Vaterländisches Archiv
für das Herzogthum Lauenburg

Erster Band.
Ratzeburg. Verlag der Buchhandlung von H. Linsen. 1857
 


 

V.

Die Gliederung der Schule in ihrer Anwendung auf das Herzogthum Lauenburg.

Vom Herrn Rector Bobertag in Ratzeburg.

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I. ABTHEILUNG.

Es hat wohl kaum eine Meinung mehr Verwirrung und Unsicherheit in das Schulwesen und die Ansichten über dasselbe so wohl bei dem größeren Publikum als auch bei denen hervorgerufen, welche in der Schule und für dieselbe durch Beruf thätig sind, als die, daß ALLGEMEINE MENSCHENBILDUNG und Berufsbildung sich gegenseitig ausschließen. Sie hat zu dem Gegensatze der formalen und materiellen Bildung geführt, indem es bei jener vorzugsweise, oder ausschließlich auf die Ausbildung der edleren geistigen Fähigkeiten, bei dieser auf Erwerbung gewisser für das Leben nützlicher Kenntnisse abgesehen sein soll. Wie aber ist es möglich, die geistigen Fähigkeiten zu bilden, ohne dabei Kenntnisse zu sammeln, und wie ist es andererseits möglich, jene Kenntnisse zu sammeln, ohne ein gewisses, vorhandenes Maaß von Geisteskräften zu ihrer Erwerbung daran zu setzen, und aus dieser Kraftübung eine Kraftentwickelung als Lohn davon zu tragen? Wir glauben vielmehr, daß beide zusammenfallen.

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Was ist denn der Beruf? In dem Worte selbst liegt etwas Höheres, Sittliches, Heiliges; es ist darin angedeutet, daß jedem Menschen der Kreis seines Wirkens ursprünglich gegeben ist, daß Gott selbst es ist, der ihn in diese Sphäre ruft und hineinweiset; doch nicht in jener fatalistischen Weise, wornach der Mensch selbst nichts zur Bestimmung seines Berufes beitrage, und dadurch aller Verantwortung überhoben ist, wenn er sich in diesem Berufe untüchtig zeigt. DER BERUF IST UND KANN NICHTS ANDERES SEIN, ALS DIE ÄUSZERE SPHÄRE, IN WELCHER DAS ZUR THAT WIRD, WAS INNERLICH ALS ERKENNTNISZ, ALS GESINNUNG UND HÖHERE TÜCHTIGKEIT SICH GESTALTET, UND WOZU IN JEDEM EINE URSPRÜNGLICHE NEIGUNG VORHANDEN IST. Woher sollen denn nun jene Erkenntniß, jene Gesinnung, jene höhere Tüchtigkeit kommen? Sie sind das Produkt des Unterrichts und der Erziehung, und gleich nothwendig den niedrigsten wie den höchsten Berufsarten. Der geringste Arbeiter soll das Maaß seiner materiellen und geistigen Kräfte erkennen, womit er nach Außen schaffen kann; er muß seine Stellung zu seinen Nebenmenschen verstehen, um durch Gesinnungstüchtigkeit mit einzugreifen in das Getriebe des geselligen Lebens; er soll endlich seine Stellung zu seinem Gotte erkennen, um Muth und Kraft zu behalten, die Lasten zu tragen, die ihn der täglich erneuerte Kampf des Berufes auferlegt. Und stellen wir andere Forderungen an die höchsten Stände? - Sind demnach für die verschiedenen Berufsarten die Forderungen so gleich, wie kann also eine principielle Scheidung der Berufs- und allgemeinen Menschenbildung gerechtfertigt erscheinen; man müßte denn unter dieser etwas Anderes verstehen als die Uebereinstimmung im Fühlen, Wissen und Können? Mit dieser Uebereinstimmung der allgemeinen Menschenbildung und Berufsbildung ist nun zugleich die gleiche Berechtigung aller Menschen zur Bildung ausgesprochen. Ob aber dieser in gleicher Weise genügt werden kann, oder ob

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es auch gut sei, daß dieß geschehe, ist eine Frage, welche durch die Lebenspraxis verneint wird.

In allen Zeiten, bei allen Völkern, auch bei den auf der niedrigsten Stufe der Bildung stehenden sehen wir eine Verschiedenheit der Berufsarten und der Stände. Vornehm und gering, reich und arm, Herrscher und Beherrschte, Herren und Diener sind Gegensätze, die sich durch alle Zeiten, Länder und Volker hindurchziehen, und die unbefangenste Beobachtung führt bald darauf, daß diese Ordnung eine göttliche ist, und daß alle jene socialistischen und communistischen Gleichmachungsgelüste Titanenkämpfe gegen dieselbe sind. Das für unsern Zweck thatsächlich Wichtige dieses Verhältnisses ist Folgendes. Einer großen Zahl von Menschen aller Stände ist von Hause aus ein so geringes Maaß von geistigen Kräften mitgegeben, daß sie trotz aller auf sie verwandten Mühe und des gewissenhaftesten Strebens von ihrer Seite sich nie zu einer selbstthätig schaffenden Wirksamkeit erheben, sndern Zeitlebens nur Handlanger und treue Gehülfen Anderer unter deren Anleitung und Führung bleiben. Mögen sie auch immerhin unter günstigen äußeren Verhältnissen Mancherlei lernen, sie können es nur so gebrauchen, wie andere sie anweisen. Andere, besser Begabte zeigen sich ihr Lebenlang selbstthätig schaffend, sobald sie von irgend einer Seite dazu angeregt werden, und treten so überall gestaltend und regelnd in ihrem Berufskreise auf. Auch wenn ein geringeres Maaß von Kenntnissen ihnen zu Gebote steht, so können sie das, was ihnen zu Gebote steht, selbstständig gebrauchen, und damit auf Andere einwirken. Nur sehr wenige Ausgezeichnete, gewissermaaßen geistige Riesen, bedürfen der äußeren Anregung nicht, sie brechen sich selbst ihre Bahnen, erscheinen als die Vorkämpfer in Staat, Kirche und Wissenschaft, und die kräftigsten unter ihnen treten als Lenker ganzer Jahrhunderte auf. Diese Geister, entstammen sie der Hütte oder dem Palaste, brechen hindurch durch alle

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Hemmnisse, welche ihnen des Lebens Wechselfälle auch entgegenstellen mögen. Sie können hier füglich ganz unberücksichtigt bleiben, wo es sich um Anstalten handelt, welche die ersten Anregungen zu geistiger Thätigkeit geben sollen, nicht als ob für sie dieselben überflüssig seien, sondern weil sie, wenn auch darauf vorgebildet, doch ganz unabhängig weiter streben.

Man hat nun die Ersteren ausschließlich den niederen Ständen zugewiesen, während man die Uebrigen in die höheren einrangirt hat. Dieß ist factisch unrichtig; denn gar Mancher verbleibt in niederen Berufskreisen und es ist ihm jene oben angedeutete geistige Regsamkeit nicht abzusprechen, und wiederum sind viele schon durch Geburt zu den höheren Ständen gezählt, und können in der menschlichen Gesellschaft eben nur so verbraucht werden. Auch hat man wohl die Scheidung gemacht, daß Erstere den practischen, die übrigen den wissenschaftlichen Berufsarten zugehören. Wie viele der Letzteren, welche auf Schulen und Universitäten so viel gelernt haben, um ein Examen zu bestehen - denn nur wenige Menschen sind so stiefmütterlich bedacht, daß sie nicht dahin gebracht werden könnten - müßten dann ihre Laufbahn wieder aufgeben, und wie viel mehr tüchtige Praktiker - Kaufleute, Oekonomen, Ingenieure u.s.w. - müßten umspringen und Gelehrte werden. Wenn ich auch immerhin zugeben will, daß die wahren Förderer der Wissenschaft nicht unter den ersteren zu finden sind, so ist doch auch sicher, daß ihnen die Förderer irgend einer praktischen Lebenssphäre nicht zugehören. Es kommt Alles aus das richtige Verhältniß zwischen Erkennen und Können an. Gar Mancher kennt seine Berufsthätigkeit, es fehlt ihm nicht das Wissen, aber das Können, und wieder lebt in Manchem die Thatkraft, aber die Erkenntniß, das Wissen fehlt; bei beiden gebricht es sonach an der Tüchtigkeit. Dieses richtige Verhältniß herzustellen, ist Aufgabe der Bildung.

Von dieser Scheidung der Stände ist die GLIEDERUNG

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DER BILDUNGSANSTALTEN, DER SCHULEN hergenommen. Da sehen wir denn zunächst die Gliederung IN ALLGEMEINE BILDUNGSANSTALTEN und BESONDERE BERUFSSCHULEN. Für jene die Gliederung in HÖHERE UND NIEDERE (Volksschulen und Elementarschulen.) Die höheren Schulen gliedert man wieder in REAL- und GELEHRTEN-SCHULEN. Die Fachschulen haben je nach den besonderen Zwecken, denen sie dienen, ihren Namen, als: Bau-, Forst-, Handels- u.s.w. Schulen, und ist in ihrer Organisation im Ganzen wenig Schwanken, da bei ihnen der Zweck völlig bestimmt, daher der Plan und die Unterrichtsmittel von Außen gegeben sind. Von ihnen wird hier nicht zu reden sein. Weniger sicher ist man in der Gliederung der Schulen, welche sich allgemeine Menschenbildung zum Zwecke setzen. Zunächst ist leider die Meinung nicht selten, als seien die Volksschulen nur für die niederen, die höheren Schulen für die höheren Stände der menschlichen Gesellschaft bestimmt. Es erinnert diese grundfalsche Ansicht gar sehr an chinesische Mandarinenschulen, nicht aber an christliche Bildungsanstalten. Ferner ist die Scheidung der Gelehrten- von der Real-Schule, so wie sie in der Ansicht gar Vieler, selbst Schulleute, existirt, und hie und da thatsächlich ausgeführt ist, nicht durchweg richtig, und namentlich dann falsch, wenn die Gelehrten-Schule exclusiv nur für den künftigen Gelehrten bestimmt sein, die Realschule ausschließlich nur allerlei für das practische Geschäftsleben nützliche Kenntnisse mittheilen soll. Consequente Durchführung dieses Princips muß nothwendig den gebildeten Theil der Menschheit in einen brahminenartigen Gelehrtenadel und ein egoistisches, nur Procente machendes Yankeethum zerspalten. Der Grundfehler liegt darin, daß man einmal nur den Stand als äußere Lebenssphäre und nicht den Beruf in seiner tieferen und edleren Bedeutung im Auge hat, und andererseits in Folge dessen als Hauptaufgabe der Schule die Mittheilung von Kenntnissen und nicht die

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Bildung, d. i. die Erweckung jener schon mehrfach erwähnten inneren Tüchtigkeit hinstellt, welche von jedem Menschen, sei er Herr oder Knecht, Gelehrter oder nicht, vornehm oder gering, reich oder arm, gefordert wird. Sie zeigt sich in treuer ungetheilter Hingabe an die Berufspflichten, wie sie eine echt christliche Nächstenliebe ihm auferlegt, in der Heilighaltung aller göttlichen und menschlichen Rechte und in freudiger Genügsamkeit mit dem einem Jeden von Gott verliehenem Loose. Wo diese Hingebung ist, wird zugleich auch das Streben nach Herbeischaffung der Mittel zur Erfüllung des Berufs, d. i. der nöthigen Kenntnisse und Fertigkeiten von selbst gezeigt werden. Bei dem Kinde, dem Knaben und Jünglinge ist freilich von einem Berufe noch kaum die Rede, sondern es ist in ihm nur erst die Anlage dazu da. Zu welchem, ist schwer voraus zu sagen. Daher wird man am richtigsten die Anlage zu jeder Berufssphäre anzunehmen haben, zumal in den ersten Lebensjahren. Darum auch ein gemeinsamer Anfang der Bildung in der ELEMENTARSCHULE.

In dieser werden den Kindern, nachdem sie im Elternhause schon mannigfache Anregungen, vor allen Dingen einen großen Vorrath an Sprachmaterial planlos und gelegentlich erhalten haben, die Fertigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens auf einem mehr mechanisch einübenden als rationellen Wege beigebracht. Dazu kommen die ersten Erzählungen aus der biblischen Geschichte. Als Ziel gilt im Allgemeinen, daß sie mechanisch richtig lesen, des Gebrauchs der Schriftzeichen so weit mächtig sind, um deutlich Vorgesprochenes ohne grobe Verstöße gegen Orthographie niederschreiben, die vier Species mit größeren (mehrstelligen) Zahlen schriftlich, mit kleineren (allenfalls zweistelligen) Zahlen im Kopfe mechanisch geläufig handhaben; endlich die wichtigsten Geschichten alten und neuen Testamentes ihrem Inhalte nach wissen, auch allenfalls die dem kindlichen Leben

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näher liegenden zusammenhängend erzählen können. Für Mädchen sind noch meistentheils Industriestunden (Unterricht im Nähen und Stricken) eingerichtet. Darüber hinaus darf die Elementarschule nicht gehen, und nimmt sie etwa ein oder das andere Unterrichtsmittel noch auf, so muß es nur zur Ergänzung der eben gedachten geschehen, nicht aber zur Erweiterung des Planes selbst.

Sehen wir nun aber ein Mal in eine Elementarschule hinein, so stellt sich uns sogleich ein wesentlicher Unterschied in den Lernenden entgegen. Um zunächst bei dem einfachsten Verhältnisse stehen zu bleiben, so stellen wir uns eine Elementarklasse einer LANDSCHULE vor. Da sitzen in derselben Schulstube das Kind eines Knechtes oder Tagelöhners, eines Käthners, des Zollcontrolleurs, eines wohlhabenden Bauern, des Schullehrers, vielleicht auch des Pastoren und was sonst auf dem Lande für Stände noch vertreten sein mögen. Wir wollen Allen gleiche Fähigkeit zutrauen, bei Allen gleichen Eifer in der Schule voraussetzen, ja den ersteren allenfalls ein größeres Maaß beilegen. Es werden im Allgemeinen die Kinder der materiell bedrängteren Eltern, welche die Kräfte ihrer Kinder schon früh zum Broderwerb bedürfen, denen der weniger bedrängten nachstehen, und wiederum zeigt sich bei äußerlich ähnlichen Verhältnissen dann ein wesentlicher Unterschied, wenn vom Hause selbst eine verschiedene Anregung Statt findet. Während dem Kinde des Knechtes kaum Zeit gelassen wird, wieder an das zu denken, was in der Schule vorkommt, - es muß spinnen, Gänse hüten, wird als Laufbursche gebraucht, oder auf welche Weise es sich nützlich machen muß - hat der Sohn des Bauern reichlich Zeit, und während beide vielleicht wenig oder gar keine Anleitung oder Anregung zum Lernen erhalten, wird der Sohn des Schullehrers und Pastoren auch zu Hause fortdauernd auf seine eigene Ausbildung hingewiesen. Wenn so die Einen eine längere Zeit nöthig haben, um ihre Elementarbildung zu vollenden, sind die Anderen schnell


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damit fertig. Nun besteht zwar über dieser Elementarklasse eine Oberklasse, welche aber darauf berechnet ist und sein muß, daß die aus derselben Abgehenden mit der Confirmation einen Abschluß bekommen. Dieser Abschluß besteht in einer tüchtigen Kenntniß des Katechismus und der heiligen Schrift, einem reichen Vorrath an auswendig gelernten Bibelstellen und Gesangbuchliedern, als goldene Mitgift für ihr späteres Leben. Dazu Fertigkeit in sinnvollem und gedankenmäßigem Lesen, Fähigkeit, sich schriftlich einigermaßen verständlich auszudrücken, und die Fertigkeit im Rechnen mit benannten Zahlen, namentlich Kenntniß der landesüblichen Maaße, Münzen und Gewichte. Je nachdem dieses Confirmations-Alter früher oder später (in Lauenburg mit 14, in Holstein mit 16 Jahren) eintritt, wird die Schule im Stande sein, eine umfassendere Belehrung in andern Dingen, namentlich Vaterlandskunde zu geben. Jedes mit diesen Kenntnissen ausgerüstete Schulkind, ist schon im Stande, in jeden bäuerlichen Beruf einzutreten, die ländlichen Handwerke mitgerechnet. Die specielle Ausbildung für den Beruf fängt an mit dem Momente, wo das Schulkind in den Dienst oder in die Lehre tritt. Weniger aber darf auch nicht gegeben werden; denn welche Herrschaft dürfte heut zu Tage wohl gern einen Dienstboten nehmen, der nicht lesen, schreiben und rechnen könnte? Und dies ist doch das am wenigsten selbständige Lebensverhältniß.

Für solche, welche, sei es durch die oben angeregten günstigeren Umstände, schneller vorschreiten, oder über die einfacheren bäuerlichen Verhältnisse hinausstreben, kann diese Vorbildung nicht genügen. Vielfache Anregungen und Kenntnisse kommen ihnen von Außen zu, welche sie mit der in der Schule erworbenen geistigen Ausbildung nicht ordnen und überwältigen können. So entsteht ein Mißverhältniß zwischen Wissen und Können, also Untüchtigkeit und Verbildung. Hierin liegt demnach die Forderung einer höheren Bildungsanstalt.

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Bevor wir die Gestaltung einer solchen ins Auge fassen, wollen wir das niedere STADTSCHULWESEN betrachten. In den Städten macht nun zuvörderst meistentheils die größere Anzahl der Kinder, die Trennung einer Freischule von der Bürgerschule, in welcher Schulgeld bezahlt wird, und wiederum in dieser die Trennung der Schulkinder nach den Geschlechtern nöthig. Hierdurch ist von selbst das gewonnen, daß die Kinder, auf deren häusliche Thätigkeit die Schule so gut als gar nicht rechnen kann, von den übrigen gesondert sind und somit eine größere Gleichartigkeit erzielt wird. Dem ungeachtet bleibt immer noch eine große Verschiedenheit. Denn während ein großer Theil der Lernenden, wenn auch nicht durch Dienste bei Fremden, doch durch Handreichungen im Hause - Hilfe im Garten, Aufpassen im Hause, wenn (wie etwa ein Markt) größerer Verkehr eine Hilfe nöthig macht, u. dgl. - außerhalb der Schule so in Anspruch genommen wird, daß ihnen kaum Zeit für das kleinste von der Schule aufgegebene Pensum bleibt, haben andere reichlich Zeit. Und in diesem Falle kommt auch noch gar viel aus das Leben im Hause an. Machen sich hier die Interessen des täglichen materiellen Erwerbslebens in einer für das Kind recht auffälligen Weise bemerkbar, so wird es durch diese meist dem Lernen mehr oder weniger entfremdet, und bei aller ihm zu Gebote stehenden Zeit nicht in dem Maaße regsam für die Schule sein, als ein Kind aus einem Hause, wo die materiellen Interessen weniger merklich für das Kind sind. Dadurch ist eben so als in den Landschulen für die Einen ein längeres Verbleiben in den einzelnen Abtheilungen der Schule bedingt, als für die Andern, und das Bedürfniß eines verschiedenartigen Abschlusses der Schulbildung erzeugt. Im Großen und Ganzen werden die Schüler einer Stadtschule regsamer und geistig gewandter sein, und die untersten Stufen schneller absolviren, als die Landkinder. Aus diesem Grunde können jene eher auch gesteigerten Ansprüchen

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genügen als diese. Dies ist tatsächlich auch ausgesprochen durch die Einrichtung der meisten Stadtschulen, indem über der Elementarklasse in der Regel nicht bloß eine Oberklasse, sondern deren zwei auch drei stehen, die man gewöhnlich mit dem Namen der Cantor- und Rectorklassen belegt findet. Ganz wie in den Landschulen bildet auch in den Stadtschulen der Religionsunterricht den Mittelpunkt, ferner werden Lesen, Schreiben, Rechnen nächst diesem die Hauptlehrgegenstände sein; aber in allen sind die Forderungen nicht nur gesteigert, sondern es treten namentlich in den Rectorklassen, Geographie, Weltgeschichte, selbst die Elemente des Lateinischen und Französischen zu jenen Lehrgegenständen hinzu. Wie aber auch immer eine solche Schule eingerichtet sein mag, so wird dabei stets das Hauptaugenmerk darauf zu richten sein, daß diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten, und die Charaktertüchtigkeit darin erworben werden, welche ein rechtschaffener und umsichtiger bürgerlicher Betrieb erfordert, daß das Wissen und Können sich richtig ergänzen, und so die höhere Tüchtigkeit erworben werde. Vor allen Dingen ist ein buntes Allerlei zu vermeiden, welches der Zerstreutheit und Zerfahrenheit des Charakters Vorschub leistet, zu welchen ohnehin die größere Mannigfaltigkeit des städtischen Lebens so vielfach verlockt. Denn eben dieselben Umstände, welche im Allgemeinen dem Städter größere Gewandtheit im Gegensatze zu den Landbewohnern geben, enthalten auch die Elemente zur Untergrabung des Charakters in sich. Das Maaß des mitzutheilenden Wissens muß der ganzen Natur des Verhältnisses gemäß ein verhältnißmäßig geringes bleiben, und kann keineswegs denen genügen, welche einen Beruf anstreben, dessen Thätigkeit über die gewöhnlichen städtischen Gewerbszweige hinausliegt. Solcher werden sich immer in jeder Stadtschule noch genug finden. Für diese ist ebenfalls eine höhere Bildungsanstalt ein Bedürfniß.

So weit die niedere Schule, nicht wie sie aus einer Theorie

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heraus construirt und combinirt ist, sondern wie das Leben sie allmählich gestaltet hat. Weiter auf ihre Organisation einzugehen, ist hier nicht nöthig, da dieselbe wohl überall eine nahe zu gleiche, oder doch nur in unwesentlichen Punkten abweichende, daher allgemein bekannte und anerkannte ist. Nicht so einverstanden ist man über die Gliederung der HÖHEREN SCHULEN, indem man zwischen den Extremen einer abstracten, ideellen, dem Leben möglichst fremden Richtung und einer auf eine äußerliche Nützlichkeit berechneten Schuleinrichtung hin und her schwankt. Man scheidet nämlich von vorn herein die rein wissenschaftliche Gelehrten-Schule von der ausschließlich auf das practische Leben berechneten Realschule. Zu einer richtigen Würdigung dieses Verhältnisses gelangen wir am besten, wenn wir in Kürze die Entstehungsgeschichte des höheren Schulwesens betrachten.

In der frühesten Zeit ruhte nicht bloß der Unterricht, sondern alle höhere Bildung in den Händen der Geistlichkeit. Die Klöster sind die Pflanzstätten der Bildung. In ihnen werden die wissenschaftlichen Schätze des Alterthums aufbewahrt; fromme Mönche machten es sich zur Aufgabe, die Jugend in allen möglichen Kenntnissen zu unterweisen. Kein Wunder, wenn aller Unterricht auf die Zwecke der Kirche berechnet war. Jedoch nahmen schon sehr frühe auch Andere am Unterrichte Theil, als solche, die sich für den geistlichen Stand vorbereiteten. In den Lehrplan werden schon frühe Realien (Mathematik, Logik auch sogar naturwissenschaftlicher Unterricht) aufgenommen, immer aber bildet das Latein den Mittelpunkt, theils weil es die Kirchensprache, theils weil es die Sprache der Wissenschaft war. Diese Bedeutung verliert freilich das Latein später, als die Muttersprache diese Rolle übernimmt, wovon vor allen Dingen das Zeitalter der Reformation Ursache ist. Nicht bloß auf dem Gebiete der Kirche sehen wir die Blicke sich erweitern, sondern auch auf dem Gebiete des Staats und der Natur. Namen wie Kopernikus und Columbus

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leuchten aus jener Zeit herüber gleich Sterne erster Größe. Mit dieser Erweiterung des Blickes war nothwendig eine Menge von Anschauungen, Begriffen und Kenntnissen verbunden, für welche sich im Alterthume weder ein Anknüpfungspunkt, noch ein Analogon finden läßt. Das Latein konnte dafür nicht mehr genügen, eine andere Sprache der Wissenschaft mußte sich mehr und mehr geltend machen, je größeres Material angehäuft wurde. Lange freilich mußte unsere Muttersprache kämpfen, ehe sie dazu tauglich wurde, und noch im vorigen Jahrhunderte wurden bedeutende wissenschaftliche Werke lateinisch geschrieben. Mitten in diesem Ringen schwächt sich aber das Studium des klassischen Alterthums durchaus nicht ab, sondern erwacht seit der Reformation und durch dieselbe mit neu belebter Energie. Nicht allein daß man, je weiter man vordrang, desto mehr einsah, wie die ganze Bildung in dem Alterthume wurzele, sondern die Beschäftigung mit den Griechen und namentlich den Philosophen gestaltete die Behandlung der Wissenschaften neu; und mögen sich die Verfechter des materiellen Realismus noch so arg gebärden, noch heut zu Tage schreiten die von ihnen so hoch gestellten Naturwissenschaften in der von Aristoteles vorgezeichneten Bahn der Induction vor, wenn auch - und anders wäre es schlimm - auf eine Unendlichkeit von Thatsachen sich stützend, welche den Alten fremd waren; noch immer findet der logische und grammatische Bau der lebenden Sprachen seinen Regulator an der lateinischen Sprache; noch immer müssen Juristen das corpus juris studiren und bilden römische Institutionen die Grundlage vieler staatlicher Einrichtungen und Gesetze. Wie man einem Baume seine Lebenskraft und Frische nimmt, wenn man ihn in einen anderen Boden verpflanzt, als worin er von Natur erwachsen ist, so würde man auch das höhere Bildungswesen entkräften, wenn man es seiner klassischen Grundlage beraubte. Für die sogenannten gelehrten Stände, d. h. diejenigen, welche für ihren Beruf der Universitätsstudien bedürfen, wird

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dieß ohne Weiteres zugestanden; nicht so für die praktischen. Diese Ansicht ist nicht neu.

Denn als im vorigen Jahrhunderte die lebendigere Aufnahme und Förderung der mathematischen und Naturwissenschaften in Verbindung mit der fortschreitenden Vervollkommnung des Weltverkehrs diesen Wissenschaften immer mehr Freunde erwarb, tauchten die ersten Ideen der Realschule auf; jedoch mehr in Folge einer Opposition gegen eine fehlerhafte Richtung der Gelehrten-Schulen, als eines klar bewußten Planes. Auf vielen von diesen ward nämlich weit mehr auf eine lateinische Parlirkunst, als auf gründliches Verständniß des Alterthums hingearbeitet. Bei Strafe war es den Knaben verboten, auch im vertraulichen Umgange mit Kameraden anders als Latein zu reden. Wie oft mußte dem Begriffe das Wort, und wiederum dem Worte der Gedanke fehlen? Daß so zugeschulte Jünglinge nirgends zu brauchen waren, ist klar. Aber man verfiel in ein anderes Extrem. Man wollte NÜTZLICHE KENNTNISSE, und ohne zu fragen, wem und zu was nützlich, griff man zu, wie einer, der à la charte speist, planlos sein Mittagsmahl vom Speisezettel zusammensetzt. So z. B. unterrichtete man in der vom Prediger SEMMLER in Halle eröffneten, mathematischen, mechanischen und ökonomischen Realschule bei der Stadt Halle die Kenntnisse vom Gewicht, Maaß, Gebrauch des Zirkels, die Wissenschaft des Kalenders, Astronomie, Geographie, Kenntniß physikalischer Dinge, als der Metalle, gewöhnlichen Steine, der Edelsteine, Hölzer, Farben, Zeichenkunst, Ackerbau, Gartenbau, Anatomie und Diät, das Nöthigste der Polizeiordnung, Hallische Chronica, Landkarte von Deutschland und des Herzogthums Magdeburg. - Die HECKERsche, jetzt Königliche Realschule in Berlin hatte einen Cursus über Lederhandel, und rühmt, daß die Schüler durch Anschauung vieler, der Schule gehörigen Lederproben, Sohlenleder, Juchten, Korduan u.s.w. geläufig unter-

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scheiden könnten. In so augenscheinlich verkehrter Weise verfahren die Realschulen jetzt zwar nicht mehr; aber was sie gebessert haben ist das, daß sie sich in Methode und Unterrichtsmaterial enger an die Gymnasien angeschlossen haben, indem sie wenigstens neben der Rücksicht auf das Erwerben nützlicher Kenntnisse die geistige Uebung der Zöglinge in den Vordergrund gestellt haben. Suchen wir uns einmal klar zu machen, was nützliche Kenntnisse sind? Die Antwort darauf fällt nach örtlichen und temporären Rücksichten verschieden aus. Heut zu Tage, wo der Handel, so wie alle auf materiellen Erwerb gerichteten Lebenssphären mehr als je das sociale Leben bewegen, fordert man, daß schon dem Kinde alles das gelehrt werde, was darauf Bezug haben mag. Neue Sprachen, Rechnen, Schreiben, nächst ihnen die mathematischen und Naturwissenschaften stehen gut im Cours, und durch sie hofft man den Knaben gar bald dahin zu bringen, daß er Geld verdienen kann. Allein auch die Realschulen der Gegenwart sehen an verschiedenen Orten verschieden aus. In Handelsstädten sehen wir ein Vorwalten der neuen Sprachen, während in anderen die Naturwissenschaften voranstehen, und wieder andere Realschulen gar sehr den Gelehrtenschulen ähnlich sind. Es ist mit einem Worte eine Principlosigkeit überall sichtbar, woraus ein für die geistige Entwickelung der Zöglinge gefährliches Experimentiren entspringt, welches gegen die Sicherheit der Gymnasialbildung einen schneidenden Contrast bildet. Nehmen wir dazu, daß die meisten Vorstände technischer Bildungsanstalten tüchtige Secundaner eines Gymnasiums den Abiturienten einer Realschule den Vorzug geben, daß die englischen höheren Bildungsanstalten- und die Engländer sind doch ein praktisches Volk - den alten Sprachen ein sehr bedeutendes Uebergewicht gestatten, so müssen wir in der Werthschätzung einer nur auf Erwerbung nützlicher Kenntnisse abzielenden Jugendbildung sehr zweifelhaft werden. Bei Abschätzung des Nutzens der Kenntnisse sollte man doch billig

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fragen, wer den Nutzen ziehen soll? Der künftige Kaufmann, Forstmann, Soldat, Seemann, Bergmann oder wer denn? Antwort: Keiner besonders, sondern alle! So wären wir denn wieder bei der Uebereinstimmung der allgemeinen Menschenbildung und Berufsbildung angelangt. FÜR DAS GESAMMTE LEBEN SOLLEN DIE SCHULEN BILDEN UND ERZIEHEN; auf diesen Grundsatz muß nothwendig jede eingehendere Betrachtung zurückführen.

Wie erscheint nun das Leben? Ich glaube die Formen, in denen es zur Erscheinung kommt, einfach ALS KIRCHE, ALS GESELLSCHAFT DER MENSCHEN UND ALS NATUR bezeichnen zu müssen. Für jede dieser drei Formen muß jeder Mensch erzogen werden, weil jeder allen dreien angehört. Schon in den Elementarschulen sehen wir die ersten beiden Gebiete durch Unterrichtsmittel vertreten - Religionsunterricht, Lesen, Schreiben, Rechnen. Das letzte Gebiet kann auf dem Lande füglich ganz unberücksichtigt bleiben; denn ein einigermaßen geweckter Landknabe weiß aus Erfahrung mehr von der Natur, als die meisten Stadtkinder bei allem Unterrichte, zumal wenn diesem die Anschauung fehlt. In den Stadtschulen ist ein gutes Lesebuch mit dahin einschlagenden naturhistorischen Lesestücken völlig ausreichend. Die niedere Schule übt dem Leben gegenüber keine die Natur entfremdende Gewalt aus. Anders in den höheren Schulen. In ihnen sehen wir demnach Unterrichtsmittel, welche jede der oben erwähnten Formen besonders zur Sprache bringen.
Anlangend das Gebiet der Kirche muß die Schule durch die Lehre, d. h. durch Unterricht den Schülern Religionskenntnisse mittheilen, und zwar nicht etwa allgemeine pantheistische Vorstellungen wecken, oder dürre Moral predigen, sondern ganz positiv auf Grund eines bestimmten Glaubensbekenntnisses Religion lehren. Jeder Versuch, es anders zu machen, artet in hohle Phrasenmacherei aus, und kann nur verderblich wirken. Allein mit der besten Lehre ist immer nur ein Anfang gewonnen, wenn nicht

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dafür gesorgt wird, daß die ganze Haltung der Schule eine Frucht derselben sei. Es ist sehr leicht, durch strenge Schulpolizei Gehorsam gegen die Lehrer, Verträglichkeit der Schüler unter einander, legales Wesen nach Außen zu erzwingen; allein das ist keine Schuldisciplin. Mag diese immerhin durch Gesetze normirt sein, so soll sie doch vorzugsweise auf Liebe und Vertrauen sämmtlicher Mitglieder der Schule, der Lehrenden und Lernenden zu einander ruhen. Nicht, weil das Gesetz es vorschreibt, soll z. B. der Lehrer strafen, sondern um den Bestraften sittlich zu heben, also aus Liebe; nicht, weil das Gesetz es will, soll der Schüler fleißig sein, sondern aus Liebe zur Sache und zum Guten an sich. Das ist das ideale Ziel der Schuldisciplin. Wird dieses angestrebt, so erzeugt der Religionsunterricht das Wissen, die ganze Ordnung der Schule das Können, und beide zusammen geben dann die Tüchtigkeit für die kirchliche Gemeinschaft, für ein christliches Leben. Daß in dieser Vorbereitung für das kirchliche Leben schon ein wesentlicher Theil der Vorbildung für die beiden andern Lebensformen liege, bedarf wohl keiner Ausführung, wohl aber dürfte es am Orte sein, hier eine Bemerkung über die Schwierigkeiten zu machen, welche sich der Erreichung des oben genannten Zieles in den Weg stellen. Wie schon erwähnt, ist die Lehre eben nur der Anfang, wenn gleich ein nothwendiger; aber das Einleben ist das, was die christlichen Glaubenslehren aussprechen, ist das Wesentliche. Auch dazu gibt die Schule Gelegenheit; kann aber ALLEIN nur wenig thun. Das ist der Punkt, wo sie vor Allem die Mithilfe der häuslichen Erziehung bedarf, und daher mit Recht fordert. Leider aber wird dieser Forderung nur zu oft nicht genügt. Fälle offenbaren Widerspruchs gegen die Schule gehören zwar zu den Seltenheiten; vielmehr ist es sehr häufig, daß die Eltern zufrieden damit sind, daß die Schule ihnen die Last der Erziehung der Kinder zum größten Theile abnimmt. Allein eben dann findet sich oft in dem ganzen häuslichen Leben

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eine derartige Richtung auf Aeußerliches und Materielles, daß das, was die Schule aufbaut, täglich wieder niedergerissen wird. Oder auch die Eltern kümmern sich wirklich um die Erziehung ihrer Kinder, haben auch den besten Willen, der Schule in die Hände zu arbeiten; aber eine falsch verstandene Liebe zu den Kindern hält jede Anstrengung, die von dem Kinde gefordert wird, für Härte, und gar eine Strafe für Barbarei. In beiden Fällen kann der Geist der Liebe in der Schule nicht gedeihen, und die Schule muß unverschuldet sich den Vorwurf machen lassen, sie genüge ihrer Aufgabe nicht. Diesen Vorwurf, zumal wenn er ungerecht ist, könnte sie sich gern gefallen lassen, handelte es sich nicht zugleich um eine Gefahr für den zu Erziehenden. Ohne daß es ausgesprochen zu werden braucht, wird er bald durchfühlen, daß zwei entgegengesetzte Faktoren, Schule und Haus auf ihn täglich einwirken, und zweien Herren dienen zu müssen glauben. Unsicherheit und Zerfahrenheit des Charakters ist nothwendige Folge davon. Die Vorbildung für das Leben in der Kirche bleibt auf diese Art gleich Null, für das Leben überhaupt also unvollständig.

Wenden wir uns nun zu der zweiten Form des Lebens, der MENSCHLICHEN GESELLSCHAFT. Bei der Erziehung für diese handelt es sich nun zuerst um die Herbeischaffung der Mittel für den Verkehr der Menschen unter einander. Schon die Volksschule sorgt dafür durch Unterricht im Lesen, Schreiben, Rechnen, der Muttersprache, Vaterlandskunde u. dgl., doch mehr nur einübend, als wissenschaftlich begründend. Sie weckt bis zu einem gewissen Grade das Können, weniger das Wissen. Daher die Erscheinung, daß Leute, welche in der Schule schon einen ziemlichen Grad sprachlicher Fertigkeit erreichten, nach längerer Zeit ohne Uebung, obgleich reicher an Gedanken, doch ärmer an Sprachfertigkeit sind. Die Sprache aber ist das wesentlichste Mittel des menschlichen Verkehrs, daher auch die sprachliche Bildung in

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allen Schulen in den Vordergrund tritt. Die höhere Schule aber soll nicht eine nothdürftige Uebung in den Sprachen, sondern die Kraft zu völliger Sicherheit darin wecken. Dazu gehört einerseits sprachliches Wissen und andererseits darauf basirtes Können. Jenes wird durch Mittheilung der Sprachgesetze, d. h.. durch Unterricht in der Grammatik, und des Sprachvorrathes, d. h. der der Sprache angehörigen Begriffe und Worte, dieses durch Uebung gewonnen. Die Unvollkommenheit sprachlicher Bildung, welche sich nur auf die Muttersprache beschränkt, ist wohl so allgemein anerkannt, daß die Forderung des Taktirens fremder Sprachen auf höheren Schulen als unzweifelhaft anzusehen ist. Es handelt sich hier nur darum, ob alte oder neuere, oder beide zugleich. Die Gymnasien haben die ersteren mit Recht als Hauptlehrgegenstand bewahrt, den letzteren, meist nur dem Französischen einen verhältnißmäßig kleinen Raum im Lehrplane gestattet. Die Realschulen haben zum Theil jene ganz ausgeschlossen, theils sie auf ein paar lateinische Stunden eingeschränkt. Von vielen Realschulen wird jedoch die Klage geführt, daß ungeachtet einer großen Zahl von Stunden in neueren Sprachen ihre Schüler an eigentlicher Sprachtüchtigkeit hinter den Gymnasiasten gleichen Alters zurückständen. Theils eigne Beobachtung, theils die Kenntnißnahme der Erfahrungen anderer, wissenschaftlich gebildeter Schulleute haben in mir die feste Ueberzeugung hervorgerufen, daß jede höhere sprachliche Bildung auf ein gründlicheres Eingehen in die alten Sprachen, namentlich die lateinische gestützt sein müsse. Es mag immerhin möglich sein, daß jemand ohne Latein fertig Französisch, Englisch und Deutsch spricht und schreibt, wie das ja die meisten gebildeten Frauen und viele Kaufleute beweisen; ja noch mehr, es gibt viele recht gebildete Menschen, die nie eine Sylbe Latein in der Schule lernten; aber mit einer unsäglichen Mühe haben sie ihre Bildung sich überall zusammensuchen müssen, und die Aufrichtigen unter ihnen bedauern um so mehr den Mangel

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an Kenntnissen in den alten Sprachen, je höheren Standpunkt der Bildung sie einnehmen. Daß freilich einige lateinische Vokabeln, und etwas Decliniren und Conjugiren (Formlehre) hier nichts helfen, liegt klar vor. Es muß wenigstens so viel erreicht sein, daß ein leichterer lateinischer Schriftsteller ohne große Schwierigkeit - die Sacherklärungen abgerechnet - verstanden werden kann, d. h. als ein für die Versetzung nach einer Gymnasialsecunda reifer Schüler können soll.

Aus diesen freilich nur aphoristischen Bemerkungen wird man ersehen, wie ich sowohl für Gelehrte als Nichtgelehrte eine gleiche Grundlage der Bildung und zwar die der unteren und mittleren Gymnasialklassen fordere. Aus dieser gemeinsamen Grundlage erwächst ein dreifacher Gewinn. 1. Die lateinische Grammatik gibt auf die vollständigste und einfachste Weise die Grundzüge jeder Grammatik, - wenigstens der wichtigsten europäischen Sprachen. 2. Der ganze Bildungsgang der Gymnasien ist ein sicherer, ruhig fortschreitender, daher von nachtheiligem Experimentiren und subjectiven Ansichten freierer, als der der Realschule. 3. Die Zeit der Entscheidung für einen Jüngling, ob er studiren wolle und könne, ist weiter hinausgeschoben und dadurch der Gefahr des Ergreifens einer unpassenden Laufbahn mehr vorgebeugt. Der Vortheil, daß eine größere Verständigung der verschiedenen Stände auch für das spätere Leben herbeigeführt werde, wenn Alle in die oberen Gymnasialklassen gelangten, ist wohl mehr eingebildet, als in Wahrheit begründet. Um jedoch auch hier den äußeren Verhältnissen, wie sie ein Mal liegen, gerecht zu werden, muß bemerkt werden, daß in, namentlich größeren Städten, wo ein Stand entschieden vorwaltet, und nur in Ausnahmsfällen ein Jüngling nicht diesen Stand erwählt, die Mehrzahl der Bildungsanstalten auf Vorbildung zu diesem Stande schon so früh als möglich hinarbeitet, ja daß äußere Verhältnisse dieses geradezu gebieterisch fordern. So haben die meisten Schulen großer Handelsstädte,

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selbst Volksschulen, entschieden einen derartigen Zuschnitt, daß nur Solche daraus hervorgehen, die einen auf Handel und Wandel berechneten Beruf wählen. Ob auch hier nicht ein anderer Modus besser sei, ist fraglich, und so lange diese Frage nicht entschieden ist, haben daselbst die Realschulen ihre Berechtigung. Höhere Schulen an kleineren Orten dagegen, ja selbst schon in Mittelstädten, welche ihre Zöglinge aus den mannigfachsten Ständen erhalten und für dieselbe vorbilden, werden besser die Gymnasialeinrichtung beibehalten. Stellt sich ja bei ihnen das Bedürfniß heraus, den künftigen Praktikern einen besondern Abschluß ihrer Bildung zu geben, so werden sie besser thun, neben Secunda oder höchstens Tertia eine Parallelklasse einzurichten, in der durch Zurücktreten der klassischen Sprachen dem Unterricht in den neuern, so wie in Realwissenschaften (Mathematik und Naturwissenschaften) ein weiterer Spielraum gelassen wird, was ja um so leichter geschehen kann, da die Gymnasien diese Gegenstände schon in ihrem Lehrplane haben.

Daß historischer und geographischer Unterricht mit auf die Vorbildung für das Leben, so weit es in der Form der menschlichen Gesellschaft erscheint, hinwirken und nächst den Sprachen zu den wesentlichsten Bildungsmitteln gehören, ist durch Aufnahme derselben in jeder höheren Lehranstalt ausgesprochen, und so allgemein angenommen, daß sie eben nur einer kurzen Erwähnung hier bedürfen.

Was nun die Vorbildung für die dritte Lebensform, DIE NATUR anlangt, welche durch mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht erzielt wird, so haben die dahin einschlagenden Wissenschaften eben so übertriebene Lobredner, als es auch nicht an solchen fehlt, die sie geradezu verdammen. Jene huldigen entweder einem übertriebenen Nützlichkeitsprincipe, indem sie in diesem Unterrichte nichts als die Vorbereitung zu allerlei technischen Berufsarten sehen, bedenken aber nicht, daß jedes technische

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Fach in einzelnen Zweigen eine weit speciellere Vorbereitung verlangt, als die Schule sie zu geben vermag, während es andere gänzlich ausschließt, welchen die Schule eine größere Aufmerksamkeit zu widmen hat. Oder die Lobredner huldigen einem gefährlichen Pantheismus, und wollen den naturwissenschaftlichen Unterricht geradezu an die Stelle des Religionsunterrichts gesetzt wissen. Daß dieser Richtung mit Macht entgegengearbeitet werden muß, darf kaum bemerkt werden. Wenn man aber dieselbe mit dem Wesen der Naturforschung identificirt, so irrt man gewaltig. In diesem Irthum treffen Freunde und Gegner der Naturwissenschaften zusammen. Leider gelten Vogt, Büchner und Consorten als Naturforscher, welche die Einen als Evangelisten verehren, gegen welche die Andern zunächst zu Felde ziehen, aber das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn sie gegen die Naturforschung überhaupt auftreten. Von beiden Seiten mag, ich will annehmen der Mehrzahl nach eine wohlmeinende Absicht zu Grunde liegen, und dann ist der Irthum zu bedauern. Es sind das die Leute, die am Ende wachend und schlafend von Tischrücken, Geisterklopfen und anderem Spuck träumen. Oft aber ist boshafte Absicht nicht fern; man will im Trüben fischen. Dann hat freilich der Kampf etwas Widerwärtiges und fast Diabolisches. Von dieser überspannten Naturbetrachtung, welche den Namen der Wissenschaft nicht verdient, ist jede Naturwissenschaft frei. Sie will nur Naturphänomene, so wie sie sind erkennen, das Gemeinsame an ihnen, so wie ihre Verschiedenheiten finden, und so in Allen Ordnung und Gesetz nachweisen. Damit aber hat sie bisher schon Großes geleistet und wird es auch ferner thun. Für die Jugend entspringt aus naturwissenschaftlichem Unterricht eine unbefangene, daher von den Banden der Natur in demselben Grade freie Stellung zu ihr, als die Erkenntniß der Ordnung in ihr wächst. Ist schon an sich jene Verwirrung der Gebiete verwerflich, so wirkt sie für die Jugend entschieden schädlich. Gegen diese Verwirrung muß jeder

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Vernünftige protestiren, gegen eine unbefangene Beschäftigung, wie sie eben bezeichnet ist, ist dagegen kaum eine Opposition denkbar. Es erscheint dieselbe vielmehr als ein wesentliches Bildungsmittel gegenüber den andern Schulwissenschaften, die zwar nicht geradezu der Naturbetrachtung abhold sind, wohl aber durch Nichtbeachtung derselben dem zu bildenden Jüngling ihr entfremden.
Wenn nun gleich auf diese Weise sich drei Unterrichtsgebiete herausstellen, so steht doch keins außer Beziehung zu den andern. Es ist schlechthin unmöglich, daß z. B. historische und literarische Studien ohne Zusammenhang mit dem aus dem Religionsunterricht Gewonnenen, oder dieser ohne Bezugnahme auf das Menschen- und Naturleben bleiben könne. Alle drei Gebiete wirken zusammen Gemeinsames, nämlich allgemeine Menschenbildung.

Diese Aphorismen über das Schulwesen im Allgemeinen werden genügen, um den Standpunkt zu bezeichnen, aus welchem das lauenburgische Schulwesen demnächst betrachtet werden soll.

 


(Fortsetzung folgt im 2ten Hefte.)
 

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