Vaterländisches Archiv
für das Herzogthum Lauenburg

Erster Band.
Ratzeburg. Verlag der Buchhandlung von H. Linsen. 1857
 


 

VIII.

[
Die Gliederung der Schule in ihrer Zuwendung auf das Herzogthum Lauenburg.]

[Vom Herrn Rector Bobertag in Ratzeburg.]

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(Fortsetzung.)
 

Im ersten Hefte dieser Zeitschrift ist versucht worden, die allgemein übliche Gliederung der Schulen in ELEMENTARE und HÖHERE aus dem Begriffe des Berufes und aus der Art abzuleiten, wie dieser Beruf sich bei einzelnen Individuen faktisch gestaltet. Es ist gezeigt worden, wie ungeachtet gemeinsamer elementarer Grundlage sich dennoch ein thatsächlicher Unterschied zwischen den Stadt- und Landschulen herausstellt, und endlich ist in ganz allgemeinen Umrissen der Bildungsmittel der höheren Schulen gedacht worden. Auf die Gliederung der höheren Schulen, namentlich der Gymnasien in einzelne Klassen näher einzugeben, schien überflüssig, da dieselbe theils allgemein feststeht und bekannt ist, theils Fälle des Abweichens von dem Allgemeinen aus lokalen und.temporären, also ganz speciellen Gesichtspunkten zu beurtheilen sind. Ohne daß absichtlich bei dieser oben erwähnten Gliederung an die lauenburgischen Schulverhältnisse angeknüpft worden wäre, hat sich doch die in Lauenburg Statt findende, weil eben naturgemäß entstandene, Gliederung der Schule ergeben. Lauenburg hat 1. eine höhere Schule an seiner Gelehrtenschule zu Ratzeburg,


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2. drei Stadtschulen - zu Ratzeburg, Möllen und Lauenburg - und 3. gegen 100 Landschulen, welche noch dazu alle durch eine gemeinsame Oberschulbehörde, das Königliche Consistorium zu Ratzeburg, äußerlich zu einem Ganzen verbunden sind. Günstige Verhältnisse, von denen viel Gutes zu erwarten wäre. Dennoch ist es zu bedauern, daß diese günstigen Verhältnisse dem Lande nicht den Segen bringen, der mit Recht gefordert werden muß. Oder erscheint diese Behauptung zu stark gegenüber der bei den Soldaten des aus Holsteinern und Lauenburgern zusammengesetzten 14ten Infanterie-Bataillons gemachten Wahrnehmung, daß die Lauenburger im Durchschnitt gegen die Holsteiner an Bildung zurückstehen? oder gegen die Wahrnehmung, daß die meisten Knaben vom Lande, deren Eltern wohl die Mittel haben, auch ihren Kindern das Opfer bringen wollen, sie nach Ratzeburg auf die Gelehrtenschule zu schicken, nicht so weit kommen, um für Quinta reif zu sein? Entweder können sie nicht genug, oder wenn dieses, so sind sie zu alt. Ja, wenn überhaupt die Gelehrtenschule zu Ratzeburg, die doch ein Landesinstitut ist, noch viel zu wenig von den Landeskindern benutzt wird. Es sind dieses Tatsachen, die jedenfalls den Ausspruch rechtfertigen, Lauenburgs Jugend hat von den Schulen des Landes nicht den erwünschten Nutzen. Im Folgenden sollen einige Ursachen dieser Erscheinung angeführt, zugleich Ansichten über Beseitigung der Hemmnisse ausgesprochen werden.

Unter allen Hemmnissen ist wohl das Bedeutendste daher auch zuerst zu erwähnende die Mangelhaftigkeit der Elementarbildung. Im § 18 der Instruction für die Lehrer der Gelehrtenschule zu Ratzeburg heißt es: „in die unterste Classe ist kein Schüler aufzunehmen, welcher nicht wenigstens richtig liest, einiger Maaßen geläufig und orthographisch schreibt, und im Rechnen, so wie in der biblischen Geschichte einen guten Anfang gemacht hat." Die Unbestimmtheit des „guten Anfangs" ist für

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die biblische Geschichte durch Beschränkung derselben auf die Haupterzählungen und für das Rechnen durch die Forderung der vier Species mit ganzen unbenannten Zahlen zu Folge-Conferenzbeschlusses der Lehrer ausgeglichen. Wer diese Forderungen ansieht, wird fürwahr dieselben nicht zu hoch finden, und sicher doch mit uns die Möglichkeit annehmen, daß ein mit 6 Jahren schulpflichtiger Knabe ihnen mit 10 Jahren nachkommen kann. Zehn Jahre nehmen wir durchgehends als das Alter an, in welchem ein Knabe in Quinta eintreten soll. Genügen die Knaben dieser Forderung? Meist nicht, sondern die wenigsten kommen mit zehn Jahren zur Aufnahme, und oft müssen zwölf bis vierzehnjährige Knaben abgewiesen werden, weil sie weder lesen noch schreiben können, des Rechnens nicht zu gedenken, womit es überhaupt immer am schwächsten bestellt ist. Fragt man nun, woher das kommt, so ist fast immer die Antwort, daß der bisherige Unterricht nicht getaugt habe, die Schule entweder mangelhaft eingerichtet war, oder gar der Lehrer nicht so gewesen sei, als er wohl hätte sein müssen.

Es mag vielleicht wahr sein, daß ein großer Theil der Elementarlehrer wegen mangelhafter Vorbildung nicht im Stande ist, eine Schule auf einem auch nur einiger Maaßen guten Stande zu halten, und würde mit aller Kraft darauf zu dringen sein, daß die Behörde für Abstellung dieses Uebelstandes Sorge trüge; doch ist gerade die Behörde bemüht, diese Uebelstände zu heben. Aber ihre Bemühungen scheitern an dem leidigen Geldpunkte. Wie nämlich in allen Verhältnissen nur gegen angemessenen Lohn gute Arbeiter zu erhalten sind, so ist auch rücksichtlich der Elementarlehrer nur dann Gutes zu verlangen, wenn sie auch nur einiger Maaßen anständig honorirt sind. So lange aber die meisten Schulstellen der Art dotirt sind, daß ihre Inhaber den drückendsten Nahrungssorgen Preis gegeben sind, wenn sie nicht ein anderes Nebengeschäft - dieses wird freilich als das renta-


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belste das Hauptgeschäft - treiben, so lange ist auch den Lehrern nichts vorzuwerfen, wenn sie in der Schule nicht das sind, was sie sein müßten. Der Vorwurf trifft vielmehr die, welche die Mittel zur Subsistenz der Lehrer herbeizuschaffen haben; und oft auch diese nicht ein Mal, sondern häufig walten Umstände und Verhältnisse ob, die sich mit gebieterischer Macht auch den am besten gemeinten Bestrebungen entgegen stellen. Dennoch bleibt fest stehen, daß man erst die nöthigen Mittel zur Verbesserung der Elementarlehrerstellen beschaffen muß, bevor man bedeutendere Ansprüche an die Leistungen der Lehrer machen darf.

Doch die Geringfügigkeit der Gehalte ist auch nicht allein die Ursache; denn sonst müßten die von der Aufnahme in die Gelehrtenschule Zurückgewiesenen vorzugsweise aus den kleineren Schulen mit schlechtem Gehalte der Lehrer gekommen sein. Das sind sie aber nicht, sondern aus den größeren, ja sogar Stadtschulen werden oft die Knaben entweder unreif oder zu alt für Quinta geliefert, ja aus Schulen, an denen anerkannt tüchtige Leute unterrichten. Traurig wäre es, hier Stumpfheit sämmtlicher Kinder anzunehmen; die Ursache liegt hier vielmehr weder in dem Lehrer noch in den Lernenden, sondern in einem Mangel in der Schuleinrichtung. Man fordert nämlich von dem Elementarlehrer nach meinem Ermessen Unmögliches, indem man von ihm verlangt, er solle eine große Zahl - oft hundert und darüber - von Kindern, welche noch dazu auf einer sehr ungleichen Alters- und Bildungsstufe stehen - eben schulpflichtige und der Confirmation nahe - zu gleicher Zeit gedeihlich unterrichten. Diese Forderung stellt man nicht bloß etwa in entlegenen kleinen Landschulen, sondern auch mehrklassigen in Stadtschulen, deren Klassen weit entfernt davon, Glieder eines gemeinsamen Organismus zu sein, eben so viele von einander unabhängige Schulen zu sein scheinen, als Klassen vorhanden sind. Es ist noch nicht lange her, daß dieses

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auf die Ratzeburger Stadtschule volle Anwendung fand, Dieselbe besteht aus einer Kantorklasse (für Knaben), der Mädchenoberklasse und zwei andern Schulklassen (Elementarklassen), wozu noch die selbstständige Armenschule kommt. Wenn nun auch die eine Elementarklasse für die Kantorklasse, die andere für die Mädchenoberklasse vorbereitete, so bleiben doch noch immer viel zu viel Kinder demselben Lehrer gleichzeitig überlassen, und eine nothwendige Folge davon, daß noch immer aus den Elementarklassen schwächere Kinder confirmirt werden; also die getadelte Ungleichmäßigkeit. In Möllen ist die Organisation günstiger, indem hier zwar auch nur zwei Elementarklassen sind, aber die Mädchenschule aus drei, die Knabenvolksschule aus zwei einander subordinirten Klassen besteht, der beiden Abtheilungen der Rectorklassen nicht zu gedenken, welche in Ratzeburg wegen der daselbst befindlichen Gelehrtenschule nicht erforderlich sind. Ungeachtet dieser günstigeren Verhältnisse zählt doch in Möllen die 1ste Elementarklasse 74, die 2te 84 Kinder, Zahlen, die hinlänglich dafür sprechen, daß den Lehrern noch eine große Arbeit aufgeladen ist. Und wiederum ist die Arbeit gering gegen das, was in Ratzeburg einem Lehrer zugemuthet wird. Bei drei oder vier auf einander folgenden Klassen, und der Schulbesuchszeit von 8 Jahren - vom 6ten bis 14ten Jahre - sind zweijährige Klassencurse festzuhalten, während in Ratzeburg diese vierjährig sein müssen. Diese Zeit würde schon bedeutend abgekürzt, und der Standpunkt der Kinder einer Klasse gleichmäßiger, wenn die beiden für die Oberklassen vorbereitenden Klassen an Statt einander coordinirt zu sein, einander subordinirt wären. Eine Verminderung der Zahl der Kinder, die ein Lehrer gleichzeitig zu unterrichten hat, erwächst aus dieser Einrichtung nicht, wohl aber eine größere Gleichartigkeit der Kinder derselben Abtheilung. Reichten die Mittel aus, so würde eine Trennung der Kinder

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nach dem Geschlechte auf diesen vorbereitenden Stufen jedenfalls erwünscht sein.

Noch weit weniger gegliedert sind die Landschulen, namentlich die mit einem einzigen Lehrer. Hier erscheinen sämmtliche Kinder gleichzeitig des Morgens und werden dann in drei Vormittags- und drei Nachmittagsstunden beschäftigt. Natürlich hat hier die Ungleichartigkeit der Kinder den höchsten Standpunkt erreicht. Der größte Theil der Kinder wird oft nicht vom Lehrer selbst beschäftigt, sondern der sogenannten Selbstbeschäftigung überlassen, die um so unfruchtbarer ist und um so leichter in träumerisches Dasitzen ausartet, je niedriger der Standpunkt der Kinder ist. Zur Aushülfe läßt man wohl diese Selbstbeschäftigung von fähigeren, größeren Kindern beaufsichtigen, entzieht aber natürlich dadurch diese dem Unterricht des Lehrers. Günstiger ist der Fall, wo dem Lehrer ein Gehülfe zur Seite steht; ist aber nur ein Schullokal vorhanden, so stört wieder dieser Doppelunterricht in demselben Lokale. Sollte nicht eine geringere Stundenzahl, in welcher die Kinder fest und ernst und ungestört von dem Lehrer beschäftigt wären, vortheilhafter sein? Ich glaube das nicht nur, sondern kann eine Erfahrung für meine Ansicht anführen. Die mir bekannte Schule des Kirchdorfes L., zu welcher außer L. noch zwei andere Dörfer gehören, wird von ca. 200 Kindern besucht. An derselben unterrichten zwei Lehrer. Die Schule ist in die sogenannte große und kleine Schule getheilt, so daß diese die Kinder von 6 bis 10, jene von 10 bis 14 Jahren umfaßt. Jede dieser beiden Abtheilungen zerfällt wieder in 2 Klassen. Die Klassen I und II, die großen Schüler werden im Winter von 8 bis 12 resp. auch 11 Uhr, die Klassen III und IV von 11 resp.12 bis 2 Uhr unterrichtet; im Sommer beginnt die Schule schon um 6 Uhr und dauert bis 12 Uhr. Da nun selbstverständlich zwei Schulstuben zu Gebote stehen, so kann sich jeder Klasse der darin unterrichtende Lehrer ganz hin-

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geben. Aus Klasse I werden die Kinder confirmirt, und nur ausnahmsweise einzelne aus der 2ten Klasse, was jedoch stets als eine Art Schimpf gilt. Diese Einrichtung stieß Anfangs auf manche Schwierigkeiten, da sie auch Folgendes gegen sich hat: 1) die Kinder haben eine geringere Zahl von Unterrichtsstunden; 2) die kleineren entlegen, namentlich nicht im Schuldorfe wohnenden Kinder müssen den Schulweg ohne Begleitung der größeren machen, was vorzugsweise im Winter bedenklich erscheinen mag; 3) die Lehrer müssen 6 Stunden nach einander unterrichten, eine allerdings saure Arbeit. Dagegen bietet sie die Vortheile, daß 1) gleichzeitig weniger und nur gleichartige Kinder von demselben Lehrer unterrichtet werden, wodurch 2) die Arbeit des Lehrers sehr vermindert wird; 3) können die Schullokalitäten kleiner, daher minder kostspielig sein, und 4) werden unbemittelte Eltern mit zahlreicher Familie selten, oder doch nur auf kurze Zeit alle ihre zum Brodterwerb oft nöthigen Kinder entbehren müssen. Im Ganzen erwies sich die Einrichtung als zweckmäßig, und wurde in Nachbargemeinden nachgeahmt. Zu bemerken ist noch, daß die Schule niemals ganz ausgesetzt wurde; denn auch in der dringendsten Erndtezeit ward der Unterricht, wenn auch mit ermäßigter Stundenzahl (d. h. die großen Schulkinder haben 4 bis 6 Wochen lang, je nach der Dauer der Erndte nur zwei Stunden täglich), fortgesetzt. Wo und wie weit diese Einrichtung empfehlens- und nachahmungswerth sein mag, muß nach lokalen Umständen ermessen werden.

Bevor man jedoch an irgend welche andere Verbesserung der Schulen ernstlich denken kann, ist darauf Bedacht zu nehmen, die Lehrerstellen zu verbessern, um tüchtige Leute als Lehrer fordern zu können. Man sollte meinen, daß dieß unschwer sei, aber die Frage „woher das Geld nehmen?" ist nicht so leicht zu beantworten. Es mag immerhin wahr sein, daß eine Schulsteuer, welche auf den Grundbesitz vertheilt wird, ohne die Grundbesitzer


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wesentlich zu drücken, völlig genügen würde. Dagegen ist jede permanente Steuer eine nach Verhältniß ihrer Größe mehr oder weniger bedeutende Entwerthung des Grundbesitzes. Eine kopfweise Vertheilung, so nahe sie liegen mag, da die Zahl der Schulkinder sich nach der Kopfzahl richtet, würde die Unbemittelten zu hart drücken, und von den Bemittelteren im Verhältniß zur Wichtigkeit der Sache zu geringe Opfer fordern. Wie oft hört man wiederholen: „Wenn es nur gilt, eine Eisenbahn oder Chaussee oder dergleichen anzulegen, so ist das Geld bald beschafft, für Kirchen und Schulen, überhaupt für geistige Interessen ist nie Geld da." Bei näherer Betrachtung ist die Sache sehr richtig und einfach zu erklären; denn bei Anlagen für die Verbesserung des materiellen Lebens ist die Rechnung einfach. Man calkulirt so: Jetzt ist die Ausgabe so groß; nach Vollendung der Anlage so groß, mithin im letzteren Falle eine Minderausgabe von so und so viel, also klarer Gewinn; - oder jetzt ist der Gewinn so und so viel, nachher so und so viel größer, oder wenn dieß nicht, so ist die Bilance Null, zugleich aber eine große Annehmlichkeit beschafft. Kurz es stehen hier stets ein Einnahme- und ein Ausgabeposten, die sich numerisch begründen lassen, einander gegenüber. Anders bei Anlagen und Ausgaben für die Förderung geistiger Interessen. Hier liegt ein materieller Einnahmeposten in der Regel gar nicht vor, und der Gewinn, rein geistiger Art ist für viele, die die materiellen Ausgaben machen sollen, gleich Null. Wäre es möglich eine derartige Rechnung anzustellen: wenn der Volksschullehrer sorgenfrei dasteht, so lernen die Kinder so und so viel mehr, und werden befähigt, so und so viel mehr dermaleinst zu verdienen, auch kommen sie so und so viel schneller so weit, sich ihren Unterhalt zu verdienen, und könnte man das Alles genau nach Geldwerth angeben, so wäre es wohl möglich, eine Aktiengesellschaft zu gründen, oder eine Anleihe zu beschaffen, die allmählig amortisirt werden könnte. So aber

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treten sich nur Ausgabe auf der einen und gar kein, oder doch kein unmittelbarer, materieller Gewinn auf der andern Seite gegenüber, und die Bereitwilligkeit, geistigen Interessen, hier ins Besondere das Volksschulwesen zu fördern, hängt daher lediglich von der Werthschätzung dieser Interessen von Seiten derer ab, welche die materiellen Mittel in den Händen haben. Es ist nun keinem Zweifel unterworfen, daß diese Werthschätzung um so größer ausfällt, je höher der Bildungsgrad der Abschätzenden ist.

Um nun zu ermessen, wie groß die Ausgabe für das Elementarschulwesen sein muß, gehen wir von der jetzt vorhandenen Zahl der Schulen und der für dieselben nöthigen Lehrer aus. In Lauenburg sind gegenwärtig 101 Landschulen, wozu noch die Stadtschulen in Ratzeburg mit 5, in Möllen mit 8, in Lauenburg mit 4 Lehrern kommen. Es sind also im Ganzen 118 Hauptlehrer nöthig. Dazu mögen noch höchstens circa 40 Adjunkten, Unterlehrer und Präparanden kommen. Wenn wir nun rechnen, daß im Durchschnitt jeder Hauptlehrer mit den Naturallieferungen an Dienstland, Wohnung, Holz u. dgl. 400 L.-M. jährlich, jeder Gehülfe 150 L.-M. erhielte, so erhält man für die Hauptlehrer: 47,200 , für die Gehülfen 6000 , also im Ganzen eine jährliche Ausgabe von 53,200 . Nun darf man ziemlich sicher annehmen, daß die Commünen jetzt die Hälfte dieser Summen schon zusammenbringen, und es blieben demnach noch 26,600 jährlich zu decken, was zu 4 pC. einem Capitale von 665,000 gleichkommt. Das sind große Zahlen; aber mit einer Kleinigkeit ist auch nicht gründlich zu helfen. Es klingt allerdings nicht viel, wenn man hört, die permanente jährliche Abgabe sei per Kopf ungefähr ½ gleich, oder die permanente Steuer betrage pr. Morgen Landes 3 ½ , aber multiplicirt man 3 ½ mit der Morgenzahl eines ansehnlichen Guts, so ergibt sich die Größe der Abgabe augenfällig. Außer der Größe des Beitrages tritt uns eine andere Schwierigkeit entgegen.


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Es sind nämlich schon mehrere Schulstellen so dotirt, daß sie den oben angegebenen Durchschnitt erreichen und es fragt sich nun, sollen diese Schulkommünen, welche ihre Lehrer schon jetzt besser besolden, zu den Beiträgen herangezogen werden oder nicht? Sollten sie keinen Vortheil davon haben, so wäre es Unrecht, sie zu Beiträgen heranzuziehen. Da aber diese jetzt schon besser dotirten Stellen durchschnittlich die mehr Arbeit und Umsicht fordernden sind, so würde es eben auch richtig sein, sie demnächst in Vergleich zu andern auch besser zu dotiren. Wenn daher auch oben als Durchschnittseinnahme 400 angegeben wurde, so ist damit nicht gesagt, daß nicht einzelne Stellen besser sein könnten, während andere, gewissermaaßen Anfängerstellen, geringer dotirt würden. Jedenfalls hätten die Schulgemeinden mit bessern Stellen stets den Vorzug, daß sie nicht bloß bei der Wahl der anzustellenden Lehrer größere Ansprüche an Tüchtigkeit machen könnten, sondern auch, daß ihre Schullehrer ihnen fester blieben, ein Vorzug, den sie auch jetzt schon haben, doch bei einer allgemeinen Gleichmachung der Stellen verlieren würden. Würden ferner die Gehülfen, welche ja auch in den zahlreichern Schulen zunächst nöthig sind, ganz aus jenen allgemeinen Mitteln besoldet, die durch eine Vertheilung der gedachten 26,600 auf das ganze Herzogthum eingehen, so wäre auch dadurch den größeren, daher mehr zum allgemeinen Schulfond beitragenden Schulkommünen, ein Ersatz geboten. Demnach wäre, wenn es sich um durchgreifende Verbesserung der materiellen Verhältnisse des Elementarschulwesens handelte, jeder nach Kräften heranzuziehen. Schwierig ist die Sache, namentlich der Geldpunkt zu erledigen, und gewiß schwieriger als die Leute träumen, welche bei dergleichen Angelegenheiten als drittes Wort: „Lauenburg ist ein reiches Land" im Munde führen; wenn man aber an ihre Taschen anklopft, nicht zugestehen wollen, daß auch ihr Tröpflein zu dem überströmenden Landesreichthume gehört. Möge doch gar bald sich

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der große Reichthum des Landes dadurch zeigen, daß das Lauenburgische Elementarschulwesen von dem Drucke befreiet wird, welchen die jetzt nur all zu mäßige Besoldung der Lehrer darauf ausübt!

Die Erfüllung dieses Wunsches dürfte gar bald die Abstellung des Grundes zur Klage über die mangelhafte Vorbildung der Lehrer heben; denn man könnte dann fordern, daß die jungen Leute eine den Bedürfnissen vollkommner entsprechende Vorbildungsanstalt besuchten, als die für sie jetzt bestimmte Präparanden-Anstalt in Ratzeburg. Denn daß dieses Institut nur ein Nothbehelf ist, wird wohl kaum jemand bezweifeln, der weiß, daß die ganze Arbeit der Vorbildung der Volksschullehrer ein Paar Männern als Nebengeschäft übertragen ist, welche durch ihre sonstige amtliche Stellung schon hinlänglich in Anspruch genommen sind, nämlich dem zweiten Geistlichen an der Stadtkirche und einem der Lehrer an der Stadtschule zu Ratzeburg. Wenn es sich nur darum handelte, diesen oder jenen Lehrgegenstand vorzutragen, könnte eine solche Einrichtung genügen. Es ist aber mehr nöthig. Nicht etwa ein großes Seminarium mit einem bunten, mit philosophischen, naturwissenschaftlichen, überhaupt realistischen Vorlesungen (?!) ausgespickten Lehrplane. Wollte man sich nicht entschließen, die jungen Leute, die sich dem Schulfache widmen, behufs ihrer Ausbildung nach einer sogleich zu erwähnenden Probezeit, auf ein ausländisches Institut zu senden, so würde doch dringend nothwendig sein, daß ein Mann, am besten ein pädagogisch gebildeter Theologe reiferen Alters, doch nicht zu alt, als Lehrer, väterlicher Freund und Führer der Präparanden an der Spitze stünde. Allen Unterricht könnte er nicht ertheilen, aber den wichtigsten müßte er ertheilen. Nebenunterrichtsgegenstände würden sich durch anderweitige Lehrkräfte in Ratzeburg beschaffen lassen. Diesem Hauptlehrer dürfte aber auch keine andere Arbeit obliegen, als die für sein Amt als Lehrer der

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Präparanden; denn er hätte damit vollauf zu thun. Jedenfalls würde durch eine derartige Einrichtung von Seiten der Lehrenden den Lernenden eine größere Kraft zugewendet, als jetzt billiger Weise gefordert werden kann. Wie an die Lehrenden könnte man bei besseren Aussichten für die Zukunft auch an die Lernenden größere Ansprüche machen. Zunächst schon beim Eintritt in das Institut. Wenn jetzt die Vorbildung eines Quartaners der Gelehrtenschule für den Eintritt in das Institut genügt, so ist dieses offenbar zu wenig ; denn ein auch zur Versetzung reifer Quartaner hat nothdürftig die ersten Schwierigkeiten überwunden, welche einem gedeihlichen Lernen im Wege stehen, ist daher für den Besuch einer Berufsschule nicht reif. Macht diese auch noch so wenig Ansprüche, so muß sie doch fordern, daß ihre Zöglinge das, was sie lernen so weit selbstthätig verarbeiten, um es beim Austritt aus dem Institute praktisch anwenden zu können. Es ist sicher nicht zu viel verlangt, daß die jungen Leute, welche in das Präparandeninstitut eintreten, einen Bildungsstand erreicht haben, welcher dem eines für die Versetzung nach Secunda reifen Tertianers gleich kommt. Es ist das immer noch weniger, als in manchen Staaten von den jungen Leuten gefordert wird, die sich dem Post-, Bau-, Forstfach oder irgend einem andern praktischen Berufe widmen, wozu die Reife für Prima oder gar das Maturitätsexamen zur Universität verlangt wird. Ist denn nun die Kinderzucht so viel schlechter als die Baumzucht? Nein gewiß nicht. Mußten wir daher oben darauf dringen, daß der Lehrerstand materiell besser gestellt werde, so müssen wir hier eine größere Durchbildung desselben fordern, als bei jetzigen Verhältnissen demselben gegeben wird und werden kann. Die Reife für Secunda kann ein fleißiger und einiger Maaßen gut begabter Knabe mit 14 bis 15 Jahren erreichen. So alt sind die Präparanden nicht nur jetzt auch, sondern bedeutend älter. Dann aber meine ich, solle der junge Mensch nicht unmittelbar in die Berufsschule eintreten, sondern

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ähnlich den Forsteleven u. a. für einen praktischen Beruf sich Vorbereitenden eine Lehrzeit durchmachen. Er möge bei einem tüchtigen Elementarlehrer untergebracht werden. Diesen unterstütze er namentlich in allen Dingen, die zur Handhabung der äußern Ordnung in der Schule erforderlich sind, wohne dessen Stunden bei, helfe schwächeren Kindern nach, liniire die Schulbücher u. s. w. Dafür werde er angehalten, sich selbst fortzubilden in der Kenntniß der heiligen Schrift und des Katechismus, im Rechnen, Schreiben, Lesen; er übe sich in der Musik, Gesang, Orgelspiel und auf einem zur Gesangbegleitung in der Schule zweckmäßigen Instrumente, wie der Violine, kurz in den Kenntnissen und Fertigkeiten, die für seinen Beruf als Lehrer unmittelbar erforderlich sind. Selbstredend ist außer dem Lehrer auch der Lokal-Schulinspektor Vorgesetzter dieser Lehrlinge, Die Lehrzeit nimmt etwa 1 bis 2 Jahre in Anspruch. In dieser Zeit dürfte sich auch herausstellen, ob der Lehrling überhaupt für das Lehrfach paßt, oder nicht. Im letzteren Falle ist es noch immer nicht zu spät für ihn, einen andern Lebensweg einzuschlagen. Auf der Vorbildungsanstalt für Lehrer bringt er abermals zwei Jahre hin, und ist er dann mit 18 bis 19 Jahren so weit, daß er als Gehilfe eintreten kann. Jünger kommen auch jetzt wohl kaum die Präparanden so weit. Auf dem Institute, das der angehende Lehrer zuletzt besucht, muß derselbe angehalten werden, in allen in seinen künftigen Beruf einschlagenden Dingen es nicht allein zu einer gewissen Meisterschaft zu bringen, sondern er muß auch sich klar bewußt werden, was sein künftiger Beruf bedeute, was jede einzelne Forderung derselben an seine Person auf sich habe, er muß die Freuden und Leiden des Berufes - empirisch, das geht ja nicht - kennen lernen, damit er mit Bewußtsein und eben so dankbar als muthig Alles hinnehme, was ihm sein späteres Amtsleben bringt. Nur wenn die jungen Leute das Ihrige können, d. h. wenn ihnen die Fähigkeit sowohl rücksichtlich
 

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des Charakters als der Kenntnisse zur Ausübung ihrer Berufspflichten einwohnt, ist zu erwarten, daß sie auch bei der Jugend auf ein tüchtiges Können hinarbeiten und in der Elementarschule eine Saat der Gesinnungstüchtigkeit ausstreuen werden, welche dem ganzen Volke Segen bringen wird. Diese Hoffnung geht aber nur dann in Erfüllung, wenn der Schullehrer wirklich ein Schulmeister ist, und ihn weder Umstände zwingen, daneben einen andern Brodterwerb zu führen, noch - und das ist fast noch gefährlicher - eine aus verkehrtem Streben nach Vielseitigkeit hervorgehende Halbbildung ihm einen unausstehlichen Dünkel der Gelehrsamkeit einflößt, der mit jedem Tage wächst, mit welchem die Meisterschaft des Schulmeisters abnimmt. Allein die zwei Jahre auf der Schullehrervorbildungsanstalt werden noch nicht ausreichen, diese Tüchtigkeit zu wecken, wenn nicht schon frühe der Anfang gemacht ist, und deshalb ist oben eine dem Eintritte in die Lehrlingszeit voraufgehende Vorbildung für Secunda gefordert worden.

Dieß führt uns auf die Gelehrtenschule in Ratzeburg. Nach dem für dieselbe am 28. Februar 1846 gegebenen Regulativ (§ 1) „geht der Zweck derselben vorzugsweise dahin, die ihr anvertrauten Zöglinge durch einen gründlichen und angemessenen Unterricht in allen zu einem wissenschaftlichen Berufe erforderlichen Gegenständen vollständig auf das academische Studium vorzubereiten und dieselben überhaupt in der Weise auszubilden, daß sie durch Aneignung der nöthigen Vorkenntnisse und den in ihnen erweckten wissenschaftlichen Sinn an der Bildung der Gegenwart Theil zu nehmen vermögen." Dieser Zweck wird in der Instruction für die Lehrer der in Rede stehenden Anstalt dahin interpretirt (§ 2 Schluß): „Sie", die Lehrer nämlich, „müssen daher als die höchste Aufgabe der Schule betrachten, die ihnen anvertraute Jugend zu wissenschaftlicher Gediegenheit, zu reger Empfänglichkeit für das Wahre, Schöne

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und Gute, vorzüglich aber zu christlichem Sinne und Leben zu erziehen."

Die Erreichung dieses Zieles hängt von gar vielen Faktoren ab. Ein Mal von der ganzen Einrichtung der Schule, dann von den Lehrmitteln, von der Persönlichkeit des Lehrenden und dem ganzen Geiste, welcher die Zeit und das Volk beherrscht, anderer unwesentlicherer nicht zu gedenken.

Letzterer ist im Ganzen während des Bestehens der Lauenburgischen Schule - seit Michaelis 1845 - der Entwickelung einer jungen Anstalt nicht günstig gewesen. Zwar sind wir im Ganzen, Gottlob, wenig von der Zerfahrenheit der Zeit berührt worden, wenn es auch immerhin nicht an Beispielen gefehlt hat, daß Rechte - wie das der Zurechtweisung und Bestrafung der Schüler, - die dem Lehrer zu Folge seines erziehlichen Berufs nothwendig zustehen, als Uebergriffe in die persönlichen der Knaben angesehen wurden. Mehr hat uns die Richtung auf das Materielle, so wie die übergroße Hast in allen Dingen geschadet. Nicht bloß, daß man durch Nachhilfe- und Arbeitsstunden für die Schularbeiten den Knaben einen Theil der Arbeit, die sie selbst ganz machen sollen, abnimmt, läßt man die Kinder noch obenein in allerlei Nebendingen unterrichten, die immerhin an sich wohl nützlich sind, und zwingt sie so, fortdauernd nur halbe Arbeit zu liefern, indem entweder voller Kraftaufwand nicht nöthig ist, oder die große Masse der Arbeit weder der schwachen Kraft noch der sparsamen Zeit entspricht. Folge davon ist nicht schnelleres, sondern langsames Fortschreiten der Zöglinge. Ich bin fest davon überzeugt, daß Mancher, der als mäßiger Quartaner die Schule verläßt, ein rechtschaffener Tertianer bei seinem Abgange wäre, wenn er weder Arbeits- noch französische und englische Privat-Stunden gehabt hätte. Diese Eile treibt auch die Meisten, welche von der Schule in eine praktische Laufbahn übergehen wollen, die Schulbildung schon mit ihrem 14ten Jahre,

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d. i. mit dem hier in Lauenburg gesetzlichen Confirmationsalter abzuschließen. Dieß und die oft so geringe Vorbereitung der aufzunehmenden Schüler machen es, daß Viele in das Leben mit einer kaum nothdürftigen Schulbildung übergehen. Namentlich ist es der Schule bei der kurzen Zeit der Einwirkung auf den Schüler nicht möglich, in demselben ein tüchtiges Können zu wecken, wenn sie ihm auch mancherlei Kenntnisse mittheilt. Von Anfang an aber ist in unserer Schule vor allen Dingen darnach von den Lehrern gestrebt worden, daß die Schüler das verarbeiten, was sie lernen, und dieß ist, wenn der Weg auch Manchen anscheinend später zum Ziele führt, als er wünscht, nach meinem Ermessen eine wesentliche gute Eigenschaft der Schule. Zwar fehlt es nicht an Leuten, welche uns zu große Strenge in den Forderungen vorwerfen; aber sie haben Unrecht. Was fordert denn nach dem oben angeführten Paragraphen unsere Instruction von uns ? „Wissenschaftliche Gediegenheit" in den Schülern zu wecken. Diese besteht aber nicht in oberflächlichem Geschwätz über Allerlei, sondern in gründlichen Leistungen, und sei es auch nur in einem Gegenstande.

Also Leistungen, ein Können, und zum Können gehört das Wollen; im Wollen dessen, was wahr, gut und schön ist - um die Worte der Instruction zu gebrauchen - besteht aber die Tüchtigkeit des Charakters. Auf sie einzuwirken, ist ebenfalls Aufgabe der Schule, und diese Seite unserer Thätigkeit ist gerade die wichtigste, zugleich aber noch die, wo die Schule am häufigsten in Collision mit dem Hause kommt. Es kommen nämlich vorzugsweise zwei Verirrungen in dieser Hinsicht vor, die beide ihren Grund in einer entschiedenen Richtung auf das Aeußerliche haben. Sie mögen allgemeiner Art sein, und daher anscheinend nicht in diesen speciellen Theil zu gehören scheinen. Allein, da unsere Schule mit ihnen vielfach zu kämpfen gehabt hat und, wenn auch weniger als sonst, bis in die neueste Zeit noch hat,
 

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so finden sie einen Platz hier. Die Einen sagen: wenn mein Kind nur recht viel lernt, so bin ich zufrieden, denn alsdann kann es sich damit einst gut forthelfen; die Andern dagegen wünschen nur, daß der Geist der Kinder angeregt werde, denn ist das in der Jugend geschehen, so kömmt es nachher gar nicht darauf an, wie viel und was gelernt sei, der Geistreiche bricht sich doch seine Bahn und wirft die Schulweisheit über Bord. Jede dieser Ansichten einseitig durchgeführt verdirbt den Charakter. Das Viellernen ist dem Vielessen, das bloße Anregen des Geistes dem Naschen zu vergleichen; wie Vielessen und Naschen den Körper ruiniren, so schwächen Viellernen und Haschen nach Geist beim Unterrichte den Geist. Beim Schulunterrichte kommt es zunächst auf Stärkung aller edlen geistigen Kräfte an. In jeder Unterrichtsstunde wird zunächst gelernt, und indem das, was gelernt wird, zugleich verarbeitet wird, wird auch der Geist angeregt. So wird die Schule beiden gerecht, ergibt aber noch ein Drittes, nämlich die Arbeit, die Richtung des Willens auf Beschäftigung mit dem Wahren, Guten und Schönen. Arbeit aber ist nicht eine planlose Geschäftigkeit, die jeden Moment von einem Gegenstande auf den andern überspringt, oder ein gedankenloses Abquälen mit einem unverstandenen Gegenstande, sondern gedankenvolles, andauerndes Vertiefen in einen Gegenstand. Ein Beispiel möge es klar machen. Ein Schüler, der einen mathematischen Lehrsatz wegen Unaufmerksamkeit in der Stunde nicht begreift, sich aber stundenlang zu Hause damit abquält, den Satz zu memoriren, hat nicht gearbeitet, wohingegen derjenige arbeitet, der sofort in der Stunde den Satz begreift, ihn auch dann nicht wieder ansieht. Oder, ein Schüler, der sich Stunden lang abmüht, einen Abschnitt aus einem Schriftsteller zu lernen, ihn auch aufsagen kann, aber nicht weiß, was er gelernt hat, ist faul gewesen, während ein anderer, der nach guter Präparation und Repetition ohne vieles Lernen doch seinen Abschnitt weiß

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und versteht, fleißig gewesen ist. Diese Art intensiver Arbeit zu erzielen, hält sehr schwer und erfordert sehr häufig, daß der Lehrer mit aller ihm zu Gebote stehenden Energie den Schüler angreift, wobei, da die Aufgabe eine sittliche ist, es oft nicht fehlen kann, daß der Charakter des Schülers getadelt werden muß. Da ist aber der Punkt, den empfindsame Eltern so leicht übel vermerken, und an Statt dem Lehrer dafür zu danken, daß er sich dieser, sicher nicht angenehmen Arbeit unterzieht, ihn auf alle Art angreifen; denn, „so etwas," heißt es, „darf der Lehrer sich nicht herausnehmen, er soll unterrichten." Nein, im Gegentheil, er muß sich so etwas leider herausnehmen, und ist er ein bloßer Docent, so verkennt er seine Stellung, welche ihm nicht auflegt, Vorträge zu halten, sondern „die Zöglinge zu christlichem Sinne und Leben zu erziehen." Diese wichtige Aufgabe muß der Gelehrtenschule vor allen Dingen gewahrt werden, und die Lehrer müssen sie als ein Heiligthum gegen jeden vertheidigen, der sie angreifen will, und, so bald ihre Kräfte nicht ausreichen, von ihren Vorgesetzten die nöthige Unterstützung fordern, soll anders die Anstalt dem Lande wahren Segen bringen. So viel über die Tendenz der Gelehrtenschule.

Zum Schlusse noch ein Wort über die Organisation und die Lehrmittel der Schule. Aus den alljährlich ausgegebenen Programmen dürfte Beides zwar allgemein bekannt sein, doch ist in der That darüber noch viel Irthümliches im Gange, und aus diesen Irthümern zieht man gern den Schluß, als sei die Schule weder für künftige Praktiker recht brauchbar, noch auch für die Ausbildung der künftighin Studirenden in den Realwissenschaften gesorgt. Beide gegen mich ausgesprochene Ansichten bedürften kaum einer Erwähnung, wenn sie nicht bis zu einem gewissen Grade Wurzeln gefaßt hätten, und beide haben ihren Grund in einer Ueberschätzung der andern und Unterschätzung der klassischen Bildungsmittel. Das Irthümliche darin nachzuweisen, schließe

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ich mich an den nachstehenden Lehrplan der Lauenburgischen Gelehrtenschule für das Jahr 1856/7.



Von diesen 164 Lehrstunden nehmen nun zwar die beiden alten Sprachen 63 Stunden also mehr als 1/3 fort, während das Französische nur mit 8 Stunden, eine andere neuere Sprache, etwa Englisch gar nicht bedacht ist. Dagegen nehmen die Realien, Geschichte - und zwar nicht bloß alte, sondern die ganze Weltgeschichte - Geographie, Naturwissenschaften und Mathematik 46 Stunden, und rechnet man den Religionsunterricht mit hierher, 62 Stunden fort. Dieß gibt den realistischen Unterrichtsgegenständen nahezu gleiche Berechtigung mit den alten Sprachen, und, rechnet man das Französische, wie Manche thun, der realen Seite zu, sogar eine Bevorzugung. Diese einfache Zahlendarlegung mag nur zeigen, wie die nicht Recht haben, welche geradezu behaupten, auf der Lauenburgischen Gelehrtenschule fehle es an Unterricht in den Realien. Zwar will ich nicht in Abrede stellen, daß für Viele ein Paar, wenn auch nicht obligate, sondern fakultative Stunden im Englischen höchst wünschenswerth wären, auch ist von Seiten der Schule diesem Wunsche entsprochen worden; aber die Erfahrung ergab zweierlei. Eine Zeit lang

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war das Andrängen zu den englischen Stunden so stark, daß während eines Semesters in Tertia der griechische Unterricht wegen Mangels an Schülern aufhören mußte. Aber dieß als einen Beweis dafür ansehen zu wollen, daß das Griechische unnütz, oder überflüssig sei, möchte mindestens voreilig sein, da Mehrere von denen, die das Griechische aufgaben, es dann wieder aufnehmen mußten. Deshalb wird im eignen Interesse der Schüler jetzt die Dispensation vom griechischen Unterricht sehr schwer ertheilt. Es ist auch gar nicht abzusehen, was die Erlernung des Griechischen schaden sollte. Im Gegentheil die Dispensation schadet und wenn auch nur dadurch, daß die Dispensirten die Schulpflichten nur halb erfüllen; denn außer der Befreiung von den griechischen Arbeiten, dispensiren sie sich selbst auch von anderen. Falls sie aber der Forderung nachkommen, die für sie frei werdende Zeit durch anderen Unterricht zu ersetzen, so wird ihre ganze Tätigkeit so zersplittert, daß an eine solide, gediegene Arbeit kaum noch zu denken ist. Was man also auf der einen Seite zu gewinnen hofft, nämlich eine schnellere Vorbereitung für das Geschäftsleben, verliert man an der Gewöhnung zur Stetigkeit und Einheit der Arbeit und somit des Charakters. Bei der Richtung der Jetztzeit auf Unstetigkeit und Flüchtigkeit muß es daher als dringendes Bedürfniß einer Vorbereitungsschule für alle gebildeten Stände angesehen, und einer Schule ja kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie die Thätigkeit ihrer Zöglinge möglichst auf einen Gegenstand concentrirt, zumal wenn sie in anderen Wissensgegenständen ihre Schüler nicht vernachlässigt.

Diesen Vorwurf dürfte der Ratzeburger Gelehrtenschule kaum jemand machen, der sich die Mühe nehmen will, die alljährlich in den Osterprogrammen veröffentlichten Pensa genauer anzusehen, und sie mit denen von Realschulen, die doch wohl das Reale hervorheben, zu vergleichen. Es ergibt sich daraus deutlich, wie auf

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diese Realschulen in den Real-Disciplinen, welche wie Mathematik ernstes Eingehen in den Gegenstand, und nicht mechanisches Auffassen vorzugsweise verlangen, nichts weiter sind als die Gymnasien. Zu dem Ende stehe hier nur beispielsweise das mathematische Pensum der Realsecunda und Tertia der Schulen zu Hildesheim und Rendsburg von 1856 neben dem von Secunda und Tertia in Ratzeburg vom Jahre 1857.

 

Hildesheim Rendsburg Ratzeburg (1857)
I. Realklasse Realsecunda. Secunda.
     
Arithmetik, Potenzen, Logarithmen, Gleichungen des ersten und zweiten Grades mit einer u. mehreren Unbekannten. Planimetrie: Repetition der gesammten Planimetrie, Trigonometrie, praktische Geometrie nebst trigonometrische Berechnung der Messungen. Im Sommer die
Lehre von den po-
sitiven u. negativen
Zahlen, Rechnen
mit algebraischen
Summen, Lehre
von der Ähnlichkeit
und vom Kreise;
im Winter: Poten-
zen, Wurzel, Lo-
garithmen, Trigo-
nometrie.
Wiederholung des geom. Cursus von Tertia; Planimetrie ; das Wichtigste aus der Goniometrie (Trigonometrie). - Wiederholung des arithmetischen Cursus von Tertia. Potenzenrechnung, Logarithmen, Anfang der quadratischen Gleichungen.
     

II. Realklasse

Realtertia.

Tertia.

     
Arithmetik bis zu den Gleichungen ersten Grades. Planimetrie bis zur Planimetrie 2 St. Arithmetik nach Heis. Die vier ersten Grundoperatio- Planimetrie so weit sie ohne Proportionen zu erledigen ist. Arithmetik:

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Hildesheim Rendsburg Ratzeburg (1857)
II. Realklasse Realtertia. Tertia.
     
Aehnlichkeit geradlinigter Figuren.

 
nen, Null und negative Zahlen
Gleichungen vom 1sten Grade mit einer Unbekannten.
 
Grundoperationen und Gleichungen 1sten Grades mit einer Unbekannten. *

Wer kann wohl eine größere Uebereinstimmung verlangen, als hier bei drei von einander ganz unabhängige Anstalten nachgewiesen ist? Diese Uebereinstimmung zieht hindurch durch alle Realgegenstände an den gedachten Anstalten. In den Sprachen mag größere Abweichung sein. Es ist mir nicht möglich, dieses zu untersuchen, da die in Hildesheim und Rendsburg citirten Lehrbücher mir nicht zu Gebote stehen. Aus dem aber, was ich prüfen kann, geht hervor, daß die Realschulen eben so als die Gymnasien ein für jedes Alter bestimmtes Maaß geistiger Kraft entwickeln, und daher in ihrer Einwirkung auf den Lernenden nichts anders erreichen, als die Gelehrtenschulen; denn auch andere Gymnasien stimmen in ihren Lehrplänen im Wesentlichen mit dem Ratzeburger überein. Es liegt demnach nicht an der Organisation einer Gelehrtenschule an sich, wenn sie von künftigen Praktikern nicht hinreichend benutzt wird, sondern in Vorurtheilen einerseits, oder äußeren Nebenumständen andererseits. Zu den für die Ratzeburger Schule besonders eigenthümlichen Vorurtheilen gehört das gegen das Lateinlernen, das so weit geht, daß Eltern ihren Kindern sogar abrathen, sich zu viel damit zu beschäftigen, lieber tüchtig zu rechnen und zu schreiben. Die Folge davon ist einfach. Da kein Schüler ohne die nöthige Reife im Latein befördert wird, so müssen diese Antilateiner in Quinta sitzen und
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* Im Programm von 57 finden sich die §§ aus Heis Uebungsbuche citirt, dieß stimmt aber mit der obigen Angabe.

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auch im Rechnen zurückbleiben, bis sie nach Quarta kommen. Zu den äußeren Umständen zählen wir hier den verspäteten und unreifen Eintritt in Quinta, so wie den Abgang von der Schule mit dem Confirmationsalter von 14 Jahren. Was kann wohl ein Schüler an Schulbildung in das Leben mitnehmen, der mit 12 Jahren nothreif in Quinta eintritt, und mit 14 Jahren aus dieser Klasse confirmirt in das praktische Leben übertritt? Solche Fälle, die zwar jetzt seltener werden, sind oft vorgekommen. Der Abgang aus Quarta ist Regel, aus Tertia selten, aus Secunda etwas Besonderes. In Ländern, wo die Confirmation mit 16 Jahren eintritt, oder an das Zeugniß der Reife für Secunda gewisse Vortheile geknüpft sind, finden diese Abgänge alle eine Klasse höher Statt. Sollte es gelingen, dieses hier auch ohne die eben gedachten äußeren Mittel zu erreichen, so dürfte auch unsere Schule einer größeren Anzahl von Zöglingen, als jetzt, wahrhaft fruchtbar werden. So lange das aber nicht ist, wird es bleiben, wie bisher, daß Quinta die halbe Schülerzahl, Quarta 1/4, Tertia 1/8 und die beiden oberen Klassen zusammen kaum 1/8 derselben enthalten. Die Erfüllung dieser Erwartung ist aber so lange noch in weite Ferne geschoben, als die ganze Eile unserer Zeit auch den Knaben und Jünglingen nicht die Zeit zu eingehenderer und gründlicher Kraftentwickelung lassen will.

Sollten vorstehende Bemerkungen dazu dienen, Vorurtheile über das Lauenburgische Schulwesen zu widerlegen, auf Uebelstände in demselben aufmerksam zu machen und auf deren Hebung, wenn auch indirect hinzuwirken, und so dem Schulwesen einen kleinen Nutzen geschafft haben, so ist ihr Zweck erfüllt.

Gott gebe allen unsern Schulen einen gedeihlichen und segensreichen Fortgang!

 

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