| Im Hamburger Correspondenten vom 5ten März d. J.
befindet sich ein Artikel, betitelt: "Aus dem Lauenburgischen," der
schließlich lautet: - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
- - - - - - - - „Uebrigens sind die meisten Lauenburger, auch
Nichtstände, der Meinung, daß der neue Erblandmarschall sich dadurch
am besten sogleich im Lande beliebt machen werde, wenn er den Bau
eines landschaftlichen Hauses gänzlich beanstandete, indem seit
Jahrhunderten man wegen eines Bedürfnisses desselben geschwiegen,
auch jetzt dieses am wenigsten vorhanden, (namentlich weil das Land
und seine Archive bedeutend kleiner geworden), auch der Zuwachs von
Akten in Zukunft nicht erheblich sein dürfte; dagegen aber sofort
beantragte, die obigen disponiblen Fonds, und alle übrigen
herbeizuschaffenden, zum Bau des landschaftlichen Hauses in Aussicht
gestellten Mittel zur Errichtung eines Landarbeitshauses zu
verwenden.
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Hiermit würde einem anerkannt allgemein
gefühlten, dringenden Bedürfnisse des Landes abgeholfen werden, und
die Ritter- und Landschaft sich den Dank des ganzen Landes erwerben;
der neue Landmarschall aber sich ein bleibendes Denkmal setzen,
ähnlich dem seines unvergeßlichen Urahns JOSIOAS VON BÜLOW-GUDOW."
Wie wir hören, ist der Plan, ein Arbeitshaus hier im Lande zu
errichten, schon mehrfältig erörtert worden, hat aber stets wegen
der Kosten der ersten Anlage wieder aufgegeben werden müssen. Möge
ein „IN DER THAT" so rein christliches Werk die Annalen dieses
kleinen, wackeren Ländchens zieren und echten wahren Adelstolz
bewähren. Was man wünscht, das hofft man und in dieser gewiß nicht
zu sanguinischen Hoffnung wollen wir nachstehend den Versuch wagen,
gestützt auf mehrfältige theoretische und praktische Erfahrungen
über diesen Gegenstand im Allgemeinen, die auf das Herzogthum
Lauenburg hauptsächlich anwendbaren Grundzüge zur Organisation einer
solchen Anstalt zu entwerfen.
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Als erstes und Grundprincip möchten wir hervorheben,
daß der Begriff einer Strafanstalt strenge von dem Worte Arbeitshaus
unterschieden, und wenn dasselbe auch einerseits zu einer
Zwangsarbeitsanstalt werden muß, es doch anderseits keineswegs einen
moralischen Makel auf Diejenigen werfen darf, welche durch
ungünstige Verhältnisse aller Art Mitglieder desselben gewesen,
namentlich wenn Solche, bei tadelloser Aufführung während ihres
dortigen Aufenthalts eine spätere liebevolle Aufnahme unter ihren
Mitbürgern nicht verwirkt haben; es soll daher zunächst ein
temporairer Zufluchtsort und eine Besserungsanstalt, nothgedrungen
nur, eine Strafanstalt sein. Ein temporairer Zufluchtsort für
Solche, die wahre Noth und Hunger leidend, daselbst sofort
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ihren Lebensunterhalt durch Fleiß und Thätigkeit
zu fristen vermögen; eine Besserungsanstalt für Solche, die entweder
durch erweislich mangelhafte und schlechte Erziehung, als
Unzurechnungsfähige, milde aber ernst auf den richtigen Pfad zu
leiten sind, oder für Solche, die gegen ein besseres Wissen, dem
schwachen Willen stets aufs Neue erliegen und durch eine streng
geregelte, bestimmt zu befolgende Lebensweise vielleicht (? ?) an
dieselbe nach kürzerer oder längerer Zeit zu gewöhnen sind.
Wenn also der Begriff der Zuflucht zunächst auf die Armen der
Commünen anwendbar und in Zukunft nur einzelne wirklich verschämte,
aber fleißige und strebsame Arme, auf besondere Fürsprache der
örtlichen Armenverwaltung vor dem Hinschicken in das Arbeitshaus
verschont bleiben dürfen und wie jetzt fernerhin das
allernothwendigste an baarem Gelde oder Naturalien beziehen; so ist
der Begriff der Besserung, namentlich auf diejenigen jüngeren
Individuen beiderlei Geschlechts anzuwenden, die man wo möglich vor
vollendeter Reife zum Zuchthause zu bewahren wünscht, so wie ferner
auch für faule Vagabonden, Bettler und Säufer, die den Commünen
stets zur Last fallen und ohne die Grenze eines sich zum Zuchthause
qualificirenden Vergehens zu überschreiten, stets in der Nähe dieser
Grenze, unverschämt auf Unterstützung pochen, und nur für die
Unverbesserlichen letzterer Klasse, muß die Anstalt eine
Strafanstalt sein. *)
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*) „Jugendliche Verbrecher gehören in der Regel mehr in das Arbeits-
als in das Zuchthaus, wenn sie auch ein mit der Zuchthausstrafe
bedrohtes Verbrechen begangen haben. Daher sind die mehrsten
Fleischesverbrechen, die überhaupt bei dem ihnen zum Grunde
liegenden mächtigsten aller Naturtriebe, die Humanität in der
Strafgesetzgebung in Anspruch nehmen und mehr in das Gebiet der
Unsittlichkeit, als der criminellen Strafbarkeit gehören, daher
Jagd-, Forst- und Zollcontraventionen geeigneter für Arbeits- als
für Strafanstalten, daher giebt es endlich eine Reihe von Vergehen,
welche das Zuchthaus füllen und dennoch
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Nach dieser als Basis des Ganzen dienenden
Einleitung gehen wir zu der weiteren Ausführung über.
l. Verwaltung.
Die Regierung ist auch für diese Anstalt die höchste Be-
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ihrer Natur und dem Strafzwecke nach in eine Zwangsarbeitsanstalt
gehören, wie namentlich in Rückfällen vorkommende Trunksucht,
Bettelei, Vagiren, öffentliche Ruhestörung und liederlicher
Lebenswandel. Die Erfahrung hat sattsam gelehrt, wie wenig solche
Verirrungen durch die Zuchthausstrafe gehoben werden, die oftmals
den letzten Funken des Ehrgefühls erstickt und die letzte Kraft zur
Besserung hinwegnimmt. Auf der andern Seite gewinnen die
Strafanstalten an Abschreckung, je mehr sie auf schwere Verbrechen
beschränkt werden und als eigentliche Criminalanstalten
hervortreten. Daneben aber gewähren Zwangsarbeitsanstalten jene
wichtige Aushülfe, die Strafanstalten nicht geben können, indem sie
Anforderungen auf öffentliche Unterstützung den Vorwand benehmen,
daß keine Arbeit zu finden sei. Es ist dies eine sehr gewöhnliche
Ausflucht von Müssiggängern, die, consequent durchgeführt, wenn auch
nicht directe, doch indirecte in sofern ihren Zweck erreicht, als
die darbenden Familien dem Oeffentlichen zur Last fallen. Ist eine
Anstalt vorhanden, die solchen Subjecten zu jeder Zeit eine
geregelte Beschäftigung bietet und die ihnen neben der Trennung von
den Ihrigen den Mitgenuß der öffentlichen Unterstützung entzieht, so
wird schon mancher arbeitsfähige Familienvater von solchen
unbegründeten Ansprüchen an die öffentliche Versorgung abstehen und
die freiwillige Thätigkeit der gezwungenen Arbeit vorziehen. Das
Bemühen, solchen Leuten Privatverdienst zu verschaffen, bleibt in
der Regel bei dem Versuche stehen, da mit ihrer mit Verdrossenheit
und daher mangelhaft verrichteten der steten Beaufsichtigung
bedürftigen Arbeit keinem gedient sein kann, derselbe Erfolg bei
öffentlichen Arbeiten, wo dergleichen zur Hand sind, sich
herausstellt und nur eine geregelte und gehörig beaufsichtigte
Beschäftigung in der Arbeitsanstalt in jeder Beziehung dem Zwecke
entspricht."
Huss: Ueber Errichtung von Zwangsarbeitsanstalten pag. 5.
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hörde, da Nichts ohne deren Wissen und Willen,
die Detailverwaltung wesentlich Ueberschreitendes, unternommen
werden darf.
Die specielle Leitung und Beaufsichtigung der Anstalt wird Einem
Director übertragen. Derselbe wird von der Ritter- und Landschaft
gewählt und diese Wahl von der Regierung bestätigt.
(Ein Mann dirigire allein, niemals mehrere alternirend, noch viel
weniger ein Collegium. Sobald mehrere in der Direction neben
einander stehen, verläßt sich entweder der eine auf den andern, oder
ihre Anordnungen durchkreuzen sich, widersprechen sich und richten
nur Verwirrung und Unheil an. Dadurch allein wird die Wirksamkeit
der aus mehreren Personen bestehenden Direction stark gelähmt, daß
in Fällen, wo rasches Einschreiten und sofortige Entscheidung nöthig
ist, einer nicht wagt anzuordnen und zu entscheiden, ehe der andere
gefragt ist. Steht nun gar ein Collegium an der Spitze, so kann es
nicht erwünscht gehen. Dazu kommt, daß die Erfahrung lehret, daß in
einem solchen Collegium diejenigen sich am meisten hervor thun und
am lautesten sprechen, die am wenigsten davon verstehen.)
Diese Motivirung unseres Vorschlags, aus Pastor Bruhns Schrift über
Zwangsarbeits-Anstalten entlehnt, stimmt dermaaßen mit unserer
Ansicht überein, daß wir selbst keine besseren Worte als die
seinigen dafür anzuführen wußten.
Dieser eine Director hat einen schweren, alle Geduld und Ausdauer in
Anspruch nehmenden Stand, denn ohne seine Thätigkeit sind immer
Stockungen, Störungen und Verkehrtheiten unvermeidlich. Durch sein
Wirken ist Kraft, Leben und Erfolg der Anstalt bedingt. Diesem
niemals leichten Geschäfte Genüge leisten muß er können und wollen.
Können wird er es, wenn er administratives Talent besitzt. Nicht
Jedem ist dieses gegeben. Dem gelehrten, gewandten, sonst sehr
tüchtigen Geschäftsmanne fehlt es oft und ein schlichter Landmann
hat es; so daß stets 1857/9 - 204
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nur die Persönlichkeit des Mannes aber keineswegs
seine Stellung die erste Rücksicht bei der Wahl des Directors sein
muß. Eine Bedingung des eben ausgesprochenen Könnens ist ferner die:
daß dem Director die Hände nicht zu sehr gebunden sind. Das von der
Regierung autorisirte Regulativ der Anstalt ist freilich das Gesetz
unter dem er steht, aber es ereignen sich stets so viele
unvorhergesehene Fälle, daß er unter eigener Verantwortlichkeit zu
augenblicklicher Entscheidung ermächtigt sein muß.
Der Director muß einer, an dem Orte wo die Anstalt sich befindet,
wohnhafter Beamter oder Bürger sein, der ein anerkannt wahres und
warmes Interesse für die allgemein nützende Realisirung einer
solchen Einrichtung hat und dessen sonstige Geschäfte es ihm
gestatten, die Anstalt WENIGSTENS einmal täglich zu besuchen, damit
er in aller und jeder Hinsicht stets die allergenaueste Detailkunde
von Allem besitzt. Die Unterhaltung einer solchen Anstalt kann nicht
die Mittel gewähren, einen gebildeten Mann für die ihm in einer
solchen Stellung obliegenden Pflichten verhältnismäßig zu salariren.
Es ist und muß stets nur ein EHREN- UND VERTRAUENSPOSTEN sein, der
auch nur von dem Betreffenden aus reiner Thätigkeits- und
Wirkungsliebe für die gute Sache selbst angenommen wird. Anderseits
indessen dürfen auch nur die reinen Opfer wahrer Menschenliebe
unbesoldet bleiben, weßhalb er, da er allein die Hauptcorrespondenz
mit der Regierung und den Commünen zu führen und häufig eines
Schreibers bedürfen wird, ein Jahresgehalt von 200
L.M.
bezieht, um in aller und jeder Hinsicht für alle Schreib- und
Comptoir-Unkosten völlig gedeckt zu sein.
Wird bei einem solcher Manne der Fall auch fast undenkbar sein, daß
seine Entlassung nothwendig erscheint, so darf es anderseits doch
nicht an der Bestimmung fehlen, daß er auf Antrag der Ritter- und
Landschaft von der Regierung entlassen werden kann, so wie ihm
gleichfalls das Recht zusteht, diesen Posten,
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aus weiter nicht zu motivirenden Gründen nach
vierteljähriger Kündigung aufzugeben.
In der Anstalt selbst wohnt der Inspector, Oberaufseher oder
Hausvater, wie man ihn nennen will, der sein ganzes Verhalten nach
den permanenten und momentanen Anordnungen des Directors richtet und
diesem für Alles innerhalb der Anstalt verantwortlich ist. Derselbe
wird von dem Direktor gewählt, seine Wahl von der Regierung
bestätigt. Er kann nach halbjähriger Kündigung entlassen werden und
selbst seinen Posten halbjährig kündigen.
Die Wahl eines solchen Mannes, von dessen Rechtlichkeit, Treue und
Thätigkeit das gute Gedeihen der ganzen Anstalt größtentheils
bedingt ist, der ohne seiner Autorität Abbruch zu thun, stets milde,
freundlich und wohlwollend, aber zugleich strenge und in Nothfällen
sogar hart gegen die Alumnen sein muß, ist wahrlich nicht leicht. Er
muß in vorkommenden Fällen sich zu rathen und zu helfen wissen, weil
die vollständigste Instruction dem Unbeholfenen nicht aushilft. Die
Alumnen müssen fühlen, daß er nicht bloß durch seine Stellung,
sondern auch durch seinen innern Werth über ihnen steht.
Der Hausvater kann ein unverheiratheter Mann sein, da unter den
weiblichen Alumnen der Anstalt in der Regel eine gefunden wird, die
die häuslichen Arbeiten beaufsichtigt und leitet. Besser ist es
indessen, wenn er eine tüchtige Frau besitzt, die des Hauses innere
Wirthschaft zu leiten und zu besorgen hat, und thut sie das mit
Treue und Geschick, so ist das selbstverständlich von großem Einfluß
auf den gedeihlichen Gang der ganzen Einrichtung. Nur muß man viel
eher einen etwas weniger guten unverheiratheten Hausvater wählen,
als einen anerkannt tüchtigen, wenn derselbe eine als unordentlich,
putzsüchtig oder unreinlich bekannte Frau hat; er kann dann so gut
und
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tüchtig sein wie möglich, - darf aber demunerachtet
nicht angenommen werden.
Wo eine Arbeitsanstalt einen guten Hausvater hat, da muß alles
gethan werden, ihm seine schwere und unangenehme Stellung recht
erträglich zu machen und auf einige Thaler mehr Gehalt nicht gesehen
werden, oft zu wechseln ist sehr nachtheilig, einen passenden Mann
zu finden, - sehr schwer.
Der Hausvater bezieht nebst freier Wohnung, Feuerung, Licht und
einigen von den in der Anstalt vorhandenen Victualien, wie z. B.
Kartoffeln, Mehl und Erbsen, einen Jahresgehalt von 150
LM.
Bei steter getreuer Pflichterfüllung und untrüglichem Nutzen seines
guten Wirkens, wird nach 3, 8 und l5jähriger Dienstzeit dies Gehalt
um 10, 30 und 70
p. a. erhöht, so daß nach 3jähriger
Dienstzeit das Gehalt 160, nach 8jähriger 180 und nach 15jähriger
220
ist.
Die vorsichtigste Wahl der ferner anzustellenden Unterbeamten, so
wie deren Entlassung, welche erforderlichen Falls sofort und sonst
nach 14tägiger Kündigung erfolgen kann, bleibt ganz und allein dem
Director überlassen, doch hat derselbe eine jede
Personal-Veränderung in seinem Quartalbericht motivirt der Regierung
zu berichten.
Auch die Unterbeamten müssen theilweise durch Gehaltserhöhungen in
ihrem Eifer und Streben ermuthigt werden und die dazu erforderlichen
Geldopfer für das ganze Land (alle Commünen gemeinschaftlich) sind
keineswegs als solche zu betrachten, weil sie erst gespendet werden,
wenn die Betreffenden sich in mehreren Jahren dazu würdig erwiesen,
mithin der Anstalt selbst, folglich also dem Lande, einen
wesentlichen Nutzen geleistet haben und dann wird das Opfer zu einer
angenehmen Pflicht.
Erst später, wenn von der inneren Einrichtung des Hauses, der
Hausordnung und der wahrscheinlichen Durchschnittszahl der Bewohner
desselben gesprochen, kann es am Platze sein, über die
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Anzahl und die Function der verschiedenen
Unterbeamten, so wie über deren Gehalte und der event. Erhöhung
desselben zu sprechen, so wie ferner auch noch an seiner Stelle ein
Regulativ für die Hausordnung, und specielle Instructionen für einen
Jeden erfolgen wird.
Noch ist in diesem Abschnitte Einiges von der pecuniairen Verwaltung
zu sagen.
Dem Director auch dieses viel Zeit raubende und sehr verantwortliche
Geschäft zu übertragen, würde aus manchen Gründen ebenso
unzweckmäßig erscheinen, als es anderseits, bei einer so kleinen
Anstalt, auch keineswegs aus den sonst schon etwas hohen
Unterhaltungskosten zu erzielen ist, einen eigenen Cassirer oder
Rechnungsführer mit Gehalt anzustellen. Sollte zufolge unserer
Voraussetzung Ritter- und Landschaft dem Lande das Gebäude schenken,
so bedingt diese edle That eine Verpflichtung aller übrigen
Landesbewohner nach besten Kräften, ein Jeder da wo es ihm möglich
wird, zum guten Gedeihen und zur zweckmäßigen Erhaltung einer
solchen Anstalt beizutragen.
Wir möchten daher vorschlagen, daß der Magistrat in der Stadt, in
welcher das zu errichtende Arbeitshaus sich befindet, auch das
Rechnungswesen für dasselbe übernimmt. Ein Näheres hierüber wird
später in dem Kostenanschlag und den jährlichen Kosten des Ganzen
besprochen werden.
II. Aufnahme und Entlassung.
Die Anstalt soll eine Landesanstalt sein und von den Commünen
gemeinschaftlich unterhalten werden. Diese haben daher mit dem
Zwecke der Anstalt vor Augen zu bestimmen, welche Alumnen sie zur
Aufnahme in diese Anstalt als geeignet ansehen. Den loten eines
jeden Monats gehen die Vorschläge der Commünen zur Aufnahme bei der
Regierung ein und nur am 15ten eines jeden Monats findet die
Aufnahme neuer Alumnen in der
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Anstalt statt. Da hier nicht von Verbrechern die
Rede ist, deren Strafzeit innerhalb einer bestimmten Zeit nach der
Publikation des Urtheils beginnt, sondern das Hinschicken in diese
Anstalt auf eine Uebereinkunft des Vorstandes der Commünen beruht,
so kann gewiß dieser, die nothwendige Ordnung in der Anstalt selbst
so sehr befördernden Maaßregel, kein Hinderniß entgegenstehen. Wenn
die Regierung zwischen dem 15ten und 25sten die Aufnahme bewilligt
und dem Director in den letzten Tagen eines jeden Monats summarisch
angezeigt, wie viele neue Alumnen am 1sten aufzunehmen sind, werden
diese am 1sten eines jeden Monats von den Commünen hingeschickt,
oder erforderlichen Falls durch einen Landdragoner oder sonstigen
Polizeiofficianten abgeliefert, wobei aber jedenfalls ein von der
Commüne auszufüllendes gedrucktes Schema für jeden Einzelnen
mitfolgen muß, welches folgende Aufklärungen enthält:
Voller Name, Geburtsort, sonstiger Aufenthaltsort, Alter, Stellung
oder Gewerbe, Name der Eltern, ob diese noch leben, oder wann
gestorben? Wann und von wem confirmirt? Was der Commüne über das
frühere Leben und Treiben des (der) N. N. bekannt ist? Was hat die
Commüne schließlich veranlaßt auf die Aufnahme anzutragen? Hat N. N.
früher von der Commüne Unterstützung genossen? Wie viel und wie
lange? Schließlich eine Attestation des Commüne-Arztes, daß N. N. an
keiner ansteckenden Krankheit leidet.
Der Begriff von Zuflucht und Besserung, schließt eine jede
Zeitbestimmung des Aufenthalts im Arbeitshause abseiten der Commünen
aus und können die Alumnen die Anstalt nur auf Vorschlag des
Directors nach erfolgter Genehmigung der Regierung wieder verlassen,
sobald es als erwiesen zu betrachten ist, daß diese Anstalt als
Zufluchtsort für den Betreffenden nicht mehr nothwendig, oder wenn
genügende Gründe zu der Annahme vorhanden, daß wirklich eine
moralische Besserung eingetreten und
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Eltern oder andere Angehörige dem Betreffenden
einen anderen Lebensunterhalt verschaffen können und wollen. Es muß
überhaupt eben so sehr einerseits das ernste Streben des Directors
sein, Alumnen, die in der Anstalt an Ordnung, Thätigkeit,
Reinlichkeit und Gehorsam gewöhnt worden und sich sonst gut betragen
haben, auf seine Empfehlung als Dienende oder Arbeiter
unterzubringen, als es andererseits eine allgemeine Christenpflicht
ist und reichen Segen bringen kann, wenn sich wohlwollende und
wohldenkende Menschen finden, die dieser Empfehlung Gehör schenken
und es vorzugsweise mit solchen schon gesunkenen und sich wieder
gehobenen Nebenmenschen alles Ernstes versuchen, denselben wieder
die Lichtseite des Lebens „einen christlichen von Gewissensqualen
freien Lebenswandel führen zu können" zu veranschaulichen und darin
zu bestärken. Das leider noch so allgemeine lieblose Vorurtheil
gegen unglückliche, gefallene Nebenmenschen und der damit in
Verbindung stehende Mangel an Vertrauen, ist mit wenigen Ausnahmen
stets die Veranlassung zum Rückfall. Straf- und Bußpredigten, an
denen es nie fehlt, kann kein Anderer eindringlicher abfassen, als
das eigene Gewissen eines wahrhaft Reuigen, ihm fehlt blos ein
mildes, freundliches, Zutrauen erregendes Entgegenkommen, um ihn in
seinen Vorsätzen zu stärken und zu befestigen und ist keine wahre
Reue, kein inneres Streben vorhanden, so helfen Moralpredigten am
allerwenigsten. Also versuche man wenigstens das einzige Mittel,
wodurch die allgütige, allweise Schöpfung Alles gedeihen läßt, durch
Liebe, wahrhafte, erwärmende christliche Liebe, im wahren Sinne des
Worts und nicht verfälscht, und verbittert durch gleichgültige, nur
menschliche Interessen befördernde Formen, man reiche seinem
unglücklichen Bruder gleich den Kern und errege dadurch seine Lust,
sein Streben, denselben später in der ihn umfassenden Schaale gegen
Schaden zu be-
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wahren, weil er erkannt hat, daß wir schwachen
Menschen einer äußeren Form oder Schaale bedürfen, um den Kern zu
schützen.
So oft erforderlich, doch wenigstens nach Jahresfrist der erfolgten
Aufnahme, hat der Director mit den Commünen übet deren sich im
Arbeitshause befindenden Alumnen zu correspondiren und seine Gründe
zu motiviren, weßhalb N. N. noch nicht zu entlassen, oder weßhalb
N. N. zu
entlassen ist. Ein jeder aus der Anstalt entlassene Alumne erhält
ein von dem Director ausgestelltes Zeugniß, in welchem angeführt,
wie lange N. N. im Arbeitshause gewesen, wie die Aufführung im
Allgemeinen und im Besonderen mit Bezug auf Fleiß, Ordnung,
Reinlichkeit und Gehorsam gewesen, ob und wozu N. N. als Arbeiter
oder Gewerbtreibender, oder als praktischer, den gesunden Theil
seines Verstandes gebrauchender Mensch zu empfehlen ist. Vorher wird
der betreffenden Commüne die Anzeige gemacht, daß N. N. am Letzten
des nten Monats entlassen wird, wobei besondere Gründe es vielleicht
in einzelnen Fällen wünschenswerth erscheinen lassen, daß die
Commüne das Abholen besorgt, was aber keine feste bei Allen zu
befolgende Regel ist.
III. Die Arbeiten der Alumnen.
In den meisten uns bekannten Schriften ist dies
Capitel keineswegs befriedigend erörtert und auch wir befürchten,
diesem schwierigsten aller Punkte nicht ganz gewachsen zu sein.
Beschäftigung, Thätigkeit, Arbeit, dieses Band des socialen Lebens,
dieser reiche, einzige Segen des menschlichen Daseins, diese stets
ergiebige, eine wuchernde Pflanze erzeugende Wurzel alles Guten,
Edlen und wahrhaft Werthvollen, muß wo möglich in seiner reinen
Heiligkeit bewahrt werden und soll doch als Mittel dienen, von den
sich am meisten dagegen Sträubenden dafür anerkannt zu werden. Wir
mögten behaupten, daß Faulheit in der Natur
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des Menschen begründet ist und eben dadurch der große
Segen der Arbeit entsteht.
Um nun die Alumnen in einem Arbeitshause zweckmäßig zu beschäftigen,
hat man neben vielen später zu erwähnenden untergeordneten
Rücksichten, unbedingt zwei Hauptzwecke ins Auge zu fassen:
a. Die Commünen, welche die Anstalt unterhalten sollen, müssen
überzeugt werden und sein: „daß jeder gesunde irgend arbeitsfähige
Bewohner der Anstalt in regelmäßig festgesetzten und beaufsichtigten
Arbeitsstunden durch Arbeit einen Theil seiner Unterhaltungskosten
selbst beschafft."
b. „Arbeit darf nie als Mittel zur Strafe dienen, weil dadurch ihr
hoher allgemeiner Werth entheiligt wird, sondern muß und darf nur
als Heilmittel gegen das menschliche Gebrechen „„Faulheit““ auf die
richtige Weise benutzt werden."
Demnach wird es die nothwendig zu erfüllende Aufgabe des Directors
sein, bei neuangekommenen arbeitsscheuen Alumnen ein Sehnen nach
Thätigkeit zu erregen. Gestützt auf die aus der Erfahrung sattsam
erwiesenen Thatsache, daß Freiheitsberaubung stets sehr bald den
Thätigkeitssinn erweckt, werden diese notorisch arbeitsscheuen
Alumnen sogleich nach ihrer Ankunft in eine einzelne Zelle
geschlossen, erhalten, wenn auch genügende, doch keine volle Kost
und verbleiben ohne alle Thätigkeit, bis sie von selbst um
Beschäftigung bitten; auch dann gewähre man ihnen die Bitte noch
nicht gleich, sondern lehre sie erst zur Genüge erkennen, daß Arbeit
eine Wohlthat für sie ist. Während der Zeit muß der Director, bei
dem wir Kopf, Herz und Menschenkenntniß voraussetzen, sich täglich
mit dem Betreffenden auf eine Zutrauen und Offenherzigkeit erregende
Weise unterhalten haben. Ganz ohne alles Moralisiren einen Vergleich
anstellen, wie das bisherige Leben des Betreffenden gewesen, warum
es notwendig so
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gewesen und wie es unter den und den kleinen,
leichten Abänderungen hätte sein können und namentlich sicher noch
werden kann, wenn seine ehrlich, wohlgemeinten und namentlich klar
zu durchschauenden Rathschläge von nun an befolgt werden.
Man wende uns nicht ein, daß dies eine schöne aber unpraktische
Theorie ist, was von uns nur zugegeben werden kann, wenn der
Director selbst ein unpraktischer Mann ist. Besitzt er aber ein von
Nächstenliebe durchdrungenes Gemüth und will er ernstlich der guten
Sache dienen, so ist nichts leichter, als sich auf eine
ungekünstelte, offene Weise das wahre Zutrauen dieser Unglücklichen
zu erwerben, was bei diesen Menschen gerade darum so begierig
ergriffen wird, weil hauptsächlich und fast immer nur Mangel an
Zutrauen anderer Nebenmenschen ihr Sinken veranlaßt und beschleunigt
hat. Die Hauptbedingung zur Erreichung seines Zweckes liegt nur in
der Art und Weise des ersten Auftretens. Heftiges Schelten,
übertriebener, zurückhaltender Ernst und den Betreffenden lieblos
seinen niedrigen Standpunkt fühlen lassen, verdirbt Alles ohne
Rettung. Hat man aber erst im wahren Sinne des Worts dem gefallenen
Bruder freundlich und herzlich die helfende Hand gereicht und durch
diesen erwärmenden Sonnenstrahl die Kruste erweicht, die das
verschrumpfte, lange in Finsterniß verborgene, doch nie ganz
gewichene Selbstgefühl umgiebt, dann kann man später, je nach
Maaßgabe der Nothwendigkeit, sehr hart und strenge rügen, man kann
mit aller Strenge die Anerkennung einer höheren nur das Gute
wollenden Waltung verlangen und in Verbindung damit einen
vernünftigen, vielleicht früher nie genossenen Religionsunterricht
anbahnen und kann schließlich den oben erwähnten niedern Standpunkt
veranschaulichen, ein Aufwärtsstreben erregen. In dem
pensylvanischen Staatsgefängnisse Charry-Hill, wird obige Methode
vorzugsweise bei einem jeden Ankömmling angewandt, um Lust und Liebe
zur Arbeit zu erregen und wenn wir auch keineswegs Alles in
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amerikanischen Gefängnissen loben können und dürfen, so hat doch
eine sehr detaillirte, sechswöchentliche Untersuchung dieses
Gefängnisses uns von der großen Zweckmäßigkeit dieser Maaßregel
überzeugt.
Ist nunmehr der Beschäftigungstrieb erregt, so bemühe man sich einen
Jeden, wo möglich, mit solchen Arbeiten zu beschäftigen, die er schon
kennt, nicht aber damit zu beginnen, ihn in Arbeiten, die fremd und
ungewohnt sind, unterrichten zu wollen; es sei denn, daß solche
Arbeiten sehr leicht begreiflich und leicht auszuführen sind.
Hiemit möglichst vereint, sei es Hauptziel alle Alumnen im Zwecke
der Unterhaltung des eigenen Hausinventars zu beschäftigen; theils
um dadurch die Unterhaltungskosten möglichst zu beschränken, und
theils um durch eine billiger zu erzeugende Fabrikation anderer
Absatzartikel den freien Gewerbtreibenden dieser Artikel keine ihnen
schädliche Neid erregende Concurrenz aufzuerlegen.
Für die weiblichen Alumnen wird immer mehr als genügende Arbeit
vorhanden sein. Nicht allein erfordern die täglichen
Haushaltungsarbeiten, die Wäschen, das Hausreinmachen u.s.w. immer
Frauenhände, sondern diejenigen Arbeiten, die zur Herstellung und
Instandhaltung der erforderlichen Kleidungsstücke und Betten nöthig
sind, werden durch die in der Anstalt befindlichen Frauenzimmer kaum
vollendet werden können.
Die männlichen Alumnen beschäftige man gleichfalls zunächst mit
allen in der Anstalt selbst erforderlichen häuslichen Arbeiten.
Denjenigen, welche schon vor ihrer Aufnahme ein eigenes Handwerk
erlernt haben, dessen Fortsetzung sich mit der Einrichtung der
Anstalt selbst verträgt und nicht zu viel Raum oder ungewöhnliches
oder zum Mißbrauch Anlaß gebendes Geräth erfordert, kann auch die
fernere Beschäftigung mit demselben, sofern der Absatz ihrer
Arbeitserzeugnisse keine Schwierigkeit verursacht, oder sich
Gelegenheit findet, dieselben auf Bestellung von Privat-
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personen oder anderer Handwerksgenossen anfertigen
zu lassen, gestattet, und. dabei Gelegenheit gegeben werden, andere
bisher nicht damit bekannte Individuen darin zu unterrichten,
insofern dieses Handwerk von der Art ist, daß es nach der Entlassung
Aussicht zum Broderwerb giebt. Zur Erreichung dieses letzten
Zweckes, der Fähigkeit zur künftigen selbstständigen Ernährung,
würde es namentlich mit Rücksicht darauf, daß die meisten
Individuen, welche in die Anstalt aufgenommen werden, theils früher
durch Tagelöhnerarbeit ihren Unterhalt gesucht haben, theils dazu in
Zukunft greifen müssen, besonders wünschenswerth sein, wenn
ähnliche, besonders solche Arbeiten, welche körperliche Anstrengung
erfordern und die Körperkräfte in Uebung erhalten, daher auch
zugleich auf die Erhaltung der Gesundheit vortheilhaft einwirken, in
der Anstalt betrieben werden könnten. Theilweise wenigstens ließe
sich dieses dadurch erreichen, wenn neben dem zur Erbauung der
Anstalt erforderlichen Raum so viel Gartenland gehörte, welches zur
Erzielung der zur Consumtion in der Anstalt erforderlichen Garten-
und Feldfrüchte, sammt den Vorräten derselben für die Wintermonate
verwandt werden könnte. Nicht minder mögte es zweckmäßig sein,
solchen Individuen, die sich durch Fleiß und gutes Betragen
ausgezeichnet haben und deren Entweichung man nicht zu befürchten
hat, zumal gegen das Ende ihrer Detentionszeit hin, Tagelohns- oder
andere Arbeiten außer der Anstalt bei Leuten, welche sie in Arbeit
und genaue Aufsicht während der Arbeitszeit zu nehmen bereit sein
mögten, zu gestatten, weil sie dadurch am besten an ein
ordentliches, selbstständiges Leben sich allmählig wieder gewöhnen
und nicht im ersten Taumel der wiedergewonnenen Freiheit in die alte
sündliche Lebensweise zurücksinken.
Welche Art von Arbeiten man den Alumnen auch auferlegt, so muß das
Tage- oder Wochen-Pensum derselben doch immer so genau reguliert
sein, daß man den genauen Geldwerth derselben
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bestimmen kann. Von diesem Geldwerth fließt 5/6tel
in die Kasse zur Bestreitung der Unterhaltungskosten und 1/6tel wird
dem Betreffenden gutgeschrieben, damit ein jeder die Anstalt
verlassende Alumne bei seiner Rückkehr in die Heimath einen kleinen
Fond zu Anschaffung von Kleidern oder Geräthen behufs eines
fortzusetzenden Handwerks disponibel haben kann.
In einer Königlichen Resolution vom 22sten December 1841, welche
einer damals ernannten Commission auferlegt, ein Regulativ für eine
zweckmäßige Gefängnißdisciplin auszuarbeiten, heißt es unter
Anderem: „Der Grundsatz, den Gefangenen nicht mehr Leiden zuzufügen,
als nothwendig aus der Einschränkung ihrer Freiheit hervorgeht, soll
genau beachtet werden, woraus unter Anderem folge, daß jedem
Gefangenen, soweit er die Mittel dazu besitze, Gelegenheit werden
müsse, sich besseren Unterhalt und größere Bequemlichkeiten zu
verschaffen, als ihm auf öffentliche Kosten zu Theil werden könne,
jedoch nur, soweit es ohne Gefahr vor Mißbrauch und Unordnung
ausführbar sei. Ebenso müsse dafür gesorgt werden, daß der Gefangene
Gelegenheit erhalte, sowohl zum Lesen religiöser und anderer
nützlicher Bücher, als auch zur Beschäftigung mit Handarbeit, deren
Ausbeute ihm selbst zufalle. Soweit es erforderlich sei, müßte das
Material zu solcher Arbeit vom Armenwesen angeschafft, aber zunächst
und bevor dem Gefangenen etwas zufließe, aus dem Ertrag der Arbeit
vergütet werden etc."
Im Allgemeinen können wir diesem Grundsatze nur beistimmen, allein
mit Rücksicht auf den ganzen dem Arbeiter allein zufallenden
Verdienst der Arbeit, wovon nur die Auslage für Geräthe und
Rohstoffe abzuziehen wären, können wir bei einem von den Commünen zu
erhaltenden Landarbeitshause nicht rathen. Unser Vorschlag, daß ein
Theil des Verdienstes dem Arbeiter selbst zufällt, wird schwerlich
eine Opposition erregen, weil darin, abgesehen der Wohlthat an und
für sich, ein reichhaltiges
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Mittel zur Aufrechthaltung der inneren Ordnung und
Disciplin gegeben; es käme nur darauf an zu ermitteln, ob 1/6tel als
zu viel oder zu wenig von den Commünen erachtet würde. Aus dem
Vergleich höchst verschiedener Bestimmungen über diesen Punkt, sind
wir zu dem Resultate gekommen, 1/6tel als passend vorzuschlagen und
müssen sehr abrathen, statt dessen lieber den auch häufig
stattfindenden Gebrauch des unbestimmten Mehrerwerbs über das
vorgeschriebene Pensum einzuführen, denn, wie Dr. Julius in seinen
Vorlesungen über die Gefängnißkunde sehr richtig bemerkt: „Dies
Verfahren verleitet die Alumnen zu Täuschungen in Hinsicht der Menge
der Arbeit, die sie anzufertigen im Stande sind; führt sie zu
Verspottungen derjenigen Complicen, welche vor ertheilter
Arbeitsaufgabe ehrlich so viel arbeiteten, als sie konnten,
veranlaßt häufig Vernachlässigung der Arbeit, um das aufgegebene
Pensum schnell zu vollenden und zur eigenen übergehen zu können,
bildet eine fruchtbare Quelle von Klagen gegen die Unterbeamten, daß
sie nicht billig bei Ertheilung der Arbeitsaufgaben verfahren,
erschwert die Berechnung über das Guthaben, erheischt die größte
Aufmerksamkeit zur Verhütung von Betrügereien und giebt Anlaß zum
Ungehorsam."
Eine jede Arbeit, welche es auch sei, ist in Geldeswerth
veranschlagt und sobald dieselbe auf die vorgeschriebene,
verantwortliche Weise vollführt ist, wird dem dieselbe Uebertragenen
1/6tel des Geldeswerthes in sein Conto gutgeschrieben und in einem
in seinem Verwahrsam habenden Contrabuche unter Anführung von Arbeit
und Datum notirt. So z. B. Schuster N. N. wird beauftragt 20 Paar
neue Schuhe für die Bewohner des Arbeitshauses anzufertigen. Nach
Verhältniß des Lederpreises wollen wir hier annehmen, daß das Paar
zu 1 ½
veranschlagt ist; so werden N. N. nach Ablieferung
dieser 20 Paar, vorausgesetzt, daß alle gut gearbeitet und sonst
annehmbar befunden werden, 5
LM. dafür gutgeschrieben, dann
werden von den übrigen
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25
die Auslagen der Anstalt für Leder etc.
abgezogen und der Rest auf N. N.'s Conto als selbstbestrittene
Unterhaltungskosten notirt, die bei späterer Abrechnung der
betreffenden Commüne zu Gute kommen. Der Alumne B. ist z. B. in 7
Tagen beordert in der Küche als Handlanger zu arbeiten, den Hof zu
fegen, die Leuchten in Ordnung zu halten etc. etc., wofür die
Anstalt einen Tagelohn von 12
bewilligt. Nach untadelhafter
Ausführung aller dieser Geschäfte erhält B. in seinem Contrabuche 14
Nebenverdienst notirt. Aus diesen beiden Beispielen wird man
schon genügend ersehen können, welch weites Feld dem Director
gegeben ist, um durch Arbeitsvertheilung eine gute innere Disciplin
und allgemeine Thätigkeit zu erzielen. Alle weniger Selbstverdienst
einbringenden Arbeiten, alterniren gleichmäßig Tage-, Wochen- oder
Monatsweise unter den Alumnen, werden aber auch andererseits
benutzt, um aufsätzige, trotzige und ungehorsame Alumnen, die
vielleicht in mancher Hinsicht zu einträglicheren Arbeiten befähigt
sind, auf eine für sie die empfindlichste Weise zu strafen, indem
man ihren Selbsterwerb eine Zeitlang dadurch schmälert.
Das Selbsterworbene wird vor allen Dingen zuvörderst bei der
Entlassung des Alumnen benutzt, ihn anständig zu kleiden, indem der
bei seinem Eintritt mitgebrachte Anzug entweder theilweise, oder wie
es wohl am häufigsten der Fall sein wird, ganz ergänzt werden muß.
Ob der Rest dem Betreffenden auszuzahlen, an seine Commüne zu
schicken oder dem zu übergeben ist, der sich vorläufig seiner
annehmen will, muß den jedesmaligen näher zu erwägenden Umständen
überlassen bleiben.
Mit der Beschäftigung durch Arbeiten hängt auch das Lesen religiöser
und sonstiger nützlicher Bücher, so wie der sittlich religiöse
Unterricht nahe zusammen. Der religiöse Sinn muß erweckt und belebt
werden, nicht nur durch den Gottesdienst an Sonn- und Festtagen,
sondern auch durch Gebet beim Anfange und beim
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Schlusse des Tagewerks. Eine eigene Kapelle in der
Anstalt selbst zu erbauen und einen eigenen Prediger für die Anstalt
allein zu halten, kann nicht mit dem Entwurfsplane einer so kleinen
Anstalt vereint gedacht werden. Die männlichen und weiblichen
Alumnen haben daher alternirend den Vor- und
Nachmittags-Gottesdienst in der Stadtkirche beizuwohnen, woselbst
das Arbeitshaus sich befindet, und zur selben Zeit werden die
Zuhausebleibenden zwei Stunden in ihrem Arbeitssaale von einem dazu
geeigneten Lehrer im Bibellesen unterrichtet, so daß ein jeder
Alumne an allen Sonn- und Festtagen einmal zur Kirche gewesen und
zwei Bibelstunden beigewohnt hat. Ein solcher dazu qualificirter
Lehrer wird sich leicht finden, und wäre mit diesem gegen eine
passende Vergütung leicht eine Vereinbarung zu treffen, den
Unterricht an Sonn- und Festtagen vielleicht noch zu erweitern.
IV. Beköstigung der Alumnen.
Ueber diesen Gegenstand wüßten wir kaum etwas Specielles, auf
gemachte Erfahrungen Begründetes, hervorzuheben und wählen deßhalb
die gewiß sehr genügende Aushülfe, Pastor Bruhns Worte, über die
Beköstigung der Alumnen, aus seiner Schrift über
Zwangsarbeits-Anstalten anzuführen, weil dieselben Alles enthalten,
was vorläufig darüber gesagt werden kann. Er sagt nemlich:
"Bei Entwerfung des Speisereglemeuts für ein Armen- und Arbeitshaus
muß der Grundsatz festgehalten werden, daß die Armen zwar gesunde,
nahrhafte und hinreichend sättigende Beköstigung haben, daß aber die
Gerichte so einfach, als nur immer möglich, sind, daß ferner die
Armen, die von der Commüne unterhalten werden, wenigstens nicht
besser essen und trinken, als die Contribuenten.
Auf den ersten Blick scheint das eben Gesagte sich so sehr
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von selbst zu verstehen, daß es kaum erwähnt
werden, wenigstens nicht oben an stehen dürfte. An Beispielen will
ich daher zeigen, daß es wenigstens nicht überflüssig ist, darin zu
erinnern.
Im Arbeitshause zu Lygumkloster consumirte man im Jahre 1841: vier
Kühe, vier Schafe, mehrere fette Schweine, elf Kälber und 77
Butter. (Im Jahre 1837 waren gar 868
Butter verbraucht.)
Im Arbeitshause zu Sörup giebt es jeden Mittag zwei Gerichte und
zweimal die Woche ist Fleischtag; nämlich entweder zuerst Suppe mit
Klösen, worauf Fleisch mit Kohl folgt - oder Erbsen und Speck.
Wo, möchte ich fragen, hat der fleißige, ordentliche Arbeitsmann,
der nicht allein seine Familie zu ernähren, sondern oft noch
Armengeld bezahlen muß, solche Gerichte auf dem Tisch? wo schlachtet
ein solcher nach Verhältniß so ein, wie das Lvgumkloster Armenhaus?
Ich habe in ganz verschiedenen Gegenden beider Herzogthümer längere
Zeit mich aufgehalten, bin durch Stellung und Geschäfte mit der
Lebensweise der niedern Volksklassen bekannt geworden, und behaupte
daher mit voller Wahrheit und Entschiedenheit: Nirgends ist das der
Fall - nur ausnahmsweise bei zufällig Wohlhabenden oder bei solchen,
die auf dem Wege zur Armencasse sind, kömmt es vor. Noch mehr: es
giebt allenthalben in beiden Herzogthümern unter den Hufnern,
Erbpächtern u.s.w. nicht wenige, die ganz bedeutende Beiträge zur
Armencasse leisten müssen, und die sich ganz anders im Essen und
Trinken einschränken und behelfen müssen. Daher DARF das in einem
Arbeitshause so nicht sein und heißt dort mit Recht Schwelgen.
Nach viel richtigeren Grundsätzen ist das Speisereglement entworfen
und durchgeführt unter andern in den Arbeitshäusern zu Drelsdorf,
Havetoft, Satrup, Boxen, woselbst eine viel ein-
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fachere Beköstigung in der Erfahrung mehrerer
Jahre sich als hinreichend und als zweckmäßig bewährt hat.
Als ich zum ersten Male für eine solche Anstalt ein Speisereglement
entwerfen sollte, kam die nicht unwichtige Frage in Betracht: ob
regelmäßig, wöchentlich etwa. Fleisch oder Speck gegeben werden
sollte, oder nur dann und wann als Ausnahme. Die Entscheidung fiel
darauf aus, daß nur an Festtagen oder bei besondern Gelegenheiten
Fleisch gegeben wurde und wird.
Zu dieser Bestimmung führte mich vornehmlich die Erwägung, daß
allenthalben hunderte von Familien, bei schwerer Arbeit gesund und
vergnügt leben, ohne im Jahr auch nur ein Huhn einzuschlachten.
Daher müssen die Bewohner einer solchen Anstalt es auch können und
zwar noch besser können, weil fast ohne Ausnahme ihre Arbeit
körperlich weniger angreifend ist, als bei Jenen. Ferner muß es auf
die Contribuenten einen unangenehmen Eindruck machen, wenn sie
sehen, daß die Bewohner des Arbeitshauses bessern Tisch haben, als
sie. Fühlt die Verwaltung selbst es nicht - sie fühlen es gewiß, daß
eine große Unbilligkeit, großes Unrecht darin liegt.
Ehe ich indessen mich entschied, die regelmäßige Fleischration nicht
zu geben, habe ich mit erfahrenen, tüchtigen Aerzten darüber
gesprochen, ob auch in diätischer Hinsicht etwas dagegen zu erinnern
sei. Ihr einstimmiges Urtheil war, daß auch ohne regelmäßigen
Fleischgenuß Tausende von Menschen gesund lebten, daß also zur
Erhaltung der Gesundheit Fleisch nicht nothwendig erforderlich sei.
Die Erfahrung, jetzt in einer Reihe von Jahren, bestätigt auch, daß
in den Anstalten, wo es so gehalten wird, die Alumnen eben so gesund
und wohlgenährt sind, als in den andern, wo mehr Fleisch gegeben
wird.
Eben so ist Butter im Armenhause ein Luxusartikel, der nicht
gereicht werden darf. Hierin stimmen die Meinungen und Ansichten
mehr überein; denn mit Ausnahme von Lygumkloster,
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wo freilich die Butterconsumtion ungeheuer ist,
wird in allen mir speciell bekannten Armenanstalten keine Butter
gegeben. Selbst in dem sonst so liberalen Sörup erhalten nur die
Schulkinder Butter auf dem Brod, welches sie statt des Mittagsessens
in die Schule mitnehmen. Die Begründung der Vorschrift keine Butter
zu geben, liegt zugleich in demjenigen, was ich soeben über
Fleischconsumtion gesagt habe.
Daß der Genuß der geistigen Getränke gänzlich verboten sein muß, ist
eben so selbstverständlich, als daß mit Strenge darüber gewacht
werden muß, daß die Alumnen sich nicht heimlich den Branntewein
verschaffen. Hierüber darf ich nicht mehr erwähnen, als daß
diejenigen, die an den Genuß solcher Getränke einmal gewöhnt sind
(und solche sind fast immer unter den Verarmten) einer strengen
Ueberwachung bedürfen, weil sie oft in der Wahl der Mittel, ihre
Zwecke zu erreichen, sehr erfinderisch sind.
Den jungen und gesunden Leuten darf ebensowenig Thee und Kaffee
gegeben werden. Im Schleswigschen ist unter der arbeitenden Klasse
vielmehr der Thee, im Holsteinischen mehr der Kaffee gewöhnliches
tägliches Getränk. Die Bewohner des Armen- und Arbeitshauses
entbehren viel dadurch, daß ihnen dies entzogen wird, und legen mehr
Gewicht darauf, als man glauben sollte, aber es ist durch Erfahrung
bewährt, daß gerade die Entziehung dieser Getränke ein eben so
erlaubtes als zweckmäßiges Mittel ist, die heilsame und nothwendige
Scheu vor der Anstalt zu erhalten. Daß aber altersschwachen oder
kränklichen Personen ein unschädliches Getränk, wie Thee und Kaffee
zugestanden wird, erfordert die Humanität, mit der Leute der Art
behandelt werden müssen. Auch muß ich hier des Gebrauchs von Taback
mit einigen Worten erwähnen. Ich finde es etwas hart, wenn
denjenigen, die an den Gebrauch des Tabacks, sei es zum Rauchen oder
zum Schnupfen, seit längerer Zeit gewöhnt sind, namentlich bejahrten
Leuten, der Taback auf einmal gänzlich
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entzogen wird. Jedoch muß namentlich das Rauchen
nur unter Beschränkungen erlaubt sein und niemals in den Arbeits-
und Eßzimmern erlaubt werden."
Wenn das Obige auch, wie schon früher erwähnt, völlig mit unserer
Ansicht übereinstimmt, so vermissen wir doch ein Näheres über die
Verwaltung der Oeconomie in einer solchen Anstalt und dies gewiß nur
aus dem Grunde, weil es als selbstverständlich angenommen wird, daß
der Hausvater auch zugleich die Oeconomie übernimmt. Ungern
pflichten wir dieser Ansicht bei; wir haben dem Hausvater eine
schwere, viel Autorität erfordernde Stellung gegeben, und dürfen
dieselbe nicht, wie es unfehlbar der Fall sein würde, durch
Uebergabe dieses Postens gefährden oder gar vernichten. Der
Hausvater mag noch so ehrlich und liberal als Oeconom sein, je mehr
er es wäre, desto unzufriedener würden die Alumnen mit der
Beköstigung sein. An ein liebevolles Zutrauen, welches er sich
unserer Hoffnung gemäß, durch seine stets gerechte, freundliche und
humane Behandlung erwerben sollte, kann und wird nie gedacht werden
können, wenn er dem steten, wenn auch ungerechten, Argwohn
ausgesetzt ist, durch die den Alumnen nie genügende Beköstigung sich
selbst zu bereichern. Man übergebe die Oeconomie daher viellieber
der die weiblichen Alumnen beaufsichtigenden Frau, welche im ersten
Jahre mit
60
zu besolden wäre und nach 1, 3 und 6 Jahren
unbescholtener Wirksamkeit eine Zulage von 10, 25 und 50
zu
beanspruchen bat, und lasse sie genau und gewissenhaft vom Hausvater
controlliren, was ihm sehr erleichtert wird durch den täglich
stattfindenden Besuch des Directors.
V. Ort der Anlage.
Hinsichtlich der Frage, wobei gewiß manche von uns nicht zu
ermessende Gründe in die Waageschaale gelegt werden müssen, ob die
zu erbauende Anstalt in oder bei Ratzeburg, Mölln oder
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Lauenburg anzulegen, haben wir von unserem
Gesichtspunkte aus namentlich nur hervorzuheben, daß dieselbe in,
oder in unmittelbarer Nähe einer dieser Städte erbaut werden muß und
müssen wir einen Theil des Stadtfeldes bei Ratzeburg als besonders
geeignet dazu betrachten, weil die in Ratzeburg befindliche
Garnison, vorkommenden Falls eine höchst erwünschte schnelle und
kräftige Assistance zu leisten vermag, was gewiß gerade wegen ihrer
Anwesenheit viel seltener erforderlich sein wird, als wenn die
Anstalt an einem Orte wäre, wo kein Militair ist. Selbstverständlich
muß an dem zu wählenden Platze mit Leichtigkeit ein Brunnen, gutes
Trinkwasser enthaltend, anzulegen sein.
Sehr müssen wir widerrathen, die Anstalt weiter von der Stadt
entfernt zu bauen, als irgend nothwendig, Das Arbeitshaus muß dem
Director möglichst nahe sein, damit derselbe leicht, oft, ja
hoffentlich täglich kommen kann. Er soll die Seele des Ganzen sein
und wenn nach unserer Voraussetzung ein wahres Interesse für die
Sache habender Mann diesen Posten übernimmt, der aber nebenbei sein
eigenes Geschäft hat, so wird er es wohl einzurichten wissen,
täglich etwa eine Stunde dazu zu erübrigen, aber nicht zwei und
mehrere täglich, wenn die Anstalt entfernt liegt. Es treten oft
Fälle ein, wo es von großer Wichtigkeit ist, daß der Director auf
Anzeige und Aufforderung des Hausvaters, sogleich selbst da ist.
Diese Fälle ereignen sich leicht, wenn man rohes Gesindel,
widerspenstige Taugenichtse in der Anstalt hat, in deren Behandlung
der Director dem Hausvater nothwendig zur Seite stehen muß. Es ist
keineswegs gleichgültig, ob dergleichen sogleich auf frischer That,
oder ob es gelegentlich später abgemacht und regulirt wird. Es wird
fast täglich vorkommen, daß der Hausvater Alumnen ausschicken muß,
um dies oder jenes zu holen, dabei wäre eine Controlle auch sehr
erschwert, wenn die Anstalt eine viertel Meile oder länger von der
Stadt entfernt läge. Endlich würde dadurch auch der von
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1857/9 - Unpaginierter Einschub

Skizze: Grundriß eines Arbeitshauses für das
Herzogthum Lauenburg.
Beilage zum Vaterländischen Archiv für das Herzogthum Lauenburg,
Band I, Heft 2, pag. 225.
(Für die vergrößerte Ansicht bitte in die Abbildung klicken!)
1857/9 - Unpaginierter Einschub
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uns vorgeschlagene Kirchgang im hohen Grade
erschwert und im Winter oft ganz unterbleiben müssen.
VI. Einrichtung des Hauses.
Bei der Vorlegung eines Planes zu einer Anstalt, ist zuvorderst in
Erwägung zu ziehen, wie viele Alumnen dieselbe aller
Wahrscheinlichkeit nach auf einmal aufzunehmen hat. Wenn nun das
Arbeitshaus zu Güstrow, bei einer Einwohnerzahl im Mecklenburgischen
von 500,000 Seelen zu 400 Alumnen als kaum genügend angesehen wird,
so würde es nach diesem Verhältnis genügen, das hiesige im
Herzogthum Lauenburg mit 50,000 Seelen zu 45 bis 50 Alumnen
einzurichten; allein das spätere Erweitern ist immer schwierig und
sehr kostspielig und verschiedene andere Gründe, worunter namentlich
hervorzuheben ist, daß man oft eines einzelnen verarmten
Familienvaters wegen, die ganze Familie, wenigstens temporair,
aufnehmen muß, müssen es als höchst wünschenswerth erscheinen
lassen, dasselbe sofort wenigstens für 60, nemlich 10 bis 16
weibliche und 30 bis 46 männliche Alumnen einzurichten. Das
Geschlechtsverhältniß ist aus dem gegenwärtigen durchschnittlichen
Bestande verschiedener Straf- und Arbeitsanstalten Norddeutschlands
entnommen. Demnach müßte die von uns projectirte Anstalt, wie auf
beifolgendem Plane ersichtlich, folgende Räumlichkeiten enthalten:
Das Gebäude selbst ist 155' lang und 58' tief, einstöckig und nur
über der 12' hohen Vorderseite befindet sich ein Bodenraum mit 4
Erkerstuben. Der Rücken des Daches ist 20' hoch und der ganzen Länge
nach 6' breit, mit Glaspfannen gedeckt, um dem darunter befindlichen
Corridor die nothwendige Helligkeit zu verschaffen. Nach der
Vorderseite hat das Dach einen Fall von 8' und nach der Hinterseite
über den Arbeitssälen von 6'. Diese werden von sechs, 10' breiten
und 8' hohen Fenstern erleuchtet, die 5' hoch von der Erde, also 1'
unter dem Dache enden. Unter der
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Wohnung der Oekonomin befindet sich ein 24'
breiter und 16' tiefer Vorrathskeller, von dem ein Lokal zum
Zeugrollen abgetheilt wird und gleichfalls auf der anderen Seite ein
eben so großer unter der Wohnung des Hausvaters. In letzterem sind
noch zwei Strafzellen angebracht, um schwerere Vergehen abzubüßen.
Die Vorderseite enthält rechts vom Eingang A. Stube des Directors
mit allen Comtoirutensilien versehen und einem eingemauerten,
feuerfesten, eisernen Schranke für Papiere von Wichtigkeit und
etwanige Deposita. Wenn der Director es sich zur Regel macht, alle
die Anstalt betreffenden Schreibereien etc. daselbst zu expediren,
wird ein täglicher Aufenthalt ihm bald zu einer unvermeidlichen
Gewohnheit werden und er auch stets, wie es unser Wunsch ist, von
Allem ganz genau Bescheid wissen. B. Badestube mit 2 Badewannen.
Hier wird ein jeder Ankömmling entkleidet, gänzlich gereinigt und in
die vorgeschriebene Haustracht gekleidet, ehe er als aufgenommen zu
betrachten. Außerdem baden alle Alumnen wenigstens einmal in 14
Tagen. c und C. Schlafkammer und Wohnstube der Oekonomin, welche,
wie oben erwähnt, zugleich dir Aufsicht über die weiblichen Alumnen
führt, dieselben in den im Hause zu verrichtenden weiblichen
Arbeiten unterrichtet und zu beschäftigen hat, doch
selbstverständlich Alles unter der Controlle des Hausvaters. D.
Küche, in welcher auch gewaschen wird. Die neben der Küchenthüre
befindliche Corridorthüre führt nach einem 30 []' großen, von
Plankwerk eingeschlossenen Hofplatz, woselbst ein dem Bedürfniß
entsprechendes Schauer für Feuerung, eine Pumpe, Privets etc. etc.
sich befinden. Links vom Eingange liegt E, e, e'. Wohnstube,
Schlafkammer und Küche des Hausvaters. F. Krankenstube für männliche
Alumnen und F’ eine Stube für drei unverheirathete Aufseher, was uns
namentlich aus dem Grunde genügend scheint, weil diese Stube nur
immer zum Schlafen von zweien benutzt wird, da sich einer stets als
Wachehabender des
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Nachts in den Lokalen H und I aufhält. Der die
Länge des Gebäudes durchschneidende 6' breite Corridor hat außer der
oben erwähnten Hofthür und den 6 in die nach vorne liegenden Stuben
führenden Thüren, am Ende links eine Thüre, die für die männlichen
Alumnen bestimmt ist und in den von ihnen zu bebauenden Gemüsegarten
führt; 2 kleine als Eingang zu den Arrestzellen g und g’ dienende
Thüren und 2 in die Arbeitssäle H, I und K führende Thüren nebst
zwei Boden- und zwei Kellertreppen. Die Wohn-, Eß- und Arbeitssäle
H, I und K enthalten respective 30, 14 und 18 in zwei Reihen
übereinander liegende Schlafzellen mit den nach der oberen
Zellenreihe führenden Treppen h, i, k. Eine jede Zelle ist 9' hoch,
9' tief und 4 1/2' breit, mit einem sehr einfachen Bettrahmen, einem
kleinen Klapptische, einem hölzernen Bocke und einem kleinen
inwendig getheerten mit einem Deckel festverschlossenen Unrathseimer
versehen und werden die Gitterthüren dieser Zellen Abends
verschlossen, aber nicht einzeln, was bei Feuersgefahr sehr
nachtheilig sein könnte, sondern eine jede Reihe zugleich, durch
eine mit Kniee versehenen über die Thüren einer Reihe fortlaufende
eiserne Stange. Außerdem hat eine jede Zelle eine l []' große
Klappe, die nach dem Corridor führt und nur von diesem aus geöffnet
werden kann.
Wir haben kein Bedenken getragen, viel Raum und Kosten durch
Vereinigung von Schlaf-, Eß- und Arbeitssälen in ein Lokal, zu
ersparen. Alle Landleute essen und trinken, arbeiten und schlafen in
einem und demselben Lokale, warum sollten die Arbeiter es nicht auch
können? Wenn jeden Morgen beim Aufmachen der Betten und wenn sonst
erforderlich, namentlich mittelst der erwähnten Klappen, gehörig
gelüftet wird, so ist in den großen hohen Räumen von Dunst und
Geruch gar nicht die Rede, und bei gehöriger Beaufsichtigung kann es
deßhalb dort eben so reinlich und ordentlich sein, als wenn man
verschiedene Lokale zum Schlafen, Essen und Arbeiten hat. Die größte
Einfachheit
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ist bei einer Anstalt dieser Art in aller und
jeder Hinsicht zu empfehlen. Ebenfalls schien es uns unnöthig, ein
eigenes Lokal für eine gewiß nur sehr selten zu brauchende
Todtenkammer anzulegen und kann dazu eine der Arrestzellen benutzt
werden. Dahingegen müssen wir im Widerspruch mit der größten
Einfachheit ganz unbedingt zu der Anlage einzelner Schlafzellen
rathen. Die nächtliche Gemeinschaft solcher Leute, welche alsdann
nur höchst ungenügend beaufsichtigt werden können, sondern sich fast
ganz überlassen sind, erzeugt und befördert die geheimen Laster, ist
ein Verderb für Zucht und Sittlichkeit durch Gemeinheit in Wort und
That und giebt Gelegenheit zu gefährlichen Umtrieben und
Verführungen aller Art. Das gute Werk des Tages würde in der Nacht
wieder zu Grunde gehen. Für die Nacht muß daher gänzliche
Vereinzelung durchgeführt werden. Jeder Alumne hat seine
Schlafzelle, aus welcher er selbst mit seinem nächsten Nachbar keine
Verbindung anknüpfen kann, da er darin eingeschlossen wird.
Communication nach oben und nach den Seiten wird schon durch die
Construction verhindert; wo dergleichen entdeckt wird oder sich
vermuthen läßt, da würde man sich leicht durch Zellenversetzung
helfen können. Wird der Kostenanschlag auch dadurch um etwas
vermehrt, so erscheint uns die Zellulareinrichtung doch anderseits
so dringend nothwendig, daß wir ohne sie auf kein Gedeihen der
Anstalt rechnen zu können glauben, indem wir die nächtliche
Gemeinschaft der Alumnen als eine Klippe betrachten, an welcher
durch Sittenverderbniß in Wort und That jeder Besserungsversuch
scheitert. Das Zellensystem hält allerdings die geheimen Sünden auch
nicht zurück. Man kann indessen bei genauer Aufsicht eher aufmerksam
darauf werden, jedenfalls wird die Macht des bösen Beispiels hier
gebrochen und es fehlt die nachtheilige Wirkung der unzüchtigen und
unsittlichen Rede, die in den Schlafsälen ungestörten Fortgang
findet.
Die am Tage verschlossenen Verbindungsthüren l und l'
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werden Abends geöffnet, wenn die Alumnen in ihre
Zellen eingeschlossen sind und dienen dazu, daß der die Nachtwache
habende Aufseher auf jeden verdächtigen Laut sofort die Veranlassung
dazu untersuchen kann. Es brennt in jedem Lokal eine Nachtlampe und
der Wachehabende hält sich die ganze Nacht abwechselnd in H und
I
auf. Eine Glocke führt von H nach e und von K nach
c, um
vorkommenden Falls sofort den Hausvater oder die Oekonomin
herbeizuholen. Zwei Privets für jeden Arbeitssaal werden an der
hinteren Mauer angelegt mit einer Eingangsthür aus den Lokalen.
Dieselben sind ganz von einer 16' hohen glatten Mauer umgeben und
der Unrath wird von außen weggeführt. Wenn zunächst
H für männliche
und K für weibliche Alumnen bestimmt ist, so müssen besondere im
Voraus nicht festzustellende Umstände über I disponiren lassen, und
verbinden wir zunächst die Absicht damit, dies Lokal hauptsächlich
für Knaben benutzt zu wissen, zu denen man noch bei Mangel an Platz
einige ältere ordentliche und zuverlässige Männer einquartiren
könnte. Kleine Mädchen werden immer leicht noch in K unterzubringen
sein, selbst wenn man deßhalb auch noch ein paar Kinderbetten nöthig
haben sollte.
Der früher erwähnte über das Vorderhaus sich erstreckende Boden kann
im Winter zum Trocknen der Wäsche benutzt werden und überhaupt zur
Aufbewahrung und Wegräumung mancherlei Gegenstände und
Gerätschaften. Von den vier zu verschließenden Erkerstuben mit
Fenstern nach vorne wird eine mit einem Ofen versehen und als
Krankenstube für weibliche Alumnen bestimmt, die anderen drei dienen
zur Aufbewahrung von Rohstoffen, zum Verarbeiten, von fertigen noch
nicht abgesetzten Arbeiten, zum Depot des Hausinventars von Leinen
und Betten und der Bekleidung etc. etc.
Ueber der Eingangsthür wird eine große Schlaguhr und darüber eine
Glocke angebracht. Sollte der Raum es gestatten,
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so kann der Hausvater sich vor dem Hause einen
kleinen schmalen Blumengarten anlegen, wohingegen alles übrige zur
Anstalt gehörige Land zum Gemüsebau benutzt wird, mit Ausnahme des
erforderlichen Bleich- und Trockenplatzes neben dem Hofplatze und
dem Lokale K. Anlage und Ausdehnung der erforderlichen Planken muß
sich nach lokalen Verhältnissen richten, jedoch müssen dieselben
jedenfalls da genügende Ausdehnung und Höhe haben, wo es darauf
ankömmt, die Geschlechter streng von einander fern zu halten.
Was schließlich die Anlage der zu diesem Gebäude nothwendigen
Schornsteine betrifft, so müssen wir dies der Beurtheilung
Sachverständiger überlassen, ob die von uns angenommene Zahl, vier
im Vorderhaus m m m m und einen für die Arbeitssäle
m' sich
vermindern läßt. Gern hätten wir ein freilich in der ersten Anlage
sehr kostspieliges, allein für alle Zukunft höchst sparsames System
vorgeschlagen, nämlich alle Räume durch ein im Keller angebrachtes
Heizapparat stets gleichmäßig mit heißen Röhren zu erwärmen, allein
diese, in größeren Anstalten angewandte, Methode entspricht doch
nicht dem allgemeinen Zwecke dieses Planes.
Gleichfalls müssen wir davon abstehen, uns auf einen specificirten
Kostenanschlag der ersten Anlage einzulassen, dürfen indessen
anderseits nach Maaßgabe vieler angestellter Vergleiche behaupten,
daß ein nach unserem Plane ausgeführter Bau nebst dem ersten
vollständigen Inventarium die Summe von 9 bis 10,000
LM.
keinenfalls überschreiten wird.
VII. Ausgaben und Einnahme.
Als jährliche Ausgabe werden folgende Pöste zu berechnen
sein:
1. Die Comtoir- und Schreibunkosten des Directors, von uns zu 200
LM. veranschlagt.
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2. Besoldung der Officianten:
a. der Hausvater 150

b. die Oeconomin 60

c. drei Aufseher, jeder 78

macht … 234
(Es sind hier nur die ersten Gagen veranschlagt, was die Erhöhungen
derselben betrifft, so wird für diese eintretenden höchst
erfreulichen Fälle auch leicht das Nöthige zu beschaffen sein).
Diese, wie früher erwähnt, von dem Director anzustellenden und
vorkommenden Falls sofort und sonst nach 8tägiger Kündigung zu
entlassenden Aufseher, erhalten Kost und Logis nebst einem
Dienstanzug jährlich von der Anstalt und werden im ersten Jahre mit
1 ½
wöchentlich besoldet; jedoch bei untadelhafter Aufführung
und nutzbringender Brauchbarkeit können dieselben nach 1, 3 und
6jähriger Dienstzeit eine Zulage von 10, 32 und 72
jährlich
beanspruchen, so daß sie im ersten Jahre 78
, im 2ten und 3ten
Jahre 88
, im 4ten, 5ten und 6ten Jahre 110
und nach
6jähriger Dienstzeit 150
Gehalt beziehen.
d. ein Lehrer für die oben erwähnten Bibelstunden etc. 80

e. Schulunterricht für die Kinder 40
3. Beköstigung und Bekleidung von 15 weiblichen und 45 männlichen
Alumnen durchschnittlich 35
p. Kopf
macht … 2100
der drei Aufseher für jeden 50
150
4. Feuerung, Erleuchtung und Heitzung 260

5. Arbeitsmaterial 150

6. Für Abgaben, Reparaturen, Apotheke und unbestimmte Ausgaben
zusammen
176

Die Einnahme würde dahingegen in dem Werth der Arbeit bestehen, den
wir im Durchschnitt für die weiblichen Alumnen zu 6
und für
die männlichen zu 10
p. Wochentag berechnen. In diesem
Anschlage sind die Wechselfälle mit berück-
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sichtigt und ist auch der Nebenverdienst
abgerechnet, da sonst das 12stündige Tagewerk ohne Zweifel höher zu
berechnen sein würde. Bei der Zwangsarbeitsanstalt in Altona wird es
zu 16
Courant angenommen.
Auf diese Weise glauben wir Consumtion und Production am richtigsten
einander gegenüberzustellen und insbesondere den Werth der letzteren
am sichersten zu bestimmen, weil sich für eine Arbeit an sich nach
ihrer Dauer ein Preis annehmen läßt, dagegen eine auf jeden Artikel
berechnete Einnahme, wegen der Ungewißheit des Absatzes und des
Verkaufspreises, auf einer unsichern Grundlage beruhen würde. Es
kann selbstverständlich jede Bilanz, in so weit sie auf einen
Anschlag sich bezieht und sich nicht auf Factoren gründet, die
bereits durch das Geschäft gegeben find, nur auf Wahrscheinlichkeit
Anspruch machen.
Wir gelangen nun zu folgendem Resultat:
I. Ausgabe.
1. Comptoir- und Schreibunkosten 200

2. Besoldungen 564

3. Beköstigung und Bekleidung inclusive der drei Aufseher 2250

4. Feuerung, Erleuchtung und Heizung 260

5. Einkauf der Rohstoffe und Arbeitsmaterial 150

6. Für Abgaben, Reparaturen, Apotheke und andere unbestimmte Abgaben
176

Summa der jährlichen Ausgaben 3600

4 % Zinsen von dieser Summe macht 144

3744

II. Einnahme.
1, Aus der Arbeit von 15 Weibern an den 6 Wochentagen à 6
585

Latus … 585

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… Transport 585

2. Aus der Arbeit von 45 Männern à Tag 10
2925

Summa der jährlichen Einnahme … 3510

Es kann zwar hiernach die Anstalt sich nicht selbst unterhalten,
sondern es wird ein jährlicher Zuschuß von durchschnittlich 234
erforderlich, welcher jedoch mit Rücksicht auf die
Verminderung der wenngleich hier im Lande nur freiwilligen
Armenlasten sich keineswegs als groß herausstellt.
Um nun die Sache von vorne herein in Operation setzen zu können,
schlagen wir vor das Herzogthum Lauenburg in 9 Commünen zu theilen,
nemlich: 4 Aemter, 3 Städte und 2 adelige Fuhrdistricte, und ein
jedes in das Arbeitshaus aufzunehmende Mitglied müßte unbedingt
einer dieser 9 Commünen angehören, was sich, ohne weitere Erörterung
abseiten der Anstalt daraus ergiebt, welche von diesen 9 Commünen
den Betreffenden.zur Aufnahme in die Anstalt geschickt hat. Eine
jede dieser 9 Commünen zahlt bei der Eröffnung der Anstalt ein für
allemal die Summe von 400
, wofür sie von der Anstalt 4 %
Zinsen p. a. genießt, und das von Ritter- und Landschaft dem Lande
geschenkte Grundstück, nemlich das Arbeitshaus nebst Landareal, zu
gleichen Theilen bei einer etwaigen Aufhebung dieses Instituts als
Deckung dieser 400
besitzt.
Ferner übernimmt jede dieser 9 Commünen die Verpflichtung zur
Existenz der Anstalt alljährlich einen Beitrag von 26
zu
liefern. Bei etwanig eintretender Gehaltserhöhung für brauchbare
Beamte, nach dem von uns vorgeschlagenen Maaßstabe, kann sich dieser
Beitrag um einige Thaler im Jahre vermehren; jedoch wäre eine
Zunahme dieser Vermehrung die Folge eines höchst günstigen
Resultates, denn mit guten Beamten muß die Anstalt selbst gute
erfreuliche Fortschritte machen, also eine solche Mehrausgabe nur im
Interesse des ganzen Landes höchst erwünscht
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1857/9 - 234
sein. Am Jahresschluß findet mit einer jeden
dieser 9 Commünen folgende Abrechnung statt:
Die Commüne N. N. hat im Laufe des verflossenen Jahres n Mitglieder
in der Anstalt verpflegen lassen. Diese n Mitglieder haben der
Anstalt in Allem gekostet x
, dieselben haben durch Arbeit
verdient y
, Beides specificirt nach den stattfindenden Taxen
angegeben; also hat die Commüne N. N.:
Ausgabe.
Den jährlichen Beitrag von 26

n Mitglieder zusammen x

Summa x + 26

Einnahme.
4 % Zinsen von 400
16

Arbeitsertrag für n Mitglieder y

nach Abzug des Ueberverdienstes
Summa y + 16

Also gut oder noch nachzuzahlen so viel:
Wenn nun auch in den ersten Jahren der Probe, in welchen so manche
praktische Erfahrungen gemacht werden müssen, deren Mehr- oder
Minderwerth unmöglich im Woraus zu detailliren ist, die Commünen
auch nach Verhältniß der Anzahl ihrer Alumnen vielleicht einige
Thaler mehr zuschießen müßten, so wird die Anstalt doch unter der
Leitung eines tüchtigen Directors sehr bald dahin gelangen, diese
Zuschüsse zu vermindern oder ganz zu verhindern und können wir darin
kein erhebliches Hinderniß gegen die Ausführbarkeit eines so
wohlthätigen Unternehmens erblicken.
Wie früher oben erwähnt, würde der Magistrat derjenigen Stadt, zu
welcher das Arbeitshaus als gehörend gerechnet wird, das
Rechnungswesen dergestalt zu übernehmen haben, daß bei demselben
sofort der erste Einschuß von 3600
deponirt würde
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und der Director durch monatliche Abrechnungen
über Consumtioir und Production die für den folgenden Monat zu
gebrauchende aproximative Summe als Vorschuß gegen Quittung von dem
betreffenden Magistrate ausbezahlt erhielt. Am Jahresschlusse wäre
dann die Hauptrechnung aufzumachen und zu veröffentlichen.
VIII. Hausordnung und Disciplin.
Der möglichst strengen Hausordnung muß die
pünktlichste und unbedingte Folgsamkeit erwiesen werden, und da die
Hausordnung zunächst von den Aufsehern gehandhabt wird, so ist ihren
Anweisungen ohne alle Ausnahme Folge zu leisten. Widerrede darf auf
keine Weise geduldet und diese Regel muß so strenge durchgeführt
werden, daß das Verhältniß der Alumnen zu den Aufsehern einer
militairischen Subordination gleich kommt. Der Alumne, welcher gegen
die Anweisung des Aufsehers murrt oder sich widersetzt, wird
augenblicklich aus dem Arbeitslokal entfernt und ist die nächste
Folge seines Benehmens der Verlust des Ueberverdienstes von dem
Tagewerk, vorbehältlich der sonst verwirkten Strafe. Jedes
ungebührliche Wort, jede Art von Widersetzlichkeit wird
unnachsichtlich bestraft, wenn nicht augenblicklich in Gegenwart der
Mitarbeiter Verzeihung erbeten und den Umständen nach gewährt wird.
Ein Hauptpunkt für die innere Einrichtung ist Ordnung und
Reinlichkeit, nicht nur aus Gründen der Gesundheit, sondern auch als
Hebel der geistigen Bildung. Jemehr der Mensch an ein ordentliches,
in allen seinen Theilen geregeltes Leben gewöhnt ist, desto seltener
wird er auf Abwege gerathen. In einer solchen Anstalt muß daher auch
in den kleinsten Dingen pedantisch auf Ordnung gehalten werden,
damit der schwache vielleicht nur abgestumpfte Ordnungssinn gestärkt
und neu belebt wird. Dasselbe gilt von der Reinlichkeit.
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Gehorsam, Ordnung und Reinlichkeit sind die
Grundpfeiler, aus denen der innere Organismus einer solchen Anstalt
ruhen muß, werden diese nicht unbedingt von dem die Anstalt
leitenden Personale als Selbstverständniß betrachtet, so ist nie ein
günstiges Resultat zu erwarten.
Die Arbeitszeit muß nach einer dem Gesundheitszustande angemessenen
Dauer bestimmt sein und dürfte, mit vielleicht wenigen Ausnahmen von
altersschwachen Alumnen und Kindern, nicht unter 12 Stunden täglich
anzusetzen sein. In den 5 Sommermonaten, vom 1sten Mai bis 30sten
September, wird Morgens 5 Uhr, in den übrigen 7 Monaten um 6 Uhr
geweckt. Das Lokal wird erwärmt und erleuchtet, die Zellen geöffnet
und ein Jeder hat sofort sein Bett zu machen, sich Gesicht und Hände
zu waschen, das Haar zu kämmen, (zum vollständigen Zelleninventar
würde außer oben genannten Gegenständen noch nebst Bettzeug und
Handtuch eine zinnerne Waschkumme, Kamm, Seife und eine Handeule
gehören,) das gebrauchte Waschwasser in den Unrathseimer zu gießen
und diesen mit dem Deckel wohl verschlossen ins Privet zu entleeren,
mit Wasser zu füllen und bis Abends im Hofe stehen zu lassen. Nach
einer halben Stunde wird gebetet und darauf das Frühstück verzehrt.
Um 6, im Winter um 7, beginnt die Arbeitszeit und dauert bis 12 Uhr.
Um 12 Uhr wird Mittag gehalten und bis 2 Uhr ist Freistunde. Von 2
bis 8 Arbeitszeit. Um 8 Uhr wird das Tagewerk wieder mit Gebet
geschlossen, das Abendbrod ausgegeben und um 9 Uhr geht ein Jeder in
seine Zelle und zu Bette.
An Sonn- und Festtagen wird eine Stunde später geweckt und außer dem
Vor- und Nachmittags stattfindenden Gottesdienst, 2 Stunden Morgens
und 2 Stunden Nachmittags Unterricht im Rechnen, Schreiben und Lesen
ertheilt, woran die Theilnahme freiwillig ist. Im Uebrigen findet an
den Tagen kein Arbeitszwang statt und es kann der Hausvater
Einzelnen, zum
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Lohn für ganz besonders gute Aufführung,
gestatten, Nachmittags zwischen 4-8 Uhr auszugehen, so wie auch zu
dieser Zeit Besuche von Angehörigen zu empfangen.
Um im Winter eine Stunde vor dem Aufstehen die Oefen zu heizen,
Morgens, Mittags und Abends das Essen aus der Küche zu holen, Abends
die zinnernen Waschkummen mit reinem Wasser zu füllen, die Lokale,
die Dielen etc. etc. zu reinigen, in Hof und Küche hülfreiche Hand
zu leisten, die Lampen zu reinigen und zu füllen u.s.w. u.s.w.
werden tourweise, wöchentlich oder monatlich, zwei von den
männlichen und eine der weiblichen Alumnen beordert.
Alternirend hat einer der drei Aufseher von Abends 8 Uhr bis zum
Anfange der Arbeitszeit den nächsten Morgen die Nachtwache. Derselbe
führt am nächsten Tage die Aufsicht über die männlichen Alumnen von
12 bis 2 und kann von dem Hausvater an dem Tage zu anderen
Geschäften aller Art beordert werden, ist aber den Tag nach der
Nachtwache von der Beaufsichtigung in den Arbeitsstunden dispensirt;
wohingegen die beiden anderen Aufseher stets in den Arbeitsstunden
zur Beaufsichtigung gegenwärtig sind. An Sonn- und Festtagen ist der
eine der drei Aufseher ganz frei, der zweite hat Vor- und
Nachmittags die Alumnen zur Kirche zu führen und verbleibt die
übrige Zeit des Tages zur Disposition des Hausvaters in der Anstalt.
Derselbe übernimmt alle 3 Wochen Nachmittags die Aufsicht über die
weiblichen Alumnen, wenn die Aufseherin von ihrem dann zugestandenen
Rechte auszugehen Gebrauch macht. Der dritte hat den eigentlichen
Dienst und hält sich den ganzen Tag hindurch bei den männlichen
Alumnen auf.
Für Vergehen jeder Art, insofern dieselben nicht in die Kategorie
der Verbrechen gehören, werden folgende Strafen angewandt:
- Verweis des Directors unter vier Augen.
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Einbuße des Überverdienstes auf kurze Zeit.
Oeffentlicher Verweis.
Verlust des Überverdienstes auf längere Zeit.
Einsame Zellenhaft bei gewöhnlicher Kost.
Einsame Zellenhaft bei Wasser und Brod.
Arrest in dunkler Zelle bei gewöhnlicher Kost.
Arrest in dunkler Zelle bei Wasser und Brod.
Körperliche Züchtigungen dürfen und sollen in der Regel gar nicht in
Anwendung kommen; allein wir wünschen sie dennoch nicht für absolut
unzulässig zu betrachten, da der Fall wohl vorkommen kann, daß ein
Alumne sich dermaaßen gebehrdet und widersetzlich zeigt, daß er nur
durch Zufügung eines schmerzhaften und empfindlichen Uebels
augenblicklich zu bändigen ist, und dann ist körperliche Züchtigung
ganz am rechten Orte. Sie muß daher als nothwendiges
Disciplinarmittel zur Bezwingung der Störrigkeit dem Director
zugestanden werden, der sie nur in den geeigneten exceptionellen
Fällen zur Anwendung zu bringen hat.
Entweichungen aus der Anstalt werden dadurch bestraft, daß der
Entwichene wieder zurückgeliefert, der bisherige Aufenthalt ihm
nicht angerechnet wird und daß er sein Guthaben an Ueberverdienst
verliert.
Schließlich wäre es hier vielleicht nicht am unrechten Orte, als
nahe verwandt mit der Hausordnung etc. etwas Specielleres über die
obenerwähnte Haustracht anzuführen.
Dieselbe soll, wenn auch gleich für Alle, doch nichts Besonderes ins
Auge fallendes haben, sondern einfach, dauerhaft und zweckmäßig
sein. Der Anzug der männlichen Alumnen besteht aus:
Einer Jacke von wollenem Zeuge mit Leinewand gefuttert, einer
leinenen Jacke, einer Weste aus einer ausgeschossenen wollenen
Jacke, einem Paar leinenen Hosen, einem Paar leinenen Unterhosen ans
ausgeschossenen Oberhosen, einem Halstuch, einem
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leinenen Hemd, einem Paar wollenen Socken, einem
Paar lederne» Pantoffeln, einem Paar Schuhen, einer Mütze und, wer
dessen, bedarf, einer Leibbinde aus leichtem Wollenzeuge. Der
weiblichen aus:
Einer Jacke, ähnlich wie die der Männer, einem Beierwands-Rock,
einem Unterrock mit Kamisol von ausgeschossenen Röcken oder
Bettdecken, einem leinenen Hemd, einem Halstuch, einer weißleinenen
und einer buntleinenen Schurze, einem Paar wollenen Strümpfen, einem
Paar ledernen Pantoffeln, einem Paar Schuhen, einer Mütze von
Kattun, einem Strohhut bei der Feldarbeit und gleichfalls, wenn
erforderlich, einer Leibbinde.
Alte, schwache Alumnen, werden selbstverständlich nach Maaßgabe der
Nothwendigkeit wärmer gekleidet.
Die Wäsche wird, wie die Strümpfe, im Ganzen alle Woche und im
Einzelnen so oft gewechselt, als die Ordnung und Reinlichkeit es
erfordert.
Instructionen.
A. Für den Hausvater.
Dem Hausvater der Anstalt liegt es ob:
Das gute Gedeihen der Anstalt im Allgemeinen durch die genaueste und
gewissenhafteste Erfüllung seiner Pflichten im Speciellen zu
fördern. Er ist des Directors rechte Hand, indem er im Innern der
Anstalt alle Anordnungen desselben in Vollziehung zu bringen hat. Er
ist der unmittelbare Wächter über die Hausordnung und ist für jede
Ordnungswidrigkeit, die sich einschleichen möchte, verantwortlich,
muß erhalten und sparen und mit dem Eigenthum der Anstalt wie ein
guter, besonnener Wirth mit dem Seinigen umgehen würde, schalten und
walten. Er hat stets Sorge zu tragen für heile und reinliche
Bekleidung und Lagerung der Alumnen, für die Reinlichkeit auch in
allen Theilen der
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Anstalt, für frische, gesunde Luft, ausreichende
und doch nicht überflüssige Heizung, angemessene Beleuchtung,
Abwendung der Feuersgefahr, Entdeckung von ansteckenden Krankheiten
und Ungeziefer; und alle ihm nachgeordneten Dienstleute, die er in
der Hausordnung zu unterweisen hat, dahin zu gewöhnen, daß sie ihm
von allem Bemerkenswerthen zu weiterer Veranlassung sofort Meldung
abstatten.
Der Hausvater hat die Alumnen freundlich, wohlwollend und liebevoll
zu behandeln, zum Fleiß und zur Ordnung anzuhalten und über die von
Jedem täglich zu verrichtenden Arbeiten zu bestimmen. Dabei ist vor
allen Dingen das Bedürfniß der Anstalt selbst, und erst wenn dies
geschehen, sind die auf Arbeitsverrichtungen eingegangenen
Bestellungen zu berücksichtigen. Die Bestimmungen darüber, welche
Arbeiten in der Anstalt unternommen werden sollen, werden von dem
Director getroffen, wohingegen es die Pflicht des Hausvaters ist,
den Director darauf aufmerksam zu machen, was nothwendig oder
zweckmäßig vorzunehmen wäre, ehe dieser seine definitive Bestimmung
trifft. Der Hausvater führt ein Diarium, worin Alles die Anstalt
Betreffende notirt wird. Ab- und Zugang, Strafen und Belohnungen,
die Kranken und die wieder Genesenen, Einkauf und Verkauf etc. etc.;
ferner was gearbeitet worden, was sich Ungewöhnliches zugetragen,
welche Bemerkungen er über Einzelne zu machen hat, kurz mit einem
Worte Alles, was zu einer guten Haushaltung nothwendig und zu einer
guten, gerechten Leitung und Beurtheilung wünschenswerth ist. Nach
diesem Diarium werden den nächsten Tag, wenn der Director in seinem
Comptoir ist, alle die speciellen Branchen betreffenden Bücher
geführt, wobei der Hausvater hilft und erläutert. Die Rohstoffe zum
Verarbeiten hat er unter Schloß und Riegel, und ist für deren
zweckmäßige Anwendung verantwortlich. Gleichfalls hat er täglich der
Oekonomin von den in größerer Quantität vorhan-
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denen Lebensmitteln, wie Kartoffeln, Mehl, Erbsen,
Bohnen etc. das Erforderliche zuzumessen. Für den kleineren
täglichen Bedarf giebt er der Oekonomin sogenanntes Hausstandsgeld
und hält jeden Dienstag und Freitag Abend Abrechnung mit ihr, wobei
sie jeden verausgabten Schilling durch ihr richtig geführtes
Hausstandsbuch zu belegen hat. Jeden Sonnabend empfängt er von dem
Director die nöthige Summe für laufende Ausgaben aller Art und hat
demselben eine genaue Rechnung für die in der vergangenen Woche
verbrauchte Summe abzulegen, was dann auch sofort in die die
verschiedenen Contis betreffenden Bücher einzutragen ist.
B. Für die Aufseher.
Sie haben den Anordnungen des Hausvaters in allen Stücken Folge zu
leisten. Die ihnen übertragenen Geschäfte müssen sie mit Fleiß und
Sorgsamkeit ausführen und sich stets treu und nüchtern beweisen. Bei
der Beaufsichtigung in den Arbeitsstunden sollen sie darauf achten,
daß die Alumnen ihre Arbeit fleißig und gut verrichten und sich
sonst ruhig, ordentlich und anständig betragen. Die Aufseher sind
verpflichtet, ein jedes noch so geringe Vergehen der Alumnen dem
Hausvater anzuzeigen, und wenn es ihnen auch zusteht, in ruhigem,
ernsten Tone Verweise zu ertheilen, zur Ordnung und zum Fleiße
aufzufordern und zu ermuntern, so darf dies doch nie in rohes,
brutales Schimpfen ausarten, so wie es ihnen auch keinenfalls
erlaubt ist, Jemanden zu schlagen. Die Aufseher sind verpflichtet,
die Alumnen milde und ordentlich zu behandeln. Sie dürfen den Einen
nicht vor dem Anderen zurücksetzen und Abneigung gegen Einzelne
nicht kund geben. Andererseits müssen sie sich auch aller
Vertraulichkeit enthalten und nie vergessen, daß sie Vorgesetzte
sind.
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Der Wachehabende hat Nachts darauf zu achten, daß
die Alumnen sich ruhig verhalten und einander durch Sprechen,
Schreien und sonstigen Unfug im Schlafe nicht stören.
Der jährlich von der Anstalt den Aufsehern zu liefernde Dienstanzug
besteht aus einem dunkelblauen Rock mit aufstehendem mittelblauen
Kragen und Aermelaufschlägen, zwei Reihen flachen Messingknöpfen,
dunkelgrauen Tuchhosen und dunkelblauer Tuchmütze mit mittelblauer
Kante und ledernem Schirm. Dieser Anzug wird stets getragen, wenn
sie sich im Dienst befinden, doch steht es ihnen frei, beliebig an
ihren Freitagen in eigenen Civilkleidern zu gehen. Ueber ihre Kost
wird mit der Oekonomin ein separater Accord abgeschlossen, der sich
aber nur auf eine Verbesserung der gewöhnlichen täglichen Kost der
Alumnen beschränkt.
Die Aufseher dürfen ohne Erlaubniß des Hausvaters nicht ausgehen und
Nachts in keinem Falle ausbleiben oder die Anstalt verlassen.
C. Für die Oekonomin.
Die Oekonomin, die zugleich als Aufseherin der weiblichen Alumnen
fungirt, hat dieselben in allen Arbeiten nach der Bestimmung des
Directors oder in dessen Stelle des Hausvaters zu unterrichten und
wird namentlich des Vormittags, wenn sie in der Küche anwesend sein
muß, vom Hausvater oder dem Aufseher, der die Nachtwache gehabt, in
der nothwendigen Aufsicht in den Arbeitsstunden unterstützt. Sie hat
darauf zu halten, daß die weiblichen Alumnen sich stets reinlich
halten und die erforderlichen Ausbesserungen ihrer Kleider
rechtzeitig vornehmen, so wie auch das Baden und Wechseln der Wäsche
derselben genau zu controlliren. Sie führt das Regiment in der Küche
und erhält die dazu erforderliche Hülfe weiblicher Alumnen nach der
Bestimmung des Hausvaters. Gleichfalls beaufsichtigt sie das
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Waschen des Leinen- und Wollenzeugs der Anstalt,
Selbstverständlich liegen ihr dieselben Pflichten, rücksichtlich der
Behandlung der weiblichen Alumnen ob, als dem Aufseher gegen die
männlichen.
Sollte der Hausvater mit einer tüchtigen, verständigen Frau
verheiratet sein, so würde das Verhältniß der Oekonomin zu dieser
sich gestalten wie das einer Haushälterin zu der Hausfrau; sie würde
dann für die eigentliche Beaufsichtigung der weiblichen Alumnen mehr
Zeit gewinnen, müßte aber nach unserem Principe, was die Beköstigung
betrifft, stets nur allein verantwortlich bleiben und alle dazu
gehörenden Ausgaben hätte sie nur vor dem Hausvater und nicht vor
dessen Frau zu verantworten.
D. Für die Alumnen.
Jeder, der in die Anstalt aufgenommen wird, wird zuvörderst in einem
Bade vollkommen gereinigt und mit dem Zeuge der Anstalt bekleidet.
Darauf wird über seinen Namen, Alter und seine sonstigen
persönlichen Verhältnisse etc. eine Notiz in das Hausbuch
eingetragen, zu der auch die ferneren Bemerkungen über alles ihn
Betreffende später hinzugefügt werden, was bei der Entlassung das
Material zu dem oben von uns vorgeschlagenen Zeugniß giebt. Aus dem
Begleitungsschreiben der Commüne ergiebt es sich, ob Zuflucht oder
mehr Besserung das Motiv derselben zum Hinschicken gewesen, und
hiernach bestimmt der Director, ob der Ankömmling sofort in
Gemeinschaft mit den Uebrigen, oder erst einige Tage in
arbeitsloser Einzelhaft verbleiben soll, um den Beschäftigungstrieb
zu wecken und anzuregen. Demnächst wird er bei einer seinen Kräften
und Leistungen angemessenen Arbeit angestellt; er muß sich willig
zeigen, die ihm angewiesene Arbeit zu verrichten, und wenn er sie
noch nicht kann, zu lernen.
Für die Arbeit erhalten die Alumnen Kost, Obdach und
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Kleidung. Dies müssen sie erst als eine Wohlthat
erkennen lernen und erst später, nach 4 Wochen oder längerer Zeit,
jedenfalls nicht eher, als bis die Arbeit selbst es verdient, wird
ihnen der obenerwähnte sechste Theil des Arbeitslohnes als
Ueberverdienst zugestanden, mit steter Hinweisung, diesen
Selbsterwerb sofort wieder durch Nichtbefolgung der ihnen
obliegenden Pflichten zu verlieren. Ein Jeder, der durch Arbeit
seinen Unterhalt in der Anstalt nicht verdient, bleibt seiner
Commüne für den von ihr zu leistenden Zuschuß verpflichtet.
Wer zum ersten Male in der Anstalt aufgenommen wird, soll in der
Regel, wenn der Zweck der Anstalt an ihm erfüllt ist, nach einem
Jahre wieder entlassen werden. Nach der zweiten und etwanigen
dritten Aufnahme desselben Individuums erfolgt die Entlassung auch
erst nach zwei und mindestens drei Jahren. Wenn auch die Direction
ein Individuum der Entlassung würdig befindet, selbst aber nicht
vermag demselben eine Brodstelle zu verschaffen, so soll dasselbe
jedenfalls in der Anstalt verbleiben, bis der Nachweis geliefert,
daß es auf irgend welche Weise sein Brod sich selbst zu verdienen im
Stande ist.
Nächst diesen allgemeinen einem jeden Ankömmling genau zu
erklärenden Bestimmungen, werden nachfolgende Punkte, die innere
Hausordnung hauptsächlich betreffend, zur genauen Nachachtung
eingeschärft und in jedem Arbeitssaale angeschlagen.
1. Jeder Alumne muß, wenn des Morgens der wachehabende Aufseher
geweckt hat, sein Lager verlassen, sich waschen und kämmen und sein
Bett machen. Darauf fegt er seine Zelle mit einer zum Zelleninventar
gehörenden Handeule, wirft den Kehricht in den Unrathseimer, gießt
das gebrauchte Waschwasser auch da hinein und trägt den Eimer in den
die Privets umgebenden Hofraum, entleert ihn daselbst, füllt ihn mit
reinem Wasser aus einer zu diesem Zwecke
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dort hingestellten, Nachmittags mit Wasser zu
füllenden, Tonne, und läßt den Eimer bis Abends da stehen.
2. Eine halbe Stunde nach dem Aufstehen begiebt ein Jeder sich auf
seinen Platz am großen Eßtisch, darauf läßt der Aufseher beten und
dann wird das Frühstück vertheilt.
3. Keiner wird beim Namen genannt, sondern die Zellennummer, womit
alles von ihm speciell zu Gebrauchende bezeichnet ist, ist auch
während seines Aufenthalts in der Anstalt sein Name und bezeichnet
seinen Platz am Eßtische.
4. Abermals nach Verlauf einer halben Stunde fängt die Arbeit an und
während der Zeit sind alle Gespräche untersagt und gegenseitige
Mitteilungen dürfen sich nur auf die Arbeit selbst oder das dazu
erforderliche Werkzeug beziehen.
5. In der Arbeitszeit, Vor- und Nachmittags, wird eine viertel
Stunde Pause gehalten und sind die Alumnen mit Strenge daran zu
gewöhnen, diese und andere passende Zeiten zur Verrichtung ihrer
natürlichen Bedürfnisse zu gebrauchen, da das ewige Hin- und
Herrennen nach den Privets in der Arbeitszeit viel Störung und
Mißbräuche veranlaßt, es daher auch nur ausnahmsweise und in
Krankheitsfällen zu gestatten ist.
6. Um 12 Uhr wird zu Mittag gegessen und die übrige Zeit der
Freistunden bis 2 Uhr, soll, insofern das Wetter nicht gar zu
ungünstig ist, zur Bewegung in freier Luft in einem dazu
angewiesenen Theil des Gartens benutzt werden. Ueberhaupt soll diese
Zeit, unter der Beachtung der allgemeinen Regeln und eines
anständigen Betragens, so weit wie thunlich, für die Alumnen eine
wahre Freistunde sein.
7. Nach vollbrachter Arbeit, Nachmittags von 2 bis 8, wird um 8 Uhr
wieder gebetet oder es werden einige Verse aus dem Gesangbuche
gesungen, darauf das Abendbrod
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verzehrt. Um 8 1/2 Uhr dürfen, spätestens 9 Uhr
sollen sich Alle in die Schlafzelle begeben, nachdem sie zuvor ihre
Nachteimer aus dem Hofe geholt.
8. Auf Reinlichkeit und Ordnung wird mit aller Strenge gehalten und
jede Unreinlichkeit am Körper, wie an der Bekleidung, jede
Verunreinigung der Betten, Zellen, Zimmer und Privets nachdrücklich
bestraft.
9. Den Aufsehern ist unbedingter Gehorsam zu leisten, etwanige
Beschwerden über diese oder aus anderen Gründen, sind mit
geziemender Bescheidenheit dem Hausvater vorzutragen, welcher
innerhalb seiner Befugniß darüber entscheiden oder die Sache dem
Director anzeigen wird.
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Somit hoffen wir, ohne etwas Wesentliches ganz unberücksichtigt
gelassen zu haben, unsere Aufgabe wenigstens gelöst zu haben. Das
Wie? bleibt ja stets der vielzüngigen Kritik anheim gestellt und
sind wir auf manchen gerechten Tadel gefaßt, da auch wir uns die
Sache leichter gedacht, als sie ist und uns oft sagen mußten, daß
doch alle Theorie nicht ausreicht, um etwas recht praktisch
darzustellen. Wir wollen übrigens mit dem Wunsche schließen, daß
Diejenigen, von denen es jetzt abhängt, ein so wohlthätiges und
notwendiges Institut ins Leben zu rufen, auch etwas von dem guten
Willen besitzen, durch die That zu nützen, als das Vorhandensein
desselben bei uns das Streben erweckt hat, ihn durch das Wort kund
zu geben.
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