliche Gerichtsbarkeit Verhältnissen ihre Entstehung verdankt, die im Laufe der Zeit sich wesentlich geändert haben, so geändert haben, daß das, was den damaligen Zuständen entsprach, jetzt als Anachronismus erscheint. - Die geistliche Gerichtsbarkeit

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hat sich schon zur Zeit der ersten Christen-Verfolgungen entwickelt, da die Christen keine unparteiische und angemessene Justizverwaltung von den heidnischen Gerichten erwarten konnten. 7) Wenn sie gleichwohl keine Jurisdictionsbefugnisse für ihre Streitigkeiten ausüben konnten, so bildete sich dadurch die schiedsrichterliche Gewalt der Bischöfe aus (episcopalis audientia), welche die ersten christlichen Kaiser hegten und pflegten, und pflegen konnten, weil der fromme Eifer der durch ihre innerste Ueberzeugung zu der neuen Religion hingezogenen und durch Verfolgungen in ihrem Glauben gereiften Christen von Proceßsucht gewiß eben so fern war, als dieser fromme Sinn in spätern Zeiten der Rechthaberei und Streitsucht gewichen ist. Was die Kirche zuerst ihren patriarchalischen Zuständen und den Concessionen der Kaiser zu danken hatte, beuteten die Päbste sodann in ungemessener Weise durch die denunciatio evangelica für ihre Herrschsucht aus. Die geistliche Gerichtsbarkeit konnte sich auch im Mittelalter recht wohl erhalten, weil die Bildung und die Wissenschaft fast ausschließliches Eigenthum der Geistlichkeit und Klöster war, und die weltlichen Richter in Deutschland nicht wissenschaftlich gebildet zu sein brauchten, sondern als Schöffen das Urtheil aus ihrer Erfahrung oder aus Weisthümern fanden: die geistlichen Gerichte hatten, hiernach zu schließen, den Vorzug vor den weltlichen. Nach der Reception des Römischen Rechts und nach der Reformation gestaltete sich dies allerdings anders, aber bei den Protestanten gab vielleicht bei der Frage nach der Beibehaltung der geistlichen Gerichte das Althergebrachte dieser Einrichtung den Ausschlag, wenn überall an eine Reform in dieser Beziehung bei so vielen andern den Glauben unmittelbarer betreffenden Reformen gedacht wurde; jedenfalls mußte den Reformatoren sehr daran
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7) Siehe hierüber und zu dem Folgenden: A. W. S. Francke, der gemeine deutsche und schleswig-holsteinische Civil-Proceß (2te Auflage) § 27.

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liegen, den Geist der neuen Lehre so viel nur möglich alle Lebensverhältnisse durchdringen zu lassen und daher bis Weiteres die Gerichtsbarkeit in rebus ecclesiasticis der Kirche zu reserviren. Auch lag die Zeit, wo noch ungelehrte Schöffen das Unheil fanden, zu nahe, als daß die Besetzung einiger Gerichte durch Andere, als Rechtsgelehrte Anstoß hätte erregen können. Indeß machte das Bedürfniß nach Beseitigung der geistlichen Gerichte sich auch damals schon in so weit geltend, als die nun eingeführten Consistorien größten Theils aus Geistlichen und Rechtsgelehrten in gleicher oder ungleicher Anzahl besetzt wurden.
Was den ersten Anfängen des Protestantismus entsprach, ist jedoch jetzt, wo dieser gesichert ist, nicht allein überflüssig, sondern auch schädlich. Die Jurisdiction in geistlichen Hadersachen erheischt Entscheidungen eben so verwickelter Rechtsfragen und Rechtsverhältnisse, wie die Gerichtsbarkeit in weltlichen Sachen. Wenn bei den geistlichen Gerichten dennoch mehrere nicht rechtsgelehrte Beisitzer Sitz und Stimme haben, so ist dies eben so wenig zu rechtfertigen, als wenn man einem Rechtsgelehrten etwa das Abhalten des Gottesdienstes oder die Beichte anvertrauen wollte. Sonst wird von Jedem, der richterliche Funktionen zu versehen berufen ist, als Haupterforderniß der Nachweis darüber verlangt, daß er ein juristisches Amtsexamen bestanden hat, weil ein Richter das Recht, welches er nicht kennt, auch nicht auf gegebene Verhältnisse anwenden kann; dieser Grund gilt aber für die geistliche Gerichtsbarkeit und für Geistliche der Natur der Sache nach in eben dem Maße, wie für das forum saeculare, und es steht daher mit den ersten Rechtsprincipien im Widerspruch, Geistlichen die Entscheidung der intricatesten Rechtsfragen zuzumuthen. Macht sich die Sache in praxi auch nicht so schlimm, als sie es auf dem Papiere immer ist, so hängt dies von dem Zufall der Persönlichkeiten ab und die staatlichen Einrichtungen und Gesetze sind eben dazu vorhanden,

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die Entscheidungen von solchen Zufälligkeiten unabhängig zu machen. - Zur Zeit der Reformation konnte dies, wie gesagt, nicht solchen Anstoß erregen, als es jetzt unvermeidlich ist, weil man damals noch daran gewöhnt war, von ungelehrten scabinis sein Recht zu nehmen und weil das Römische Recht noch nicht eine so unumschränkte Herrschaft übte, wie es jetzt der Fall ist. Ein auffallendes Zeugniß hierfür bietet unsere Kirchen-Ordnung im vierten Theil in fine, wo unsere ganze geistliche Proceß-Ordnung, abgesehen von einigen vorhergehenden Bestimmungen über den Umfang der Consistorial-Jurisdiction und das Verfahren im Allgemeinen, in folgenden wenigen Worten dargestellt wird:
Was in Sachen dem Consistorio angehörig, für Ordnung und Proceß bei einer jeden zu halten, achten wir von unnöthen länglich vorzuschreiben: Sondern stellen solches Alles heim unsern Consistorialen, ihrer Discretion und christlichen Trewe und Billigkeit, hierin nach jeder Sachbeschaffenheit zu gebrauchen, daß allen Dingen seine billige und gebührende masse und entrichtunge, gegeben, und niemand an seinem gebührenden Rechte gekränkt werde.
In einem Zeitalter, wo so summarisch mit den Proceß-Ordnungen umgesprungen wurde, konnte die jurisdictio ecclesiastica gewiß kein Befremden erregen, um so mehr als die protestantische Geistlichkeit zur Reformationszeit gewiß nicht nach weltlicher Herrschaft haschte, so daß der weltliche Arm sie in ihrer Thätigkeit hätte beschränken müssen; sie zeichnete sich vielmehr gerade durch die Uneigennützigkeit, mit der sie alles weltliche Regiment an ihren rechtmäßigen Inhaber, den Landesherrn, zurückgab, glänzend vor der katholischen Hierarchie aus. - Vor dem foro unserer critisirenden Zeit können aber diese Ueberbleilssel katholischer Priesterherrschaft nicht mehr Stand halten: Preußen, Dänemark, Frankreich selbst, Holland, Hannover u

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s. w. haben nach einander den Stab gebrochen über diese irrationelle Institution.
Was die Consistorial-Gerichtsbarkeit bei uns in der Praxis überaus lästig und beschwerlich macht, ist der Umstand, daß für das ganze Herzogthum nur ein geistliches Gericht in dem Consistorio zu Ratzeburg besteht, da doch die weltliche Gerichtsbarkeit erster Instanz unter etwa 29 Gerichte vertheilt ist. - Während die Partheien in andern Sachen gewohnt sind, eine Citation vom Amte zu holen, am nächsten Freitag den anberaumten Termin zu beziehen und in der Regel ihren Proceß in diesem oder in einem zweiten Termine zur etwaigen Beweisführung erledigt zu sehen, müssen sie in Consistorialsachen, selbst bei dem geringfügigsten Object, sich zuerst an einen Advocaten wenden, der die Klage aufsetzt, sodann einen Consistorial-Procurator bevollmächtigen, der die Acten zwischen dem Gericht und den Advocaten der Partheien zu vermitteln hat und den Terminen beiwohnt; dann tritt schriftliches Verfahren ein bis zur Duplik, und es erfolgt ein Erkenntniß nicht, wie bei andern Gerichten 14 Tage oder 3 Wochen nach dem Actenschluß, sondern erst dann, wenn eine der drei ordentlichen Diäten des Consistorii im Jahre eingetreten oder bei besondern Gelegenheiten eine außerordentliche Sitzung anberaumt ist. Während dessen laufen die Honorare der Procuratoren und Advocaten fort, ja es ist selten, daß nicht auch das weltliche betreffende Untergericht eine Commission vom Consistorio erhält und dadurch die Kosten noch vermehrt werden. Denn das Bedenklichste ist noch dies, daß die so wohlthätige mündliche Verhandlung der Partheien selbst vor Gericht dem Consistorio gänzlich fehlt; ist ein Vergleichsversuch nöthig, oder sonst die mündliche Verhandlung vor Gericht nicht zu vermeiden, so findet diese nicht vor dem Consistorio statt, sondern das weltliche Untergericht wird dazu committirt, und dem Consistorio entgeht alle unmittelbare Einwirkung auf die Partheien. - Es kann daher nicht Wunder

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nehmen, wenn diese in weniger wichtigen Sachen lieber ganz auf eine Verfolgung ihrer Rechte verzichten, als sich einem jahrelangen Processe auszusetzen; dadurch gewinnt aber nicht die friedliche Parthei, sondern die eine rechtmäßig ihr obliegende Verbindlichkeit verweigernde. Sollte der Kläger auch die bedeutenden Kosten, welche er aufwenden muß, wieder erlangen durch den der Gegenparthei zuerkannten Ersatz, so hat er doch unendliche Scheerereien gehabt, die nicht wohl mit Gelde vergütet werden können. Und dann tritt gerade in consistorialibus oft der Fall ein, daß die verlierende Parthei nicht zum Ersatz der Kosten fähig ist, weil Ehesachen, Verlöbnisse, Einsagen etc. auch bei den ärmsten Partheien Anlaß zum Streit herbeiführen; dasselbe ereignet sich freilich auch anderswo, aber die Kosten betragen hier höchstens nur den dritten Theil und man kann sie leichter verschmerzen. So ist es leicht erklärlich, wenn im gemeinen Leben der Ausdruck  "Consistorien-Sache" häufig als synonym mit einer prekären und weitaussehenden, auch kostspieligen Sache gebraucht wird.
Der beste Beleg für die Unangemessenheit einer Consistorial-Justiz bei uns ist der, daß so häufig Commissionen vom Consistorio erlassen werden, worin dem weltlichen Untergericht entweder die ganze Instruction der Sache ad decisum oder die Aufnahme des Beweises oder einzelne andere gerichtliche Acte aufgetragen werden. Sehr gerne tragen die Partheien selbst darauf an. Wäre dies denkbar, wenn die Consistorial-Jurisdiction dem Zwecke entspräche, und folgt nicht hieraus, daß die weltlichen Gerichte viel tauglicher zur Verwaltung auch dieses Theils der Justiz sind, da sie sehr wohl ohne das Consistorium, dieses aber nicht ohne den weltlichen Richter fertig werden kann! Alles deutet auf das Anomale der geistlichen Gerichtsbarkeit hin.
Endlich tritt hier auch die Abnormität ein, daß die Jurisdiction in erster Instanz schon getheilt ist; das Consistorium hat keine Befugniß zur Vollstreckung der abgegebenen Erkenntnisse,

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sondern muß hierzu die weltlichen Gerichte requiriren. Abgesehen von den hierdurch wiederum veranlaßten Mehrkosten, ist dies ein Ausnahmezustand, und solche müssen der Natur der Sache nach möglichst vermieden werden, wie dies leichtlich dadurch geschehen würde, wenn die geistliche Gerichtsbarkeit auf die ordentlichen Untergerichte überginge.
Ganz zu schweigen von den Nachtheilen einer exemten Gerichtsbarkeit im Allgemeinen, die von unserer Regierung anderswo genugsam anerkannt sind!
Fassen wir dagegen die Vorzüge der geistlichen Gerichtsbarkeit in's Auge, so ist ein solcher darin nicht zu verkennen, daß das Consistorium vermöge seines administrativen Ressorts eine sehr specielle Kunde von den seiner Jurisdiction unterworfenen Personen und Verhältnissen hat und daher am besten im Stande ist, Streitigkeiten dieser Art unter schonender Rücksicht nach allen Seiten hin zu schlichten. Aber auch dieser Vorzug hat gleich wieder den Nachtheil im Gefolge, den die Vereinigung der Justiz und Administration bei einer Behörde nothwendig mit sich bringt. Freilich ist Beides auch bei unsern weltlichen Gerichten nicht getrennt, aber hier wird der Nachtheil einigermaßen dadurch gehoben, daß die Verwaltung der Justiz die Untergerichte mindestens in gleichem Maße beschäftigt, als die Administrativsachen. Beim Consistorio aber überwiegen die letzteren bei Weitem die Justizsachen und induciren daher so leicht zu einer gleich ungebundenen Behandlung dieser, wie sie bei Administrativsachen unerläßlich ist, und zu einer Zurücksetzung der Justizsachen, als Nebensache. Zudem haben unsere Aemter durch die verschiedenen Commissionen in geistlichen Sachen nahezu dieselbe Gelegenheit, wie das Consistorium, die Angelegenheiten der Kirche kennen zu lernen, abgesehen davon, daß die ersten Beamten zugleich Kirchen-Commissarii in Consistorialsachen sind. -

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Einer Uebertragung der geistlichen Jurisdiction erster Instanz an die weltlichen Gerichte steht demnach Nichts im Wege, auch nicht eine dadurch etwa veranlaßte Geschäftsüberhäufung derselben, da ihre Jurisdictionsbezirke einerseits nicht solchen Umfang haben, um nicht eine kleine Geschäftsvermehrung lasten zu können, und die geistliche Gerichtsbarkeit andererseits, auf 29 Gerichte vertheilt, doch gewiß nicht von großem Belange ist.
 


(Fortsetzung folgt in spätern Heften.)
 

 

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